Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Felix meinte, das Roß gefiele ihm, allein er traue ihm nicht recht, er müsse glauben, er habe heute einen unglücklichen Tag, er habe nichts als Zorn. Wo er gehe und stehe, sei ihm der verfluchte Hund vor den Füßen, er wollte lieber, er wäre sieben Hexen begegnet als dem Schelm. Doch Sepp strengte an, das Rößlein ward gekauft, Weinkauf eingemärtet; man ging, ihn zu trinken, in die nächste Pinte, und dort war Eglihannes und erzählte einem großen Haufen, wie er seinen Knubeln, den bekannten Vehfreudigern, aus der Tinte geholfen und wie er ihnen jetzt den übrigen Käs vertschäggieren (verschachern) müsse, er bliebe ihnen sonst am Halse. Denn Leute wie die, die sich weniger zu helfen wüßten, habe er auf der Welt noch nirgends angetroffen; wenn der Urgroßätti die Kuh beim Stiel gezäumt, so werde so fortgezäumt in der Familie, solange sie eine Kuh zu zäumen hätten.

Sepp und Felix waren hinter Eglihannese Rücken eingetreten, er wußte nicht um ihr Dasein, auch sie kannten ihn erst am Reden; Felix wäre umgekehrt, wenn er ihn früher gesehen hätte. Man kann sich denken, wie es Felix in Kopf kam, als er diese Reden hörte, hörte, wie derselbe seinen Auftrag ausbeutete, von Pinte zu Pinte lief, Käs feil hatte und obendrein die Vehfreudiger verhandelte und verkaufte. Wenn das den ganzen Winter durch so gehen müsse, dachte er, so kämen sie zu einem ärgern Rufe als die Merliger. Felix rief daher: »Es ist gut, sagst du nur solches und bist du den Leuten bekannt wie der schwarze Peter und Schinderhannes, sonst könnte man so etwas für ungut nehmen! So aber rede du nur, die Leute wissen wohl, wer du bist: e halbe Herr, e halbe Fötzel, vielleicht bald ein ganzer Bettler, und wenn mir einer sagte, du seiest der ärgste Schelm zwischen Thun und dem Emmental, ich müßte es ihm glauben.«

Diesmal erschrak Eglihannes; als Felix zu reden anfing, schnellte er seinen Kopf beiseite, als ob er seinen Ohren nicht traue. Da er wirklich Felix sah, zog er die Nase auf, als wäre eine brave Prise Schnupf dreingefahren, winkte dem Wirt und sagte: »Los neuis«, verschwand mit ihm ins Stübli und kehrte nicht wieder. »Lue, wie der geht«, sagte Felix, »der weiß, warum er nicht wartet; ein Lumpenhund wie der ist heute nicht hier.« Und nun gab er ein Stücklein nach dem andern zum Besten von Eglihannes, daß die Leute sich sehr erbauten und kurze Zeit hatten dabei. Endlich sagte Sepp, er müsse gehen, habe noch viel zu verrichten. »Wo bist über Mittag, wirst doch auch etwas essen wollen?« fragte Felix. »Ich denke«, sagte Sepp, »ich gehe zum Bären ans Ordinäri, die Frau ist bei mir.« Felix versprach, sich ebenfalls einzufinden. Er hatte mit Bethi Frieden geschlossen und liebte dessen resolutes Wesen, das kein Blatt vors Maul nahm und doch manierlich blieb.

Er verschwatzte sich, wie es so geht an einem Markttage, wenn man viele Bekannte hat, und zwar auch weibliche, und dazu noch ledig ist. Sowie er einen Schritt weiter getan, grüßte ihn eine holde Stimme. »Bist auch da?« fragte sie; »der Weg war dir mit Schein auch nicht zu wüst?« Es war ordentlich, als ob die Mädchen sich ihm um die Füße wickelten wie Schlingpflanzen dem Badenden. Es war bereits weit über die abgeredete Zeit, als er beim »Bären« unter die Türe trat, wo das Ordinäri serviert wurde. Die erste Person, welche ihm in die Augen fiel, war Eglihannes, und neben ihm saß die Pintenwirtin. Mit einem Fluche wollte er umkehren, aber Sepp hatte ihn gesehen und rief ihm. Will gehen, dachte Felix, der Hagel könnte sonst meinen, ich fürchte ihn und fliehe deswegen. Er drängte sich durch in die Ecke, wo Sepp war und neben Bethi Änneli saß. Felix ward wirklich rot und machte ein recht lächerliches Gesicht; Verlegenheit war sonst seine Schwachheit nicht, aber jetzt kam ihn doch so was an, das derselben glich. Änneli war gar tausendhübsch; so einfach und doch so nett war auf dem ganzen Markte vielleicht kein anderes Meitschi, so hatte er es noch nie gesehen. Es machte ein gar glückliches und verlegenes Gesicht und stotterte sehr, als Felix fragte: »So, bist auch zMärit?« und es antwortete: »Ein wenig wohl.« »Der Geiger wird dich gezogen haben«, sagte Felix. »Nein, wäger nicht«, antwortete Änneli, »die Schwester wollte es haben. Es war mir zwider, aber sie meinte, ich sollte einmal selbst kommen und kaufen, was mir anständig sei. Das wär nicht nötig gewesen, denn besser trifft es mir doch niemand als gerade sie.«

