Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Der Vorfall hatte in der Tat Felix fast aus der Haut gejagt. Einen solchen Strich durch die Rechnung hatte er noch nicht erlebt. Den ganzen Sommer hatte er sich auf diese Fahrt gefreut und oft geträumt, was man im Emmental sagen werde, wenn der Zug des Ammanns aus der Vehfreude durch dasselbe fahre, und wie Kinder und Kindeskinder noch davon reden würden. Und jetzt am Vorabend dieser wichtigen Begebenheit dieses Ereignis! Als Felix so recht tobte, daß man fast fürchten mußte, es könnte fehlen, kam seine Mutter und sagte: »Tue nicht so, mach nicht, daß die Leute Freude an dir haben! Wenn du nicht dreispännig fahren willst, so spann ein anderes ein, es sind ja Rosse genug.« »Mutter, das verstehst nicht«, sagte Felix, »mit einem zusammengeplätzeten Zug fahre ich nicht. Wenn sich nicht alles zusammenschickt, bleibe ich lieber daheim.« »Wem ist der Braune, der unserm sowohl gleicht, daß ich schon oft meinte, es sei der unsrige?« fragte die Mutter. »Der ist dem Bauer im Nägeliboden«, sagte ein Knecht, »er gleicht unserm wohl, daneben ist doch keine Gleichheit, es fehlen ihm noch hundert Mäß Hafer dazu.« »So fragt den ums Roß, er fährt ja nicht mit, und hätte er es sonst zu brauchen, kann man ihm ja ein anderes geben«, so warf die Frau Ammännin ihre Gedanken hin und ging dann weiter. Das ist keine üble Manier; die Leute können mit einem solchen Gedanken dann machen, was sie wollen; führen sie ihn aus oder nicht, so ists ihre Sache. Dem Knecht gefiel das, und er sagte: »Soll ich gehen und fragen? Dann kann ich ihn gleich mitbringen und es ist noch Zeit, ihn zwegzuputzen, daß man keinen großen Unterschied merkt.« »So geh«, sagte Felix; »aber daß du mir nicht nötlich tust und grusam anhältst. Gibt er ihn nicht gern, kann er mir Federn blasen.« Es ging nicht lange, brachte der Knecht den Braunen daher mit ganz gutem Bescheid.

Das wußte natürlich Eglihannes nun nicht. Seine Frau war auch aufgestanden, machte das Frühstück zweg, und als es sie dünkte, es sei Zeit, ging sie ans Wecken des Mannes. Aber sie hatte fast noch größere Nöten mit ihm als die Großmutter mit dem Knecht. Bekanntlich ists viel schwerer, ein Mondkalb vor der Zeit aus dem Bette zu bringen als ein Kind vor der Zeit aus dem Mutterleibe. Aber als sie ihn endlich im Schweiß ihres Angesichtes aus dem Bette hatte, war das nur ein geringer Anfang der Beschwerden der guten Frau; bis sie ihn aufgezäumt hatte zur Abfahrt, kostete das noch ganz andern Schweiß. Er grunzte wie eine alte Schweinemutter, wußte von nichts, wo es war, brüllte, als ob das Haus brenne, nach seinen Strümpfen und hatte sie in der einen Hand, während er sie mit der andern suchte; so gings mit den Hosen, und mit jedem Stücke ärger, daß seine Frau erklärte: Wenn sie nicht wüßte, daß er bald zum Loche aus käme, sie würde noch in selber Nacht katholisch. Es ist aber wirklich auch nichts verfluchter als so ein sturmer, halberwachter Mann, der in einem fort schreit, als ob man ihn am Messer hätte, der immer sucht und nie findet, dem man die Hosen zur Hand gibt, der darauf absitzt und doch nach denselben schreit wie eine Kuh nach ihrem Kalbe; dem man das Halstuch um den Hals legt und der nun nach der Frau schreit, welche ihm das Halstuch vertragen habe, als wie ein Hirsch nach einer Wasserquelle. Endlich brachte die Frau den Eglihannes zum Tisch ans Frühstück. Da nahm er seine Uhr zur Hand, die zeigte auf eilf. Nun fing er an zu fluchen, was seine Frau für eine sei, daß sie nicht wisse, was für Zeit es sei. Die Großmutter behauptete, vor Langem habe es zwölfe geschlagen, es werde weit über ein Uhr sein. Das bestätigte der Knecht, konnte es aber mit keiner Uhr beweisen; er war einer von denen, welche sich noch keine anzuschaffen vermochten. Endlich fand es sich, daß Eglihannese Uhr stand, weil er sie aufzuziehen vergessen hatte, was öfters der Fall war. »So gschir und pass' auf; wie es zwei schlägt, wollen wir abkratzen. Wirst sie wohl hören klepfen und hüstern«, sagte Eglihannes.

