Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Es war überhaupt ein sehr bewegter Abend in der Vehfreude; zum ersten Male vernahmen nun die Weiber, wieviel eigentlich in den andern Ställen gemolken ward, wieviel die geliefert, wieviel jene. Hie und da gab es freilich Unglückliche, welche nichts vernahmen, wenn nämlich Mann und Bub schlecht bestellt waren mit dem Gedächtnis oder der Mann die Milch selbst hingetragen für das erste Mal und nun nicht wiederkam. An solchen Orten war begreiflich große Trübsal. Anderwärts freilich keine kleinere, wenn nämlich vernommen worden war, daß man in der Milchlieferung Anderen bedeutend zurückstand, denen man sich weit vorglaubte. Der einzige Trost waren dann wohl eine oder zwei Kühe, welche noch zu kalben hatten. Wenn es mit diesen gut gehe, dann wolle man sehen, ob nicht etwas zu zwingen sei, sagten diese; doch die Ketzern, die Kühe nämlich, täten, als ginge es sie nichts an, und täten ihnen nicht den Gefallen, mit dem Kalben ein wenig zu pressieren. Mancher Mann wurde ausgescholten und sollte seine Kühe noch besser reisen; aber auch mancher nahm sich vor, seiner Frau abzuziehen an der Portion, welche im Hause bleiben solle, später könne man dann immer nachbessern, wenn die Kühe alle im Greis seien. Wo man aber gegen die Andern im Vorsprung war, da gab es kühne Gesichter; diese und jene hätten immer getan, als hätten sie das Bauern ersinnet, jetzt könnten sie schmöcken, sagte man, setzte sich breit vor das Haus, sah mit Stolz auf die Mindern nieder und labte sich an dem Neid auf den Gesichtern der Vorübergehenden. Große Schadenfreude war allgemein, weil der Bauer im Nägeliboden fast die wenigste Milch gebracht, und Bethi tat wohl, sich diesen Abend nicht im Dorfe zu zeigen, Anzüglichkeiten wären ihm nicht erspart worden.

Im Dürluft war heilloser Lärm. Die Dürluftbäuerin hatte ihren ältesten Buben zum Milchritter geschlagen, einen wilden, ungereimten Buben, der von keinem Meister wußte und alles neckte und plagte, was ihm zu Gesichte kam. Er kam begreiflich zu spät. Eilen war ihm sehr anbefohlen. Als er aber am Nägeliboden vorbeikam, saß dort nicht weit vom Wege in der Hofstatt Bethis schwarze Katze und lauerte auf eine Maus. Der Junge, welcher nicht wußte, was eine Bränte auf dem Rücken in Beziehung auf das Gleichgewicht für eine Bedeutung hat, bückte sich rasch nach einem Steine, um nach der Katze zu werfen. Patsch, da lag er auf dem Gesichte, die Milch sprengte den Deckel der Bränte auf und suchte das Freie. Der Bube war bald wieder auf den Beinen, sah verblüfft die Milch im Staube, sah aber auch wunderlich aus; die Milch war ihm über den Kopf geflossen, im Gesichte war Blut und Staub, stand da, wußte nicht, wie ihm geschehen und was er anfangen solle. Milch läßt sich im Staube nicht auflesen wie Erbsen oder Bohnen.

