Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Manchmal geht es anders. In ziemlich engem Stübchen und unter vielen Fliegen sitzt ein Alter; man bringt ihm die Post. Er mustert sie durch, sieht die Adressen an mit weit vorgestrecktem Arm, sagt: »Da ist einer für Köbi. Wer schreibt dem wohl, es ist eine kuriose Gschrift.« Köbi kommt. »Sieh, da ist einer für dich, wird was Neues darin sein.« Köbi will mit gehen. »Seh, tue ihn auf«, sagt der Alte, »vielleicht ists pressierlich«. Köbi gehorcht, hält ihn lange mit beiden Händen vor dem Gesichte, bis der Alte fragt: »Es wird viel darin sein, daß du nicht fertig wirst? Seh, gib, vielleicht komme ich besser daraus.« Köbi gibt ihn zögernd und sagt, er komme nicht daraus, es sei kein Datum darin und kein Ort. Der Alte streckt den Brief vor sich und liest:

»Geliebter Fründ!

Hurti, hurti, chumm u chauf dr Käs! Es ist scho en angere da gsi u het ne welle, u dr Att hätt ne fast gä, mi het se fast nit use angere brunge. Aber du weißt, was du mr vrsproche hesch u was ih dir versproche ha ds nächstmal, we du dr Käs chaufist. U wes nüt drus gäb, su düecht es mih, i möcht über dFlueh us. Aber hurti chumm, si säge, im Nästbode syg o scho ene gsi, es gang hür grusam starch mit dem Käs. Leb wohl, my herztusige Schatz! Hurti, hurti!

Deine geliebte Freundin          
Ane Marei Gibel.«

Nun, man kann sich denken, was der Käbi für ein Gesicht machte und wie es im Stübchen ein Gelächter gab, daß keine Fliege an der Wand mehr sich sicher glaubte. Endlich sagte der Alte: »Das ist die große Küherstochter im Schmutzigen Kessi. Was hast mit der für einen Handel?« Natürlich wollte Köbi immer weniger wissen, je mehr die Andern spöttelten und lachten. »Sei das jetzt, wie es wolle, wir hatten von dorther eins von den besten Mulchen, und überhaupt, es ist Zeit, auf die Beine, Buben! Ich hasse das Pressieren, aber wenn man etwas haben will, wird man dranhin müssen. Tut dest nötlicher, Buben, sagt, nicht der halbe werde verkauft, man pressiere mit dem Luegen, um den besten darauszunehmen. Das Meer sei eingefallen, man könne nicht mehr nach Amerika, und dr Kaiser von Rußland habe bei Hängen den Käs verboten, es sei nichts mehr zu machen. Tut, als ob alles morgen abkratzen müßte, und kaufet unter der Hand süferli oder bindet sie wenigstens an. Du aber, Köbi, machst diesmal eine andere Tour, es ist mir lieber, du kommest einstweilen nicht mehr in das Schmutzige Kessi, könntest mir zletzt schmutzig wegkommen oder gar darin hängen bleiben, und selb wäre mir doch nicht anständig«, so instruierte der Alte.