Der Knecht tat also. Unterdessen schoß Eglihannes noch im Hause herum, suchte seine Pfeife zusammen, putzte sie aus, da sie keinen Atem hatte, stärkte sich mit einigen Gläschen Kirschgeist. Endlich kam der Knecht herein und sagte, er könne sich nicht auf die Sache verstehen. Es düeche ihn, es sollte längst zwei Uhr geschlagen haben, und doch habe er noch keinen Ton gehört, und im ganzen Dorfe sei es so still als wie in einer Kirche, man höre nicht einmal einen Hund bellen. Er wisse nicht, was das bedeuten solle. »Lauf zur Hütte und sieh, ob die Wagen noch da sind!« rief Eglihannes, der wohl wußte, daß wenn die Jugend ihm einen Streich spielen konnte, sie es nicht sparte. Der Knecht kam voll Zorn und mit dem Bericht heimgerannt, bei der Käshütte sei kein Wagen mehr als der ihrige, und Speusepp, den er herausgeklopft, habe ihm gesagt, sie seien schon länger als eine Stunde fort.

Man kann denken, wie lieblich das dem Eglihannes tönte. Das Wetter tobte zuerst über das Haupt des Knechtes, der sich verschlafen, nicht schlagen gehört, ein Löhl, ein Kalb, ein Faulhund sei, wie keiner mehr zu finden, so weit der Himmel blau sei; wäre er einen Kreuzer wert, so hätte er die Andern hören müssen, als sie fortgefahren. Es hätte ihm in Sinn kommen sollen, er müsse aufpassen und keiner von den Hagels Bauernknubeln werde kommen und sehen, wo sie blieben. Jetzt könne er die Rosse absprengen, und es sei die Frage, ob er ihnen nachkomme! Der arme Knecht mußte unschuldig leiden, wie es so oft geht in der Welt und was keine Verfassung abstellen wird. Eglihannes, obgleich fast ein Herr und gebildet, war doch nichts weniger als merkig. Die Bursche, welche das Gespann nicht im Gefolge haben wollten, hatten ihm das absichtlich gebeizt, hatten vor Mitternacht die Wagen vor das Dorf gezogen, hatten dem Sigrist befohlen, die Turmuhr zu stellen, waren eine Stunde früher ohne Sang und Klang, so geräuschlos als möglich mit ihren Rossen abgezogen und konnten nun anspannen und fortfahren, ohne daß man im Dorfe viel davon hörte.

Es war ein recht stattlicher Zug, welcher das Land auf fuhr, und zu einigem Hochgefühl hatte man so guten Grund als viele Andere, welche ihr Haupt tragen, als sei sein Wandel unter den Sternen, weil sie einmal in Wursts seliger Sprachlehre gelesen und in einer Konferenz ein Stück von einer Rede fallen lassen. Die Leute pressierten nicht mit Fahren; nachts sah niemand ihre schönen Rosse, und daß Eglihannes sie nicht einhole, des waren sie sicher; der Pigger und der Gstabi kamen am Tage langsam vom Platz, geschweige des Nachts. Mit Tagesanbruch kamen sie in das Dorf, wo sie füttern wollten; denn das hatten ihnen die Vettern aufs Gewissen gebunden, daß sie ihnen nicht ds Herrgotts seien, ohne zu füttern hinzufahren, wie es die Kacheli- und Salzfuhrmanne machten. Dieser Ermahnung hätte es nicht bedurft. Es dünkte sie selbst, sie möchten etwas, es werde ihnen so leer, als ob sie ganz hohl seien inwendig. Und wie es ihnen ward, dachten sie, sei es auch ihren Rossen. Das waren Leute, welche noch naturgemäß dachten, dachten, wie es ihnen sei, sei es auch andern Kreaturen, welche noch Anlagen zum Sinne der Gerechten hatten, der sich seines Viehes erbarmet. Sie hatten es noch nicht wie Rechtsagenten und andere Schriftgelehrte, welche bei jedem Wirtshause ihren Durst löschen, derweilen ihre Rosse in Staub und Sonne braten, selbst Braten fressen und ihre Rosse einen ganzen Tag lang hungern lassen; Solchen ist in ihrer Gelehrsamkeit das Gefühl verloren gegangen.

