Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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»Hatten wir nachts keine Ruhe, ward uns vollends am Tage keine mehr. Hatte der Melcher eine Ewigkeit gemolken oder vielmehr gestrupft, wir uns endlich davon erholt und zur Ruhe gelegt und zwischen Traum und Wachen die Grasstengelchen gezählt und wieder gezählt, welche wir erst gefressen und jetzt wiederkauten, kam etwas in den Stall gehuscht, stüpfte mich am Derrière, und stand ich nicht schnell auf, so guselte man mich in aller Stille mit der Mistgabel. Kaum stand ich auf den Beinen, saß die Bäuerin unter mir, sagte nicht einmal Excusez! oder Pardon!, strupfte mir am ganzen Euter herum, bis sie ein Häfeli voll Milch hatte, und schob sich wieder in aller Stille. Im Futtergang hatte die Tochter gelauscht; war jene fort, husch, war diese da, ehe ich mich legen konnte, und strupfte wieder. Zuweilen kam auch noch die Jungfrau und strupfte ebenfalls. Gewöhnlich geschah dieses Strupfen an mir, weil ich die besten Manieren hatte und selbst im Bernbiet, wo man so gar keine hat, sie noch nicht ganz vergessen hatte. Ja, manchmal gegen Abend kam ganz verstohlen ein fremder Bauer herein mit großer Vorsicht, strupfte an allen und schob sich dann wieder, als wäre er ein Dieb, nahm jedoch nichts mit, soviel ich bemerken konnte. Kam dann der Melcher am Abend, sollte ich selbst daran schuld sein, aus Bosheit die Milch mit den hinteren Beinen ausgedrückt haben, und erhielt manchmal sogar Schläge. Ich verdeutete ihm wohl, wer schuld sei, aber der Kerl begriff mich nicht, er war halt kein Waadtländer, ja nicht einmal ein Seeländer. Hätte er mir Tinte und Papier gebracht (Federn brauche ich keine, ich schreibe mit den Hörnern, und zwar links und rechts gleich schön), ich hätte mich ihm faßlich machen können.

»Als der Bauer uns durch seine Wirtschaft um Kraft und Saft und Milch gebracht, sollten wir an allem schuld sein. Wir seien das schlechteste Veh, welches er noch im Stalle gehabt; wenn er uns noch einen Sommer haben müßte, wir brächten ihn um Hab und Gut, sagte er. Er müsse ändern, er möge wollen oder nicht wollen. Ich war die Erste, welche er schaubete. Ich freute mich, als ich es hörte. Ach Gott, wie dumm war ich schon geworden, dieweil ich ein Jahr im Bernbiet war! Es wollte mir gleich anfangs nicht gefallen, daß mein neuer Meister so ein Strubigel war und zum alten Meister sagte: Er könne darauf zählen, zJakobstag bringe er den Rest. Als er mich einem Häuschen zuführte, welches noch strüber war als er, mich dort in einen Geißenstall brachte, hier zwischen fünf andere Marterbilder preßte und mit einem zusammengeknüpften Seil an eine abgenagte Krippe band, ach Gott, da wußte ich, was die Glocke geschlagen; ich weinte, der Berner Lümmel merkte es nicht, und von Mitgefühl war er so fern, als vom Morgen der Abend ist.

»Kaum war der Strubigel, welcher mein Meister jetzt sein sollte, zum Stall hinaus, so begann ein kleines, graues sogenanntes Unterseenkuhli von der hinteren Wand her, wo es fast erdrückt wurde, an zu berzen und zu keuchen und sprach: Der verfluchte Lümmel, hat der im letzten Sommer nicht für drei kleine Kuhli meines Schlages zu fressen gehabt; wo will er es jetzt für Sechse nehmen, und noch dazu für solche Untiere, wie er da eins hereingestellt, in deren Bauch ein ganzer Heustock auf einmal Weite hat. Das wird einen saubern Sommer absetzen. Das Kalb (so titulierte das Kuhli den Meister) wird meinen, er wolle auch aus den Käsereien die Schulden zahlen. Der wird die Nase auftun im Herbst; wenn wir nur nicht dabeisein müßten, solange der Sommer dauert. Das Kuhli hatte mehr als recht, es war aber auch eine schlaue Oberländerin, begehrte immer am meisten auf und hatte doch immer den ersten und den letzten Grashalm.

