Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Drittes Kapitel

Der Ratschluß wird ausgeführt, die Käsgemeinde bildet sich, die Käsehütte entsteht

Acht Tage lang blickten keine freundlichen Sterne über der Vehfreude. Die Männer gingen umher wie wandelnde Brummelsuppen und hatten Gesichter, als ob man sie flüchtig mit einem Besenwurf beschmissen. Die Weiber glichen verstopften Schlüsselbüchsen, sprühten Funken wie glühendes Eisen unter dem Hammer, und die Kachelträger behaupteten, niemals so gute Geschäfte gemacht zu haben in der Vehfreude als in selber Woche. Indessen ging die Sache doch nicht hinter sich. Da die meisten Männer beteiligt waren, so schämte sich jeder, zurückzustehen. Kühe fanden sich mehr als genug, denn an solchen ist gottlob selten Mangel im Bernbiet. Die sämtlichen Anteilhaber, von denen jeder so viel Rechte hatte an der Käserei als Kühe, von denen er die Milch versprach, bildeten die Käsgemeinde, eine ganz eigentümliche Art von Gemeinden, deren in keinem Gesetzbuche gedacht ist. Diese Gemeinde entwirft sich ihre Statuten und ein daheriges Reglement souverän, und eine der schönsten Bestimmungen, welche fast allenthalben gilt, ist die, daß zwischen den Anteilhabern keine Prozesse stattfinden, sondern alles durch die Gesellschaft bald in dieser, bald in jener Form ohne alle Appellation zu Tod und Amen entschieden werden soll. Solche Bestimmungen wären noch anderwärts kommod anzubringen.

Die Statuten enthalten die Bestimmungen über die Bildung der Gesellschaft, die Rechte und Pflichten der Gesellschaftsglieder zu einander und namentlich auch die, daß kein Glied der Gesellschaft seine Rechte willkürlich veräußern kann, an wen es will. Will oder muß einer seine Rechte verkaufen, muß er sie der Gesellschaft selbst anbieten. Das Reglement befaßt sich mit den Behörden, Angestellten und der Verwaltung überhaupt. Während die Statuten stabil bleiben, kann man das Reglement immer verändern oder mit Zusätzen vermehren, denn man lernt nie aus und Erfahrung bringt Wissenschaft. Der beste Artikel im Reglement, namentlich in Beziehung auf Milchlieferung, ist und bleibt jedoch immer ein tüchtiger Senn mit Ehre im Leibe, der weder mit einem Bauer noch einer Bäuerin noch deren Töchtern unter einer Decke steckt. Ein guter Senn hat eine feine Nase, kennt genau die Milch, weiß ziemlich, woher gute kommt, woher schlechte. Nun ist einem guten Senn an seiner Ehre gelegen. Weit und breit werden die Käshütten bekannt, aus welchen die teuersten Mulch verkauft wurden (Mulch heißen nämlich die sämtlichen Käse, welche in einer Saison, das heißt von Mai bis Oktober, aus einer Hütte kommen). Ebenso weit erzählt man sich von den Mulchen, welche am schlechtesten oder gar nicht verkauft werden. Je teurer das Mulch, desto besser der Senn, je besser der Senn, desto höher sein Lohn, desto größer das Verlangen, oft von weither ihn zu erhaschen und wegzulocken.

Es ging eine große Zeit über Vehfreudigen auf, als ein bedeutender Teil seiner Bürger zu Gesetzgebern geriet und Statuten und Reglement ersinnen sollte. Nun, man half sich, wie man sich hilft, wenn man Verfassungen machen soll und selbst nichts davon versteht: man ließ sie von andern Orten her kommen. Aber nun war doch nichts gut genug; jeder wollte noch was hineinschmuggeln und erlisten, von dem es ihn düechte, es wäre kommod für ihn und ein Lätsch (Strick) um den Hals für Andere. Sehr interessant und belehrend wären die daherigen Verhandlungen, aber leider wurden sie durch keinen Stenographen der Mit- und Nachwelt überliefert. Das Ding wollte gar nicht vom Fleck. Redete man von A, sprang einer über zu Z, und hatte man B gemacht, so ergab sich, daß der B zu A gar nicht paßte, man bei A wieder anfangen mußte. Endlich fiel jemanden ein, im Verfassungsrate hätten sie Ausschüsse gemacht und Vorberatungen angestellt, und was Sellig getan, werde hier auch gut sein. Also geschah es, und endlich brachte man was zweg, und zwar etwas, von dem die Vehfreudiger sagten. Wes das nit heyg, su heygs de nüt meh uf Gottes Erdboden. Aber es war eine schwere Zeit, diese Geburtszeit; die Weiber klagten immer bitterer, daß die Manne nie heimkämen, und kämen sie endlich, so röchen sie nichts, schmöckten sie nichts, sie wüßten nicht einmal, sei man da oder nicht, und wenn die Weiber sich hinaus in den Schweinestall betreten, sie frügen nicht einmal, wo sie wären.