Da das Wetter gut war, ließen sie nicht abspannen, fuhren bei einem Wirtshause auf, rissen die leeren Krippen herbei, schütteten Futter auf, rissen Melchtern zweg, nahmen den ganzen Platz ein, ließen die Zuvorkommenheit des Stallknechtes sich wohl gefallen, sagten ihm, als sie an ihr Morgenbrot sich setzten: »Du luegst auf sie!« Trotz diesem Wunsche ging doch bald der Eine, bald der Andere hinaus, nach den Tieren zu sehen, Futter aufzuschütten, Wasser vorzuhalten oder ein übermütiges Bein, das über die Stricke geschlagen, zu lösen, und hauptsächlich auch, um sich an der Verwunderung der Leute über die schönen Rosse zu ergötzen. Wer vorbeiging, stand still, und wer sie von weitem sah, kam näher, betrachtete die Tiere und half hin- und herreden über Wert und Schönheit derselben. Es gab auch Majoritäten und Minoritäten, doch sagte keine der andern wüst noch verdächtigten sich dieselben; man war zwar nur auf der Gasse, indessen ging es doch sehr anständig zu, viel anständiger als in der Nationalversammlung zu Paris, während man doch hätte erwarten sollen, daß dort die besten Manieren zu lernen seien, reisen zu diesem Zwecke ja so viel Rentiers, Gelehrte und Schneidergesellen hin.

Der Aufenthalt dauerte nicht allzu lange, man hatte nicht Lust, von Eglihannes sich einholen zu lassen. Sorgfältig wurden die Bogen mit dem Heu wieder zugebunden, nachdem man jeden verzettelten Halm zusammengelesen und versorgt hatte; die Krippen wurden eben nicht sanft beiseite gestellt, dann noch einmal getränkt, aufgezäumt und abgefahren. Der Stallknecht war recht artig geblieben, hatte allenthalben Hand geboten, konnte die übliche Anerkennung billigermaßen gewärtigen. »Hü, i Gottsname«, sagte der vorderste Fuhrmann und hob die Geißel; die Rosse zogen an, und muntere Sätze taten die jungen Vorrosse. »Hü, i Gottsname«, sagte der zweite, und seine Rosse tanzten den ersten nach. »Muß ich denn nichts haben, überchume ih nüt?« sagte endlich halb zornig, halb weinerlich der Stallknecht. »Sövli Müeh gha und zu allem gluegt u jetz nüt ha, selb het doch bim Donner ke Gattig! Git mr de Kene nüt?« Felix griff in Sack und gab dem Klagenden ein Sechskreuzerstück und sagte: »Da hast etwas für das Luegen, abgespannt haben wir ja nicht und selbst gefüttert«. »Nei, bim Donner«, sagte der Stallknecht, »vierundzwanzig Rosse und sechs Kreuzer! Wenn ih ume das ha soll, su will ih lieber nüt.« »Machs wied witt«, sagte Felix, »aber mehr kriegst nit«. »He nu«, sagte der Stallknecht, »su will ihs epha zum Andenken u wills no Mengem zeige u will ihne brichte, ih heyg das übercho, daß ih zu vierezwänzg Rosse gluegt heyg, u no vo Sellige, wo heyge welle Bure vorstelle.« »Su bricht«, sagte Felix kaltblütig und fuhr ab. Das zornige Gebrummel des Stallknechtes wurde durch das Rasseln der Wagen, das Knallen der Peitschen verschlungen. So was war dem Stallknecht, welcher der Liebling Vieler war, nicht bald vorgekommen. Dafür müsse einer aus den Dörfern sein, sagte er. Es nehme ihn nur wunder, daß man ihm nicht einen roten (falschen) Batzen gegeben. Es gebe Orte, wo die Stallknechte keine andere als rote Batzen kriegten. So seien die Leute und so bös die Welt. Die Sache war indessen ganz einfach. Die Vehfreudiger brauchten diesen Stallknecht weder zu ästimieren, noch hatten sie Ursache, ihn zu lieben; es war sehr zweifelhaft, ob sie je wieder bei diesem Wirtshause vorbeikamen, und geschah es, so konnten sie es auch ohne Hülfe des Stallknechtes machen, wie jetzt. Warum also unnötig freigebig sein, unnütz einen Kreuzer brauchen? Zweitens waren sie noch sämtlich nüchtern, die Anlage zum Großtun, Geld um sich zu werfen, als sei es Spreu und ihnen durchaus ohne Wert, dieweil sie daheim deren Zeug Kisten und Kasten voll hätten, war noch nicht erwacht bei ihnen; die muß erst gut getränkt werden, ehe sie lebendig wird.

