Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Dreizehntes Kapitel

Vom Käsgschauen und den Manövers dabei

In der Vehfreude ging es ungefähr so: »War noch Keiner da?« »Ach nein«, war die stehende Redensart, wenn zwei Vehfreudiger sich begegneten. Wie die Jäger im Frühling und Herbst auf den Anstand gehen und mit gespitzten Ohren auf den Flügelschlag der Schnepfen lauschen, so standen die Vehfreudiger auf der Lauer den ganzen Tag, und wenn sie von weitem ein Rad rollen hörten, so raunte man sich zu: »Ih ghöre neuis, es chunt eine, es chunt eine.« Und wenn das Rädchen weiterrollte und Keiner kam, oder wenn es nur ein Kachelfuhrmann war, der vor dem leeren Wagen seinen Esel zu einem matten Trabe gebracht, so scholl es von Haus zu Haus: »Aber nüt, aber nüt!«

Indessen, immer bleibt nicht ewig aus, endlich kam einer dahergefahren. »Es kommt einer, es ist einer da«, hieß es plötzlich. »Warum nicht gar«, meinten die Thomasse, »das wird aber so ein Kacheler sein«. »Nein, gewiß nicht«, lautete die Antwort; »das ist gewiß einer, der hat Käsfinger, ih has gschmöckt vo wytem.« Es war aber diesmal wirklich einer, und zwar ein gar großer und gewaltiger, daß es alsbald hieß, das sei einer von den ersten, wenn nicht der erste, ein gar grausam reicher und vornehmer; es sei kein Ort im ganzen Bernbiet, wo er nicht fragen könnte: Wie teuer das ganze Gemeindli? »Und mit dem Zahlen, wie wäre es denn mit dem?« fragte die Frau Ammännin, zu der man geschickt hatte nach dem Ammann, daß er den Käs zeigen solle. Das würde dem nichts machen, hieß es, er würde sonst nicht fragen. Man brauche dem nur eine halbe Stunde zuzuhören, so müsse man glauben, der halbe Kanton sei sein und Itali fast halb. »Hast du ihn denn gehört?« fragte die Frau Ammännin. »Ja«, sagte der Bote; »er und Eglihannes tranken zusammen eine Halbe, sie müssen bsunderbar gute Fründe sy.« »So«, sagte die Frau Ammännin, »das wird ein Sauberer sein, auch so einer, wo Hab und Gut im Maul hat und sonst nirgends, so ein großer Brasti, wo alles ausgugget und ausführt, der Größt ist im Gschaue und hintendrein nichts kauft. Von Solchen habe ich schon gehört. Es lohnt sich wohl kaum der Mühe, meinen Mann heimzuholen. Der bekommt sie allweg nicht; Eglihannes muß nicht die Finger darin haben und auf unsere Kosten sich den Hals schwenken lassen, der Lumpenhund der, was er ist.«

Die Frau Ammännin ward ganz feurig vor Zorn, daß so einer die Nase immer zuvörderst haben müsse und dFinger in allem. Aber so einer, wo nichts tue als dem lieben Gott die Zeit abstehlen, den Leuten das Geld, und die Zähne an der Sonne trocknen, der stehe den ganzen Tag zweg und hätte das Maul offen, damit die gebratenen Tauben hineinflögen. Indessen ließ sie doch den Mann holen. Der kam in aller Hitze daher, und viele Klafter lang hing ihm die Frage vors Gesicht hinaus: »Wo ist er? Wo ist er?« »Wo wollte er sein? Wo sind Solche? Es dünkt einem, ein Schelm rieche den andern eine Stunde weit«, schnauzte die Frau Ammännin. »Im Wirtshaus ist er und Eglihannes bei ihm. Du gehst mir aber nicht dorthin, ghörst, du gehst zur Hütte und machst Bescheid, sie sollten herkommen, wenn sie was wollten, aber gleich, du seiest pressiert!«

