Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Vierundzwanzigstes Kapitel

Was noch so rein gesponnen,
kommt unter Donner und Blitz an die Sonnen

Es ging wirklich nicht lange, so zeigte die Glocke an, die Gläubigen seien entlassen, und gab ihnen die Mahnung mit, daß Gottes Wort die Glocke ihres Herzens sein solle, bis aufs neue der Glocken heller Ton die Gläubigen zusammenrufe an den Brunnen des Lebens, den Trank zu empfangen, der den rechten Durst löscht in Ewigkeit. Fast noch vor den Tönen her kam der Ammann dahergerannt mit Schritten, welche die Ammännin seit dreißig Jahren nicht mehr gesehen. »Mädi, hast so nötlich getan?« sagte die Frau. »Siehe, er kommt daher wie aus einer Büchse!« »Gar nicht, Frau«, sagte Mädi; »ich habe dem Sigrist, der ja nicht meint, er müsse alle Predigten hören, bloß gesagt, der Ammann solle gleich heimkommen, es warte jemand auf ihn, dem es pressiere.« »Nun«, sagte die Ammännin, »es ist gut, daß wir etwas Wichtiges haben, sonst kriegten wir ein Donnerwetter nicht für die Kurzweil.«

Der Ammann kam wirklich daher wie aus einer Donnerbüchse; hinter ihm war noch kein Mensch sichtbar, aber vor ihm her windete es stark, und als er zur Küche einbrach, fragte er nicht, wer auf ihn warte, sondern sagte zu seiner Frau: »Los neuis«, war schon im Stübli, ehe sie noch ein Bein gehoben, rief zornig über die Achsel: »Kommst oder kommst nicht?« »He«, sagte die Frau Ammännin mit ihrem Tröster im Sacke kaltblütig, »mußte doch warten, um zu kommen, bis du es mir sagtest.« »Mach die Türe zu«, schnauzte der Mann, und als die zu war, brach aus seinem Munde ein Gewitter, wie es die Ammännin noch nicht erlebt hatte. Wie in einem gewaltigen Gewitter es bloß ein Donner ist, man selten einzelne Schläge unterscheidet, so auch in des Ammanns Gebrülle bloß einzelne Worte. Schande, scheiden, erleben, totschlagen und wüste, häßliche Worte mehr. Kaltblütig stand die Ammännin vor ihm und dachte: Brülle du nur, einmal wirst doch aufhören müssen, dann will ich dir aufwarten. Sie glaubte, der Mann habe in der Kirche, vielleicht gar vom Pfarrer, der darüber gepredigt, neue Verleumdungen gehört und sie geglaubt. »Wenn der heimkommt«, schrie der Ammann, »schlage ich ihn erst halbtot, dann jage ich ihn fort; solange ich lebe, soll der mir nicht mehr unters Dach, nicht mehr vor die Augen, eine solche Schande mir anzumachen!« Und zum Zeithäusli schritt er, wo die Stöcke verwahrt stehen, und den dicksten Dornstock riß er zur Hand und stellte sich ans Fenster. »Hätte doch nicht geglaubt, daß du so dumm wärest«, sagte die Frau, »so alt und Ammann dazu und nicht gescheiter. Glaubst alles, wie ungereimt es ist, und fragst nicht, wer es ersinnet hat.« »Was ersinnet? Niemand hat es ersinnet, wenn du es gehört hättest, du redetest anders; du hättest es hören sollen, du bist doch schuld an allem, du und niemand anders, dir sollte ich zuerst geben!« sagte der Ammann. »Gib, wenn du willst! Vielleicht habe ich unterdessen auch etwas vernommen, und vielleicht noch schrecklichere Sachen. Da lue und lies«, sagte die Frau.

