Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtzehntes Kapitel

Von allerlei Plagen und Mißverständnis

Sonst sah es die Tage darauf in der Vehfreude aus wie auf dem Lande in trocknen Jahren nach einem schönen Regen. Wie es grünet allenthalben und verjüngt die Pflanzenwelt erscheint, so grüneten die meisten Weiber, schienen um viele Jahre jünger geworden zu sein; munterer bewegten sich ihre Beine, besonders wenn sie auf den Wegen zum Krämer wanderten. Dieser hatte alle Hände voll zu tun, ordentlich Flut in seiner Kasse, und sein Geschäft, welches fast abgestanden war, ward wieder flott.

Indessen ist bekannt, daß in trocknen Jahren ein schöner Regen nicht lange merkbar bleibt, daß alsbald Seufzer zum Himmel steigen: »Ach, wenn es doch nur bald wieder käme, aber recht, daß man es auch ordentlich fühlte!« Wo es gar trocken geworden, da verschluckt die Erde unglaublich viel, und es bedarf einer ziemlichen Quantität Regen, bis die Feuchtigkeit etwas nachhaltig geworden ist, so daß sie nicht vom ersten Sonnenstrahle verzehrt wird; so war es auch in vielen Häusern in der Vehfreude. Als die Rückstände getilgt waren, allfällige Zinslein ausgerichtet, des Weibes Gelüsten mehr oder weniger befriedigt, ach, da war die Tröckene wieder fühlbar an den meisten Orten, und wiederum wurde geseufzt, nicht: »Ach, wenn es doch immer so bliebe«, sondern: »Ach, wenn es doch bald wieder käme!«

Im Nägeliboden war es den Sommer über ebenfalls nicht wenig trocken gewesen, und Sepp und Bethi hatten manchmal geseufzt, wenn Unabweisbares, zum Beispiel Salz, gekauft werden mußte, und alle Schublädli, die man auszog, tönten so hohl und schauerlich. Nun hatten sie ein ziemliches Stück Geld erhalten, mehr als hundert Gulden; sie hatten von der Großmutter unerwartet geerbt. Zwar nicht flüssig Geld, aber sichere Aussicht dazu, und da alle guten Dinge, welche sich gezweit, sich auch dritten, stand eine prächtige Losung für den Braunen in Aussicht, den Felix mit großem Eifer zu vermitteln suchte und deswegen fast alle Tage im Nägeliboden war, um mit Sepp etwas zu verhandeln.

Änneli ging es besser, doch langsam. Die Ammännin nahm großen Teil an dem Mädchen, wanderte zu großem Erstaunen des ganzen Dorfes mehr als einmal in den Nägeliboden in eigener Person, kramte der Kranken und zeigte große Freude an der fortschreitenden Genesung. Wenn sie heimkam, so war großes Lob in ihrem Munde; ein so appetitlich und verständig Meitschi habe sie nicht bald gesehen, sagte sie. Es habe ihr schon manchmal fast das Wasser in die Augen getrieben, wie das die Schwester liebe und für alles so aufrichtig danke. Das sehe man nicht oft mehr, ein bsunderbar gut Gemüt müsse das Meitschi haben; wenn sie mal das ins Haus bekommen könnte als Meisterjungfere, fünfundzwanzig Taler Lohn reueten sie nicht, und die Hemden sollten es nicht viel kosten.

Wenn die Mutter so redete, war es Felix, als höre er einen Engel singen. Wenn sie aufhören wollte, redete er ihr etwas ein, daß sie wieder von vorne anfangen mußte und noch lebhafter als vorher. Ins Lob stimmte Felix nie ein, er wußte nicht warum. Die Mutter kam nach und nach in den Glauben, Felix hasse das Meitschi und werde es nicht ins Haus wollen, wenn es einmal darum zu tun sei. Sie kanzelte ihn bitterlich ab, was er doch für ein wüster Bub sei, immer etwas gegen das Meitschi zu haben; sie wüßte kein besseres, und daß es arm sei, dessen vermöge es sich nichts, und viele Beispiele hätte man, daß arme Leute auch brav sein könnten. Hochmut sei schön, er stehe Ammanns Bub wohl an, sie möchte nicht, daß er ihn nicht hätte; aber zu weit treiben könne man es auch, Mönsch sei doch immer Mönsch! Darauf sagte denn Felix gewöhnlich: »A bah! Du redst immer vom Hochmut, wer sagt, ich sei hochmütig! Aber warum ist das Meitschi so dumm und will nicht glauben, daß Eglihannes es überfahren hat, und will nicht, daß sein Schwager den Hund angreife? Ich habe ihm schon manchmal gesagt, wir wollten alle Zeugnis reden, es möge kommen, wozu es wolle, und das will der Tropf nicht. Es sagt, Streit begehre es nicht, es hätte Ursache, dem lieben Gott zu danken, daß es so gut davonkomme, und seine Leute wehrten ihm auch mehr ab, als sie es anstrengten; darum begehre es nicht, daß man seinetwegen noch mehr sich plage, es hätte bereits Unmuße genug gemacht.«

