Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Eilftes Kapitel

Von Verlegenheiten wegem Grünen

Im Wagenschopf schnäfelte Felix, als die Mutter heimkam. »Mußt den Leuten nicht alles glauben«, sagte die Frau Ammännin. »Wegen der Nägelibodenbäuerin Schwester haben die Leute viel zu nötlich getan, es geht dem Meitschi nicht halb so bös.« »Meinetwegen«, schnauzte Felix, »was frag ich doch dem Meitschi nach«. »Bist doch ein Wunderlicher, es ist bald nicht mehr dabeizusein. Kannst jetzt lange warten, bis ich deinetwegen ein sauber Fürtuch umbinde«, seufzte die Ammännin.

Drinnen hatte sie aber noch viel mehr zu klagen, denn in ihrer Abwesenheit war alles schief gegangen: die Katze war in den Milchkeller gekommen, niemand wollte daran schuld sein, die Magd hatte Kohl statt Kabis abgehauen, die Knechte Bschütti genommen, welche sie für den Garten gespart, und der Ammann gar, man denke, hatte ohne Befehl und Rat der Frau vier kleine Schweine gekauft von einem fahrenden Händler. So gehe es, jammerte die Frau Ammännin, wenn man den Rücken kehre, nichts als Verdruß in allen Ecken, und noch dazu solchen Dank. Es müßte kurios gehen, sagte sie, wenn sie wieder von Hause komme, bis man sie wegtrage. »Du aber«, sagte sie zum Manne, »du machst mich am bösten. Die Leute sagen dir Ammann, Löhl sollten sie dir sagen. Hast ja kein Gras mehr für die Kühe; wo ein grünes Blättli ist, müssen es die Kühe haben, ja es wird kommen, wo du und der Schnürfli, dein Bub, die Kühe den Zäunen nach weiden werdet wie die Bettler die Geißen; Milch ist ja keine mehr, und jetzt noch vier junge Schweine! Für so was muß man ein Narr sein oder bsoffe. Ein Ammannsstücklein ist das nicht. Kannst sie selbst füttern, ich rühre keine Hand an. Kannst ihnen meinethalb deine Winterstrümpfe schnätzeln und Wasser darüber schütten, dann hock dabei und sieh, wie sie es nehmen! Du - -«

Die Frau Ammännin hatte wirklich etwas recht. Aber die schwarzen Schweinchen mit den weißen Köpfen und geringelten Schwänzchen waren dem Ammann so allerliebst und wohlfeil vorgekommen, daß er nicht widerstehen konnte. Die Frau werde wüst tun, sei aber das überstanden, so werde sie wieder zufrieden, und wenn ein halbes Jahr um sei, so könne man sehen, was sie dazu sage. Öppe zviel müsse man ihr in den ersten Tagen nicht unter die Augen kommen, aber die Welt sei ja groß, man könne sich auf die Seite machen; so waren des Ammanns Gedanken beschaffen.

Warum die Frau Ammännin recht hatte, war der herrschende Futtermangel. So hatten die Vehfreudiger noch in keinem Sommer geschwitzt, wenn auch der Thermometer eine viel größere Hitze angezeigt hatte. Es war ein trockener Sommer, wo das zweite und dritte Gras gar nicht oder nur sehr langsam nachwuchs. Die Vehfreudiger hatten zudem nicht besonders für Grasung gesorgt, fingen ohnehin das Grasen immer sehr spät an, und zwar aus Hochmut, daß man nicht etwa meine, sie hätten es so nötig und kein Heu mehr auf der Bühne. Diesmal hatten sie noch apart gewartet, damit sie so recht Gras hätten, wenn einmal das Käsen anfange. Sie dachten nicht daran, daß wenn das Gras zu lange steht, es ein ungut Fressen ist, wenig Milch gibt und dem Nachwuchs sehr schadet. Wenn es faul wird über dem Boden, geht es lange, bis neues nachschießt, während wenn es frisch und gesund ist über dem Boden, in der ersten Nacht schon viel wächst. Da ging es dann wirklich bös im Nachsommer. Mancher Bauer mußte den halben Hof übergrasen und fütterte doch die Kühe schlecht, daß sie abfielen und von der Milch kamen. Der Senn jammerte und sagte, einen so großen Abbruch an der Milch habe er noch nirgends erlebt, und dazu sei es noch so schlechte Milch, daß er nicht wisse, wie es gehen werde. Am meisten hatten sich sicherlich an vielen Orten die Kühe zu beklagen, über welche zuerst die Folgen des Unverstandes kamen, daß sie es fast hatten wie der verlorne Sohn, froh gewesen wären, wenn sie Träber gehabt hätten; aber niemand gab sie ihnen, wenigstens nicht zum Sattwerden, denn die Bauern konnten auch sagen: »Mr heys nit, mr heys nit!« Man kann sich daher den Zorn der Frau Ammännin denken, als ihr Mann noch vier Schweinchen kramte und ihr Garten und Pflanzungen plünderte, um für seine Kühe etwas Grünes zu haben.