So gab ein Wort das andere, in den Augen mehrte das Glück, minderte die Verlegenheit. Felix schenkte munter ein, da half alles Wehren nichts, und fluchte nebenbei über sein Unglück, daß er den Halunken den ganzen Tag vor Augen haben müsse, es sei, als ob er verhexet worden; dann sagte er: »Frag ihn doch, Sepp, wieviel Käs er heute verkauft und wie teuer.« Aber Sepp wollte nicht fragen. »Es ist gut, ist er am andern Tisch«, sagte er. »Man soll nicht Öl ins Feuer tragen, es ist besser, das bleibe von einander; hoffentlich ist er weise genug und schweigt, tut, als ob wir nicht da wären.« »Da kannst du ja nicht einmal Gesundheit mit ihm machen«, sagte Felix zu Änneli. Änneli wurde rot bis über die Ohren, und Bethi sagte: »Nit, mach dere Gspäß nicht wieder, es war an einem Mal zu viel«. »Flausen«, sagte Felix, »das täte ja einem ungeschälten Ei nichts.« »Du weißt wenig, was ein ungeschältes Ei ertragen mag. Bursche wie du wissen keinen Unterschied zu machen zwischen einer alten, wohlgegerbten Kuhhaut und einem ungeschälten Ei, tun wie junge Bären, welche im Spaß und Gutmeinen mit zentnerigen Steinen die Fliegen wehren wollen.« So kapitelte Bethi, und Felix nahms mit Lachen auf, und Änneli lenkte ab und fragte nach guten Verrichtungen; alle waren lustig und guter Dinge, ließen sichs wohlsein in behaglicher Ruhe. Sepp redete sogar von schwarzem Kaffee samt einem Gläsli, und Bethi fragte: »Bist recht im Kopf oder aus dem Häusli, oder trägt euer Roßhandel so viel ab, daß es alles ertragen mag?«

»Für den wollte ich nicht viel geben«, ertönte es hinter Felix. »Den Profit, den ihr an dem Tier macht, welches ihr heute gekauft, möchte ich nicht um drei Kreuzer!« Diese Stimme hob Felix hoch auf, denn sie war die von Eglihannes, der in seiner unabtreiblichen Frechheit zu Änneli sagte: »Hörst, wie droben die Geigen gehen, wollte dich fragen, ob du einen mit mir haben wollest?« Es gibt Leute mit einer Unverschämtheit, von welcher honette Leute sich gar keinen Begriff machen, die es haben wie die Flöhe: Abschütteln hilft gar nichts, so oft man sie abschüttelt, sind sie wieder da und beißen wieder zu; gegen Flöhe hilft bloß Zerdrücken. Diese Menschen sind unabtreiblich, hängen sich an wie Kletten, stechen wie Wespen, brennen wie Nesseln, schreien wie Säububen, wenn man sie anrührt, schelten und schimpfen wie Rohrspatzen, wenn sie außer Gehörweite sind, tun es aber auch, wenn sie besoffen sind , ins Angesicht. Dieses Ungeziefer gehört zumeist zum radikalen Halbherrentum und ist doppelt giftig und bösartig, wenn es an einem Zipfel des Regimentes hängt, irgend was vorstellt unter irgend einem Titel.