Natürlich machte der Ammann es so; er mußte aber dort eine Weile warten, bis die Herren kamen, und das ganze Dorf war in Erwartung, was der zu ihren neugebackenen Herrlichkeiten sagen würde. Wenn sie dem sie geben könnten, sie wären gfellig (glücklich), urteilte die öffentliche Meinung. Eglihannes strahlte vor Glück, daß das ganze Dorf jetzt einmal sehen könnte, wie die Vornehmsten mit ihm umgingen als wie Duzkameraden. Es ist sehr kurios, wie die Allerradikalsten bei uns so gern vornehm tun, so gern vornehm wären, und weil ihnen das verbunden und verhalten ist, so gern wenigstens vornehm scheinen. Als der Käsherr in die Käshütte trat, ungefähr wie die Frutiger von einem ihrer Pfarrer sagten: sie hätten doch den schönsten Herr, wenn er in die Kirche komme, so sei er völlig als wie ein aufrechtstehender Bär, warf er einen kundigen Blick durch das Gebäude, rühmte dasselbe, es sei gut gebaut, nicht gespart daran, erzählte dann beiläufig von einem Dutzend Käshütten, wo so schlecht seien, daß den Bauern nichts nützlicher wäre, als dieselben vom Boden wegzureißen und vom Fundament weg anders zu bauen. Die Gründe, warum, setzte er haarscharf auseinander. Man mußte gestehen, der Herr hatte ein Mundstück, das, auch wenn es sich nicht gewaschen hatte, doch eine Geläufigkeit besaß ungefähr wie das Räderwerk einer Turmuhr, wenn man dieselbe abtschädern (abschnurren) läßt. Im Käsbehälter übersah er die ganze Schlachtordnung der Käse, die Wölbung der Ränder, die Höhe oder Tiefe der Decke, bohrte einen an, tat einen Blick auf den Zapfen, kostete ein ganz kleines Stücklein von der Spitze mit vielem Schmatzen, sah die letzte Nummer, zeichnete ein paar Worte in sein Carnet, wie sie das Ding heißen, in welches sie ihre Notizen machen und welches bei jungen Handelsnovizen Gegenstand großer Eleganz ist, mit vieler Prätension gezeigt wird, bald zur Ehre des Hauses, welches sie repräsentieren, bald zur Ehre der Geliebten, mit welchen die stellvertretenden Käufer gern renommieren. Dann drehte er sich noch einmal um, steckte das Carnet in die Rocktasche, die Hände dazu, öffnete den Mund, alle Ohren gingen auf, und sagte: »Kommt auf Langnau, wir wollen dann sehen, ob wir es machen können mit einander; derweilen kann man sehen, wie Kauf und Lauf gehen.«

Da standen sie wie die Kinder Israel am Berge Sinai, nur mit dem Unterschiede, daß die Einen nicht zu hören wagten, die Andern gar zu gern gehört hätten, wenn auch aus Rauch, Blitz und Donner mittenheraus. Eglihannes, welcher die Hände auch in den Taschen hatte, weil er sah, daß dies noch immer Sitte war und wirklich eine bequeme, zeitgemäße – denn ist die Angewöhnung einmal da, so fahren die Hände wie von selbst Taschen zu und fragen nicht darnach, wem sie gehören, wenn es nur Taschen sind, eigene oder fremde, und nehmen darin etwas zwischen die Finger, Eigenes oder Fremdes – Eglihannes also, etwas kleinlaut, fragte: »Nach Langnau an den Markt? Wann ist er, im Herbstmonat glaube ich?« »Immer am Mittwoch nach dem Bettag«, antwortete der Herr; »da machen sich die Preise und wird das Meiste verkauft.« »Aber«, sagte der Ammann, »es ist doch schon verkauft worden? Ich habe schon von mehreren Mulchen gehört, und auf manches soll geboten sein.« »Es ist möglich«, sagte der Herr, »es wird ein besonderer Grund da sein; wir kaufen selten früher. Man kann doch erst wissen, wenn man alles gesehen hat, was einem anständig ist und wieviel es erleiden mag. Wir sind unserer Sechse auf der Reise (bloß Drei; der Herr log, wenn er ehrlich sein wollte, bloß die Hälfte, ordinäri zwei Drittel); wenn nun jeder von uns kaufen wollte, so könnte das am Ende eine Abrechnung geben, wo uns das Liegen weh täte, denn Käse laufen ins Geld. Schon für sechstausend Zentner (diesmal log der Herr zwei Drittel), welche wir gewöhnlich kaufen, braucht es ein artiges Sümmchen, aber es macht sich. Nun, wenn es ungsinnet auf zwölftausend oder achtzehntausend Zentner käme, so würde es sich am Ende doch fragen: wo nehmen und nicht stehlen?«

»Trinken wir noch eine Flasche zusammen?« fragte Eglihannes etwas kleinlaut, fand aber nicht Anklang. Der Ammann mußte heim, der Herr weiter. Er hätte schon gestern daheim sein sollen, sagte er, aber an allen Straßen stünden Leute, fingen ihn auf und wollten ihm ihre Käse zeigen. Wenn das so gehe, so dürfe er künftig nur des Nachts reisen. Heute sollte er noch fünf Stunden weiter und auf das Wenigste an zehn Orten halten.