»He nun«, sagte die Frau Ammännin, »ist das nicht schön vom Meitschi? Es wäre wohl gut, es hätten alle Leute ein so gut Gemüt, es ginge besser in der Welt und das Prozedieren kostete nicht so viel Geld.« »Mutter«, sagte dann Felix, »das verstehst du nicht, das tut es nur mir zwider und zleid, ich weiß nicht, warum es mich so hasset. Es weiß wohl, daß Eglihannes sagt, ich sei an allem schuld, ich hätte ihn überfahren und unter meine Rosse sei das Meitschi gekommen und dr Tüfel weiß, was er noch alles sagt. Das Meitschi weiß das wohl, weiß, was der Eglihannes für ein Hund und Spitzbube ist und wie ich ihn deretwegen hasse und daß er mich hineinstoßen will und ich an allem schuld sein soll. Und das glauben die Leute, und ds Meitschi brauchte bloß ein Wort zu sagen und den Eglihannes anzugreifen, so glaubten die Leute dem Eglihannes nicht mehr und wüßten, wer dSach angerichtet und daß ich mich nichts vermag. Aber nein, das will der Tropf nicht tun, will dSach an ihm selber haben, und das nur mir zTrutz und zLeid, daß alle Leute meinen, was für ein Kalb und Unflat ich sei. Was ich ihm zuwidergetan, weiß ich nicht, aber schlecht ists von ihm, mich so im Unglanz zu lassen, und weiß doch, was der Eglihannes ist und wie ihn alles hasset im Himmel und auf Erden. Es weiß der Teufel, was da gegangen, dSach ist allweg nicht sauber. Man weiß, was für einer der Eglihannes ist, aber glaubt hätt ih nit, daß ds Nägelibodenbauren mit dem unter einem Hütli spielten.«

Im Grunde des Herzens war Felix sehr froh, daß kein Prozeß entstand; sein Gewissen war doch so ganz verstockt nicht, aber er gestand es sich selbsten nicht ein, geschweige Andern, sondern begehrte immer mörderischer auf, daß der Hund, der Eglihannes, ungehängt davonkomme. So geht es oft in der Welt, daß man heillos aufbegehrt über das, was einem eigentlich am anständigsten ist, und daß man ein schwach Gewissen hinter wütige Kühnheit verbirgt. Die Mutter sagte oft, sie hätte nicht geglaubt, daß Felix so rachsüchtig und köpfig sein könnte; wenn das mit dem Alter noch zunehmen sollte, so komme das wahrhaftig nicht gut. Das Meitschi chönn se fry rechtschaffe dure, daß ers so uf dr Mugge heyg, u si müeß säge, we si scho dr Eglihannes hass vom Tüfel, su heyg doch ds Meitschi recht und bsunderbar, daß es so fest syg bi syr Sach, und syg doch no so jung.

