Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Je näher der Morgen rückt, desto lauter schwellt der Lärm. Da wird das Hornvieh übermächtig; in Scharen und vereinzelt rückt es an, je ein Kühlein von einem Bauern am Stricke gezogen auf Leib und Leben. Da hüpfen höpperlend die Ziegen an, traben die Schafe sanftmütig nach, kommen die Ankenweiber gezogen, Weiber, Mädchen mit Körben, alles feil haltend, was sie haben, klappernd und Gott und Nächsten verhandelnd, bis junge, wilde Rosse wiehernd und schlagend sie auseinanderjagen, aber nicht entsinnend den Wirkungen mutwilliger Hufe, welche erbarmungslos den Kot jagen in alte und junge Gesichter, auf ganz- und halbweiße Hemden. Mitten durch alles, durch Dick und durch Dünn, kommen die Küher mit langen Stecken und kurzen Pfeifchen trotzig und gewaltig, jeden Augenblick zu einem Schwunge zweg, und spritzen untenein unbarmherzig, wie die Pferde nach oben. Aber hinter allen her, da kommt es schwer und mächtig und in gewaltigen Zügen. Es ist die schwere Kavallerie, die Kürassiere und Dragoner: es sind die dicken alten Käsehändler und die noch dickeren Bauern, in schweren Händen die Leitseile schüttelnd über die breiten Rücken ihrer schweren Pferde. Viele haben bedeckte Fuhrwerke, viele fahren auf Bernerwägelchen. Zur Not hatten zwei Platz auf einem Sitze, man konnte sicher sein, daß weder Sonne noch Mond zwischendurchschien. Aber oft standen noch ein oder zwei Dünnere hintenauf und ließen ihre Beinchen schütteln, daß sie gar nicht mehr bei sich selbsten waren, wenn sie einmal auf den Boden wollten.

Schwerfällig rückte diese Kavallerie vor und immer schwerfälliger, je näher sie Langnau kam. Immer voller von Menschen und Vieh wurden die Straßen, alles hing aneinander wie Froschlaich, und je dichter es ward, desto dünner schien der Verstand zu werden bei Menschen und Vieh. Rinder standen quer über den Weg und wichen kaum, wenn sie eine Deichsel traf, Menschen marschierten in Mitte der Straße mit einem langen Stock unter dem Arme und wichen nicht aus, wenn Pferde mit der Nase ihnen den Stock zwischen den Armen durchstießen, wichen nicht, bis sie fürchteten, sie möchten ihnen die Nasen in die weiten Rocktaschen stoßen und diese erlesen. Je näher, desto unmöglicher scheint es, daß Menschen und Vieh an ihr Ziel kommen. Es staucht sich immer mehr, das Einzelne scheint in ein Ganzes sich zu verwerchen, das Ganze zu einem Knäuel sich zu ballen. Ja es kommt einem fast vor, als wäre der ganze Langnauer Boden selbst ein ungeheures Käskessi, das sich fülle von den zuströmenden Massen wie ein Kessi aus den von allen Seiten herbeigetragenen Bränten. Und seien dann alle ausgeleert und das Einzelne mit dem Ganzen zusammengeflossen und darin aufgegangen, so komme der große Senn, drehe den Kessel übers Feuer, schütte den Sauerteig aus und zerhacke die Masse, rühre sie wieder um und um, zerdrücke die Knollen, erleichtere das Binden des Gleichartigen, das Scheiden des Andern, rühre mit gewaltigem Arme, bis die Masse weich sei und matt nach Setzen sich sehne. Dann nehme der große Senn sein großes Netz, und mit gewaltigen Armen fasse er den guten Teig, ziehe ihn heraus, lege ihn unter die Presse, und den Rest gieße er aus, da niemand mehr zum Fassen übrig ist, kaum jemand wäre, der diese Käsmilch trinken möchte. Und was müßte das für ein Käs sein, und welche Kust (Geschmack) müßte er haben, gemacht aus allem, was am Langnauer Markt der ganze Langnauer Boden trägt und in sich faßt, alles wohl gerührt und gerüttelt, gewärmt und gegoren! Einstweilen nun hat unser Herrgott den Langnauer Boden nicht zu einem Käskessi gemacht, seinen großen Senn nicht gesandt, daß er einen Käs mache aus dem Langnauer Markte; wird kein Gelüsten haben nach dem Käs, noch viel weniger nach der Käsmilch, welche es geben würde.

