Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Aber die Menschen sahen Änneli akkurat an wie an andern Abenden, die Buben waren die gleichen Schlingel, doch gegen Änneli nicht anders als sonst, und in der Käshütte stand akkurat der gleiche Felix und sagte zu Änneli: »Gib dein Tröpflein, wenn es sich der Mühe lohnt, es auszuleeren!« Ach Gott, wie voll Glück ward das Herz, wie dunkel färbten sich die Augen, wie hell leuchteten die Backen, wie selig schwebte Änneli heim mit der Bränte auf dem Rücken; es war ihm, als täte es Schlitten reiten im Himmel und alle Engelein täten geigen dazu und posaunen. Es braucht oft doch wenig, um glückliche Leute zu machen!

Die ganze Nacht träumte es Seligkeiten; bald hörte es eine himmlische Stimme zu sich sagen: »Gib dein Tröpflein, wenn es sich der Mühe lohnt, es auszuleeren!« Bald war es ihm, als gygampfe (schaukele) es mit einem schönen Engel und der sagte zu ihm: »Tust doch so dumm, muß dir helfen.« Es war ganz die Stimme von Ammanns Felix, und als es genauer hinsah, hatte der Engel Ammanns Felix' Gesicht, war wirklich er selbst, der mit ihm gygampfete im Himmel. Und wieder war es ihm, als gehe es zur Käshütte, vor ihm liege ein ganz kleines Ei wie von einer Taube, und es trappe darauf, und da krieche eine schwarze Schlange heraus, und noch eine, und noch eine, und noch eine, und noch eine, und noch eine, und immer und immer eine um die andere, und jede sei groß und dick, mit doppelter Zunge und großem Rachen, und sie alle stünden bolzgerade auf, tanzten um ihns und streckten ihre Köpfe züngelnd und lällend, immer näher nach seinem Kopf, fingen an, so kalt und grausig und doch so heiß und glühend sich anzuschmiegen näher und näher. Wollte es nach hinten fliehen, so legten sich ihm von hinten Schlangenköpfe über die Achseln, einer, noch einer, und noch einer, und immerzu, und ohne Aufhören, und als sei es dicht von Schlangenköpfen umwunden wie der kleine Papierwisch, der, von Garn umschlungen, zu einer großen Balle schwellt. Es wollte schreien und konnte nicht; da kam Ammanns Felix daher mit einer Sense auf der Achsel, und als er die tanzenden und lällenden Schlangen sah, nahm er die Sense von der Achsel und mähte in dieselben hinein, als wären sie Klee auf dem Acker. Er mähte tapfer zu, bis die letzte nieder war, dann lud er sie auf den Kleewagen, sagte, das werde ein Herrenfressen für seine Kühe, und fuhr damit heim und rief noch Änneli nach: »Meitschi, wenn du auch gern davon hättest, so komm mit, dMuetter mueß dr dr größt Gring brägle!« »Pfi Tüfel!« sagte darauf Änneli. Aber kaum hatte es das gesagt, so hatte es es ungern. Was werde doch der Felix denken, was es für ein Grobs und Unmanierlichs sei, so ein rechter Holzbock. Darauf wollte es ihm nach und ihm etwas Manierlicheres sagen, nicht »merci bien« oder »s'il vous plaît«, solche Termen waren noch nicht in die Vehfreude gekommen, aber sonst etwas Höfliches, wie es in der Vehfreude üblich war. Es lief ihm nach, verlor aber den Schuh, und als es ihn anzog, hatte es an beiden Füßen keinen mehr, und als es die Schuhe wieder hatte, lag es in einem Graben, und aus dem Graben konnte es nicht heraus, sank immer tiefer, die Ränder an beiden Seiten wurden immer höher, es war, als wäre es das Grab und über ihm herein käme die Erde und lebendig müßte es begraben sein. Es konnte sich nicht rühren, nicht schreien, und vom Himmel sah es nur noch durch eine kleine Öffnung ein Loch wie ein ziemliches Äpfelküchlein. Fast meinte es, es sei fertig, aber wenn es Ammanns Felix wüßte, der ließe ihns nicht im Stiche, dachte es dann. Und siehe da, statt dem Stücklein Himmel wie ein Äpfelküchlein groß stand in der Öffnung Ammanns Felix mit einer großen Schaufel auf der Achsel, der machte das Loch weit, weit, daß es frei ward. Aber als es sagen wollte: »Häbs doch recht nit für unguet, daß ih es sövli Unmanierlichs bi«, da grännete ihns Eisi im Dürluft an, streckte die Zunge klafterlang aus dem Maul, daß Änneli zusammenfuhr und schrie: »Du Uflat, la mih sy!« Da wars wieder Ammanns Felix! Nun fuhr es auf und schrie: »Herr Jeses, Herr Jeses! Was ist, wo bin ich?«