Der Ammann riß den Brief an sich und sagte: »Was frag ich dem Wisch nach; es wird nichts anderes drin stehen, als ich schon weiß! Eine solche Schande erleben zu müssen! Es düecht mih, wenn ich nur hundert Klafter unter dem Boden wär! Aber zerst will ich dem noch eins auflegen, daß er sein Lebtag dran denkt!« »Brauch doch Verstand«, sagte die Frau, »und tu nit so! Ich weiß jetzt, von wem das ganze Tüfelswerk kommt und was sich desselben zu achten ist.« »Was von wem? Von ihm selbst kommt es und von niemanden anders; da wird sich dessen wohl zu achten sein!« sagte der Ammann. »Öppis Dumms eso«, bemerkte die Frau. »Mädi hat den Brief aufgelesen und gesehen, wer ihn hingelegt.« Somit tat sie die Türe auf und sagte: »So komm und red, wen hast gesehen, und wie ists gegangen? Scheue dich nicht!« »Gestern hatte ich den Dürlauf, ich erbte ihn von der Frau -« begann Mädi. »Willst schweigen mit deinem Dürlauf und mit dem andern Gstürm!« rief der Ammann. »Ja, freilich hat er es selbsten gesagt, und zwar mitten in der Kirche vor allen Leuten hat er es gesagt. Oh, wenn sich doch nur der Boden aufgetan und alle verschlungen hätte!« »Was? Wer? Was gesagt?« fragte die Ammännin ganz verwundert. »Üse, ja üse Felix hat mitten in der Predigt laut, daß es alle Leute hörten, gesagt: Änneli, gimm mr es Müntschi! Der Pfarrer ist ganz verstummt, alle Leute lachten und sahen die Dirne, der Nägelibodetäsche ihre Schwester an, die war auch da und der Bauer auch, und das habe ich hören müssen und habe sehen müssen, wie die Leute gwunderten, was ich für ein Gesicht mache, und wenn du mich beim vorigen Brief hättest machen lassen, hätte ich das nicht erlebt! Ich habe Lust, dir mit ihm deinen Teil zu geben!«

Die Ammännin stand fast da wie Lots Weib, sie bewegte bloß die Arme langsam auf und ab. Sie setzte sich endlich und sagte. »Nein, jetzt ist mir nicht mehr zu helfen, ist das erhört worden: Änneli, gimm mr es Müntschi! Aber das hat Felix nicht gesagt, das sagte ein Anderer, so einer ist er nicht.« »Hab es selbst gehört, sag es niemanden nach. Was weiß einer, was er sagt, wenn er schläft!« zürnte der Ammann. »Und warum durfte das Meitschi nicht mehr aufsehen und plärete die ganze Predigt? Das konnte man ja schon im ersten Briefe merken, warum ließest mich nicht machen!«

Mädi war hinausgeschossen, um bei Stüdi, welches in der Kirche gewesen, das Nähere zu vernehmen. Es war zu lange im Hause, um nicht zu begreifen, daß es im Stübli überflüssig sei. Da vernahm es das Schreckliche, wie, als der Pfarrer eine Pause gemacht, plötzlich von der Vorlaube her eine Stimme gekommen sei: »Änneli, gimm mr es Müntschi«; wie das niemand anders gewesen sei als Felix, den man schon früher habe schnarchen hören. Stüdi hätte sich auch geschämt für Felix, denn die Leute hätten grusam gelacht und gleich gewußt, wen es angehe; das Meitschi hätte es auch gemerkt und sei fast gestorben. Kein Mensch würde dem ansehen, wie das ein Täschli sei. Es hätte es ihm gönnen mögen, das werde ihm, so Gott wolle, sein Lebtag nachgehen. Wenn es einen guten Blutstropfen im Leibe habe, mache es sich noch heute hier fort, daß es kein Mensch mehr erblicke. Das war die allgemeine Meinung unter dem Gesinde, und Felix erbarmte sie, daß ihm das entronnen, der Alte werde ihm das lange nicht vergessen.

Endlich kam Felix auch daher. Er hatte natürlich nicht gewußt, was er gesagt und warum ihn die Leute mit ihrem Lachen aufgeweckt. Nach der Kirche sagte man ihm, was er gemacht und wie ihm daheim ein Wetter warten werde. Man hatte vor ihm hinter dem Meitschi her gelacht, das vor allen Andern heimlief, ungefähr wie der Ammann. Das gute Meitschi hatte die Kaltblütigkeit nicht gehabt, sich unbefangen zu stellen, als gehe ihns alles nichts an. Es kannte Felix' Stimme und den Zauberspruch und meinte, alle Leute müßten wissen, was er zu bedeuten hätte und wen er anginge.

