Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Katzenjammer von Liebe und Käs

Von allem, was ging, wußten Felix und Änneli wenig. Die Frau Ammännin hatte Felix eine aufgestöbert, welche sie ihrem Sohne ebenbürtig glaubte, daneben für ein anständiges Mensch hielt. Es war ebenfalls eines Ammanns Tochter zu Rächlige. Der war auch ein reicher Blütterlüpf und hatte nur zwei Kinder. Leibshalb war sie brav genug, und wenn sie an einem Markte erschien, kam sie daher wie ein Pfauenmännchen, wenn es das Rad schlägt. Sie schillerte in allen Farben, daß es eine Pracht war; doch wer genauer hinsah, sah bald kuderige Strümpfe, bald plätzete Schuhe; manchmal war sogar hie und da eine unparteiische Öffnung in irgend einem Kleidungsstück, wahrscheinlich so eine Art von Zugloch, wie man sie gegenwärtig in den meisten Kuhställen hat, von wegen dem Dunst. Sie hatte einen männlichen Schritt; in den neuen, halbbatzigen Wirtshäusern ließen die neuen, halbbatzigen Wirte sie nicht gern tanzen, denn unter ihrem Tritt schlotterte das ganze Häuschen wie ein Gallerichkopf. Sie war eine ausgemachte Aristokratin, selbst unter der Nase durch hatte sie einen starken schwarzen Anflug. Wahrscheinlich sagte diese Richtung der Frau Ammännin eigens zu, denn auch sie gehörte derselben entschieden an. Sonst begriff man eigentlich nicht recht, warum sie diese auserwählte, denn das war gerade eine, mit welcher sie kaum unter einem Dache Platz gehabt hätte. Aber Mütter sind sehr oft in der Auswahl ihrer Schwiegertöchter einer eigenen Verblendung unterworfen, sie sind sehr oft nicht bloß einseitig, sondern sie scheinen einäugig; sie sehen nur nach einer Seite, und nach der andern sehen sie nicht, was ihnen in Tod zuwider sein müßte – die Menschen sind halt kurios.

Als die Mutter nach vielen Vorreden dem Felix mit diesem Mädchen kam, schüttelte er sich, lachte und sagte, es pressiere ihm nicht. Mit einem scharfen Blicke fragte die Mutter: »Oder hast schon eine Andere?« In Felix stak der geborne Ammann, das heißt so ein quasi Diplomat, er sagte: »Öppis Dumms eso, was denkst? Aber wenn du meinst, das sei eine für mich, so kann ich ja probieren, es kommt ja nicht darauf an. Aber e Käs wird das kaum geben, hat mir bisher wenig gefallen. Sie trappete mir einmal auf den Fuß, ich glaubte längs Stück, er sei ab, und suchte ihn am Boden. Als ich ihn nicht fand, glaubte ich schon, ein Hund habe ihn gefressen, und kriegte Kummer; zum Glück merkte ich, daß ich ihn noch habe, aber halb ab war er.« Die Mutter lachte und meinte: »Nun, das soll dich nicht abhalten, es ist ein Zeichen, daß sie kein böses Gewissen hat, sondern dem Boden trauen darf.« Die Mutter hatte das volle Vertrauen zu Felix wieder, fand daher weitere Erörterungen überflüssig.

Felix lebte in einer Art von Fieber, aber glücklich. Natürlich hatte er das Versprechen von Änneli nicht vergessen, sondern benutzte es fleißig; Änneli mußte es halten. Daß Felix kam, machte ihns glücklich, aber so recht unter Furcht und Zittern. Das Haus war wie alle andern ringhörig, jedes Räuspern und jedes Drehen war weither innen hörbar, und ein rechter Bauer schläft mit offenen Augen wie ein Hase, und jede Bäuerin hört mitten im Schlafe, was in Stall und Gaden sich rührt. Da brauchts Vorsicht und Bewegungen, welche sich bedeutend von einer Surrfliege unterscheiden. Wenn Felix döppelete und wenn er ging, das waren Ännelis glückliche Augenblicke, und was zwischen diesen Augenblicken lag, füllte es mit glücklichem Sinnen aus. Es waren nicht Gedanken mit einem faßbaren Griffe und einem festgestellten Ziele, es war eben nur so ein glückliches Sinnen oder Träumen, ein lieblicher, ahnungsreicher Morgennebel, der auf seiner Seele lag.