Hatte Felix so mit der Mutter sich herumgestritten, so hatte er Grunds genug, an Änneli zu denken. Erst zankte er mit ihm ebenfalls in Gedanken. Dann kam es ihm vor, wie das gehen müsse, wenn es einmal hier Meisterjungfere werden sollte, dann könne er es ihm eintreiben; es könne lange warten, bis er ihm einen Gefallen tue, aber plagen wolle er es, daß es nach Gott schreien lerne. Wenn er das so recht ingrimmig dachte, so stellte sich ihm Änneli vor die Augen, wie es rot wurde, als es seine Stimme hörte, wie es die Augen aufschlug, einen Blick ihm zuwarf. Diesen Blick konnte er nicht vergessen. Dieser Blick hatte eine wunderbare Kraft. Sowie er zu leuchten begann, verzehrte er die bösen Dünste, all den Zorn, die Bitterkeit, die Rachgierigkeit, es war ihm so still und wohl im Herzen, er wußte nicht wie; ein süßes Träumen kam über seine Seele, und wenn er draus erwachte, wußte er nicht, wo er war und wieviel Zeit verronnen während diesen süßen, ihm so seltsamen Träumen. Dann ward es ihm, als hätte er mit Sepp was zu reden, wegen dem Braunen oder wegen der Erziehung eines Kalbes oder einem Schafhandel; manchmal wußte er nicht, warum er in den Nägeliboden gekommen. Von weitem schon spionierte er, ob Änneli irgendwo zu sehen sei; war das nicht der Fall, so bot er alle Künste auf, es vor die Augen zu bringen. Als es ihm die ersten Tage nicht möglich war, da war es ihm öd in der Welt und gar nichts recht; Kühe und Pferde hatte er sein Lebtag nicht so häufig geprügelt als in diesen Tagen. Allgemach ging es Änneli besser, es stand auf, saß am Fenster. Felix sah es und meinte, es werde vors Haus kommen. Das fehle nicht, dachte er, als es, wie er näher kam, am Fenster verschwand. Aber wer nicht vors Haus kam, war Änneli, und wer schrecklich zornig ward, war Felix. Es nehme ihn nur wunder, dachte er, was er dem Donners Meitschi zuleid getan; das müßte gefragt sein, sobald es ihm unter die Augen komme, dümmers Vieh als das Weibervolk gäbe es auf Gottes Erdboden nicht. Es ist seltsam, aber es ist doch so, daß es Naturen gibt, welche in dem Maße, als ihre Gefühle zarter werden, gröberer Worte sich bedienen.

Einmal an einem trüben Oktobertag war es, daß Felix Schafe scheren wollte, weil er draußen nichts zu tun hatte. Er trieb ziemlichen Schafhandel auf des Vaters Kosten. Derselbe lieferte ihm den größten Teil seiner erbprinzlichen Einnahmen. Dem kleinen Jungen hatte der Vater ein Schaf zu halten erlaubt. Im Maße, als der Junge wuchs, wuchs auch die Zahl der Schafe, trotz dem Gebrummel des Vaters, zuweilen bis auf ein Dutzend. Wenn die Schafe endlich fast so viel fraßen als zwei Kühe, dann gab es anhaltendes Donnerwetter, bis die Schafe reduziert wurden, ungefähr wie die Armee reduziert wird, wenn bei Beratung des Budgets die Kammern recht aufbegehren, jedoch nur für einstweilen, das heißt bis es besser Wetter gibt und das Donnern aufhört; ungefähr wie die klugen Schweizer die Werbungen für Neapel einstellen wollten für einstweilen, bis besser Wetter sich zeigt. Nun, Felix gehorchte, wenn der Vater donnerte, doch immer nur ein klein wenig; dann gab sich der Vater zufrieden, besonders weil die Frau Ammännin z'best redete. »Bah«, sagte sie, »laß ihm die Freude, er lernt handeln dabei, und was fragst du einer Kuh oder zwei mehr nach. DSach ist doch einmal alle sein, und wie gut ists, wenn er zu rechter Zeit Freude an der Sache bekommt. Der Schade ist am Ende auch nicht groß, es gibt Wolle in die Haushaltung, und deren hat man ja immer so nötig für Halblein und Strümpfe. Und ich muß ihn rühmen, er ist darin gut und vernünftig. Wenn er schon die Wolle abgeben muß und nichts davon hat, so richtet er sich doch mit seinen Schafen darnach, wie man die Wolle haben will für den Hausbrauch, wie sie für uns am schönsten und nützlichsten ist. Dere tüfelsdumme wyße Schwabeschaf mit dene lange Lampiohren und der groben Wolle, wo nichts nütz sind, als den Stall vollzubrüllen und die andern zu plagen, hat er noch keines angestellt, gäb wie ihms der Metzger angeben wollte, dieweil keine am Schweizerfutter fester und schwerer würden als dies Schwabenveh, bsunderbar dUrfle.«

Der Ammann, welcher es eigentlich so böse nicht meinte, antwortete gewöhnlich auf solche Schutzreden: »Übertrieben ist übertrieben. Zwei Kühe mehr ständen dem Hause besser an als eine solche Herde Schafe; aber so viel darwider wollte ich nicht einmal haben, wenn er fütterte wie ein anderer Christ. Aber was der für Korn und Hafer braucht, es hat keine Art. Alle Augenblicke hat er eins fett wie einen Dachs, und wenn ich nach dem Schaden sehe, so hat er mir den halben Spycher geleert, so ist Schafemästen keine Kunst.« So polterte wohl der Ammann, hatte aber doch seine Freude daran, wenn Felix aus einem Schafe ein Dutzend Taler löste und es allenthalben hieß: Schafe, wie Ammanns Felix sie hätte, sehe man nirgends.


 << zurück weiter >>