Änneli war daheim im Bett, Bethi stand davor, rüttelte ihns und sagte: »Was hast auch, daß du so schreist, was kam dir vor, oder bist krank? Denk, es ist schon heller Tag, und wie man dir rief, du hörtest nichts, bis man dich schreien hörte!« Es ging eine Weile, bis Änneli seine Besinnung beisammen hatte. Es seien ihm gar grüsliche Sachen vorgekommen im Traume, sagte es, aber daß Ammanns Felix auch unter den grüslichen Sachen gewesen, davon sagte es nichts. »Hör«, sagte Bethi, »mach dich geschwind zweg! Es ist Bescheid gekommen, die Großmutter (sie hatten noch eine von der Mutter her) sei übel krank geworden und habe niemanden zur Abwart. Du mußt gehen; leide dich und tue ihr, was du kannst. Es ist gut, wenn man sich an alles gewöhnt, während man jung ist, man weiß nie, wozu es einem kommen kann. Mach, ds Essen ist zweg unten, und gerüstet habe ich, was du mitzunehmen hast.«

Änneli fuhr auf und zweg, machte, pressierte, aß, nahm, was die Schwester gab, hörte die Verhaltungsmaßregeln, so gut es es vermochte, und nahm den Weg unter die Füße. »Es ist doch immer das Beste«, sagte Bethi. »Kennt die Großmutter so wenig und hat doch vom ersten Wort an, als es gehört, daß die sterben sollte, die Augen immer voll Wasser gehabt.« Bethi war eine gescheite Frau, aber es wußte doch nicht, warum Änneli weinte. Allweg nicht wegen der Großmutter. Es ging grausam ungern, es war ihm, als hätte es Zentnersteine an den Beinen, ja es wäre lieber in der Vehfreude gestorben als jetzt weitergegangen. Aber es ging doch, denn Bethi hatte es geheißen, und wenn Bethi es befahl, wäre es geradezu in den Tod gegangen.

Änneli trug nun nicht mehr Milch, ein Knechtlein verrichtete dieses Geschäft. Daß hie und da ein- oder zweimal bei Unpäßlichkeiten oder sonst jemand anderes die Milch brachte, war üblich. Ännelis Ausbleiben fiel daher den ersten und zweiten Tag nicht auf. Felix war bloß mürrisch und warf wieder einen der Buben, den kleinen Naseweis, zur Türe hinaus. Derselbe hatte nämlich den Andern doziert, er wisse bestimmt, daß der Senn und der Hüttenmeister das Ungrade mit einander teilten; es brächte, er habe es berechnet, bereits mehr als zehn Käse. Kein Großer hätte es gemerkt, aber er sei nicht dumm. Sei er mal erwachsen, so wolle er dem Ammann und den andern Großgrinde den Ringgen eintun, daß sie nach Gott schrien; es sei die Frage, ob er sie nicht ins Schallenwerk (Zuchthaus) bringe, allweg werde er ihnen nicht borgen.

Der Junge hatte viel Anlage zu moderner Bildung, bloß fehlte noch der Takt, nicht an unpassendem Orte, zu unpassender Zeit zu reden, wo es gefährlich werden konnte. Felix hatte etwas von dieser Rede gehört und, nicht gut gelaunt, derselben auf einfache Weise ein Ende gemacht. Hätte er das Ganze gehört, so hätte er wahrscheinlich dem jungen, hoffnungsvollen Volksredner das Reden für lange Zeit vertrieben.