Aber solange Felix vor dem Fenster war, stand das arme Mädchen schreckliche Angst aus; der ganze Leib war Ohr: hinten lauschte es nach Bethi, vornen nach Felix. Felix war gewöhnlich zuerst sehr unwillig, daß Änneli ihm nur das Schiebfensterchen öffnete; dann ward er wohl milder, sagte wohl, es sei ein gutes Meitschi, aber ein dummes, daß es sich so sehr vor der Schwester fürchte, sagte, wie leise er machen wollte und wie ordentlich tun, wenn es ihn ins Kämmerlein ließe usw. Aber Änneli war unerbittlich, und Gewalt durfte Felix doch nicht brauchen. »Aber was willst mich doch plagen«, sagte es. »Bethi wills nicht und hat recht; was würden die Leute von mir denken, wenn ich dir aufmachte, und was willst es zwängen, kannst ja hin unter deinesgleichen, wo de willst.« »Was gehen dich und mich die Leute an!« sagte Felix. »Ich habe das Recht wie ein Anderer, hinzugehen, wohin ich will, und wenn ich lieber zu dir gehe als zu einer Andern, wer wills mir wehren? Oder hast was dawider, wenn du mir gefällst, he?« »Aber Felix«, antwortete dann Änneli, »wie sollt ich dir gefallen, so ein armes Meitschi, wie ich bin! « »Allweg nit wegem Geld, vielleicht wegem Ordelitue und sonst noch wegen etwas, was du aber nicht zu wissen brauchst; wenn du nur weißt, daß du mir gefällst und ich expreß komme, weil du es nicht haben willst«, sagte Felix. Doch wir wollen das Zanken der Liebe nicht weitläufig beschreiben, es ist sattsam bekannt zu Stadt und Land. Dann begann Änneli zu drängen, bitten, flehen, daß er gehen möchte, aber Felix marterte jetzt Änneli auch, wie es ihn mit dem Öffnen. Änneli versuchte Listen, hörte bald Bethi, bald Sepp. »Meinethalben«, sagte Felix gleichgiltig. Es bat dr tusig Gottswille. »So gib es Müntschi, dann gehe ich«, sagte er. Ach Gott, jetzt war das Meitschi wieder in der Klemme, was sollte es tun! »Ach Felix, du bist e Wüeste, schäm dich, hätte nicht geglaubt, daß du so einer wärest«, jammerte Änneli. »Nu, mach wasd wit, aber ich geh dir my Seel nit!« Not bricht Eisen; Felix fühlte was auf seinem Gesichte, das am Fensterchen war, dann aber schob sich dieses zu, Änneli verschwand und Felix ging mit großer Befriedigung ab. Er fühlte den Fleck im Gesicht, den Änneli berührt, den ganzen Tag. Es werde ihm doch nicht etwa eine Knupe (Eiterbeule) wachsen? Wenn es Knupe gäbte von jedem Müntschi, es kriegten viele Meitschi gspässige Gesichter, dachte Felix. Änneli aber barg sich unter seine Decke, als wenn es nie mehr darunter hervor wollte. Es wollte nicht mehr an die Sonne, es schämte sich schrecklich, es hätte weinen mögen, aber das ging nicht; es mußte immer wieder ans Müntschi denken, und wenn es daran dachte, tat es einen neuen Ruck unter die Decke, schämte sich aufs neue schrecklich, und wenn es sich genug geschämt, fing es wieder von vornen an, repetierte, was Felix gesagt, und dachte ans Müntschi – das tusigs Müntschi konnte es gar nicht mehr aus dem Sinn bringen.

Am folgenden Morgen durfte Änneli fast nicht aufstehen, aus Angst, es möchten es ihm alle Leute ansehen, daß es dem Felix ein Müntschi gegeben. Den ganzen Tag hatte es rote Backen, daß Bethi fragte: »Was hast doch, Meitschi, daß du so rot bist im Gesicht, hast Fieber, oder fehlt dir sonst was?« Daß auf diese Frage hin Röte und Verlegenheit nicht abnahmen, kann man sich denken.