Unglücklicherweise hatte Bethi den Unfall gesehen und kam vom Hause gegen den Weg her, um dem Knaben zu helfen oder ihn zu trösten, beim Hause saß die schwarze Katze in bewußter Sicherheit. Auf einmal hatte die Verlegenheit des Jungen ein Ende, Verschlagenheit und Bosheit gaben ihm plötzlich, was er bedurfte: eine Ursache seines Unglücks, in welcher die triftigste Entschuldigung lag. Plötzlich fing er an zu heulen und zu schreien: »Wart, du verfluchte Hexe du, was brauchst du mich zu verhexen, du Hexe du, was du bist! Hex, Hex, Hex, wart du, ich will es der Mutter sagen, die wird dir schon den Marsch machen, Hex, Hex, Hex!« so schrie der Bube in einem fort, warf noch Steine nach Bethi und marschierte dann in vielen Pausen unter fortwährendem Geschrei dem Dürluft zu. Dort erregte das anrückende Geschrei die Aufmerksamkeit. Als man den Jungen schon wieder sah, sein Geschrei hörte, sein versalbet Gesicht wahrnahm, welches fast dem des Eglihannes glich, wenn dieser am Morgen nach einer durchsoffenen Nacht aus den Federn kroch, da stand, was daheim war, zusammen, und Eisi lief voraus, um zu vernehmen, was es gegeben. Aber der Bube gab lange keine Antwort, fuhr mit seinem Geschrei fort, bis er am Hause war und seiner leeren Bränte sich entledigt hatte. Da endlich gab er Bericht, wie die Hexe da unten es ihm gemacht, die Katze ihm an den Weg gestellt, und als er nun diese habe wegjagen wollen, weil er wohl gesehen, warum die da sei, ihn bei dem Kopfe obenübergezogen, und wie er aufgestanden, sei die Katze vor ihm gestanden mit feurigen Augen und hinter ihr die Nägelibodenhexe und habe gelacht und gesagt: »Hast süße Milch, kann deine Alte die Stabellenbeine auch melken?« Hätte er sich nicht mit Steinen gewehrt, so hätte sie ihn auch verhexet und er hätte dort stehen müssen bis um Mitternacht.

So polterte der Bube und tat, als wolle er aus der Haut fahren. Männiglich entsetzte sich über diesen Frevel, keiner Seele kam in den Sinn, in des Buben Wahrhaftigkeit Zweifel zu setzen, noch viel weniger in die Sache selbst. Eisi griff nach einem Scheit Holz und wollte hinunter, um die verfluchte Moore abzuschlagen, bis sie kein Bein mehr rühren könnte. »Was willst mit einer Hexe?« sagte Eisis Mutter, »willst, daß dir die Hand verdorret oder daß sie dir unter den Händen zu einer Kröte wird und dich anspritzt, daß dein Gesicht wird wie eine Brombeerstaude, wenn die Beeren reif sind?« »Was wollte dä Gugag machen!« schrie Eisi im Zorne, wartete indessen doch, denn es war in dieser Beziehung eine sehr gläubige Person. Doch hatte es in seinem Zorne nicht Platz in seinem Hause, lief darin herum wie Sturm, dann vor dasselbe hinaus an den Weg und rief gegen den Nägeliboden hinab: »Hex, Hex, verfluchte! Komm herauf, wenn du darfst!«