Der Stallknecht stand noch immer auf der Straße, das Sechskreuzerstück in der Hand, und hielt dem versammelten Volke Vorlesungen über den Geist und die Pflichten gegen einen Stallknecht, der das Wüsteste austragen müsse, Tag und Nacht keine Ruhe und Weib und Kinder zu erhalten habe, als Eglihannes anrückte samt Pigger, Gstabi und dem angestrichenen Wagen mit den fünf Käsen auf demselben. Die Rosse sahen ganz miserabel aus und Eglihannes sehr zornig. Er fuhr den Stallknecht an wie ein Tiger einen Ochsen und fragte, ob nicht Käszüge dagewesen. »Wohl, die sind dagewesen. Gehört Ihr zu ihnen?« »Allweg«, sagte Eglihannes, »sind sie schon lange fort?« »Ho«, antwortete der Stallknecht, »wenn Ihr brav sprengt mit denen Engländern, da kommt Ihr ihnen nach, ehe es Nacht ist.« Da kam auch Zorn in das Herz von Eglihannes, aber nicht gegen den Stallknecht, sondern gegen die fahrenden Vehfreudiger. Wartet nur, euch will ich es weisen, dachte er und rief: »Stallknecht, spann ab!« So, jetzt dem noch abspannen, dachte derselbe; wenn die mit den dreißigdublönige Rosse nichts gegeben, was wird der mit diesen Kalben geben! »Chume grad«, benggelte er über die Achsel zurück.

»Was ließen sie den Rossen geben?« fragte Eglihannes, der unterdessen seine Rosse losgeknebelt hatte, was bei seinem zusammengeplätzeten Geschirre eine Art von Kunststück war. »Hatten es bei sich«, sagte der Stallknecht, »füllten da den Platz eine Stunde lang, hatte nur mit ihnen zu tun und gaben mir zuletzt für vierundzwanzig Rosse sechs Kreuzer, und hätten mir nichts gegeben, wenn ich sie nicht gemahnt. Der Teufel möchte Stallknecht sein, wenn alle solche Kunden wären.« »Gib ein halb Mäß Hafer«, sagte Eglihannes, »und reib sie ab, sie schwitzen, denn sie sind hitzig, es ist fast nicht mit ihnen zu fahren.« »Bricht mich, du Kuh«, brummte der Stallknecht, tat indessen seine Pflicht, jedoch eben nicht mit großer Freudigkeit. Als der Hafer aufgeschüttet war, sagte Eglihannes: »Komm herein und tue Bescheid! Muß den Rossen Zeit lassen, bin kein Hund, weder gegen Menschen noch Vieh.« So, das tönt besser, dachte der Stallknecht. Es ist kurios, aber es gibt selten an einem Orte gleiche Leute, es ist immer noch ein Unterschied.


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