So entsteht Alarm unter den Käshändlern, und das Fieber kommt auch an sie. Wie es aber falschen Feuerlärm gibt, so ist auch schon falscher Käslärm erlebt worden; durch diesen falschen Lärm wurden zumeist die Verkäufer angeführt. Es gibt Leute, welche in allen ihren Handlungen durchaus das Prinzip der Unredlichkeit haben, den Nächsten mit List oder Gewalt an seinem Eigentum verkürzen, in allen Stellungen, mit denen sie Gott versuchen läßt, sei es als Beamtete, Hunds- oder Schweinehändler, Metzger, Wirte, Käshändler, Meister von welcher Sorte es sei, Kühhändler, Heuhändler, Agenten, kurz sei es, was es wolle, wärs Kachelträger, Wasenmeister oder Lumpensammler. Das Merkwürdigste dabei ist, daß wenn sie diese ihre Schelmerei mit einer großartigen Frechheit und Nachhaltigkeit treiben, eine bestimmte freche Konsequenz in ihren Betrügereien und Lügen ist, sie damit dem Publikum imponieren, sie eine gewisse Geltung erhalten, eine Art von Zutrauen, trotzdem daß man an den Fingern abklavieren kann, daß man angeschmiert wird. Sie renommieren noch mit ihrer Schlechtigkeit und lachen den Hals voll über die Betrogenen vor denen, welche sie eben auch betrügen wollen. In ihrem ganzen Wesen legen sie eine naive Unverschämtheit an den Tag, welche ins Aschgraue geht, und finden doch immer Anhang und Glauben, und zwar nicht etwa als herumziehende Vagabunden wie zu alten Zeiten die Marktschreier, sondern am gleichen Orte und bei den gleichen Leuten, welche sie bereits beschummelt, angelogen, angeschmiert usw. Das ist die Frucht der Energie, die Errungenschaft der Kraft, um es modern auszudrücken; wo Kraft ist, sei es auch eine freche, verderbliche, da ist auch Unterwerfung, ein Ergeben aller Schwächern, auch wenn sie den Schaden bar vor Augen haben. Diese Wahrnehmungen einzig erklären so manches sonst Unbegreifliche, zum Beispiel die Erfolge eines fremdländischen Radikalismus auf Berner Boden, die Erhebung von Leuten ohne Wissenschaft und Tugend, ohne körperliche oder geistige Vorzüge, im Gegenteil mit ekelhafter innerer und äußerer Widerwärtigkeit behaftet, erklären einzig und allein ihr beständig wiederkehrendes Erheben, sogar wenn sie sich selbst am Boden glauben. Ihr Geheimnis liegt in ihrer Frechheit, im Glauben an die Dummheit der Menschen, in der Verachtung aller gesetzlichen Schranken, in der gewissenlosesten Benutzung aller Mittel, besonders eben der schrankenlosesten Lügenhaftigkeit inbetreff von Personen und Ereignissen.

Gerät nun ein solcher Mensch also zufälligerweise zum Käshändler, so treibt der mit Eilen auch einen eigenen Kniff, mit welchem er jedoch seine Kollegen nicht täuscht, sondern bloß die Verkäufer. Einer von dieser Sorte macht sich früh auf die Beine, läßt hie und da ein hohes Angebot fallen; damit bindet er, wie man zu sagen pflegt, die Mulchen, auf welche er geboten hat, an und spannet überhaupt die Preise. Wie ein Lauffeuer geht es durch das Land: »Sie (die Käshändler) haben bereits geboten, der und der hat dort und dort so viel geboten, und jenen soll man gesagt haben, sie sollen den und den Preis fordern, dann gebe es einen gemachten Handel.« Mit solchen Angeboten sind aber die Betreffenden schmählich geprellt. Sie sind berechnet auf die Eigentümlichkeit der Bauern und können daher zumeist ohne alle Gefahr gemacht werden, sie mögen fast so hoch sein, als sie wollen. Ein Bauer ist an das Markten gewöhnt. Bietet ihm einer einen schönen Preis, so ist gewöhnlich sein erster Gedanke: Dem ists drum, der gibt dir noch mehr; du mußt dich nur recht wehren, der wird dir schon mürbe werden. Will mir der gleich im ersten Anputsch schon so viel geben, so gibt es Andere, die geben mir gern noch mehr. Sie schlagen also nicht ein und der Käufer drängt sie nicht dazu, er sagt höchstens: »Wartet nur, ihr seid dann doch froh, mir sie zu geben.« »Es ist möglich, aber es pressiert uns nicht, es ist dann immer noch Zeit«, antwortet man und geht auseinander. Der Käshändler lacht im Herzen, die Bauern tragen glückliche Gesichter heim und erzählen den Weibern: Es gehe gut dieses Jahr, es sei ihnen schon so und so viel geboten, aber es müsse noch ganz anders kommen; setzen sich dann hinter den Tisch, nehmen den Kalender, Kreide oder Bleistift und versuchen zu rechnen, wieviel es ihnen ziehen möge, wenn der Käs so und so viel gelte.