Darauf kamen die Wahlen: Hüttenmeister, Kassier und Sekretär. In der Vehfreude wohnte ein Kerl, der aus einem Pädagogen zu einem Schreiber geraten und dann auch leider Gott zu einem Amt gekommen war. Er gehörte unter die Sorte von Amtsbesitzern, welche allerdings am meisten aus dem Schreibervolk gespiesen wird, welche meinen, um volkstümlich zu sein, müsse man ein Saukerl sein und als Saukerl renommieren, um als liberal zu gelten, müsse man göttlichen und menschlichen Gesetzen Hohn sprechen, um sich beliebt zu machen, müsse man vorangehen im Bruch der Gesetze, welche zu handhaben man geschworen hat, müsse, wie ein Seiltänzer auf dem Seil, auf dem Meineid tanzen, mit täglich wiederholtem Meineid sich bei Brot erhalten. Von Anstand, Ehrgefühl, Rechtlichkeit oder gar Religion war bei diesem Kerl auch nicht die blasse Spur. Er besaß leider Gott ein Amt, machte damit Geld, ward dabei ein immer ärgerer Saukerl, bis endlich der Tag kam, wo man ihn wie ein altes, stinkendes Pfeifenröhrchen auf den Ghüderhaufen warf. Wahrscheinlich wußte er nicht, wo Paris war, sonst wäre er dort als Lumpensammler und Schelmenfreund am besten an seinem Platze gewesen. Dieser Mensch, welchen man Eglihannes nannte, hatte ein Gut gekauft in der Vehfreude, welches der Volkswitz Saubrunnen getauft. Dieser Mensch hatte nämlich einen Freund, Schützenbock genannt, sie hatten lange neben einander gearbeitet und liebten die Egli sehr. In dem Raume zwischen zwei Zwischentüren, welche ihre Stuben schieden, hatten sie sehr oft ein Gericht Egli, Beiden zu Diensten, je nachdem sie die Lust ankam. Im Brunnen, einer Art von Springbrunnen bei Eglihannese Gut, sollen mehrmals Hosen ausgeschwenkt worden sein von Solchen, welche so besoffen heimkamen, daß sie nicht wußten, waren sie in den Hosen oder außerhalb denselben. Obs der Schützenbock tat oder der Eglihannes, wußte man nicht, aber von da an ward das Gut der Saubrunnen genannt.

Diesen Eglihannes hatte man nicht gern in die Gesellschaft aufgenommen; es hatten eigentlich alle einen Abscheu vor ihm, aber Einige waren ihm Verbindlichkeiten schuldig, Einige fürchteten sich vor den Worten: Der Tag, wo er wieder obenauf komme, sei nicht weit, dann wohl, dann sollten es alle erfahren, was der Eglihannes könne. Nun wäre derselbe gerne Hüttenmeister oder Kassier geworden, aber obgleich ihm alle gute Worte gegeben, brachte er es doch nur zum Sekretär, weil niemand stark war in der Feder, sonst wäre er auch dieses nicht geworden. Wo es um den Geldseckel, versteht sich um den eigenen geht, haben die Bauern Takt, besonders bei nüchternem Leibe. Hüttenmeister wurde der Ammann, welcher die meisten Kühe hatte, und Kassier der Krämer, welcher das Geld am besten kennen und etwas vom Rechnen verstehen sollte.

