Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Der hätte ein Herz, ihr Felixli, dachte die Frau Ammännin, das gebe einmal einen rechten Gemeindsvater, der Felixli! So wenig als der Felixli selbst hatte die Mutter eine Ahnung vom wahren Grunde. Eher hätte sie daran gedacht, daß die Regierung zBern katholisch würde und Eglihannes Kapuziner, als daß ihr Felixli so an einem Gottswillemeitschi Gefallen finden und es als ein Meitschi ansehen würde. Aber das gefiel ihr, daß er begriff, was man dulden könne und was nicht, das beurkundete den angebornen Herrscherverstand. Und daß er sich gegen Nägelibodenbauers regte, gefiel ihr ebenfalls. Sie war nicht die eifrigste Feindin vom Nägeliboden, aber sie teilte die öffentliche Meinung, war auch nicht dessen Freundin und namentlich nicht der Bäuerin; sie war eine erklärte Feindin aller Heiraten unter Stand und Würde, aller Mesalliance. Sie betrachtete die niedriggebornen Weiber, welche in angesehene Familien heirateten, allzumal als schamlose Dirnen und Verführerinnen, welche dem Schlechtesten aufgeboten, um zu reichen Männern zu geraten. Sie war der festen Ansicht, daß nur Gleiches und Gleiches zusammengehöre, naturgemäß sei: Armes und Armes, Reiches und Reiches. Sie machte bloß die Ausnahme, daß sie nicht so viel darwider hatte, wenn ärmere Bauernsöhne sich mit reichen Mädchen auf die Beine zu helfen und währschafte Bauerntöchter auch ohne große Mitgift an reiche Bauernörter sich einzuheiraten suchten. Wider selb könne man nicht so viel sagen, meinte sie; es sei erlaubt, daß jedermann macht, was er könne, um im gleichen Stande zu bleiben, es sei die Familie auch anzusehen.

Aus diesem Gesichtspunkte betrachtete die Ammännin die Nägelibodenbäuerin als eine schlechte Frau, glaubte auch als Frau Ammännin das Recht zu haben, derselben den Verstand zu machen, was hier üblich, bräuchlich sei und anständig. Es seien gar viele Orte noch in der Welt, wo man das nicht wisse, und von einem solchen Orte werde sie herstammen und könne noch froh sein, wenn man ihr es sage, dachte die Frau Ammännin. Dem Sohne sagte sie ihr schnell gereiftes Vorhaben nicht, sie sagte bloß: »Deretwegen wollte ich nicht kummern und Zorn haben. Solche Leute können gar manches, woran wir nicht denken. Kann das Meitschi es droben nicht mehr machen oder nicht aushalten, so macht es es, wie solche Leute pflegen: es läuft fort, läßt Großmutter Großmutter sein und denkt, es werde schon jemand anders sich herbeilassen, wenn es nicht mehr da sei.«

Eine Frau, wenn sie was will, ist selten um die Mittel verlegen. Die Nägelibodenbäuerin zu sich bescheiden lassen, wie es einem Landvogt wohl angestanden wäre, durfte die Frau Ammännin doch nicht; ihr ein Schreiben schicken, wäre ihr eine Kunst gewesen; Weibel hatte sie auch keinen zur Verfügung. Aber sie hatten einen Acker auf dieser Seite des Dorfes, und auf diesen waren Rüben gesäet, die sie noch nicht gesehen; sie war überhaupt vielleicht seit zwei Jahren nicht bei diesem Acker gewesen. Die Frau Ammännin gehörte zu den Weibern, welche die meiste Zeit zu Hause sind, nie mehr bei der Feldarbeit erscheinen, deswegen aber nicht müßig sind; zu den Weibern, welche, wenn sie mal durchs Dorf gehen, das größte Aufsehen erregen, daß alle Köpfe an die Fenster schießen, die Hühner verwundert die Hälse strecken, der Hahn auf dem Miste verstummt, alles sich fragt: Was ist wohl los, wo will die aus? Das sind gewöhnlich Hauptweiber, so wie Bauern sie nötig haben, welche aber wirklich rarer zu werden scheinen von wegen der Bildung und Aufklärung. Aber wohlverstanden, wir meinen gar nicht, daß solchen Hauptweibern die wahre Bildung abgehe. Sie sagen freilich nicht »Merci bien«, brodieren nicht Pantöffelchen, höckeln nicht zimperlich ums Haus herum und kämmen die Haare herunter bis unters Kinn, daß man glauben sollte, diese Mädchen stammten von Jagdhunden mit Lampiohren; aber redet man mit ihnen, so wird man eine Bildung finden, welche nicht bloß in »Merci bien« und Lampiohren besteht, sondern in Ansichten und Grundsätzen, in Erfahrungen, welche sich zu Weisheit abgeklärt. Wir wollen aber nicht diese Frau Ammännin zum Exempel geben, indessen, so viel ist wahr, daß sie eine der besten Hausfrauen in der Vehfreude war, daß einstweilen kein Mädchen mit ihr verglichen werden konnte, daß sie dem Herrn Ammann nicht bloß vollständig genügte, sondern ihn auch an Bildung, Aufklärung und selbst an parlamentarischem Takte bedeutend überragte. Ja wir sind überzeugt, sie wäre im deutschen Parlamente nicht die Letzte gewesen und hätte sicher manchmal und mit Grund ausgerufen: »Nei aber auch, kann man so ein Löhl sein, will ein Professor sein oder sonst etwas Narrs, und wäre mir doch unser Schulmeister noch lieber am kleinen Finger als der an der ganzen Hand, und geht doch nicht mancher Dümmerer als er bei uns zur Kirchtüre aus und ein!«