»Wir befanden uns auf einem abschynigen, abgeschleipften Heimwesen, welches wenig Sonne hatte und seit hundert Jahren schlechte Bauern, unter deren Händen es ganz ermagert war. Die Kabisstorzen wurden auf demselben nicht dicker als ein Geiselstecken, die Bohnen krochen nur übers dritte Jahr fingerslang die Stangen auf, die beiden andern Jahre blieben sie traurig und saßen am Boden. Wenn einmal drei Erdäpfel unter einer Staude gefunden wurden, so rief die Mutter dem Vater, er solle doch kommen und schauen, wie schrecklich viel es gebe. Als einmal das Gras über einen Maulwurfshügel heraufwuchs, wurde es der Großmutter ganz übel, daß sie ins Bett mußte. Sie möge sich gar nicht erinnern, jammerte sie, daß man vor Gras die Schärhüfe nicht gesehen, als im Jahr, ehe die Franzosen gekommen. Und wenn das wieder diese bedeuten sollte, so wollte sie lieber heute noch sterben.

»Dieses Mannli wollte nun auch in eine neu errichtete Käserei geben, glaubte, mit vielen Kühen sei alles gemacht, im Herbst die Schulden alle bezahlt. Es traf mich also zum zweiten Male das schreckliche Unglück, einem Käsbauer seinen Lehrplätz mitmachen zu helfen. Wie der Mann sich eigentlich diese Sache vorstelle, begriff kein Mensch, und er sagte es ebenso wenig jemanden. Wahrscheinlich stellte er sich rein nichts anderes vor, als daß sechs Kühe noch einmal so viel Milch geben als drei und sechs Maß Milch doppelt so viel gelten als drei. Diese Vorstellungen sind, wie man sieht, sehr einfach, tiefere und andere lagen dem Bernbieter sicher fern. Ganz sicher dachte er nicht daran, daß sechs Kühe mehr fressen als drei und, um mehr Futter zu machen, man das Land verbessern müsse. Einen Misthaufen hatte er, ein währschaft Weibsbild hätte ihn in der Schürze weggetragen, dagegen aber im Jaucheloch kein Fußbad mit Behagen nehmen können, so klein war es. Wenn er was dachte, so war es bloß das, daß wenn er keine Schulden mehr hätte, er nicht mehr zinsen müsse. Das Zinsen, das war sein Teufel auf der Welt. Hier nun litten wir Hunger, ich kann nicht sagen wie. Und was gibt das für Mist, wenn man Hunger hat, denn vor dem Mist kommt doch erst das Fressen! Ich rede unmanierlich, ich weiß es wohl, aber das macht der Zorn! Zudem blieb im ganzen Stall kein Strohhalm sicher; er mochte streuen, so weit hinten er wollte, wir stüpften mit den Hinterbeinen jedes Strohhälmchen, bis wir es mit dem Maul erreichen konnten. Beim Melchen hätten wir ihm sicher die Haare vom Kopfe gefressen, wenn er deren noch gehabt hätte.

»Und doch konnte der arme Teufel uns zuweilen erbarmen. Den lieben langen Tag brauchte dieser bloß zu zwei Geschäften: zum Grasen und zum Melken. Am Abend bis spät in die Nacht und am Morgen vor Tag dängelte er seine zwei Sensen, und sobald er sehen konnte, ging er dem Grase nach mit zwei Steinfässern und vier Wetzsteinen darin und das Herz voll schwerer Seufzer. Sein Gras war wie verhexet, er konnte bloß schaben. Wie einer, der ein schlechtes Schermesser hat, immer zweimal über das Kinn fährt, so fuhr Hansli immer zweimal über den gleichen Zug, und wenn er hinter sich noch kein Gras sah, ging er zurück und schabte zum dritten Male, hielt nieder, als ob er das Gras samt den Wurzeln nehmen wollte, kehrte den Boden um, daß Gras und Erde sich mischten. Hatte er endlich eine Bähre solchen Gemengsels, eine neue Art kurzes Futter, zusammengekratzt, uns davon in den Bahren geworfen, wobei es manchmal einen Staub gab, daß wir böse Augen bekamen, begann er zu melken, daß Gott erbarm! Er mußte sich zwischen die Kühe hineinpressen wie ein eiserner Keil in einen buchenen Stock, zog uns dann fast das Blut aus dem Leibe, sich den Atem aus der Brust, daß er hinaus in die Hofstatt mußte an die frische Luft, um wieder lebendig zu werden. Hatte er sich halbtot gemolken, mußte er wieder ans Grasen hin, um uns etwas in den Bahren zu werfen, mehr für Langeweile als fürs Fressen. Ein Spaßvogel riet ihm einmal, daß wir es hörten, er solle uns grüne Brillen machen lassen, damit wir im Bahren doch etwas Grünes zu sehen bekämen. Gleich nach dem Mittagessen mußte er wieder ans Grasen hin, nachdem er sich schachmatt gedängelt hatte, um die Löcher in den Sensen zu verebnen, welche er durch sein zu tiefes Niederhalten in Steine geschlagen hatte. Wenn die Leute ihn so grasen sahen mitten in Rauch und Staub, fast wie Jehova auf Sinai, erbarmte er sie und sie riefen ihm zu: Fahrst zAcher, Hansli? Wetts nit z'guet mache! Am Abend zog er dann in fast drei Stunden mit Not und Schweiß ein Melchterli Milch heraus, meinte endlich noch, weil wir so wenig Milch gaben, wir seien ungrecht, kaufte Tränker und laxierte uns obendrein. Es war, als wolle er uns das Restchen Leben vollständig aus dem Leibe treiben.