Nun handelte es sich um Hütte und Platz. In Beziehung auf die Hütte war man einig. An der Hütte sollte nichts gespart, sondern gezeigt werden, daß man auf der Vehfreude sich nicht an tausend Gulden mehr oder weniger kehre, wenn die Sache was abtrage und nicht bloß so ein Gestürm sei für nichts und wieder nichts, als um etwas zu zwängen, zum Beispiel einen Schulhausbau. Es sollte die beste und kommodeste Hütte werden ringsum, mit Keller, Spycher, Holzschuppen, Wohnung, kurz was kommod sei und wohl anstehe. Ganz anders war es mit dem Platze, da war die Auswahl schwer. Man hatte Plätze zum Auslesen unter den günstigsten Bedingungen. Die Nähe war jedem bequem; je näher man dem Anrichtloche ist, desto sicherer ist man, daß man seinen Teil bekommt und die Andern unter Augen haben kann. Eglihannes hätte für sein Leben gerne die Käserei auf seinem Boden gehabt, bot ein altes Haus an fast ohne Zins, oder zu einem neuen Hause den Boden unentgeltlich, nur solle man ihm Fuhrungen schenken. Aber der Ammann, der keine Verbindlichkeiten gegen ihn hatte, bemerkte spöttisch, das Anerbieten wäre schön, aber er scheue das Wasser dort, er fürchte, das Milchgeschirr möge es nicht ertragen, und die Käse könnten eine Abchust (Beigeschmack) erhalten. Das war starker Schnupf, aber Eglihannese Fell war gut gegerbt; schon als er noch im Amte war, konnte man ihn Hurenhund, Schelm, Spitzbub heißen, er machte sich nichts daraus, begreiflich aus guten Gründen. Eine solche Stellung eines Beamteten trägt gar sehr zum Ansehen und zur Befestigung einer Regierung bei, welche solche Beamtete anstellt. Hat es aber auch erfahren!

Die Auswahl harzete, wollte nicht vom Fleck. Es war jeder Mann eigentlich nichts als das Mundloch seiner Frau und hatte seine bestimmten Instruktionen, und kam etwas Neues, so durfte er es nicht anders als ad referendum nehmen und seinem Weibe vortragen. Die Weiber waren aber ungeheuer kitzelig und mißtreu, sie hatten gehört, was es könne, wenn eine Bäuerin darnach zu nahe bei der Käserei wohne, nur die eine fett werde, alle andern dagegen ermagern müßten. Wegen dem Fettwerden hätte Keine protestiert, aber ermagern wollte Keine. Jede wollte also die Käserei bei ihrem Hause haben oder aber so gelegen, daß keine Andere den Vorteil hätte und man rundum dazu sehen könne, wer hineingehe und wer herauskomme.