»Mach dich weg, wenn du nicht Schläge haben willst«, sagte Felix zu Eglihannes. »Tanze du mit deinen Huren, aber ein ehrliches Meitschi rühre mir nicht an! Verkarret hasts, versauen sollst es nicht noch; von selbem ists kuriert, das wüsche ihm der Rhein nicht ab.« »Wer sagt, ich habe es verkarret, lügt wie ein Schelm«, sagte Eglihannes; »ich will dir sagen, wer es getan hat, wenn du schon des Ammanns Löhl bist: du hasts getan und kein Anderer!« Jetzt wars Zeit, daß Sepp sich hinter dem Tische hervorgemacht und plötzlich zwischen Beiden stand. »Du bist ein Händelmacher«, sagte er zu Eglihannes; »geh und laß uns ruhig bei unserer Ürti (Zeche), sonst bin ich dir für nichts gut. Wir ließen dich drüben auch ruhig.« Eglihannes sah, daß es Ernst war, und zog kläffend ab. Er fürchte sich nicht, sagte er; man solle ihm nur was tun, wenn man dürfe. Er hätte das Recht, da zu sein, so gut als Andere, und es werde nicht verboten sein, mit ihnen zu reden; er habe schon mit Vornehmeren gesprochen und sie hätten nichts darwider gehabt usw.

Felix vermaß sich hoch und teuer, wenn der Hund ihm heute noch einmal vor die Füße liefe, schlage er ihn ab, daß ihm Laufen und Maulen vergehe für eine gute Weile. Auch Sepp war böse und meinte, das sei Händel gesucht. Es müsse einer Pfeffer gefressen haben, um so unverschämt anzubinden, wo er doch eine tüchtige Tracht Schläge bar habe. Probiere Eglihannes es noch einmal, wehre er nicht mehr ab, sondern strenge noch an und gebe selbst. »Aber an Geiger soll der uns nicht umsonst gemahnt haben«, sagte Felix; »jetzt komm, mußt einen mit mir haben, Meitschi!« So was hatte Änneli noch nicht erlebt. An der Hand eines Ammannssohns in die Welt treten, man denke! Dazu ein armes Mädchen, man denke doppelt! Bethi wußte nicht recht, was dazu sagen, es war ihm recht und nicht recht; es war ihm recht, daß Änneli zur Freude kam, aber was werden die Leute sagen, daß es Ammanns Felix ist, der ihns zum Tanze führt, dachte es. Wenn Bethi die Leute auch nicht fürchtete, liebte es doch nicht, in ihren Mäulern zu sein; es ist zumeist ein sehr unappetitlicher Aufenthalt.

Diesmal ward Felix Meister und stürzte sich ins Weltgetümmel gleichwie die Homerischen Helden in die Schlacht. Änneli wußte nicht recht, lebte es noch oder war es schon tot und schwebe auf Engelsflügeln dem Himmel zu. Wohl, das gab große Augen, als der wohlbekannte Felix mit einem Mädchen an der Hand daherkam, das niemand kannte, das nicht des Bauern Tochter in der Hohle, nicht des Bauern Tochter auf dem Hubel, kurz keines Bauern Tochter zu Berg oder Tal war, ein Menschenkind, von dem man nicht wußte, woher es kam, und wenn auch nett, so doch so gering angezogen, daß die ganze Kleidung nicht so viel wert war als eine einzige Kappe auf dem Haupte einer der reichern Töchter. Mit gerümpften Nasen standen sie beiseite, wischten das Fürtuch ab, wenn Änneli darangekommen, muckelten von Ghausmannstöchtern und Kindermägden, von Zeug, das auf der Gasse aufgelesen worden und das man mit keinem Finger berühren möchte. Es waren Töchter darunter, welche diesen Morgen bei Felix sich gestellt, ihn angeredet, ihm die Hand gereicht, die er hatte stehen lassen, ihre Erwartungen bitterlich getäuscht hatte, und warum? Wegen einem solchen Ding da, von dem man nicht wußte, woher es kam, und das deswegen nicht viel wert sein mußte; denn wenn es was wert wäre, wüßte man auch, wie es heiße und wo es daheim sei. Diese alle machten Felix stolze Augen, taten kurz, spielten beleidigte Majestäten. Felix gehörte nicht zu dem Schlage, welcher leicht verdutzt wird; er hatte selbst ein majestätisches Bewußtsein und gegenüber den beleidigten Schönen sultanliche Regungen. Er trieb sich mit Änneli noch kühner durch das Getümmel. Konnte er einer der stolzen Schönen einen vaterländischen Mupf applizieren, sparte er ihn nicht. Änneli dagegen wuchs ihm immer besser in Arm; es dünkte ihn, mit dem Meitschi sei es ein ganz anderes Tanzen als mit allen Andern, er habe bis heute noch nicht gewußt, was Tanzen sei. Änneli dünkte es auch so schön, und doch ward ihm so angst. Als Sepp und Bethi fortgegangen, hatten sie die Zeit bestimmt, wann Änneli da sich einzufinden habe, wo Sepp das Fuhrwerk eingestellt. Diese Zeit war verflossen, und Felix kümmerte sich nicht drum, und gäb wie Änneli jammerte, lachte Felix und sagte, es solle nicht Kummer haben, er wolle alles versprechen, aber jetzt lasse er es nicht und es solle ihm jetzt aufhören mit Kären ein- für allemal. Änneli weinte fast, aber was sollte es machen? Die Kraft, die ohne Rücksicht ihren Willen durchsetzt, fehlte ihm, die Furcht, den Felix zu erzürnen, war bei ihm eingezogen. Es ist diese Furcht ein gar eigenes Merkmal für alle, welche sich darauf verstehen.