Bekanntlich überwindet man mit Geduld am Ende Sauerkraut; so kommt mit Sanftmut selbst an einem Langnauer Markte Mann und Vieh an seinen Ort. Was die Käshändler sind, die werden zumeist alsbald unsichtbar. Es ist, als ob sie in Geister verwandelt worden für einstweilen, in luftige Wesen, dem Auge der Sterblichen, vor allem dem der dicken Bauern entrückt. Nach der Sage sollen Kellnerinnen, wahrscheinlich auch Kellner (wenn nämlich deren in Langnau wären) die Gabe des Geistersehens besitzen an solchen Tagen.

Wie es draußen auf dem Viehmarkt geht, was in den Küchelstüblene vorgeht, wie es handelt mit den Ziegen und wie die Schweine ziehen, das kümmert uns nicht, wir wollen diesmal bei der Hauptsache bleiben. Wirklich, wie die Masse im Käskessi sondern sich größere Knollen und einzelne Fetzen, stehen hier und dort, machen bedenkliche Gesichter und werweisen, wollen sie rechts oder links oder sonst wohin? Die einzelnen Fetzen stellen die Küher vor, wo jeder für sich selbsten steht, ein bedauernswürdiges Geschlecht; sie stellen so gleichsam den herabgekommenen Adel vor, an welchem männiglich die Schuhe abwischt. Ja, wenn so ein alter Küher fünfundzwanzig bis dreißig Jahre zurückdenkt und seine damalige Lage mit der gegenwärtigen vergleicht, laufen ihm die Augen über, daß er die Schuhe voll bekommt. Damals hatten sie die Welt, das heißt die Käse in ihrer Hand, sie hatten dieselben, und wer kaufen wollte, mußte sie von ihnen kaufen. Ja, wenn so ein Küher von einer schönen Alp an den Langnauer Markt kam, dann steckte er seinen Stecken unter sein Sitzleder quer durch die Straße und saß darauf als wie ein König auf seinem Throne, und wehe dem, der an den Stock gestoßen, er hätte vielleicht mit weniger Gefahr an einem Throne gerüttelt. Ein solcher Küherfürst wollte nicht bloß seinen Käs verkaufen, sondern auch Heu für den Winter kaufen. Da ließ er gern von den Bauern sich suchen, als wäre es eine Gnade, wenn er sie würdigte, ihnen um fast nichts das Heu zu füttern und Stroh zu stehlen. Da hieß es wohl: »Nicht wahr, wenn wir kommen, dein Heu zu Mist machen und dir etwas singen dazu, so bist du zufrieden, was willst du mehr?« Jetzt aber ists anders. Da drücken sie erst die Händler, denn sie wissen, ein Küher kann den Käs schwerlich den Winter über behalten. Die meisten müssen im November zinsen, vorrätiges Geld ist bei den wenigsten und noch weniger Platz für den Käs. Und kein Bauer läuft ihnen nach wegen dem Heu, sie können den Bauer suchen, müssen hören, wie einer nach dem andern ihnen absagt, sie nicht mehr mag, müssen an eine Zeit denken, wo sie den Winter über gar niemand mehr will, wo sie ihr ganzes Senntum, um es zu überwintern, entweder in den Rauch hängen oder es einsalzen müssen. Dieselben Bauern, bei welchen sie sonst als wie von Gottes Gnaden einzogen, sahen sie jetzt breit und dick und wie sie mit souveräner Verachtung an ihnen vorübergehen, schwer und stattlich, gleichsam so wie Fabrikherren und Bankiers neben herabgekommenen Edelleuten. Fabrikherren waren allerdings die Bauern ähnlich, führten gemeinsame Geschäfte, hatten Geld, hatten Stolz, verachteten, was nicht Geld hatte wie sie und ließen diese Verachtung auch fühlen ohne Hehl; sie brauchten die Küher nicht mehr, um ihr Heu zu Mist machen zu lassen, das konnten sie jetzt selbst.

