Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Es ist kurios, seit einiger Zeit nehmen Männer von Kindern Gewohnheiten an, was eigentlich ganz natürlich ist, da die Jungen alles in allem sind, des Vaterlands einziger Trost und Hoffnung, die Alten gar nichts. Gibt man nun so einem Buben die Erlaubnis zum heiligen Abendmahl, so meint dieser nicht, er habe damit die Erlaubnis empfangen, als ein im Geiste geborner Christ zu leben und teilzunehmen an den dazu notwendigen Stärkungen des Geistes, sondern er meint, er habe nicht bloß die Erlaubnis erhalten, an allen Ausschweifungen der Erwachsenen teilzunehmen, sondern die Berechtigung, in allem es am ärgsten zu treiben über alles Maß hinaus. Gerade so geht es gewissen Leuten, wenn sie an die Regierung kommen, das heißt Beamten werden. Sie scheinen im Wahne zu sein, in ihrer Wahl liege die Berechtigung, um keine Gesetze mehr sich zu kümmern, ja die Pflicht, zu zeigen, wie man Gesetze mit Füßen trete, die Pflicht, dem Volke vorzuhudeln, vorzusaufen usw. Kuriose Ansicht! Wird wegen der Bildung, der Freisinnigkeit, dem entschiedenen Fortschritt so sein müssen.

So ward also Eglihannes grimmigen Gemütes gegen die, welche es mit der Milch noch viel ärger treiben sollten. So viel begriff er von der Sache, daß wenn dem also sei, an ihrem Käs nicht viel Gutes sein könne, und er begehrte eine Käsgemeinde.

Es war große Spannung in der Vehfreude an diesem Abend. Begreiflich nahm es alle wunder, welches die verfluchtesten Bschyßhüng seien, und jeder dachte: Mich sollen sie wenigstens nicht erwischen, denen will ich schlau genug sein. Am ruhigsten waren die mit saubern Gewissen, und Solche gab es doch auch.

Ein Fremder hätte jedoch von dieser Aufregung nichts gemerkt. Die Mannen schienen noch einmal so langsam zu trappen, standen alle Augenblicke still, stopften mit allem Behagen die Pfeifen, schlugen Feuer und wieder Feuer, brachen Zweige von den Weiden und putzten die Röhrlein, dieweil sie zugeharzet waren, und sehr spät war es, als die Versammlung eröffnet werden konnte. Der Senn sei aufs neue klaghaft, sagte der Hüttenmeister, wegen schlechter Milch, und es sollte, denke er, darum zu tun sein, die Sache zu untersuchen. Vielleicht sei etwas daran, vielleicht auch nicht, man könne es nicht wissen, dSach könne an manchem Orte fehlen.

Nun saßen sie alle da, zogen an den Pfeifen, Viele hatten die Ellbogen auf die Knie gelegt und streckten den Kopf darüber weg wie Enten, wenn sie Futter schnäbeln, und großes Schweigen herrschte. Es war aber auch eine eigene Sache mit dieser Versammlung. Man denke sich einmal einen Rat oder so etwas, versammelt, um zu Gerichte zu sitzen über sich selbst und die Klage zu untersuchen, er habe Schelme in seiner Mitte. Und die Klage ist keine politische Parteiklage, es stehen nicht Parteien gegen einander, sondern die Klage ist von einem Angestellten erhoben, und mehr oder weniger sind alle damit beschlagen, und zwar doppelt, sowohl von der Anklage als vom Schaden, Viele in der Lage, daß einer zum Andern sagen kann: »Nit, nit! Es ist genug, wenn ichs mache; machst du es auch noch, so könnte die Sache fehlen.« Also noch viel schlimmer als im englischen Parlament, wenn es über Wahlbestechungen richten soll, ging es hier zu. Man denke sich die Gesichter, welche die sämtlichen Ratsherren machen, jeder auf das Scheltwort paßt, keiner anfangen will, jeder mehr auf das Loch denkt, durch welches er schlüpfen will, als darauf, wie er die Andern fange, bis vielleicht auf einige Rechtskundige, welche es schon mehr als einmal erlebt, daß den Unverschämtesten es am besten ging und wer am frechsten lügen, Unschuldigen seine eigene Schuld in die Schuhe schieben konnte. Wer das sich so lebhaft vorstellt, der hat auch die Käsgemeinde in der Vehfreude vor Augen.

