Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Felix fühlte sich schwer getroffen, hätte indessen doch wahrscheinlich aufbegehrt und die Haare gesträubt wie eine Katze vor der Nase eines Hundes, wenn eben nicht der Nägelibodenbauer vor ihm gestanden wäre, vor dem er doch eine Art Respekt hatte, und wenn die Angst nicht gewesen wäre, welche nun auch ihm das Herz zusammenklemmte. So arg hatte er es doch nicht machen wollen, So wenig als der, welcher jemanden einen verflucht Braven versetzen wollte, und wenn er zum Schaden sieht, den Schädel eingeschlagen, jemanden totgeschlagen hat. Endlich sagte er: »Es ist mir leid, aber es wird öppe nüt sy; es wird morn wieder zweg sy. Ich habe nichts Böses gesagt und noch weniger es bös gemeint. Es ist mir wegem Meitschi selber gsi, es het mih taub gmacht, daß es nüt übercho het, daß ihm dä Hung nüt het müesse gä. Han ih gfehlt, su will ih ja guetmache, u was dr Dokter koste sött, will ih gern über mih näh. « »Davon habe ich dir nichts gesagt«, antwortete Sepp,»und darum ists mir nicht. Aber ds Meitschi duret mich; vor dem Wybergschwätz und dem Verleumden möchte ich doch endlich sicher sein. Du weißt, wie das Lumpenpack uns hasset ohne Grund und wie sie es meiner Frau machen hinterrücks, und daß nun auch du ins gleiche Horn blasest, und zwar unter meiner Haustüre, selb kam mir in die Nase, und ich will es dir geradeheraus sagen: von dir erwartete ich es nicht.«

Felix versprach sich sehr, behauptete, mißverstanden worden zu sein. Das Mißverstandenwordensein ist eine der herrlichsten Entdeckungen der neuesten Zeit, es ist die eigentlich neu entdeckte Nebelkappe des gehörnten Siegfrieds, sie paßt männiglich und deswegen braucht sie männiglich, daher ist sie allgemein wie die Kartoffeln. Sie ist dem Professor, was dem Russen ein warmer Pelz, die Lebensessenz des Staatsmanns, das Steckenpferd der Schulmeister, der Schirm, Schutz und starker Schild der politischen Halbhelden und endlich der juridische Entlastungsgrund jeglichen Mörders, dem derselbe einfällt. Hat nämlich ein Mörder die Geistesgegenwart, zu sagen, es sei ihm wahrhaft leid, aber der Gemordete habe ihn mißverstanden, er lebte sonst sicherlich noch, so sprechen die juridischen Götter ihn frei, bezeigen ihm ihr Beileid, daß er unschuldig Molesten erlitten, sprechen ihm ein schönes Taggeld und verurteilen den Staat zu den Kosten. Das Wort durchdringt alle Schichten der Gesellschaft, ist also mächtiger und feiner als das Sonnenlicht, welches nur auf der Oberfläche bleibt oder nur geschwächt und gebrochen tiefer dringt. Die allerneueste Nebelkappe dieser Art hat der Bundesrat in der Schweiz; wenn man meint, er sage Weiß, so hat er Schwarz gesagt.

Also Felix kannte das Wort auch und gebrauchte es, doch nicht mit großem Erfolg. Hintendrein könne dies jedes Babi sagen, sagte der Nägelibodenbauer. Aber geschehen sei geschehen, seinethalben verstanden oder nicht verstanden. Es wäre Zeit, daß man reden lerne, daß man einander verstehen könne, aber je mehr man lerne, desto weniger könne man das; zuletzt werde das Verstehen ganz verlernt, und es gehe wie beim Turmbau zu Babel. »Sei nicht so bös«, sagte Felix, »und trage es mir nicht nach. My Seel meinte ich nichts Böses, und leid ists mir, daß es so gegangen. Ich wußte nicht, wie wenig das Meitschi ertragen möge; hätte ich das gewußt, ich hätte mich wohl gehütet.« »Nun, so denk ein andermal daran, daß nicht alle ertragen mögen, was dir in Maul oder Faust kommt und verflucht brav klepft. Daneben zürne dir nicht, ich glaube dir, du habest es nicht böse gemeint und werdest in Zukunft dich hüten, mit Worten z'fechten wie ein altes Klapperweib. Häbs nicht für ungut, und jetzt gut Nacht«, sagte Sepp und ließ Felix vor dem Hause stehen.