Für Beide wurden die Zeiten immer rosenroter. Felix sagte nicht nur, wenn er gehen mußte: »Änneli, gimm mr es Müntschi«, er sagte es auch mitten im Gespräch. Er erzählte Änneli lachend von der Mutter Auswahl und was er für Schabernack anstellen wolle. Änneli zog es das Herz zusammen, es sagte. er werde der Mutter gehorchen müssen, das sei brav und recht, zeigte großes Mitleid mit ihm, daß er einen solchen Holzbock nehmen müsse. Felix lachte aber und meinte, so ernst sei es nicht, von Müssen sei da keine Rede; die Mutter zwänge nichts, und der Vater frage der Sache einstweilen nichts nach. »Unterdessen, Änneli, gimm mr es Müntschi!«

So friedlich wie da unter dem Gadenfensterchen gings im übrigen Dorfe seit der Käsrechnung nirgends zu. Allenthalben war man mit dem Ergebnis nicht zufrieden, was im Allgemeinen durch die dem Eglihannes anvertrauten Käse verursacht ward; im Besonderen waren hie und da Weibersünden unerwartet zum Vorschein gekommen, bedeutenden Abzug mußte man sich gefallen lassen, daher manches ungute Wort in den Haushaltungen. Es wäre aber noch übler gegangen, wenn nicht Eisi sich zum Generalsündenbock gemacht hätte, über welches man lachen, hinter welches die andern Weiber sich verbergen konnten. »Du mußtest doch nicht herausgeben« hieß es allenthalben. Das war wohl gut, machte aber Eisi nicht gut.

Als Peterli am Morgen den Wein verschlafen hatte und Eisi ihm nun so recht wüst sagen wollte, da kam es ihm, was er sein könnte, wenn Eisi nicht wäre, und wie es kein Recht hätte, nach einer solchen Nidlerechnung wegen einigen Schoppen Wein so mit ihm zu brüllen. »Wo hast das Geld, wo du gestern bekommen, hast alles versoffen, du Uflat?« usw. usw., schrie es. »Wäre ich du, ich schwieg«, sagte Peterli. »Da sieh, wer das Geld versoffen und verschlecket hat.« Da aber Eisi im Geschriebenen nicht stark war, dolmetschte Peterli. Himmel, was es da für einen Spektakel gab! Das sei eine Lumpen- und Vexierrechnung, behauptete Eisi; sie hielten ihn zum Narren, sie wüßten, welch dummer Löhl er sei und daß ein jeder Lausbub mit ihm machen könne, was er wolle. »Mir macht man das schon nicht so; mich nimmt wunder, ob sie eine andere Rechnung machen wollen, sonst kann man es mit ihnen probieren!« setzte es hinzu. Peterli war boshaft genug und ließ Eisi ablaufen.

Das gab natürlich Spektakel im Dorfe und machte in manchem Hause wieder gutes Wetter. Daß sein Zorn es so dumm machte, seine eigene Schmach zu vertragen, das belustigte die Leute am meisten. Man bedauerte ihns, wo es auspackte, riet ihm, es solle machen, was es könne, so mir nichts, dir nichts würde man dies auch nicht annehmen. Der Ammann, als Hüttenmeister, fertigte Eisi kurz ab. DSach sei mehr als einmal angesehen worden, sagte er; es hätte sie selbst verwundert, aber wie es sei, so sei es, da werde nichts mehr geändert. Es solle ein andermal weniger Nidle und Anken brauchen und es nicht besser haben wollen als die andern Weiber. Es meine Mancher, sagte Eisi, er könne luegen, und sei doch an einem Auge blind und am andern sehe er sonst nichts. Vielleicht, daß es der Ammann auch so hätte; wenn seine Augen was nutz wären, so würde er sehen, wie es bei ihm ginge und was seine Leute machten. Es werde aber wohl noch zu machen sein, daß er Augen bekäme, und zwar große. Der Ammann ward böse und jagte Eisi weg. Es sei bös, schrie Eisi durch die Straße, wenn man die Wahrheit sage, gehe es übel. Aber wenn der Ammann nicht sehen wolle, müsse er schmecken; es rühre ihm sy Seel was an, das ihm in die Nase komme, er möge wollen oder nicht.