Am dritten Tage stellte das Knechtlein seine Bränte etwas ungeschickt hin; da fuhr ihn der Senn, welcher Änneli auch lieber hatte als den neuen Bengel, an, es wäre ihm lieber, er käme nicht mehr, und wer früher die Milch gebracht, bringe sie wieder. Für einmal werde er mit ihm vorlieb nehmen müssen, sagte der Knecht, das Meitschl werde sie einstweilen nicht mehr bringen, es sei fort. Der Senn werde kaum zu befehlen haben, wer die Milch bringen solle und wer nicht. Er werde sie wohl dem, der sie ihm bringe, abnehmen müssen, sei er, wer er wolle!

Der Senn antwortete, aber Felix redete nicht darein. Daß Änneli nicht mehr komme, fort sei, hatte ihn betroffen, er wußte nicht warum. Als das Knechtlein fortging, folgte er ihm und fragte mürrisch: »Haben sie es fortgejagt?« »Was denkst«, sagte der Bursche. »Sie hätten keine Ursache gehabt, aber es kam Bescheid, die Großmutter wolle sterben, hätte niemanden, der ihr abwarte, da schickte es die Meisterfrau hin. Vielleicht, daß es wiederkommt, wenn sie abgereiset ist, daneben weiß ich es nicht.« »Wo ist die Großmutter?« fragte Felix.»Weiß nicht«, sagte der Knecht; »glaub, ob Bern, aber wo, kann ich nicht sagen.«

Das ging Felix im Leibe herum, daß man da so ein Mädchen, das im Dorfe wohne, so mir nichts, dir nichts fortschicken könne. Er war Felix, des Ammanns Sohn und der Frau Ammännin Meisterlos, er war gewohnt, daß alles nach seinem Kopfe ging, daß geschah, woran er dachte, geschweige daß jemand ihm etwas in den Weg gelegt hätte. Er hatte Ännelis Milchtragen hingenommen als etwas, was sich von selbst verstand, und war seinetwegen in die Käshütte gegangen, ohne daß er darum wußte. So eines Ammanns Sohn ist über die Gründe erhaben, braucht deren weder gegen sich noch gegen Andere. Er tut, was ihm gefällt, ohne sich zu kümmern um das Warum und das Darum – das ist wirklich auch die allerbequemste Lebensweise. Nun tat man das Änneli weg so mir nichts, dir nichts, kümmerte sich gar nicht darum, sei es ihm anständig oder nicht. Das machte ihn zornig, und zwar nicht wenig. Das sei doch eine verfluchte Unvernunft, räsonierte er, ein solches Mädchen zu einer Großmutter zu schicken, um ihr abzuwarten. Was der Großmutter geholfen sei mit einem Meitschi, welches den Verstand nicht habe und die Kraft nicht, sie auf- und niederzuheben! Die Großmutter könne ihn erbarmen, daneben das Meitschi auch, das nicht wissen werde, was anfangen, nichts verrichte und doch bös habe dabei. Er müsse sagen, er hätte ds Nägelibodenburen mehr Verstand zugetraut als so. Indessen hätte er es denken können, die Leute würden wahrscheinlich nicht umsonst so viel über sie zu reden haben. Weder wegem Hexenwerk, selb glaube er nicht; wenn sie das verstünden, so hätten sie sicher weniger Schulden und fettere Äcker.

Man sieht, Felix hatte große Anlagen zu einem modernen Staatsmanne aus dem Stegreife, welche alles abschaffen, was ihnen unbequem scheint oder was sie nicht begreifen. Unwirsch war er den ganzen Tag, polterte und schoß die Sachen herum, als ob alles eines Tags draufmüsse. Die Frau Ammännin, welche sonst um niemanden sich viel kümmerte, ja längs Stück nicht einmal um den Herrn Ammann, war doch auch Mutter, das heißt sie hatte Augen für ihr Söhnlein. Ihre hauptsächlichsten Betrachtungen, und zwar sehr andächtige, galten alle ihrem Felix. Stundenlang konnte sie ihn ansehen und ihre Andacht nahm nicht ab. Kein Wunder war also, daß sie alle Falten und alle Schatten auf Felix' Gesicht kannte, keine seiner Stimmungen ihr entging.