Dieser stand da fast wie der Lällenkönig auf der Rheinbrücke zu Basel oder Frau Lot gegenüber von Sodom, hatte das Maul offen, machte große Augen, konnte nicht vorwärts, nicht rückwärts und kriegte doch keine Wurzeln an den Füßen. Erst war er böse, dann ward ihm angst. Er umging leise das Haus; wo er Licht sah, stand er horchend still, hätte für sein Leben gern gewußt, wie es drinnen gehe, aber er vernahm nichts, es kam niemand heraus, er durfte sich nicht melden und fragen; er mußte heim mit seinem Bangen, mit dem Grollen mit sich selbst, weil er wieder etwas angerichtet, was er eigentlich doch nicht so gewollt. Es war vielleicht die erste Nacht seines Lebens, wo Bangen und Sorgen den Schlaf ihm nahmen. Wie er sich auch einreden wollte, es sei doch dumm, so eines Wortes und eines Meitschis wegen, welches Kopfweh haben werde und mehr nicht, zu kummern, es half ihm nichts: die Angst ums Meitschi konnte er nicht vertreiben, die Vorwürfe seines Gewissens nicht ersticken; er mochte sich auf die rechte Seite wälzen oder auf die linke, er hörte auf beiden Seiten gleich laut die Worte: Felix, du bist doch der größt Uflat!

In etwas hatte Felix recht: viel mehr als Kopfweh hatte Änneli nicht am Leibe, dagegen ein unaussprechliches Herzweh. Es dünkte ihns, wenn es nur sterben könnte; es sei keine Freude mehr für ihns auf Erden, und wenn es hundertjährig würde. So gut hätte es es gemeint, und so bös lege man es ihm aus, und noch dazu Felix, der es sonst so gut mit ihm gemeint! Wenn der so gegen ihns sei, was müßten erst Andere denken! Zu diesen Gedanken weinte es dann so bitterlich. Ach, und bitterere Tränen gibt es nicht, als wenn man ein Herz voll Liebe hat und in keinem Herzen Liebe findet, nichts als Roheit und Selbstsucht; da ist noch viel größere Pein, als wenn man voll Durst ist und nirgends ein Tröpflein Wasser findet, alles ausgetrocknet ist rundum.

Änneli wollte sein Weh verbergen vor seiner Schwester, aber rote Augen und blasse Backen lassen dies nicht leicht zu; Bethi erriet Ännelis Weh so halb und halb und doch nicht ganz, die Liebe zu Felix vermochte es nicht zu ermessen, so wenig als eigentlich Änneli selbst. Bethi meinte, es tue Änneli so weh, daß man ihns verdächtige wegen Eglihannes, das Gerede ein allgemeines sei und Glauben finde. Wenn man einem solches ins Gesicht sagen dürfe, dann sei es wohl schon weit gekommen. Bethi suchte Änneli durch Predigten aufzurichten. »Es ist wüst«, sagte es, »und strengs, solche Sachen nur zu denken, geschweige zu sagen; aber je wüster etwas ist, desto mehr Freude haben die Leute daran. Du armes Tröpflein bist daran noch nicht gewöhnt, wirst es aber schon werden! Es war auch eine Zeit, wo ich mich wegen solchem fast ztodplärete; jetzt sehe ich nicht mehr nebe ume und bin wohl dabei. Ich lebte längst nicht mehr, wenn ich mich dessen viel hätte achten wollen. Mußt dich auch daran gewöhnen; den Leuten kannst die Gedanken nicht machen und die Mäuler nicht verbinden, aber wenn sie dich genug auf der Gabel gehabt, werden sie deiner satt und nehmen jemanden anders drauf. Es hat mit mir auch schon viel gebessert, und wenn ich Andere wollte helfen runtermachen, ließen sie mich ganz sein. Ammanns Felix ist ein wüster Uflat, er hätte dir das sonst nicht gesagt, er meint, weil er des Ammanns Sohn sei, könne er jedem sagen, was ihm ins Maul komme. Das ist immer so bei vornehmen Söhnen: was die Alten bloß noch denken, das prasten sie hinaus. Er hasset den Eglihannes und meint nun, es sollen alle Leute Rache an ihm ausüben, weil Ammanns Felix ihn hasset. Aber warte der nur, wenn der mir wieder vors Maul kommt, will ich dem ein Kapitel lesen, daß er es in Zukunft weiß, ob er mehr hieher kommen soll, wenn er Leute sucht, die tanzen, wie er aufspielt!«