Felix lachte über die Geschichte nicht, seinen Alten fürchtete er nicht so sehr, aber das Meitschi erbarmte ihn; es war ihm lieber, als er wußte. Was machen? dachte er bei sich, Leugnen hilft nichts. Was will ich mehr und Besseres, und ist das nicht der beste Anlaß, zu sagen, was ich will und wobei es sein Verbleiben haben muß! Die Mutter ist nicht zu fürchten, und der Vater, wenn es einmal versurret hat, nicht viel. Eine Brävere und Hübschere bekomm ich nicht, was habe ich dem Gelde viel nachzufragen! Die wird sich der Mutter unterziehen und bringt den Streit nicht ins Haus, und Friede ist ja nötiger als Geld. Das überschlug Felix auf seinem kurzen Weg, rasch im Entschluß war er immer, und für gute Gedanken war auch der Boden in ihm.

Die Mutter erschrak sehr, als sie Felix kommen sah. »Dr tusig Gottswille, tue ihm nichts«, sagte sie zum Ammann. »Er ist zu alt zum Prügeln; du weißt, wie er ist, es könnte ein Unglück geben, und mach du jetzt das Gerede nicht noch größer, es wird schon groß genug sein. Denk, wie werden die Leute lachen und eine Freude haben, Eisi im Dürluft und Eglihannes, wenn es hier bei uns Lärm geben täte und wir mit dem Sohne Unglück hätten! Sinn doch daran, was wir für einen Griff in Händen haben gegen die Dürlufteise und wer weiß, wen noch!« »Du bist immer die Gleiche, redst dem Kerli immer z'best; wenn er dir den Kopf abriß, du grännetest ihm noch z'best«, sagte der Ammann mit zorniger Stimme; »wohl, der muß seine Heiligen haben.« Tausend Pfund auf der Stelle hätte die Ammännin dem Mädi gegeben oder versprochen, wenn es dem Felix hätte abwinken können, daß er für heute sich schiebe und dem Vater nicht unter die Augen komme. Wenn der Vater nicht so schrecklich getan, so wäre sie böse geworden; jetzt aber war die Angst über den Zorn gekommen, darum merkte sie auch die bedeutende Änderung in des Ammanns Stimme nicht.

Draußen warteten ohne der Ammännin Winken schon dienstbare Geister, welche Felix zuflüsterten: »Mach dich fort, verbirg dich, der Vater tut, es ist schrecklich; es weiß kein Mensch, was er mit dir anfängt« usw. »Wo ist er?« fragte Felix. »Im Stübli«, hieß es. Dahin ging Felix alsbald, gäb wie die Mägde schrien: »Nit, nit, es gibt ein Unglück! Felix, denk, Felix, bis witzig!« Als solch Bitten nichts half, da waren sie drauf und dran, zu weinen, schlugen die Hände zusammen, Zwei mußten absitzen vor Angst, die Dritte hielt das Ohr an die Stüblistüre. Im Anfang hörte man des Ammanns zornigen Donner und Felix' festes Wort. Die Dritte verstand etwas von Lumpenbub, Schande, Mensch, Dirne, von Fortgehen, Karrer sein, allem nichts nachfragen, bräver als Keine, dann immer weniger und am Ende gar nichts mehr, obschon zuletzt alle Drei an der Türe horchten. Endlich hörten sie sagen: »Das Essen wird zweg sein, nicht dergleichen tun; nachmittags ist noch alle Zeit.«

Husch, wie wenn ein Stein unter Tauben fährt, fuhren die Mägde auseinander, zwei zu zwei Türen aus, Mädi an den Herd, aber geschehen war geschehen, das Sauerkraut bränntete lästerlich wie nie. »Aber Mädi, was machst, was sinnest!« rief die Frau, als sie in die Küche trat, »das stinkt ja, es wird einem fast gschmuecht, das darf man nicht aufstellen!« »Warum nicht?« sagte Mädi, »es stinkt ein wenig, aber es ist daneben doch gut, man ißt es ja nicht mit der Nase, und fuehret gleich gut, gäb bränntet oder nit bränntet. Aber ich habe emel pläre müssen für den Felix; ich glaubte, er schlage ihn zTod.« »Du redst nichts davon«, sagte die Frau, »hörst, sonst gibts Verdruß!« »E Frau, was denkt Ihr auch! Ich kann schweigen ohne zentnerigen Stein auf dem Maul. Aber sagt mir, was hat er gesagt wegem Brief? Und wegen dem Wort wird er Felix nichts tun? Wenn der schon ein Kind haben muß, was macht ihm das! Das Mannevolk ist gar wüest hürmehi, und wenn Kinder müssen sein, so ists doch allweg besser ledig, als wenn sie Weiber haben.« »Richt du an«, sagte die Frau, »so kriegt man den Sauerkabis bald aus der Nase, das Andere wirst bald vernehmen.« Mädi mußte sich fügen, obgleich es zehnmal lieber den Dürlauf als Geduld gehabt hätte. Aber das ist eben das schreckliche Verhängnis, welches über der dienenden Klasse schwebt, daß sie nicht immer das haben kann, was sie am liebsten hätte, sondern manchmal ganz was anderes.

