Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Sechzehntes Kapitel

Die Käsfuhr und ihre Folgen

Das Käsführen ist ein Hauptjux bei einer Käserei. Der Käshändler bedingt sich nämlich aus, daß ihm die Käse zum Hause gebracht werden unentgeltlich, er verspricht bloß, Roß und Mann zu speisen und zu tränken, daß sie es machen könnten. Die Teilnahme an einer solchen Käsfuhr ist mehr wert als die Einladung zu einer Hochzeit; es ist nicht bloß wegem Essen und Trinken, sondern es läßt sich an derselben ein großer Teil des Bauernstolzes zutage legen.

Dieser Stolz beruht nämlich auf stolzen Rossen, mit schönem Geschirre angetan. So mit vier, sechs und mehr Wagen vierspännig aus einem Dorfe zu fahren, jedes Roß seine zwanzig bis fünfundzwanzig Louisdor und mehr wert, weit durchs Land, vier bis sechs Stunden weit, durch ein Dutzend Dörfer, was will man mehr! Was gibt das für ein Hochgefühl, wenn allenthalben die Leute still stehen, die Köpfe zu den Fenstern aus strecken, es allenthalben heißt: »Das sind doch schöne Rosse, und seht mal die Geschirre, und vier, fünf, ja sechs Wagen, einer schöner als der andere, nein aber, wo kommen die her, und was da für reiche Bauern sein müssen!« Manchmal kennt man ihr Dorf, und wer es nennen hört, dem fährt das Hochgefühl in die Arme, er läßt seine Peitsche knallen, daß die Vorderrosse die Köpfe aufwerfen und zu tanzen beginnen, als wären sie sechzehnjährige Mädchen. Begreiflich sind die Wagen nicht zu schwer beladen, man macht, daß es den Pferden vom Ziehen nicht übel wird. Warum sollte man auch, hat man doch Pferde und Wagen selbst und mehr als genug, und den Käsehändler, der alles speisen und tränken muß, zu schonen, wäre ja dumm. So einer vermags, und wenn man Hausleute, Hunde und Katzen mitbringen könnte, man täte es.

Nie werden die Rosse fleißiger gestriegelt, nie wird den Alten mehr Korn und Hafer zuhanden der Rosse gestohlen, als wenn die Käsfuhr naht und jeder das schönste Gespann haben möchte. Auch dem Sattler wirft es Verdienst zu, der Geschirre zu salben und zu putzen kriegt, die man wohl ungesalbet hätte hängen lassen. Bei solcher Herrlichkeit möchte begreiflich jeder sein, dieser Wunsch ist naturgemäß. Es ist wiederum ein freier Tag außerhalb den häuslichen Schranken, es ist ein Wandern und dazu nicht durch dürre Heiden oder afrikanischen Sand, sondern von Wirtshaus zu Wirtshaus, von einer Mahlzeit zur andern. An Orten, wo der Dorfstolz noch so recht im Glanze ist, wie zum Beispiel in der Vehfreude, da gehen in demselben Privatgelüsten auf. Wer keinen schönen Zug hat, nicht blankes Geschirr, ist willig, daheim zu bleiben; er will das Ganze nicht verunstalten, will auch nicht unter den Andern so gleichsam den Kachelifuhrmann vorstellen. Es ist da noch ein Gefühl, daß man weiß, was zusammengehört, was nicht, und das Zusammengehörende zusammen läßt, ohne sich in seinen Rechten beeinträchtigt zu glauben.

So war es in der Vehfreude; wer nicht staatsgemäß aufziehen konnte, verzichtete gern auf die Teilnahme an der Käsfuhr. Man wolle die fahren lassen, welche rechten Zug hätten, man begehre nicht ausgelacht zu werden und die Andern zuschanden zu machen, hieß es. Bloß Eglihannes hatte dafür kein Gefühl, er war in höhern Regionen zum Schulmeister gebildet worden, seine Bildung reichte nicht mehr in so tiefe Regionen, er war über den Gemeinsinn hinaus und hatte bloß Privatsinn. Eglihannes besaß auch zwei Pferde, einen großen schwarzen Gstabi und einen kleinen roten Pigger. Der Schwarze war steinalt, der Pigger nicht viel jünger, und beide führten einen Anstand ins Feld, ungefähr wie ihr Herr und Meister Manieren hatte.