»Seh«, sagte der Präsident,»was ist da zu machen, gebt nun eure Meinung!« »He, du bist Präsident und wirst wissen, was im Reglement ist. Wirst es nicht haben wie die, wo nach dem Gesetze verfahren sollen und das Gesetz nie angesehen haben. Sag du, was ist geschrieben?« bemerkte einer. »He, da ist das Reglement, könnt es selber lese«, antwortete der Präsident. »Oder du, Eglihannes, lies du es ab. Aber es fragt sich nicht, was im Reglement ist, sondern ob die Sache so ist, wie der Senn sagt, und der Fehler nicht an einem ganz andern Orte ist, selb ist die Frage.« Da erhob sich Eglihannes, der Sekretär, welcher den Hüttenmeister immer auf dem Striche hatte, und sagte: Er glaube nicht, daß dieses die Frage sei. Der Senn werde wissen, was er sage; wenn ers nicht wisse, wer es dann wissen sollte? Wer sich darauf verstehe, das möchte er wissen! Er hülfe den Senn rufen, den solle man bschulen, und zwar recht; der solle sagen, wem er die Sache traue, mit denen solle man dann nach dem Reglement verfahren. Da stand der Vater des jungen Naseweisheit auf und sagte: Das helfe er auch, er sei kein Lumpenhund, er sage nicht Reglement hin, Reglement her; die Sache müsse ihm sauber gehen, wenn er mit Freuden dabeisein solle. Aber vor allem hülfe er untersuchen, ob man dem Senn trauen könne, ehe man ihn die Leute verdächtigen lasse, der Senn müsse auch sauber sein. Er hätte einen Ton von Nidle gehört, er wisse nicht, ob sie bezahlt worden oder nicht, und wenn man alle Bräntli und alle Fausterli (Bräntchen, die man in der Hand trägt) untersuchen würde, welche man aus der Käserei trage, er glaube, man fände noch etwas anderes darin als Käsmilch oder Ankenmilch. Daneben wolle er nichts gesagt haben, er unterziehe sich dem Mehr, aber es düeche ihn, der Hüttenmeister, der Kassier und seinethalb auch der Sekretär sollten etwas besser aufpassen, wofür habe man sie sonst?

Eglihannes fuhr auf, als hätte ihn eine Wespe gestochen, und war im Begriff zu sagen: Wenn einer sage, er habe Nidle wegtragen lassen insgeheim, so lüge er wie ein Schelm und Spitzbub. Worauf natürlich große Heiterkeit entstanden wäre und der Präopinant geantwortet hätte: Er hätte einmal einen Ton gehört, wenn man einen Bengel unter die Schweine werfe, so schreie nur dasjenige, welches getroffen worden. Daneben wisse er nicht, ob es so sei, aber er hätte es einmal erzählen hören. Aber Eglihannes hatte an selbem Tage noch nichts getrunken, er war noch schlau genug, sich zu mäßigen, er sagte daher: Es stehe im Reglement nichts davon, daß der Sekretär mit der Aufsicht etwas zu tun habe, und es sei auch nicht nötig, es schienen deren genug zu sein, welche aufpaßten, sie würden Ursache haben, es zu tun; daneben sei es ihm ganz recht, das zeige eben, daß eine Untersuchung sein müsse. Wenn von allen Seiten gefehlt zu werden scheine, so werde man es doch nicht so gehen lassen, sondern wissen wollen, wo der Fehler sei. Er trage daher darauf an, eine Kommission zu ernennen, welche die Untersuchung machen solle, unparteiisch, gehe es an, wen es wolle.

So eine Kommission (oder Ausschuß, wie man es auf dem Lande zu nennen pflegt) ist ein Allerwelts-Kummrzhülf und zumeist das Punktum hinter der Sache. Gewöhnlich geschieht von drei Dingen eins: entweder kommt der Ausschuß nie zusammen, oder er kommt zusammen, aber rapportiert nie, oder er rapportiert, aber es wird sonst nichts daraus. Zuweilen wohl geschieht auch ein Viertes: es wird dem Bericht Folge gegeben, aber welche! Er hätte nichts wider einen Ausschuß, sagte ein Dritter, er hülfe auch einen machen. Aber dann solle der sehen, was er mache, nicht die Einen dareinstoßen und vielleicht selbst nicht sauber sein. Es komme alles darauf an, daß man die Rechten wähle; da könne man sich in acht nehmen, was man mache. Daß dann hierbei etwa Partei getrieben werde, daß man auf die Einen drücke und den Andern durch die Finger sehe, selb wäre ihm lieber nicht. Allweg hätten es die am besten, welche in der Kommission seien, die müßten dumm sein, wenn es sie treffen sollte.