So wanderte die Frau Ammännin durchs Dorf unter großem Aufsehen und mannigfachem Aufenthalt. »Ei du meine Güte, was kommt dich an, willst zHochzeit?«scholl es aus gar mancher Küchentüre hervor, aus gar mancher Krautstaude herauf, und darauf setzte es ein kleines Gesprächlein ab, worin auf den Busch geschlagen wurde, um die Tendenzen der Frau Ammännin herauszuklopfen. Das war aber eine feine Frau, man konnte klopfen, so lange man wollte, man klopfte nichts heraus. Als sie gegen den Nägeliboden kam, sagte sie zu sich selbst: »Ordnung haben sie, selb muß man sagen, es ist aufgeräumt ums Haus herum, als ob sie Sonntag hätten. Haben schöne Sachen, er muß viel auf Bschütten halten; es wäre Mancher froh, er hätte zu grasen wie der.« Als die Ammännin über die Gartenwand gucken wollte, was sie etwas Mühe kostete, denn wie bekannt war sie eine kleine Frau, hob sich jenseits plötzlich aus dem Kraute herauf ein Kopf empor; das war die Nägelibodenbäuerin. Sie erschraken gegenseitig über einander. Die Frau Ammännin faßte sich begreiflich zuerst. »Hättest mich fast erschreckt«, sagte sie. »Wollte sehen, wie schöne Sachen du im Garten habest.« »Es hat sich nichts zu rühmen«, sagte die Nägelibodenbäuerin; »es ist zu trocken für alles, was wachsen sollte.«