»So verfloß der Sommer uns am Hungertuch. Im Herbst kam es Hansli in Sinn, er habe fast kein Heu auf der Bühne, ging in den Wald und schaffte einen großen Haufen Tannäste herbei. Fragten die Leute: Sorgst für den Winter, Hansli?, so antwortete er: Er hätte wohl wenig Heu bekommen, darum mache er Kries herbei; es sei wohlfeiler als Heu und doch bsunderbar gesund, es ziehe immer süferli durch. (Es ist merkwürdig, wie auf einmal die Menschen so viel auf dem Durchzug halten). Er müsse zwei Kühe mästen, mager wollten sie ihm nichts gelten, sie hätten gar keinen Preis mehr. Du mein Gott, was waren das für Aussichten auf den langen Winter, und wie trieb Hansli das Mästen! Den Kühen, welche er nicht mästen wollte, gab er um so weniger, uns Auserwählten aber mischte er zum Mästen Heu, Kries und Erdäpfel und gab es uns wohlgerüttelt ein. Dünkte ihn, sein Häufchen Erdäpfel nehme zu stark ab, sagte er: Z'stark z'trybe nütze nüt u vrstopfe gerne, er wolle ein paar Tage nachlassen und durchziehen; dann kriegten wir pures Kries. Hörte er, daß irgendwo ein alter Jude gesehen worden, welcher etwas Altes für die Straßburger suche, sagte er, die War werde bsüechig werden, sie fange an zu ziehen, er müsse pressieren mit Mästen; dann gibt es wieder Erdäpfel, bis der alte Jude verschollen ist und die Mutter sagt: Ume hübschli; wenn du mit den Erdäpfeln so wüst tust, so sind zWeihnacht keine mehr!

»So hange ich zwischen Tod und Leben. Wie es nach Weihnachten gehen soll, darf ich nicht erwarten. Darum suche ich Platz eiligst, bitte den Kalendermacher, mir behülflich zu sein. Bin eine Person in den besten Jahren. Mein erstes Kalb gebar ich zur selben Stunde, als auf dem Montbenon zu Lausanne die berühmte Leiter bestiegen wurde. Ich bin angenehm, bei gehörigem Fressen milchreich, entschieden liberal von Gesinnung und, wieder gehörig bei Kräften, vollkommen fähig, deutschen ungebildeten Mädchen Privatunterricht in welschen Manieren zu geben. Ich erwarte Ihren Beistand, wie es Ihre Pflicht ist, und wenn nicht umgehend, so doch in wenig Tagen entsprechende Antwort. Meine Adresse ist: Frau Kleb beim Krieshaufen, Gemeinde Käslige, Kanton Bern.«

So ungefähr lautete dieser Brief. Man sieht, daß die Klagen von einer beteiligten Person kommen, also sicher übertrieben sind, und aus einem ganz liberal zerrissenen Gemüte, welches Ansprüche für seine Person macht, welche weder die Welt noch Gott erfüllen wird. Aber etwas Wahres ist an der Sache. Wer zu viel Kühe hat oder zu wenig Gras im Sommer, der ist in einer sehr bedenklichen Verlegenheit; wenn sie ihm den Schweiß austreibt, so nimmt es uns nicht wunder. Nun, wer an den Winter nicht denkt, kann im Sommer sich immer helfen, aber dafür muß er dann im Winter desto heißer schwitzen, und dieser Schweiß ist schmerzlich und kostet viel Geld. Das hat schon Mancher erfahren.


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