Eglihannes war in keinem eigentlichen Hause daheim, sondern so viel als, wie man zu sagen pflegt, auf der Gasse auferzogen. Sein Vermögen hatte er erweibet und sonst erworben, und was er hatte an Schiff und Geschirr, hatte er hier und dort an Steigerungen zusammengekauft. Für seinen kleinen Pigger hatte er einen Kummet mit großen, langen Kummetscheiten, fast wie sie die Burgunder ins Feld führen, die dem kleinen Tier gar seltsam ums Haupt wackelten. Der große Schwarze dagegen hatte einen Kummet mit ganz kurzen, fast schon im Leder umgebogenen Scheiten, daß er aussah wie ein vornehmes Weibervolk in einer sogenannten Stündelikappe (Weiberkappe, wie sie anfänglich eine religiöse Sekte zur Auszeichnung trug). Einen alten, schlecht gemachten Wagen hatte er mit Ölfarbe anstreichen lassen, weil er gesehen, daß vornehme und reiche Herren, welche die Landschaftwirtschaft trieben, solche angestrichene Wagen hatten und die Mode aus England kam. Auf England hielt er grausam viel, seit er gehört, der englische Minister hasse alle Könige und sie müßten alle abe, und sei daneben verflucht liberal; er habe seinen Gesandten befohlen, den Leuten es vorzumachen, wie man ohne Religion und ohne Zopftum, das heißt ohne Sitte und Anstand, verflucht lustig leben könne, nämlich wie ein Sauniggel, der eben auch keine höhern Tendenzen hat als ein Schwein, das heißt den besten Platz am Trog zu haben und das beste Stroh zum Liegen. Eglihannes machte alle Leute aufmerksam auf seinen englischen Wagen und sagte, die Engiländer seien Leute! Die hätten Geld und täten damit, was ihnen wohlgefiele. Da gefiele ihm Keiner besser als der englische Gesandte, der foutiere sich um die ganze Welt und sonst nichts. An dem solle man ein Beispiel nehmen, wie man es machen müsse, um lustig zu leben. Der werde auch an keinen Teufel glauben und wissen, daß alles aus sei, wenn man einmal verlochet sei. So englisierte sich Eglihannes, aber für die Lächerlichkeit seines Gespanns hatte er kein Gefühl und merkte nicht, wie er das Gespött des ganzen Dorfes war. Wenn sein Zweigespann daherzottelte, lachte Klein und Groß, und sogar Witzfunken sprangen über die Gasse, und das will was sagen in der Vehfreude, wo Lehm sozusagen das herrschende Mineral war.

Eglihannes sagte daher an der Käsgemeinde, wo die Fuhr abgeredet wurde, es sei ihm gleich, mit jemanden zusammenzuspannen oder allein zu fahren, wie es sich besser schicke. »Häb nit Müeh«, sagte der Ammann, »es sind Rosse genug, und wenn du deine sonst zu gebrauchen hast, wollen wir dich nicht plagen. Es ist am billigsten, daß die fahren, welche am höchsten in der Milch sind und den größten Nutzen haben von der Sache.« Was das anbelange, so werde er auch nicht der Mindest sein, antwortete Eglihannes. Wegen der Kontrolle, daß die Sache richtig abgegeben werde und nicht später Reklamationen kämen, werde er als Sekretär dabei sein müssen. So wolle er doch lieber seine Rosse dabei haben als dr Gottswille hintendrein laufen. Hintenher solle ihm dann niemand vorhalten, er hätte nur gezogen und nichts getan. Er wisse wohl, wie man es ihm mache, aber er werde auch alle Tage witziger, er wolle es ihnen gesagt haben. »Nun, wenn dus zwängen willst, so zwängs in Gottes Namen, darwider wird dir niemand viel haben können«, hieß es.