Diese Aufforderung in das Abendrot hin hatte etwas Eigentümliches, Schauderhaftes. Hätte so ein fremder Reisender, der nach Futter für ein Buch die Welt durchschnürfelt, dieselbe gehört, weiß der Himmel, was er daraus gemacht und daraus gefolgert hätte. Wahrscheinlich würde er Eisis Tun zu einer herrschenden Sitte stempeln und daraus folgern, wie die Bewohner in ihrem Hexen- und sonstigen Aberglauben noch auf der alleruntersten Kulturstufe stünden. Wir bewundern oft die unbeschreibliche Flachheit vieler Schriftsteller, mit welcher sie über Glauben und Aberglauben der Völker sprechen, wie sie den Aberglauben vornehm abschätzen, von seinem Sein und Nichtsein bei einem Volke sprechen. Sie bezeugen damit, daß sie nie im Herzen des Volkes gelesen und daß sie nie einem Manne aus dem Volke oder gar einem Weibe so nahe gekommen sind, daß diese ihnen ihr Herz geöffnet und in voller Traulichkeit gestanden, was sie glauben und nicht glauben und wie seltsam es zugehe in ihren Herzen, indem sie in einer Stunde gläubiger seien als in einer andern, und wie sie vor einem Jahre etwas entschieden verneint hätten, was sich jetzt ebenso entschieden bei ihnen festgestellt. Es ist ein entschiedener Unsinn, die Kulturstufe nach sogenanntem Aberglauben bestimmen zu wollen. Entschieden ist, daß hochbegabte Menschen dafür viel empfänglicher sind als flache Hohlköpfe und edle Menschen, welche in innigem Zusammenhange mit der Natur leben, weit abergläubischer sind als schmutzige und fashionable Schlingel, welche ihr Leben bloß in Kneipen, Theatern und Kaffeehäusern zubringen und es wirklich so weit gebracht haben mögen, daß sie zwischen Glauben und Aberglauben keinen Unterschied mehr machen, und wirklich in einer gewissen naiven Aufrichtigkeit nicht glauben können, daß Dreckseelen, wie sie sie besitzen, zu einem ewigen Leben bestimmt seien. Wenn wir hier vom Aberglauben reden, unterscheiden wir zwei Sorten desselben: den höhern und den krassen. Unter dem höhern verstehen wir das Glauben an ein wunderbares Hineinragen einer unsichtbaren Welt in unsere Welt, die Annahme von geistigen Verhältnissen, von einem Zusammenhange der sichtbaren und unsichtbaren Dinge, über welche uns weder etwas geoffenbart noch wir uns dieses nach bekannten Gesetzen zu erklären oder mit unsern Kräften zu begreifen vermögen. Unter dem krassen Aberglauben dagegen verstehen wir den Glauben an Zauberer und Zeichendeuter oder den gesamten Hexenglauben samt Totbeten und abergläubischem Segen usw.

Wer uns einwenden möchte, unser Unterschied sei ein willkürlicher, den verweisen wir aufs Alte und Neue Testament, wo eben dieser Aberglaube, welchen wir den krassen nennen, verboten ist, und zwar eben weil er Abgötterei ist und auf der Annahme beruht, daß neben Gott noch jemand anders sei, der mit übernatürlichen Kräften den Menschen ausstatten könne, ja daß etwas anderes sei, Zauberei und Gebetsformeln zum Beispiel, welche selbst über Gott Macht hätten und ihn zu zwingen vermochten, sündigem Begehren sündiger Menschen sich zu unterwerfen. Wo der rechte christliche Glaube ist, kann der letztere nicht weilen, er muß schwinden gleich der Nacht, wenn die Sonne kommt. Wie aber die Nacht kommt, wenn die Sonne untergeht, so kommt dieser alte abgöttische Aberglaube wieder in dem Maße, als der rechte christliche Glaube an den lieben Vater im Himmel, von dem jede gute Gabe kommt, schwindet. Nun haben wir freilich aus dem zunehmenden abgöttischen Aberglauben im Kanton Bern, der alle Tage sich mehr zutage legt, Ursache zu dem Schlusse, der Tag neige sich, es schwinde das wahre Licht. Wir glauben übrigens nicht, daß diese Erscheinung im Kanton Bern allein sich zeige; sondern allenthalben, wo die gleichen Ursachen sind, werden auch die gleichen Wirkungen sich zeigen. Wer mir die Behauptung widerlegen sollte und sagen, er habe nichts davon gesehen und Andere ebenso wenig, denn wegen den aufgeklärten Schulen müsse er gerade das Gegenteil glauben, dem würde ich antworten, die Wahrnehmungen seien eben so sehr verschieden, so wie die Sehkraft ebenfalls verschieden sei. Ein guter Pfarrer sprach eben auch einmal von der zunehmenden Aufklärung und Bildung des Volkes und dem schwindenden Aberglauben; der gute Mann wußte aber nicht, daß er zwei Wahrsager hatte in seiner Gemeinde, einen dicht hinter der Kirche und beide mit bedeutendem Zulauf. Wer verbreitet diesen Aberglauben? Dumme Frage! Diesen verbreitet niemand. Man frage: wer zerstört den wahren christlichen Glauben, wer raubt ihn dem Volke, vergiftet ihn, trübt die Quellen? Der ists, wer er auch sei, der am Aberglauben schafft, denn etwas muß der Mensch haben, auf das er sein Vertrauen setzt.