»Was ist, was hast?« sagte die Mutter, ihm nachtrappend; »warum bist böse, wer hat dir zwiderdienet?« »Was wollte ich haben, nichts habe ich«, schnauzte Felix und ging trotzig weiter. Geduldig, besorgt trappete die Mutter nach und sagte: »Nein, Felix, so mußt nicht tun, schäme dich! Wenn es jemand sehen würde, er könnte wunder glauben, was für ein Ungeheuer du seiest.« »Meinethalben meine man, ich sei der Teufel, was habe ich dem nachzufragen, blase man mir, wo ich am schönsten bin«, sagte Felix. »Nein, aber tue doch nicht so, weißt ja, wie gut ichs mit dir meine. Sag, was hast, kann dir was helfen, wer hat dir zwiderdienet? Hörst, wills wissen«, sagte die Mutter. »Nichts ists, Mutter, nicht der Rede wert. Aber bös macht es mich, daß ich noch immer ein Kind sein soll; kann nie ein Gesicht machen, wie es mich ankommt, daß Ihr nicht hinter mir dreintschalpet und Felixli hie und Felixli da und Felixli, was hast, und Felixli, tuet dir ds Köpfli weh? Es wundert mich nur, daß Ihr nicht noch fragt: Felixli, wotsch ds Bübbi oder wotsch ufs Häfi«, zürnte Felix.

»Du bist doch der wüstest Uflat auf der Welt«, sagte die Frau Ammännin. »Ist das der Dank dafür, daß ich nur an dich denke, dir tue, was ich dir an den Augen ansehe, und schon vor so manchem Wetter bei dem Vater gewesen bin! Wart, wenn du ein andermal Geld willst, so kannst es bei dem Vater holen, ich habe keins mehr für dich, du wüeste Bueb, was du bist! Was frag ich endlich dem nach, was du hast, will mich künftig auch nur um das kümmern, was ich habe!« »Mutter«, sagte Felix, »wenn Ihr gleich so aufbegehren wollt, sage ich Euch gar nichts mehr, dann habt Ihrs. Die Sache ist an sich selbsten nichts, Ihr macht mich nur böse mit Euerm Gehähr und dem Felixli, Felixli, als ob ich noch ein Kind sei. Selb machet mir nicht mehr.« »Es ist nur, weil ich dich lieb habe«, sagte die Mutter, »und es dünkt mich, du solltest mir nicht alles gleich so übel nehmen. Wenn ich es auch so machen wollte? Doch wenn du es nicht gern hast, so kann ich es ja bleiben lassen, warum nicht. Aber jetzt sag mir, was ists, was hast?«

»Nüt, an ihm selber«, sagte Felix, »gar nüt. Es macht mich nur böse, daß die Leute mich immer hintergehen, daß ich ihnen mehr Gutes zutraue, als hinter ihnen ist, und wenn ich jemanden z'best rede bei den Leuten, die gerade tun, daß ich mich schämen muß.« »Warum? Was ist? Was hats gegeben?« fragte die Frau Ammännin und nahm in ihrer Hast bei jeder Frage eine Prise. »Nichts ists«, sagte Felix noch einmal. »Da tun die Leute über die Nägelibodenbauers so wüst, als ob sie für nichts gut wären als für des Teufels Karren, und ich sagte manchmal: Aparts sehe ich nichts Böses, er baute nicht schlecht, und seine Milch sei in der Ordnung, es wäre gut, es hätten alle das gleiche Lob. Nun jetzt, was machen die? Sie haben ein armes Mädchen bei sich, es soll der Frau Schwester sein; es ist fleißig, versäumt sich nicht mit Klappern wie die Andern, hat immer Angst, bis es wieder gehen kann; es gäbe eine Jungfere, wie Ihr sie liebt. Nun haben sie eine alte Großmutter ob Bern, im Freiburgbiet oder gar im Guggisberg. Die soll krank sein und schrecklich in der Armut, und statt sie herzuholen, schicken sie das Mädchen hinauf, weil sie sich ihrer hier verschämen. Da soll es ihr abwarten, wahrscheinlich für sie betteln und stehlen. Das hat mich geärgert, ich hätte es diesen Leuten nicht zugetraut. Es dünkt mich, wenn ihnen doch nur jemand den Hund lesen würde und ihnen sagen, wie wenig man ihnen darauf hätte, daß sie so bloß aus Hochmut die Alte und das Meitschi verrebeln ließen. Wie soll das Meitschi sich und die Alte erhalten, noch dazu abwarten? Sie werden freilich versprochen haben, zu schicken, aber man weiß, wie das geht: einmal, und dann schickt es sich nicht wieder.«


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