Er wolle ihn gleich in die Wahl tun, sagte Eglihannes, er könne dann erfahren, wie angenehm eine solche Untersuchung sei, wo man sich in alle Wege unwert mache. Finde man etwas, solle man parteiisch sein, finde man nichts, so sei man bestochen, habe nichts finden wollen. Man möge es machen, wie man wolle, so sei es nicht recht. Das gehe nicht so, ein geheimes Mehr müsse gemacht sein, hieß es. Es sei ja noch nicht abgestimmt, ob man eine Kommission wolle oder nicht und was für eine, sagte man von anderer Seite her. Ob denn eine Untersuchung erkannt sei? sagte der Ammann, selb möchte er wissen. Sie führen ihm da in der Sache herum wie der Metzger in der Kuh, bis er den Schwanz bei den Hörnern suche.

Da fuhr ein Kopf zur Türe herein und rief. »Los neuis!« Es war der Kopf der Frau Ammännin, deren Rufe der Ammann alsbald folgte. »Machit numme«, sagte er,»es ist mir gut«. Aber begreiflich ward nichts gemacht, sondern bloß geredet, und wie still es anfangs auch gewesen war, so war jetzt Muckeln und Brummeln allgemein. Offenbar war die öffentliche Stimmung die: so hätte man es mit den Donners Schelmen, wenn die Sache nicht laufen wolle, sollten die Bauern schuld sein, der Senn mache sich hintersich draus. Es sei doch begreiflich, daß es nicht ihre Schuld sei, wenn es bös gehe; so dumm seien sie doch wirklich nicht, wenn sie schon die dummen Bauern heißen müßten. Der Schluß hatte etwas von Logik an sich, aber nur den Schein. Es meinte nämlich nicht einer, daß das, was er mache, dem Ganzen schade, und zudem hatte eigentlich auch nicht einer einen Begriff von der Sorge für das Ganze. Die Bauern sind in der Regel alle Sonderbündler, jeder hat nur zunächst das eigene Interesse im Auge, gehe es dem Ganzen, wie es wolle. Er ist ein Mensch des Augenblicks, einen kleinen augenblicklichen Vorteil nimmt er, fragt nicht, wie groß der Schaden am folgenden Tage sei, wieviel Batzen um des gewonnenen Kreuzers willen am folgenden Tage zugrunde gehen werden.

Bald kam der Ammann wieder und sagte: »He, habt ihr gewählt, wer ist im Ausschuß?« Sie hätten noch nichts gemacht, erhielt er zur Antwort, man hätte ja noch nicht abgemehret, was man wolle. Da werde man nicht die Wahl haben, sagte der Ammann und Hüttenmeister. Untersuche man nicht, so stütze sich der Senn darauf, mache, was er wolle, und sage am Ende, er hätte die Anzeige zu rechter Zeit gemacht, warum man nicht untersucht habe? Diese Einsicht hatte die Frau Ammännin ihrem Ehegemahl in aller Eile beigebracht. Sie hatte im Stübli die Verhandlung angehört und war fast aus der Haut gefahren über die Dummheit der Männer, welche nicht mit beiden Händen nach einer Untersuchung griffen. »Wenn mir einer sagt, immer den Dümmsten, das größte Babi mache man zum Ammann, so sage ich ihm: du hast recht«, hatte sie ihrem Manne gesagt. Sie hatte, im Ganzen genommen, eine Untersuchung nicht zu fürchten, sie war eine ehrliche Frau, und wenn es nirgends schlimmer gegangen, wäre eine Untersuchung kaum beantragt worden. Sie wehrte dem Melker, doch nicht allzu strenge, daß er zuweilen mit Wasser nachhalf, um der Höchste zu bleiben, aber Käsmilch oder kranke Milch hätte sie doch wirklich nicht unter die gute mischen lassen. Aber sie war eine Frau, das heißt gwundrig und als Ammännin, die berechtigt war, alles zu wissen, noch gwunderiger als andere Weiber. So eine Untersuchung, wo man alles vernahm, was allenthalben in den Häusern ging, und wo ihr Mann, versteht sich, auch dabei war, das hatte sie noch nie erlebt, das war was Göttliches. Überdies haßte die Ammännin den Eglihannes und seine Frau bitterlich. Seit Jahren hatten ds Ammanns den ersten Rang im Dorfe behauptet, so einen Eglihannes und sein Weib im Saubrunnen hätten sie nicht mit dem Rücken angesehen. Nun aber bildete sich Eglihannes ein, weil er in der Reihe der Beamteten über dem Ammann gestanden, sei und bleibe er über ihm in alle Ewigkeit, und seine Frau war ganz gleicher Meinung. Beide machten Anspruch auf den ersten Rang in der Vehfreude. Eglihannes widersprach dem Ammann, machte Partei gegen ihn; Frau Eglihannese plagte die Ammännin, legte zu gleicher Zeit die Wäsche ein, stach ihr die Waschweiber ab, verköstigte und bezahlte sie besser, trieb in allem großen Prunk, redete beständig von ihres Mannes großem Einfluß und Ansehen. Wem er z'best rede, dem sei geholfen, und nur an ihm stehe es, wieder ans Brett zu kommen, und so hoch er begehre. Aber er begehre nicht, es sei ihm wohl so, er habe zu leben, mehr als man glaube, wenigstens tauschten sie mit niemanden hier in diesem Lumpenloch.