Es lief zum Kassier, dort riskierte es Schläge oder einen Schelthandel. Es lief zu Eglihannes; der sagte ihm: »Da siehst, wie es geht. In der Rechnung, welche ich machte, stand es ganz anders; aber die war nicht recht, es mußte eine andere sein, und jetzt ist es so.« »Aber das wird man doch nicht so annehmen müssen, die muß zungerobe«, sagte Eisi. »Was willst?« sagte Eglihannes; »es ist abgemehret worden, sie ist für gut erkannt und dSchelmerei ist bestätigt, jetzt kannst lange.« »Ich laufe ins Schloß«, sagte Eisi, »und zeige sie an; die tusigs Donnere müssen mir ins Zuchthaus, es sind schon Vornehmere dort gewesen!« »Kannst lange«, sagte Eglihannes, »nützt dir doch nichts. Es steht ja in den Statuten, daß nicht prozediert werden solle, und das haben alle angenommen. Jetzt ist die Sache aus, tot und amen. Peterli hat die Rechnung anerkannt und die zehn Kreuzer gezahlt.« »Er ist ein Löhl, wie die Andern Schelmen sind, Keinen ausgenommen!« schrie Eisi. »Du wirst mich doch mit den Andern nicht zusammenzählen wollen?« sagte Eglihannes gereizt. »Keiner ausgenommen, hörst!« schrie Eisi; »wenn du besser wärest, so würdest die Sache nicht so kaltblütig annehmen und ihnen noch z'best reden wollen!« »Schweig mir jetzt, Frau«, sagte Eglihannes, »oder ich fahre mit dir unsauber zweg! Was sollte ich da gemacht haben; Geld bekomme ich keins in die Hände, die Rechnung machte ein Anderer, ich hatte nichts dazu zu sagen; die, welche ich machte, war anders, frag nur Peter!« »Ich merke«, sagte Eisi; »wenn ich dreißig Käse für mich hätte, ich begehrte nichts weiter an der Sache zu machen und könnte es mir auch gefallen lassen! Ich sehe wohl, es ist ein Schelm wie der andere, und eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus!«

Jä, jetzt war es auch aus mit der Freundschaft von Eisi und Eglihannes. Dieser wollte Hand an Eisi legen, aber vor diesem erschrak Eisi nicht. »Komm nur«, rief es, »ich darf dir warten, und deine Frau muß auch dabeisein, die muß wissen, wie du die Pintenwirtin letzthin zu Gast gehabt und wie du am Auslumpen bist und Schulden hast wie ein Hund Flöh! Du wirst nicht lange mehr herumlaufen, und wenn du die Käse nicht hättest stehlen können, du lägest schon am Rücken!« Eglihannes begehrte darüber nicht viel zu hören, noch weniger begehrte er, daß seine Frau Zuhörerin ward; er fand da einen Gegner im Aufbegehren, der ihm mehr als gewachsen war. »Jetzt geh mir aus dem Hause, hast es gehört, sonst mußt auch nicht wissen, was unter der Hand geht. Tust ordlich, mußt auch deinen Teil daran haben«, sagte Eglihannes einlenkend. »Was ist, was?« fragte Eisi eifrig. »Du mußt es wissen, aber jetzt laß mich machen!« »Ja«, sagte Eisi zögernd, »ja, warte! Aber sieh, wie es dir geht, wenn du mich nur so abschüsseln willst!« »Geh«, sagte Eglihannes, »sonst könnte meine Frau glauben, was wir mit einander hätten und wie du mir nachliefest.« Das war neues Pulver auf Eisis Pfanne. »Ja, wenn Keine mehr nachgelaufen wäre als ich, so gäbte es nicht so viel schlechte Männer! Jawolle! Ich einem nachlaufen, und dann noch einem Solchen, öppis Tüfels eso, pfy Tüfel, pfy, wer möcht!« Unter derlei Ausrufungen ging Eisi ab.

Eglihannes hörte nicht gern von seinen Finanzen reden, absonderlich nicht, wie Eisi es getan. Er gehörte unter die, welche gerade merkwürdigerweise in dieser ungläubigen Zeit die merkwürdigsten Zeugnisse zu Tausenden ablegen müssen, daß der Mensch mit allen Kniffen, allen Schurkereien, trotz Wucher und Fälschungen es nicht weiter bringt als auf die Gasse und daß Ehrlichsein währt und daß Gottes Segen mehr ist als ein veraltetes Wort. Eglihannes hatte Geld verdient wie Heu, hatte eine Zeitlang beide Gilettäschli voll Taler gehabt, es hatte den Anschein, als müsse er steinreich werden, und war er es geworden? Voll Schulden war er geworden, daß er nicht mehr wußte, wo wehren; schoppete er ein Loch, so gab es wo anders zwei; bloß durch Unverschämtheit, durch schlauen Mißbrauch der Gesetze und durch das Durchdiefingersehen der Behörden hielt er sich oben, ließ nebenbei seinen Zustand so wenig als möglich unter die Leute kommen, am allerwenigsten vor seine Frau, die um ihr Weibergut Zetermordio geschrieen hätte. Sie hatte Geld, so viel sie wollte, meinte daher, weil er sie so im Salb hielt, stünde er selbst im allerschönsten Flor, half daher auch großtun und brav brauchen.


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