So gab ein Wort das andere, und wie um heißen Brei die Katze schlich die Frau Ammännin um ihren Zweck herum, bis sie endlich fragen konnte: »Wo hast deine Schwester, daß die nicht mehr Milch trägt, ist sie krank? Warum ich frage? Wir sehen zur Käserei hinunter, und da habe ich deiner Schwester oft zugesehen und Freude an ihr gehabt; sie ist ein flinkes Mädchen, säumt sich nie mit Klappern und ist immer auf den Schlag der Stunde da.« »Änneli hat zur Großmutter müssen«, sagte die Nägelibodenbäuerin unbefangen. »Die ist krank geworden, hat niemanden, der zu ihr sieht. Ich muß es selbst sagen, ich hätte nicht gemerkt, was das Meitschi alles verrichtet, es fehlt mir in allen Ecken.« »Das Meitschi wird auch nicht gern gegangen sein, es soll grusam geweint haben, als es fortging. Es ist aber auch kein Wunder, es ist wohl schwachs, um eine alte Frau z'gferggen hin und her und dann vielleicht die Sache nicht haben, welche dazu gehört, und an einem fremden Orte nicht wissen, wie dazu kommen«, meinte die Frau Ammännin. »Wegen dem«, sagte die Nägelibodenbäuerin, »brauche ich nicht Kummer zu haben. Die Großmutter hat ihre Sache. Als ihr erster Mann starb, von welchem unsere Mutter stammt, war an Vermögen nichts da, aber sie heiratete anders und hat jetzt einen schönen Abnutzen, so lange sie lebt, sie hat ihn kaum ganz gebraucht. Aber es ist wegen der Abwart; es sieht niemand, ob sie auch alles bekommt, was ihr gehört, der mit Verstand sorget, daß ihr gemacht werde, was sie noch mag und was sie gelüstet. So alte Leute sind manchmal wunderlich, es ist schwer, es ihnen zu treffen.« »Eben«, sagte die Ammännin, »und es ist die Frage, ob so ein junges Mädchen den Verstand dazu hat, und es hätte mich gedauert, es ihm zuzumuten.« »Selb wohl, so ging es mir auch«, antwortete die Nägelibodenbäuerin, »aber es mußte sein. Von meinen Kindern weg und aus aller Sache konnte ich nicht. Großmutter wünschte jemanden, und es war niemand sonst da als Änneli. Daneben schadet es nicht, wenn junge Leute an allerlei sich gewöhnen; sie wissen nicht, was ihnen zuhanden kommt im Leben, und lange dauern wird es nicht.« »Man kann nicht wissen«, sagte die Ammännin, »wenn man die Leute am liebsten sterben sieht, so währt es am längsten. Aber zürne nicht, die Sache geht mich eigentlich nichts an, nur das Mädchen hat mich erbarmet, wenn es zu böse hätte haben sollen zum Dank. Die Leute wollten von allerlei sagen, daneben weiß man, wie sie sind.« »So, wie ich es sage, ists«, sagte die Nägelibodenbäuerin. »Dabei habe ich nichts zu zürnen. Wie die Leute sind und wie sie es meinen mit uns, haben wir zur Genüge erfahren. Es freut mich an Euch, daß ihr es mir gesagt und das Euch das Meitschi auch gefällt. Wenn Ihr es angesehen habt, so habt Ihr sehen müssen, wie wert das Meitschi uns ist. Wenn es unser eigenes Kind wäre, besser könnten wir es nicht halten; es verdient es aber auch, das ist wahr.« »Ja, ja, wenn man wollte, man könnte vieles sehen, man sieht es nicht«, sagte die Frau Ammännin, welche Redensarten liebte, die auf beiden Seiten was bedeuteten. »Aber muß pressieren, wenn ich noch tags meine Rüben sehen will. Gute Nacht geb dir Gott, und zürn nüt, daß ich dich versäumt habe, es wird kaum so bald wieder geschehen«. »Danke Gott und gute Nacht auch«, sagte die Nägelibodenbäuerin etwas kurz. Es ärgerte sie, wie billig, daß die Leute bei jedem Anlasse an ihnen herumzerrten, und hätten doch übrig genug mit sich selbst zu tun. Daß die Ammännin sich in ihre Haushaltung mischte, dünkte Bethi eben nichts anderes, man war es an ihr gewohnt, und sie hatte es noch recht manierlich getan.

Auch die Ammännin war mit der Nägelibodenbäuerin nicht so übel zufrieden. Es sei eine hübsche Frau, dachte sie, dSach hielte sie in Ordnung, und ein vernünftiges Wort führe sie im Munde. Schade sei es um sie, wenn alles andere wahr sei; daneben wisse man nicht, es werde heutzutage gar viel geredet in der Welt. Die Schwester hielten sie brav, das sei wahr, besser nützte nichts; so werde die Sache mit der Großmutter wohl kaum so bös sein, wie die Leute sie machen möchten.

Droben wurde die Ammännin von Dürlufteisi angefallen, fast mit Gewalt herum ins Haus gezerrt und mit Worten traktiert als wie mit Knitteln, und alles aus Liebe und Respekt. Es kostete der Ammännin alle ihre Würde, welche sie annehmen konnte, um loszukommen und nicht bei Eisi dorfen zu müssen die ganze Nacht bis am folgenden Morgen. Aber das Eisi wurde sie damit noch nicht los, dasselbe begleitete sie bis auf den Acker, um dann im Heimgehen die Gewalttat mit Erfolg auszuführen. Aber als Eisi am besten dran war, seinen Zornsack über die Nägelibodenbäuerin auszuleeren und vor Zorn weder sah noch sonst was merkte, schlug die Ammännin in aller Stille einen andern Weg ein, und als Eisi zu sich selbst kam und den Schaden gewahrte, war es zu spät, ihn gutzumachen, sie waren schon näher bei des Ammanns Haus als beim Dürluft.

Nein, dachte die Ammännin, wenn sie mit dem einen oder dem andern der Weiber wohnen müßte, so wäre es ihr doch ein Unteilts. Möge es die Nägelibodenbäuerin mit dem Mannevolk haben, wie sie wolle, so habe sie daneben Verstand und Manier – und wegem Hexen hatte sie schlechten Glauben. Mt dem Teufel gäben sich ja nur die alten Weiber ab, welche kein anderer Uflat mehr ansehen möge. So eine Hübsche könnte anderer Gattig Ufläte ja die Gnüge haben.


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