Der passendste Platz war offenbar im Nägeliboden, und der Besitzer hätte ihn gar zu gerne und wohlfeil gegeben. Der Nägeliboden war ein mittelgroßes Heimwesen, lag zwischen dem Dürluft und dem Dorfe, ungefähr in der Mitte der Käsgemeinde. Über klaren Kiesgrund floß das schönste Quellwasser; der Hof sah mager aus, baufällig das Haus, doch lag es mitten in sauber gehaltenen Bäumen von üppigem Wuchse; es gehörte einem jungen Ehepaare, welches, wie man zu sagen pflegt, chum tun mußte bei vielen Schulden und verwahrlostem Besitz. Diese Eheleute hatten jedoch ihre unangenehme Lage nicht selbst verschuldet; Sepp, so hieß der Bauer, hatte sie von seinen Eltern geerbt. Nicht bloß Gut und Geld erben die Kinder von den Eltern, sondern auch Sünden und Schulden. Sepps Eltern hatten zu den Leuten gehört, von denen die Änderungen in der Welt nicht herkommen, zu der behaglichen Sorte, welche viel auf ihrer Sache halten, daneben nur tun, was sie müssen, das Übrige schlitten lassen; so bauten sie den Hof, so erzogen sie die Kinder. Sepp war der älteste Knabe; er schlug aus der Art, war rasch, tätig, ward früh die Seele des Hauswesens, und die Alten ließen ihn gewähren. Da kam als Magd Bethi ins Haus. Bethi war guter Leute Kind, welche aber herabgekommen und vergeltstagt waren. Bethi war, wie alle Mädchen sein sollten, hübsch und gut, schmuck und fleißig. Sepp gewann Bethi lieb, diese hatte nichts dagegen, sondern tat ebenso. Desto weniger anständig war es Sepps Eltern und seinen Geschwistern. Sie hatten die Rechnung gemacht, Sepp solle reich heiraten und so wieder einbringen, was sie vertan. Dies ist eine Rechnung, welche sehr häufig von Eltern gemacht wird. Sepp hätte dieser Rechnung genügen können, aber er wollte nicht, die Liebe zu Bethi gabs nicht zu. Das nahmen die Eltern übel, taten wüst, die Geschwister noch wüster, bis Bethi den Dienst verließ und einen Platz als Stubenmagd in einem Wirtshause annahm, des größern Lohnes wegen. Darauf verließ auch Sepp das Haus, er glaubte besseren Lohn verdient zu haben als solch unbegründetes Wüsttun. Bethi und Sepp dagegen verließen einander nicht, arbeiteten und schafften, um zu einem Boden unter den Füßen zu kommen, auf den ein freundliches Dasein sich erbauen ließe. Diesen Boden unter den Füßen sucht die jetzige Jugend in ihrem Leichtsinn und ihrer Liederlichkeit gar zu selten, daher so viele Arme unter uns und so Viele, die nichts sind als faul wie Mist. Mit den Beiden war aber auch der Segen aus dem Hause gewichen. Die Eltern hatten keine Macht über die andern Kinder; diese machten sich berühmt durch Faulheit und Liederlichkeit, verkegelten und verhoffärtleten, was noch da war, so daß, als die Eltern starben, das Bedenken groß war, ob das Erbe auszuschlagen oder anzutreten sei. Sepp hing an seiner Heimat, er war noch von dem alten Schrot und Korn und hätte auch geantwortet: Das lasse der Herr ferne von mir sein, daß ich der Väter Erbe sollt geben! Aber so ein verwahrlostes Wesen zu übernehmen, ist etwas Heilloses, es gleicht einem bodenlosen Sumpf, der alles verschlingt und dabei immer der gleiche Sumpf bleibt. Bethi und Sepp hatten ein recht schönes Stück Geld verdient; aber als sie anfingen auszulösen, was in Gläubigershänden war, anzuschaffen, was fehlte, zu bezahlen, was alsbald bezahlt sein mußte, da war ihr Geldlein wie nichts, wie Wasser auf heißen Stein gegossen. Wie groß eine verdiente Summe auch scheinet, sie ist, wenn man einen Haushalt errichtet und noch dazu einen mit Kühen und Pferden, wie Schnee, auf den im März die Sonne scheinet. Beide hatten den Grundsatz, nicht vorzufressen, wie man sagt, das heißt nicht auf die Hoffnung besserer Einnahme hin Sachen zu kaufen oder machen zu lassen, sie wußten, wie man auf diese Weise immer die Rechnung ohne den Wirt macht; sie wollten so allgemach vorwegräumen, je nachdem sie dazu die Mittel in Händen hätten, unterdessen sich leiden so gut als möglich. Sie hielten fest an diesem Grundsatze, obgleich dies unendlich schwer ist, wenn es in Haus und Ställen überall fehlt, wenn das Dach schlecht ist, der Hof zu mager, kein rechtes Eingericht irgendwo. Wenn zum Beispiel eine reiche Flachsernte zu erwarten war, kam es sie an, daraufhin etwas Neues anzuschaffen, etwas bauen zu lassen, der Ertrag schien ihnen so sicher; indessen sie überwanden sich. Es kam ihnen eine unerwartete Ausgabe, die Röße fehlte, der Flachs fiel beim Brechen unter die Breche; hätten sie sich verführen lassen, auf den Flachs hin vorzufressen, so wäre ihnen eine neue Schuld entstanden, um so viel wären sie in Krebs gekommen. Sie hatten mehre Jahre so ausgehalten, aber sie vermochten es bloß, weil sie einander so treu waren und sich gegenseitig so lieb hatten. Ihre Lage kam ihnen oft akkurat vor wie eine Bettlerkutte, welche mürbe ist um und um; rührt man sich, so gibt es ein Loch, flickt man links, so kracht es rechts, macht man dort zu, so platzt der Rücken, fertig wird man mit Flicken nie, und vom Flicken hat man nichts als alle Tage eine ärgere Bettlerkutte. Sepp und Bethi verzagten aber nicht, sie dachten, der alte Gott lebe noch, der mit den Treuen und Fleißigen sei, und einmal werde doch der Tag kommen, wo der Sumpf Boden gewinne und über der Oberfläche sichtbar würden die Steine, welche man in denselben geworfen.


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