Wie man in Amerika mit Spannung auf die Taubenzüge harrt, in Friesland auf die Enten, in Lappland auf die Häringe und in Grönland auf die Walfische, harrt man im Bernbiet auf die Käsvögel, das heißt auf die Käshändler, welche den schönen Mulchen nachstreichen über Berg und Tal. »Ist no niemere cho, het sih no Kene zeigt?« fragt mit Bangen einer den Andern. »Wott de ächt Kene cho, sött me ächt Bscheid mache eim; villicht wüsse sie nit, daß hie o e Käserei isch, u sinne nit dra, wettig Käse hie z'finge wäre.« »Das geht stark«, sagt wohl einer an einem Samstag in Thun; »einer jagt den Andern, noch viel stärker als die Weinhengsten einander jagen, wenn der Wein geraten will. Es waren gestern Sieben in meinem Spycher, wußte beim Hagel nit, wo wehren. Wohl, die gelten was, man muß sich hart machen.« »Zu uns kam noch Keiner«, sagt dann ein großer, bärtiger Mann mit ganz dünner, weinerlicher Stimme, gerade wie ein dreißigjähriges Mädchen, welches seit fünfzehn Jahren vergeblich wartet, daß ein Liebhaber an sein Fensterchen pocht, »zu uns kam Keiner noch, aber sie werden es nicht wissen. Das hat man davon, wenn man so nebenaus wohnt, da haben die so zmittsdrin immer den Vorteil. Das ist auch nicht recht; wenn doch die Welt ringsum geht, so sollte doch auch eingerichtet sein, daß man wenigstens über das andere Jahr zmittsdrin wäre.« Dann geht der halb weinend heim, stellt Käsgemeinde an und sagt, wie es gehe mit dem Käs, gschaue; die Berge und andere Orte seien ganz schwarz deren Käsvögel, daß sie einander fry Plätze abmachten; sie hätten den Wirt im Brothüsi ganz usgsoffe, und hätte doch von Spiez drei Fuder färndrige vieredryßiger Lacote la nache-reyche, aber es heyg alles nüt bschosse, es syge zvili gsi u bim Käsversueche werd me durstig. »Ihr glaubt nicht, wie es geht; und wenn alle verkauft sind und wir unsere noch haben, dann was machen?« fragt er endlich.

Man glaubt gar nicht, wie ähnlich der junge weiche Käs und die Herzen an einer Käsgemeinde sind, besonders auf einen solchen Bericht hin; man könnte sie nicht bloß auf das Brot streichen gleich dem besten Grasanken, sondern wie der Anken voll Ankenmilch ist, so sind die Herzen der Käsmänner voll Augenwasser, und wären sie auch mit einer Haut überzogen, welche ganz gleich ist wie die Rinde einer siebenhundertjährigen Eiche. Wenn die Sache vor siebenhundert Jahren vorgekommen wäre, so hätte es sich sehr einfach gemacht. Man hätte einen bewaffneten Ausschuß gemacht, denselben in drei Teile geteilt, zwei an die Hauptstraßen des Kantons gelegt, einen ins Brothüsi gesandt, wo Frutigtal und Siebental sich münden und die Reisenden nach den ausgestandenen Strapazen zu finden sind wie die Fliegen an der Wand in kalten Herbstmorgen. Durch diese Ausschüsse hätte man die Reisenden abfangen lassen, sie wären gewesen, was bei den Holländern die Schiffe sind, mit welchen sie die Häringe holen und die Grönlandsfahrer die Walfische. Eingepökelt oder gar zu Tran gesotten hätte man sie nicht, Salz und Holz hätte man nicht verschwendet für nichts und wieder nichts, aber man hätte sie mit Käs traktiert, bis es einen Handel gegeben hätte. Nun, die Zeiten ändern, die Energie und der kurze Prozeß sind nicht mehr bräuchlich, alles muß auf die lange Bank geschoben und durch mancherlei Formen gewunden werden, so ists jetzt bräuchlich.