So sprachen an der Gemeinde die Alten, aber als die Kunde: Eglihannes wolle mit seinem Kachelifuhrwerk auch dabei sein, in die Häuser kam, da hieß es ganz anders, wohl, da hatte jedermann was darwider. Es sei eine Schande fürs ganze Dorf, hieß es, wenn der mit seinem Esel und seinem Gstabi dabei sei. Am lautesten begehrten die Jungen auf, die Geißelherren, an die das Fahren kam. Den wollten sie nicht bei sich haben, vor der Schande wollten sie schon sein. Den Alten hätten sie mehr Verstand zugetraut, vor dreißig Jahren wären sie witziger gewesen, schrien diese. Am lautesten war Ammanns Felix. Der vermaß sich hoch und teuer, mit dem fahre er nicht, eher schlage er Mann und Roß die Beine entzwei, sagte er. Selb solle er ihm bleiben lassen, sagte der Ammann; mit dem Schelm begehre er nicht auszumachen, und sechs Jahre oder mehr zu leisten werde Felix nicht begehren. Der würde es auf das Höchste treiben, darauf könne man zählen, und wenn er auch nicht mehr am Brett sei, so sei er doch denen, die jetzt dran seien, gut genug, um ihnen fette Fische in die Bähre zu jagen; die hätten das Mästen nötig. Das Leisten war Felix nicht anständig, aber was er einmal im Kopfe hatte, da mußte was raus, war es so oder anders.

Eglihannes merkte von dem allem natürlich nichts. Es war ihm im Gemüte, als ob er die Sonne des ganzen Zuges sei. Er stach in der Pinte diesen und jenen an, um mit ihm zusammenzuspannen. Er wollte seinen Wagen dazu geben, sagte er. Sie würden doch Augen machen im Emmental, so einen hätten die Knuble noch nie gesehen, sie würden meinen, es sei eine besondere Holzart. Aber trotz dieser Aussicht wollte niemand einschlagen. Die Alten sagten, der Wagen sei wohl klein für vier Rosse. Er solle ihn herstellen, wenn man den Käs lade, da werde es sich zeigen, wie man ihn brauchen könne. Dieser Bescheid war Eglihannes nicht der rechte. Er ließ sich herab, stieg in den Ställen den Jungen nach, um eine Allianz zu schließen, war aber da nicht glücklicher. Er solle mit dem Alten reden, erhielt er zur Antwort, der hätte zu befehlen; was der befehle, sei ihnen gut. Zu Ammanns Felix ging er nicht, dort hätte er wahrscheinlich einen runderen, bestimmteren Bescheid erhalten.

Da man eine ziemliche Strecke zu fahren hatte, mußte der Aufbruch früh sein, daher wurden die Käse am Abend vorher geladen. Die bestimmten Wagen wurden dahergebracht und vor die Käshütte zur Verfügung gestellt. Eglihannes kam mit dem seinen ebenfalls und stellte denselben an die Spitze, so gleichsam als den vornehmsten. Da ließ man ihn stehen, bis ein Wagen geladen war, dann schob man ihn beiseite und fuhr mit einem andern Wagen vor. Das stach Eglihannes. Es wäre jetzt an seinem, sagte er. An den werde es schon noch kommen, hieß es, man müsse doch zuerst die größern laden. Es hatte fast den Anschein, als sei es abgekartet, auf die andern Wagen so zu laden, daß für den angestrichenen auch kein Käs übrig blieb. Das unterblieb. Einige Ältere wehrten, und Eglihannes führte scharf Aufsicht und brachte es dahin, daß für sein Gespann noch fünf Käse übrig blieben. Vom Zusammenspannen war also keine Rede mehr, und in den fünf Käsen lag ein Spott, an dem er doch etwas begriff. Wartet nur, dachte er, das treibe ich euch ein, ihr Säububen! Werdet es schon erfahren, wie die Ersten die Letzten sein werden und die Letzten die Ersten. Der gute Eglihannes wußte nicht mehr, was es heißt, mit dem jungen Volk, den sogenannten Nachtbuben, zu tun zu haben. Denen ist der Teufel nicht schlau genug, sie lüpfen ihn zehnmal über den Kübel, ehe er sie ein einziges Mal.