Da erschienen Sepp und Bethi im Tanzsaal. Sepp hatte abreisen und den Bescheid hinterlassen wollen, Änneli solle nachkommen, wie es könne und möge. Das ist übliche Sitte, daß Mädchen bei ihren Tänzern zurückbleiben und mit diesen heimkehren, während die Eltern ganz unbesorgt vorausfahren. Aber Bethi erklärte, ohne Änneli gehe es nicht heim, das sei ihm noch zu jung, um es allein zu lassen, und allweg mit Felix nicht. Das sei ein Zwänggring, was ihm in Kopf schieße, da durch müsse es, und auf das wolle es es nicht abkommen lassen. Sepp mußte mit Bethi zurück, wo sie die Beiden gelassen. »Was Teufels tut ihr noch da?« sagte Felix; »dachte, ihr seiet schon halb heim!« »Zürnt doch recht nicht», jammerte Änneli, »aber er wollte mich nicht gehen lassen, gäb wie ich ihm angehalten.« »Heim mußt«, sagte Felix, »aber jetzt nicht.« Nun erhob sich eine große Märteten, welche endlich mit einer Kapitulation endete. Bethi blieb fest dabei, ohne Schwester gehe es nicht heim; dagegen ließ es sich bewegen, aber mit Mühe, noch eine Stunde warten zu wollen. Es war Bethi sehr ärgerlich, daß Felix Änneli so auffallend zu Tanz und Gast hielt, Es war noch mehr Volk aus der Vehfreude in den Saal gekommen, man kannte sie also, und Bethi sah wohl, wie die Mädchen die Nasen immer mehr rümpften; denn es ist akkurat die gleiche Welt und akkurat gleiches Naserümpfen wird an Hof- und Dorfbällen gesehen. Das Ding, sagte Bethi, sei ihm in Tod zuwider, nicht wegem Änneli, das sei, so Gott wolle, witzig genug, zu wissen, wie es dies zu nehmen hätte, aber wegem Gerede. Jetzt werde der Teufel aber los sein und das ganze Dorf und das Räsonieren von vornen angehen.

Bethi setzte seinen Willen durch, nach einer Stunde mußte aufgebrochen sein. Bethi gab nicht einmal zu, daß Felix Änneli zum Tische nahm und mit Speise und Trank erquickte. Felix begehrte auf und meinte, es sollte doch wissen, was Brauch und Recht sei. Eine Bösere habe er noch nicht angetroffen, aber zwängen solle ihm die beim Donner nicht alles. »Geh du und tanze, es sind Bauerntöchter da, wie sie sich für dich schicken. Sie luegten schon lange auf dich«, sagte Bethi. »Wott nit, können mir blasen, will expreß, weil du mich abschüsseln willst, mit euch heim«, sagte Felix. »Kannst nicht«, sagte Bethi, »haben nur einen Sitz auf dem Wägeli, der ist für uns zu enge.« »Stehe hintenauf«, sagte Felix, »magst wollen oder nicht. Denke, du werdest nicht zu vornehm sein, dich darein zu schicken.« »Bist ein wüster Bursche«, sagte Bethi, »meinst, weil du Ammanns Felix seiest, dürfest du alles zwängen, stehe dir alles wohl an; geht es dabei Andern wohl oder übel, so ists dir gleich.« »Was, übel gehen?« fragte Felix. »Fressen will ich dich nicht, wärest mir viel zu räß, und euer Roß wird mich wohl ziehen mögen, nicht weiter als es ist, und Kosten machen will ich euch nicht, darauf kannst dich verlassen.« Bethi kehrte ihm zornig den Rücken, mehr zu sagen schickte sich ihm nicht, und Felix fuhr mit. Es war schon gegen Abend, als sie abfuhren, und Bethi war um so hässiger, es sprach kein Wort. Änneli drückte sich zwischen Sepp und Bethi hinein, mitten hinter ihm stand Felix. Was es dachte, wußte es nicht, es schwoll in ihm ab und zu wie Ebbe und Flut gar mächtiglich.


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