Als der Herr von dannen gefahren war, brach die verhaltene Neugierde los. Männiglich wollte wissen, was er gesagt, was er geboten, was er für Augen gemacht, als er ihre Käse gesehen, ob ihm auch schon solche vor Augen gekommen. Und auf alle diese Fragen nichts als die Antwort: »Kommet auf Langnau, hat er gesagt, und sonst hat er nichts gesagt, hat nichts geboten, aparti keine andern Augen gemacht als Stierenaugen, wie er sie den ganzen Tag hat, besonders am Abend«! Wer begreift nicht das Ungenügen der Vehfreudiger und daß daraus billigerweise Mißtrauen entstehen mußte! Kein vernünftiger Mensch, sagten sie, werde das glauben, daß sie nicht mehr mit einander gesprochen, und seien doch so lange beisammen gewesen; sie würden nicht immer nur gesagt haben: »Kommt nach Langnau!« Nur konnten sie nicht begreifen, warum diesmal Eglihannes und der Ammann unter einem Hute seien. Da könne man wieder sehen, was das Geld mache, sagten sie, doch nur unter der Hand. Aber vor dem könnte man sein, denen wollten sie doch noch schlau genug sein. Es sei gut, daß nicht bloß ein Käshändler sei in der Welt. Besonders hetzte der Junge auf. Es werde doch wohl erlaubt sein, zu hören, was in der Käshütte geredet werde, und wenn niemand dürfe, so dürfe er. Sehr böse war die Frau Ammännin. Er sei der Dümmste, den es gebe, sagte sie zu ihrem Manne. Wenn er daheim sein sollte, sei er fort, und wenn er fort sein sollte, sei er daheim. Da hätten sie Zeit gehabt, der Eglihannes und das Käsbratis, dSach mit einander abzureden, und der verfluchte Schelm hätte dem Andern angegeben, wie er es machen solle, um die Käse wohlfeil zu erhalten. Aber dem wolle sie es schon verhalten, lieber als daß sie die Käse dem verkaufen lasse, esse sie dieselben alle selbst. Das wäre ein starkes Stücklein, selbst für eine Frau Ammännin. Zweihundert Zentner Käse wollen was sagen, und was das noch an Brot gebraucht hätte und wie manchen Schluck!

Nun wurden erst alle Künste angewandt, um die Käsherren auf die Gschaui zu locken, und mit ziemlichem Erfolg. Zwei oder gar drei kamen noch daher und gwunderten in den Käsen herum, bohrten sie an mit ihrem Instrumente, sahen nach den Nummern und zeichneten was in ihre Carnets, und wenn alles in gespannter Erwartung die Ohren auftat, am meisten der Junge, der sich hineingeschlichen, so hieß es immer und immer: »Kommt nach Langnau, wir wollen dann sehen, jetzt können wir nichts sagen.« Höchstens kam dann noch nach: »Die Käse ziehen nicht, die Spycher sind noch voll alter.« Mehr ward nicht gesprochen über die Sache, wie der Kleine versicherte. Der Kerl besaß eine eigene Unverschämtheit und Hartnäckigkeit; er war das leibhaftige Konterfei in verjüngtem Maßstabe eines gewissen, auch nicht großen Ratsherrn, der seinerseits die leibhaftige Unverschämtheit ist im Lügen, Behaupten, Horchen und Verleumden; ein rareres, ausgeprägteres Exemplar dieser Sorte ist uns noch nie vorgekommen. Wo Zwei oder Drei zusammen reden, steht er hinter ihnen, dreht sich nicht etwa weg, wenn er bemerkt wird, sondern mischt sich keck und unverschämt ein und spricht mit einer Impertinenz ab, bricht Leute und Dinge übers Knie, daß einem ehrbaren Menschen Hören und Sehen vergehen, grimassiert dabei und schnellt den Kopf seitwärts in die Höhe und zeigt die Nase, ganz wie ein Kaninchen. Der Kleine konnte mit Sicherheit reden; wenn auch ausgejagt, dieweil Buben nicht dahin gehörten, war er doch immer wieder da und immer wieder.

Die Beredsamkeit der Käsherren erhielt nicht großes Lob in der Vehfreude. »Kommt auf Langnau!« könne jeder Löhl sagen, er brauche nicht einmal in einer Sekundarschule geschulet zu sein. Die werden aber auch nicht viel zu bedeuten haben daheim, nur so die Vorrosse oder Vorgumper sein; man hätte es ihnen eigentlich auch angesehen, daß sie nichts davon verstanden; sie hätten nichts recht angesehen, sondern nur im Keller herumgeschnürfelt, um nur sagen zu können, sie seien dagewesen. Die Deichselrosse, so die rechten Käskönige, werden daheim sitzen hinter den Schubladen und Batzen zwegknüble und dann erlesen, was die Buben gchaflet hätten in ihren Lumpenbüchli. Es nehme sie wunder, wie sie darauskämen, jeder Schulbub mache schöner, und Säuhändler würden sich schämen, wenn sie nicht besser könnten. Da hätte man lange hineingucken können, kein Hund hätte was daraus zu machen wissen; so sprach man.


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