Leben war noch nicht in diesen Knollen und Flocken, sondern ein sichtliches Harren, Warten, teils mit Ungeduld, teils mit Ergebung. Wenn man näher hinzutrat, so hörte man wohl: »Es kann noch niemand vor, sie lassen niemanden ein«, nämlich die Käsfürsten. »Was reden die wohl ab, was treiben sie? Es ist ein verfluchter Zwang, daß man nicht Zeit zum Märten hat. Sie meinen, sie könnten es uns machen wie den Kühen: milcht man die nicht zu rechter Zeit, so läuft ihnen die Milch von selbst aus und man braucht sie nicht anzuziehen.« Die Käseherren waren noch unsichtbar; man mochte hier fragen, dort fragen, allenthalben hieß es: Sie seien da, aber allein im Zimmer, und ließen niemanden ein. Fremde Handelshäuser hatten nämlich in den verschiedenen Wirtshäusern ihre eigenen Zimmer, darin saßen die Glieder des Hauses, und was sie da trieben, war geheim, der Gugger kam nicht darüber: ob sie bloß die Verkäufer reifen lassen wollten, ob sie ihre Bilanzen zogen und Notizen ordneten, oder ob sie hexeten oder sich wahrsagen ließen, ob sie Glück hätten, darüber sind die Gelehrten verschiedener Meinung. Es ließen sich welche gar nicht ausreden, es ginge da was Sonderbares vor, alles gehe nicht mit rechten Dingen zu, und wenn man sich auch nicht die Karten schlagen lasse, so suche man doch im Glase nach dem rechten Grunde, habe einen eigenen Geist in einer Flasche, den man zu Rate ziehe. Andere meinten, sie ließen sich wirklich wahrsagen, aber nicht erst in Langnau, sondern früher.

Mitten durch das harrende Gedränge drängten sich sieben dickere und dünnere Männer, ähnlich dem Siebengestirne am hohen Himmel, mit dem Unterschiede nur, daß das Siebengestirn anständiger und gemessener sich bewegt. Dagegen wie im Siebengestirne der größte Stern die Zentralsonne ist, um welche das ganze Weltall sich drehen soll, so war in der Männergruppe auch einer der Größte und Dickste, das war der Ammann von der Vehfreude, und um ihn bewegte sich, wenn auch nicht das ganze Weltall, so doch die ganze Vehfreude. Sie waren zum ersten Male auf der großen Käsauktion, sie wußten noch nicht, daß man mit Eilen nichts zwinge. Von weitem sah man ihnen die Unkunde mit den herrschenden Sitten an; sie meinten, wer zuerst sei, der käme seiner Ware am besten ab, und das Zuerstsein hänge von ihnen ab. Sie hatten sich natürlich die Namen der Händler, welche ihre Käse besehen, gemerkt, fragten nun im Wirtshause, in welchem sie abstiegen, nach denselben. Zwei seien hier, hieß es, diese dort, jene an einem andern Orte, vernahmen sie. Das treffe sich gut, meinten sie, denn grade die, welche ihnen am besten gefallen, daher auf sie die meiste Hoffnung setzten, seien hier. »Zeig, wo sy si, mr wey grad zun e«, sagte der Ammann zu der Kellnerin. »Sie lassen noch niemanden vor«, gab das Mädchen zur Antwort, welches seine Pflicht so gut kannte wie ein Hofmarschall beim Lever von Königen und Königinnen. »Sag du nur, die Ausgeschossenen aus der Vehfreude seien da und der Ammann dabei, sie pressierten«, sagte der Ammann zum schnippischen Stubenmädchen.