Wir sind, ernstlich betrachtet, allzumal arme Teufel, dumme Tröpfe, niemand ausgenommen, selbst Schulmeister und Professoren nicht. - -

Peterli war nicht in der Käsehütte gewesen, sondern hatte einen Zins fortgetragen, war aber schon, bevor er heimkam, gefragt worden, was es bei ihm gegeben habe, daß vom Dürluft keine Milch gekommen, ob er etwa ausgetreten sei? Das machte Peterli angst, er stellte vorwärts. Im Nägeliboden sah er die Leute vor dem Hause stehen und horchend die Ohren nach oben strecken; als er grüßte, dankte ihm niemand. Er streckte nun seine Ohren auch aus und vernahm Töne, die akkurat klangen, als kämen sie von Eisi, seiner Frau. Aber er konnte nichts daraus machen. Da ward ihm noch banger, er zog gewaltig aus, sah alsbald Eisi oben auf dem Hügel stehen, ins Tal hinunterbrüllend, vernahm nun eine Verwünschung nach der andern, eine schrecklicher als die andere. Mein Gott, dachte Peterli, ist es jetzt zum Ausbruch gekommen; schon lange wollte es mir scheinen, es fange Eisi an zu fehlen und längs Stück sei es nicht richtig im Kopfe. An einem Sonntag so Brüllen auszulassen über die ganze Welt hin! Wenn es so ist, was fang ich mit ihm an, war es ja bei gesundem Verstand so ungattlich, daß man fast nicht dabeisein konnte! Und lassen es droben so machen, und niemand wehrt ihm ab. Unsereiner sollte nie von Hause, man hat nichts als Verdruß und Schande, wenn man heimkommt. Als Eisi Peterli sah, richtete es alsbald seine Kanone anders und zwar direkt auf Peterli, gab ihm Ladung auf Ladung, noch einmal so rasch als gewöhnlich. Es gab ihm die großartigsten Titel unter den kühnsten Verwünschungen und Ausrufungen: Wie man gestraft sei mit einem solchen Manne, der nie daheim sei, der nie heimkomme, von dem man keine Hülfe habe, der keinen Tritt geschwinder ginge, wenn ihm das Haus vor der Nase brennen täte und Weib und Kinder damit. Peterli stand vor Eisi wie ein Blasebalg, der am Zerspringen ist, hatte kaum Atem zu der Frage, was los sei; aber Eisi nahm keine Notiz davon und ließ dem Strom des Zorns vollen, freien Lauf. Wahrscheinlich stünden sie noch jetzt vor einander, wenn nicht die Mutter dazugekommen wäre samt dem Jungen. Diese brachten endlich nach vielen mißlungenen Versuchen ein Verständnis zuwege, nach welchem man sich in eine Beratung einließ über die zu treffenden Vorkehrungen. Das Resultat war der Beschluß, die Nägelibodenbäuerin totbeten zu lassen, wenn man nämlich eine Hexe totbeten könne, wogegen sich bedenkliche Zweifel erhoben. So eine merke es gleich und wisse zu wehren, daß man nichts an ihr machen könne, fürchtete man.

Dieser Aberglaube, daß man jemanden totbeten könne, gehört wohl zu den unsinnigsten, gräßlichsten, aber zugleich auch zu den am hartnäckigsten eingewurzelten Verirrungen des menschlichen Geistes. Es ist der Glaube, daß man durch das zu bestimmten Tageszeiten fortgesetzte Beten irgend eines Gebetes, vorzugsweise des Unservaters, mit dem bestimmten Willen, daß eine Person sterben müsse, den lieben Gott zwingen könne, daß er diese Person töten müsse, er möge wollen oder nicht. Unsinnigeres kann es doch wohl kaum geben, und fester als dieses wird von sehr Vielen kaum etwas geglaubt.


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