Man aß zu Mittag, das ganze Haus wie immer an einem Tische. Da merkte man nichts Besonderes als hie und da eine gerümpfte Nase über den Sauerkabis. Bemerkungen über das Essen sind nicht zulässig, wenn Meister und Meisterfrau selbst am Tische sitzen; auch diese sagen selten etwas vor allen Andern. In der Anwendung der Kritik wird in Bauernhäusern mehr Maß gehalten als unter den Gebildeten. Der Meister sagte bloß, er liebe den Sauerkabis, aber unbränntet, ein andermal solle man nicht Mühe haben mit Brännten, wenigstens seinetwegen nicht, und den Andern werde es wahrscheinlich auch so sein. Darauf sagte die Meisterfrau, sie hätte auch schon bessern gehabt, doch sei er zu essen, wenn man ihn nicht zu lange schmecke. Für heute müsse man sich drein schicken, es werde hoffentlich nicht alle Sonntage gleich gehen. Als nach dem Essen bestmöglichst reines Feld gemacht, das Eine hie aus, das Andere dort aus versandt war, fanden sich die drei Hauptpersonen wieder im Stübli zusammen.

Am Morgen hatte, wie angedeutet, die Mutter den Vater bereits entwaffnet gehabt, als sie ihn an die Freude erinnerte, welche die Leute über einen Spektakel in ihrem Hause haben würden. Doch war noch großer Zorn da, und Felix ward nicht schlecht angedonnert. Der war fest, daher ruhig. Was geschehen, sei ihm leid, aber er vermöge sich dessen nichts; schon Manchem sei im Schlafe etwas entfahren. Das Meitschi sei ihm halt lieb, und er möchte es heiraten; besser zu machen wisse ers nicht, und die Mutter habe selbst großes Wohlgefallen an demselben und gesagt, es sei ihr nicht bald ein anständigeres Meitschi vor die Augen gekommen. »Du wüster Bub du«, hatte darauf die Mutter gesagt, »jetzt soll ich dran schuld sein! Wenn mir schon eine für Jungfrau gefällt, so ist es dann noch lange nicht gesagt, daß ich sie zum Söhniswyb möchte.« Der Ammann sagte: »Warum nicht gar des Polizeiers Tochter oder das erst best Tschaggeli (Bettelmensch) von der Gasse als das schlechte Mensch, wo du mit Schein schon lange ein Zaagg (geheimer Umgang) mit ihm gehabt! Schäm dich in dein bluetig Herz hinein!« Darauf hatte Felix erklärt, das Meitschi sei nicht schlecht, Geschleipf hätte er keins mit ihm gehabt, das Meitschi sei bräver als alle, welche er kenne, und wenn es nicht so brav wäre, so würde er heute kaum das gesagt haben. Eben darum wolle er es heiraten, er möchte nicht, daß es dem Meitschi sein Lebtag vorgehalten werde. Und als der Vater gedroht, er müsse ihm lieber aus dem Hause, als daß er das zugebe, hatte der Sohn gesagt, das solle er machen, wie er wolle. Er könne an einem andern Orte auch sein, als Karrer wolle er schönen Lohn verdienen, und es seien Andere mehr, die aus Knechten doch Bauern geworden, und zwar rechte. »Ja, saubere, andern Leuten die Buben zu locken und verführen; denen will ich den Marsch machen, daß sie an mich denken sollen!« begehrte der Ammann auf. »Da, kannst es ja lesen!« Als Felix jetzt in Zorn geriet, brach die Mutter ab und schützte das Essen vor und daß man die Diensten nicht müsse warten lassen, daß sie die Sache kalt bekämen. Es war ihr darum, daß die Gemüter erkalteten.


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