Dieses alles kaltblütig zu ertragen, wäre einer Frau Ammännin zu viel zugemutet gewesen. Nun tat die Frau Ammännin wirklich auch ihr Möglichstes, dem Streben der Frau Eglihannese vorzubeugen. Alle Lumpenstücklein von Eglihannes hatte sie an einen Faden gezogen, und diesen hatte sie beständig bei der Hand, bei jeder Gelegenheit brachte sie die passendsten an, und über jedes neue, welches sie vernahm, hatte sie eine Freude wie über das größte Geschenk, und über alles Dumme, was die Frau Eglihannese sagte (Schlechtes machte die Frau eigentlich nicht), hatte sie eine doppelt so große Freude. Selten kam ein Bettelweib vor das Haus, welches nicht eine Anspielung auf Eglihannese vernahm. Nun hatte die Frau Ammännin schon früher einen Ton von der Nidle gehört, und zwar durch Frau Eglihannese eigene Magd. Die Frau Ammännin, welche sich als die erste Staatsperson im Orte betrachtete, hielt es nicht allein für keinen Fehler, sondern für eine Pflicht, zu vernehmen, was in der Vehfreude vorgehe, natürlich um allfällig Bösem vorbeugen zu können. Sie hatte daher ein offenes Ohr, eine offene Hand und einen süßen Mund für jede Dienstmagd, welche in ihren Bereich kam und ihr etwas Neues erzählen wollte. Ein ganz besonders trauliches Verhältnis fand zwischen ihr und Eglihannese Magd statt; sie wußte sicher bestimmter, wann und wie Eglihannes heimkam, als die Frau Eglihannese selbst. Diese Magd hatte der Frau Ammännin gesagt, sie brauchten bei ihr seit einiger Zeit viel Nidle, und sie hätte einmal einen Ton gehört durch die Türe, wie sie gelacht über die Weiber, welche über Mangel an Milch klagten. Sie hätten auch nicht viel Milch, aber wenn man Nidle genug habe, frage man der Milch so viel nicht nach, habe Eglihannes gesagt. Darum hing die Frau Ammännin so an einer Untersuchung. Die gute Frau kannte den Lauf solcher Untersuchungen noch nicht.

Eglihannes stüpfte den Peterli im Dürluft und gab ihm an, er solle sagen, es brauche ja eigentlich keine besondere Kommission, man solle den drei Beamteten, Hüttenmeister, Kassier und Sekretär, den Auftrag geben. Das war dem Ammann nicht recht, denn auf den Eglihannes wäre er gern zDorf gegangen; das konnte er nicht wohl, wenn derselbe auch in der Kommission war. Er sagte daher, man solle eine ganz neue Kommission wählen, welche ganz unparteiisch sei. Vielleicht daß ja einer oder der Andere von den Beamteten sich auch verfehlt hätte. So sprach der Ammann, und weil es der Ammann sagte, so tat man so und wählte zu des Ammanns großem Ärger ihn auch nicht in den Ausschuß. Es war das erste Mal, daß er zornig war, weil man machte, was er riet.

Man wählte aber auch den Kassier und Sekretär nicht. Starke Ursache hatte man zum Glauben, es habe jeder sich selbst die Stimme gegeben und neben sich Solchen, von denen man bestimmte Nachricht hatte, daß sie das Pulver nicht erfunden. Solche wurden auch in den Ausschuß gewählt.


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