Um drei Uhr früh sollte aufgebrochen werden. Solche Tage werden gern so lang als möglich gemacht, damit man gute Weile habe zu allem Guten und da Hütten zu bauen, wo es einem wohlgefällt. In den Nächten vor solchen Zügen wird in den Häusern, welche daran teilnehmen, das Licht nicht ausgelöscht, besonders da, wo ledige Vettern sind, wie es in der Vehfreude auch der Fall war. Im Kanton Bern, der trotz aller äußern Form in seinem Wesen durch und durch aristokratisch ist, heiraten oft Bauernsöhne nicht, damit der Hof beisammen, die Familie reich bleibe. Es gibt einzelne Höfe, wo vielleicht seit zweihundert Jahren immer nur ein Sohn heiratete, die ledigen Brüder, die Vettern, als Respektspersonen behandelt, im Stöcklein wohnten, arbeiteten nach Belieben und regierten oft mehr als der regierende Bauer. Diese Vettern haben nun zumeist ein Lieblingsfach in der Landwirtschaft, das ihnen unbestritten überlassen wird: Füttern, Wässern, Fahren usw. Der Vetter, der füttert, ist ans Haus gebunden, hat wenig Begriff von Welt und Zeitgeist und was sonst noch geht. Einem solchen Vetter kommt eine sechsstündige Fahrt hin und sechsstündige her vor wie eine Weltfahrt, wie ein Zug ins Innere von Afrika. Wie man auf solche Züge Proviant mitnimmt und die Kamele füttert und tränkt, daß sie es eine gute Weile und noch darüber aushalten mögen, so füttert auch der Vetter auf Leib und Leben, mit kurzem und langem Futter von früh abends bis zur Wegfahrt, bis die Pferde Bäuche kriegen, an denen sie so viel zu tragen haben, daß sie lieber wollten, man verschone sie einstweilen mit Ziehen, geschweige denn mit Springen. Wenn sie sich kugelrund gefressen und ein halbes Meer ausgesoffen haben, wird der Vetter glücklich. »Sieh«, sagt er, »der Bauch geht ihm fast über dem Rücken zusammen; gfresse hat er brav und gsoffe noch bräver, fahr ume i Gottsname, es Wyltschi, e Stung zwo oder drei, mag ers jetzt wohl erleiden«. Da sich indessen darauf nicht zu verlassen ist, der Hunger das Roß ungsinnet wieder ankommen könnte, hat er brav Hafer in einen Sack getan und einen Bogen oder zwei mit Heu vollgestopft und schärft extra noch ein, ja die Rosse nicht hungern zu lassen, und sei nicht genug, was er mitgebe, so komme es auf einige Batzen nicht an, man könne ihnen ja auch in einem Wirtshause etwas geben lassen.

Eglihannes hatte einen solchen Vetter nicht, wäre aber froh darüber gewesen; er hatte bloß ein halbbatziges Knechtlein, und solche füttern nicht die ganze Nacht, solche muß man aus dem Bette jagen, oft auf die gleiche Weise wie ein faules Kalb aus seinem Stroh, und hätten doch der Pigger und Gstabi ein langes Füttern so nötig gehabt, dieweil ihre Zähne weder diesjährig noch vorjährig waren, sondern längst über die Wissenschaft der größten Kenner lang, lang hinausgewachsen. Es hatte zwölf Uhr geschlagen am Kirchturme und das Knechtlein rührte sich noch nicht; die alte Schwiegermutter des Eglihannes klopfte ihm lange umsonst, sie mußte ihn endlich aus dem Bette stüpfen. Er hatte den Befehl, zu schirren, daß, wie es zwei Uhr schlage, abmarschiert werden könne. Sövli exakt werde es nicht zugehen, hatte Eglihannes gesagt. Derselbe hatte selben Abend noch große Freude erlebt. Ammanns Felix hatte am Abend seine Rosse noch extra gewaschen, geseift, gestriegelt. Dabei war ihm ihr schönstes Roß, ein dreijähriger Brauner, losgeworden, hatte über Gräben und Zäune gesetzt, war dabei gestürzt, hatte die Knie geschunden und ging lahm. Dem sei der Hochmut eingetrieben worden, wie es sich gehört, er möge es ihm verflucht wohl gönnen, hatte Eglihannes gesagt. Es nehme ihn nur wunder, ob Felix dreispännig fahren wolle; er könnte seine Mutter vorannehmen, das wäre ein gutes Vorroß.


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