Das tat aber Änneli wieder weh, es fing an, den Felix zu versprechen: Er hätte es sicherlich nicht so bös gemeint, vielleicht daß es ihn unrecht verstanden; er hätte ihm eine Entschädnis gönnen mögen und ihm dazu verhelfen wollen. Er habe gewiß ein gutes Herz, und wenn er jemanden beistehen könne, so tue er es ungheiße und ungsinnet. Und nun erzählte Änneli, um der Schwester Meinung über Felix zu berichtigen, wie derselbe ihm gegen die Buben geholfen und namentlich gegen den Dürluftbub, und wie er sonst behülflich und manierlich gewesen, gar nicht so, wie ihn die Leute verbrüllen täten. Bethi kannte die Art von Änneli, welches nie jemanden verklagte, sondern immer z'best redete. Es fiel ihm daher durchaus nicht auf, weder daß Änneli vom Frühern nichts gesagt, wo es sich über die Buben hätte beschweren müssen, noch daß es den Felix in Schutz nahm, der ihm ja früher Gutes erwiesen. Es glaubs, sagte Bethi, daß er kein böses Herz habe, aber ein grober Bengel sei er, der meine, es stehe ihm alles wohl an und er dürfe jedem sagen, was ihn gut dünke, gehe es wohl oder übel. Das wolle es ihm aber doch auch sagen, das müsse er wissen, sobald er ihm unter die Augen komme.

Kurios, Bethis Vorsatz machte Änneli neue Angst und vergoldete ihm den Felix. Auf dem ganzen Erdenrund und weit drüber weg suchte es Felix' Rechtfertigung zusammen, und während diesem Zusammenlesen redete es sich selbsten die Rechtfertigung ein, und Felix ward ihm darob wieder mehr als ein Engel, er ward ihm, wenn nicht ein doppelter, so doch ein anderthalber Engel, um so mehr machte es ihm angst um den Felix. So große Freude und große Angst! Es war wie das Wirken der Seligkeit mit Furcht und Zittern.

Felix war weder zu sehen noch zu hören, er machte es wie ein Junge, der irgendwo was Dummes angestellt: er mied den Fleck, wo es geschehen, er suchte es zu ignorieren. Er stachelte sich auf, als hätte er Ursache, böse zu sein. Aus einer Laus habe man einen Elefanten gemacht, vielleicht gar um ihn zu brandschatzen, sagte er sich vor, und doch glaubte er es nie. Es waren zwei Mächte in ihm, welche, hartnäckig und trotzig, nichts von einander annahmen. Er vermied auf jegliche Weise, etwas vom Nägelibodenbauren zu hören, geschweige daß er nach Änneli fragte, und wiederum will behauptet werden, man habe ihn dort in dunkler Nacht ums Haus schleichen sehen; erst habe man ihn für einen Dieb genommen und hinterher, als man ihn erkannt, nicht begreifen können, was er dort gewollt, denn er habe sich nirgends gekündet und im Hause niemand sich gerührt. Wir wissen, wie man immer das Böse glaubt und wie lieb die meisten Weiber die Nägelibodenbäuerin hatten; man kann sich denken, was gemunkelt wurde. Eisi im Dürluft berstete fast vor Freude, als es davon hörte; schnurstracks wäre es hinuntergerannt und hätte Redensarten gleich Brandraketen fliegen lassen, aber es fürchtete das Verhexen. Es sei doch verflümert, sagte es, der Hex dürfe man nichts sagen, wenn man nicht ein Näggis (Schaden) für sein Lebtag davontragen wolle. Es vergesse den Teufel nicht, es wisse, was das verfluchte Weib imstande sei. Wäre es nicht so fromm gewesen und hätte sich sein Lebtag mit Beten abgegeben und daneben sich nicht versündigt, es wüßte kei Tüfel, wie es ihm ergangen wäre; er wäre lebig mit ihm davongefahren, und vielleicht daß es jetzt müeßt Kestene brate dem Tüfel u syr Großmuetter.


 << zurück weiter >>