Es erschien damals in einem Volkskalender ein Brief der Frau Kleb, welcher die Notstände der Kühe in solchen Zeiten ziemlich deutlich macht; wir wollen ihn, soweit er dient, mitteilen:

»Die ehrsame Frau Kleb an den Kalendermacher.

»Du wirst dich sehr wundern, einen Brief von meinesgleichen zu erhalten, so was ist im Bernbiet unerhört. Da kann unter zehn Köchinnen kaum eine einen Brief schreiben. Fortschritt ist keiner, begreiflich sind daher auch die Kühe in ihrer alten Bildungstiefe geblieben. Im Bernbiet ist das Licht erst am Dämmern, bescheint kaum die höchsten Spitzen. Ich aber bin im Waadtland geboren, wo das Licht in Personen wie Druey, Eytel und Andern bereits verkörpert ist; in ihren Fußstapfen würdiglich zu wandeln, war unser Leben und Streben, wird auch hoffentlich Lebenszweck jeder waadtländischen Vache bleiben! Obgleich mit vier Beinen behaftet, steht doch mein Geschlecht im Waadtlande bereits weit über den Taunern, Hintersäßen, Kammermeitlene und Halbherren im Bernbiet. Ein unglücklicher Zufall warf mich in dieses schauerliche Land mittelalterlicher Rohheit, und meine Leiden begannen. Von meinen geistigen Leiden, abgeschnitten von allen Bildungsmitteln, getrennt von Wesen, welche mich fassen, will ich schweigen. Niemand begriffe sie hier, nicht einmal der Kalendermacher. Ja, ich will nicht einmal reden von dem Unrecht, welches ich täglich ertragen muß, Geschöpfe wie Stadtköchinnen, Stallknechte, Staatsweibel, ohne allen Schatten von Bildung, mit Rücksichten behandelt zu sehen, während man gegen mich auch nicht die geringsten Egards hat, mit mir umgeht ganz wie mit einem einfachen Veh. Aber wie man mich als Veh behandelt oder vielmehr mißhandelt, das muß vor das Publikum, das muß die Nachwelt wissen.

»Als mein erster Meister wegen Mangel an Platz seine Pension (so nannten wir im gesegneten Waadtlande unsern Aufenthaltsort, den man im Kanton Bern so grob Stall nennt) aufgeben mußte, verschlug mich mein böser Stern zu einem großen Bauer und eilf Andern, Kühen nämlich. Als ich das Haus sah, meinte ich, wie gut es mir gegangen, ich Arme sollte das Gegenteil erfahren! Ehemals hatte der Mann acht Kühe gehabt, jetzt hatte er mit mir zwölfe im Stall, denn sie hatten eine Käserei errichtet. So viel Verstand besaß er, zu rechnen, daß zwölf Kühe mehr seien und mehr fressen als achte. Damit er nicht vor das Gras hinauskomme, meinte er mit dem Grasen so spät als möglich anfangen zu müssen. Er hielt uns daher so lange als möglich am Dürren, er schabte ordentlich die Bühne, wenigstens siebenzigmal mußte der Melcher mit dem Besen hintenfür. Wir wurden so dürr, daß das Korsett einer Modiste uns ganz perfekt gepaßt hätte. Endlich ging das Grasen an, acht Tage schwammen wir in Wollust, schlenggeten das Gras uns gegenseitig über Rücken und Köpfe, während hinter uns der Meister schimpflich fluchte: für Vierundzwanzig täten wir fressen, aber Milch geben nicht für Achte. Wir seien trügerische Ware, so schönes Gras und nicht mehr Milch! So viel Bildung hatte er nicht, zu begreifen, daß Kühe erst wegem Hunger fressen, ermagerte Kühe an Milch gar nicht denken. Der Bauer hatte einen neuen Melcher, auf den schob er anfangs die Schuld, der könne nicht melken, sagte er. Er fing nun an, heimlich an unsern Eutern zu rupfen; da erhielt er noch weniger Milch und fluchte nun über uns. Die Moren zögen ihm die Milch auf, sagte er, wollte mit Fluchen und Schlägen sie heruntermachen, aber das Melchterli blieb leer. Nach acht Tagen schon fing es an dem Gras zu bösen, es wurde geschmack- und saftloser, es begann überstellig zu werden. Wir suchten das Beste daraus, rissen das Andere in Mist, gschändeten tapfer und minderten an der Milch. Dem Bauer wurde himmelangst. Sövli Küeh und sövli weni Milch, sagte er mehr als hundertmal im Tag; meh Küeh u minger Milch, wie ist das möglich?! Statt nun in den Spycher zu gehen, in die Mühle zu schicken und zum Salzauswäger, um mit Gleck nachzuhelfen, gab er alle Tage weniger Milch in die Haushaltung und rühmte desto mehr die Käsmilch. Er wenigstens begehre gar keine Milch mehr, sagte er, er möge sie nicht ertragen, sie hänke ihm zu viel an (erschwere den Atem). Er liebe desto mehr die Käsmilch, die ziehe immer so sachte durch, er sei nie wohler gewesen und möge brav essen dabei.