So etwas kommt also gar nicht in Frage, besonders nicht bei den eichenen Herzen voll Augenwasser, sondern drei andere Ansichten machen sich gewöhnlich geltend. »He, wie wärs«, sagt einer, »wenn wir den Senn ins Emmental schickten, woher doch die meisten Händler kommen, er ist dort daheim und gut bekannt. Da kann er mit diesem oder jenem reden und ihm sagen, daß dann hier auch Käs sei, u wettige, de bim Donner bessere als der uf dene magere Knüble obe! Fettes Gras gibt fette Milch und mageres Gras magere Milch, das begreift ja ein Kind. Er braucht nicht zu sagen, man habe ihn expreß geschickt, er kann ja sagen, er sei dort daheim und habe die Frau da oben oder sonst Verwandte. Er wird das schon machen, er ist e Schlaue, öppe vo dene Schlimmste eine, wo man antreffen will. Dann ist es ja sein Interesse auch, wenn der Käs wohl giltet, es sind ihm ja zehn Gulden eingestellt, wenn das Mulch von den höchsten Preisen nehme.«

Einem Senn sei nie zu trauen, sagt ein Anderer. Er wisse, man habe einen Senn so gesandt zu einem Käsherrn. Der Senn habe nun nicht um die Käse, sondern um Schmausgeld gemarktet und richtig es dahin gebracht, daß der Käsherr ihm nicht zehn Gulden, sondern zehn Fünflivretaler versprochen, wenn er die Bauern überrede, ihm den Käs so und so teuer zu verkaufen, und die Bauern habe er dahin gebracht, daß sie den Käs so verkauft und ihm noch ein schönes Trinkgeld gegeben, weil er ihnen gesagt, wenn er nicht so verflucht angewendet hätte, so hätten sie ihn selbst fressen müssen oder den Mäusen lassen. Er trage darauf an, fuhr der Mann fort, das selbst zu machen. Es gehe ja jeder von ihnen zu Markte, die Einen am Donnerstag auf Burgdorf, die Andern am Dienstag nach Langenthal, und wenn einer einmal an einem Sonntag auf Sumiswald gehe, könne es vielleicht auch nicht schaden; da treffe man schon Leute an, mit denen man reden könne, dazu brauche man den Senn nicht. Es gehe den gar nichts an, und je weniger er davon wisse, desto besser sei es, so könne er nicht unter dem Hütli spielen, wie es die Hagle im Brauch hätten.

Er möchte auch nicht einmal dazu stimmen, sagte der Dritte, der zu der kühnsten Sorte gehörte und nicht Ankenmilch im Herzen hatte. Das sei ihm viel zu nötlich getan; wenn Keiner käme, so vermochten sie den Käs zu behalten, und wenn es sein müßte, selbst zu essen. Er müsse sagen, er nehme nichts lieber als am Morgen ein Möckli Käs zum Kaffee, und wenn es sein müsse, so könne er auch nachmittags eins nehmen, warum nicht! Aber das werde nicht der Fall sein. Sie hätten ja gehört, wie die Berge ganz schwarz seien von Händlern wie junger Flachs voll Erdflöh, es werde ihnen angst sein darum. Da machten es die am besten, welche ihren noch hätten, wenn kein anderer mehr sei, da würden wirklich die Letzten die Ersten sein. Dann sei der Preis in ihrer Hand; wer den Käs wolle, müsse zahlen, was man begehre. Das sei akkurat wie an einem Markte mit dem Korn, wenn das Korn gesucht werde und zu wenig da sei, die Letzten verkauften auch am besten.

Diese Meinung hatte natürlich das Mehr, sie war die letzte und scheint für den Augenblick die beste. Aber gilts eine Maß Wein, die, welche die erste Meinung vorgebracht, schicken dennoch den Senn hinter dem Rücken der Andern, und die Zweiten trappen so unvermerkt den Käshändlern nach und haben nicht Ruhe, bis sie einen am Zipfel seiner Kutte erwischt haben!


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