Das Ding kam endlich wieder und sagte: Sie haben noch nicht Zeit, wäre ihnen leid, daß sie nicht warten könnten, wollten sie aber nicht versäumen. »So, das sind Hochmütige, wo ist dieser?« hieß es. »Oben«, sagte die Kellnerin. »Zeig das Zimmer«, hieß es, »wollen gleich selbst gehen und sehen, was hier Trumpf gespielt wird; werden doch nicht Landvögte sein, bei denen man sich anmelden lassen muß?« Die Kellnerin sagte, sie wolle ihnen das Zimmer schon zeigen, werde ihnen aber nicht viel helfen, und hüpfte voran; sie hintenher, tapfer die schweren Schuhe und handlichen Stöcke durchs ganze Haus zu Boden stellend, daß männiglich hätte glauben sollen, es rücke der Landsturm aus Ungarn an mit dem Kossuth an der Spitze. »Dort sind sie im Drü«, sagte das Mädchen und machte sich weiter. Sie rückten mit schwerem Schritte gegen die Türe zu, und war ihnen etwas bang; denn das Geheimnisvolle macht immer Eindruck, am meisten aber auf die, welche voll Aberglaubens sind. Die Schritte wurden immer kürzer und leiser, je näher sie dem verhängnisvollen Drü kamen. »Denk zerst doppeln«, sagte der Ammann und klopfte mit dem Mittelfinger an die Türe, zog ihn rasch zurück und spannte die Ohren auf die Antwort drinnen. Aber drinnen blieb es stille. Es solle einer noch einmal doppeln, sagte der Ammann, aber niemand hatte recht Lust. »He, das wird doch wohl nicht zum Töten gehen«, sagte endlich einer und klopfte mit dem Stocke. Aber still wie zuvor blieb es drinnen, wie lange sie auch lauschten mit verhaltenem Atem. »Sy mr lätz, es soll doch einer probiere, ob es bschlossen ist oder nicht?« fragte einer. »Seh du, Ammann, du bist der Präsident«, mutete man diesem zu. »He«, sagte derselbe endlich, »das wird doch wohl nicht Magdeburg kosten«, und drückte an der Türfalle; aber die Türe wollte nicht aufgehen, sie war gut verschlossen. »Wir werden lätz sy«, hieß es, und sie rückten vor zu einer andern Türe. Nun waren aber an diesem Tage nicht bloß Käshändler, Schweine- und Schafhändler in Langnau, sondern die Reisenden von andern Häusern, welche in Leinwand, Baumwolle, in Kaffee und in Zucker machten. Diese hatten da Krämern und Krämerinnen Stelldichein gegeben und machten da Geschäfte in den beliebtesten Artikeln. Man kann sich denken, was das für Ärger gab, wenn mitten im besten Geschäfte das Siebengestirn aus der Vehfreude vor ihrem Zimmer aufmarschierte mit Schritten trotz der alten Garde, und was es dann für Worte gab, wenn sie ins unverschlossene Zimmer unversehens brachen.

Das sei ihm ein Donnerwerk, sagte endlich der Ammann, er hülfe fort, sie schadeten da doch nichts. Da stürmten sie denn hinaus ins Weite voll Angst und Ahnung sonder Rast, es schien sie was zu plagen, als hätten sie jemanden erschlagen, wie es dem Ritter Karl von Eichenhorst erging, als er zu seinem Knappen sagte: »Sattle mir mein Dänenroß, daß ich mir Ruh erreite, es wird mir hier zu eng im Schloß, ich will und muß ins Weite!« Sie stürmten so unwirsch durch die erstarrten Wogen, klopften so ungestüm mit ihren langen Stecken bald hier, bald dort, und half ihnen alles nichts. Nirgends wurden sie empfangen, nirgends vorgelassen; es kam ihnen vor, als seien sie verhexet, verkauft, verraten, in einem verfluchten Narrenwerk wie ein Eichhörnchen in der Trülle. Aus einem Wirtshause wieder abgewiesen, trappeten sie fort und wußten nicht wohin, gerieten in eine Menge Küherstöcke, auf denen die Einen saßen, Andern zwischen den Armen staken, akkurat wie ein Regiment Ulanen oder Lanciers, und standen endlich gezwungen still, um nicht eine dieser Küherlanzen ins Gesicht zu kriegen.


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