»Nachdem wir das erste Gras halb gefressen, halb geschändet, kam die Reihe an das zweite, und da ging erst das Elend an. War das erste Gras zu alt, war das zweite zu jung; man mußte es mitten entzweihauen, wie man zu sagen pflegt, und einen halben Acker übergrasen, ehe halb genug war für zwölf Kühe. Hinter dem Melcher, welcher grasete, stand der Bauer mit trübseligem Angesichte, trotz seinem leichten Atem, und mahnte: Mach süferli, Hans, ume hübschli; mach, daß de morn o no hescht! Die große, in der größten Hitze abgemähte Fläche war am folgenden Tage rot, sie war verbrannt und von Nachwuchs einstweilen keine Rede mehr, und alle Tage gaben wir weniger Milch. Sövli Küeh und sövli weni Milch, ward des Bauern ordinäre Seufzer, den er nicht bloß des Tags, sondern auch des Nachts bewußtlos ausstieß, wie die Bäuerin in großem Zorne klagte, indem die verfluchten Käsereien sie nicht bloß um die Milch, sondern auch um den Schlaf brächten, indem keine Nacht vorübergehe, daß nicht der Mann davon stürme. Er rühmte alle Tage die Käsmilch strenger. Er hätte nie geglaubt, was die könne, sagte er; er hätte so leichte Beine wie ein Zwanzigjähriger, seit er sie brauche, und was Atem sei, wisse er nicht mehr. Nur brav gebraucht von dieser, so würden die Leute wieder gesünder und möchten besser arbeiten als jetzt, wo man nichts mehr könne als den Faulhund machen. Was er gut fand, sollten alle gut finden, und weil er die Milch schädlich fand, so gab er derselben aus klarer Wohlmeinheit alle Tage weniger in die Haushaltung; mit Käsmilch wurde der Brei gekocht, Käsmilch brauchte man zum Kaffee, am Sonntag nur tat man ein wenig Milch darein. Ach, was die durchzog! Gemäß meiner waadtländischen Bildung hätte ich den sämtlichen Hausbewohnern diesen Durchzug auch von ganzem Herzen gegönnt, wenn nicht hinwiederum auch wir darunter gelitten hätten. Aber den Melcher drangsalierte die Käsmilch so, daß er immer die Hosen in den Händen hatte und wenigstens dreimal beiseits ging und allemal frisch anziehen mußte, ehe er eine einzige Kuh ausgemolken hatte. Gar nichts hängte die Käsmilch bei ihm an, er wurde ganz durchscheinicht. Schien die Sonne nicht sehr stark, so warf er gar keinen Schatten mehr, schien sie aber stark, so konnte man alle Brosamen sehen, welche er im Magen hatte, und alle Röhren, welche draus- und dreingingen. Er ward ganz miserabel schwach, marterte uns mit dem Melchen unaussprechlich. Die Katze erhielt keinen Milchschaum mehr, und Käsmilch wollte die einmal nicht, man mochte ihr darstellen, so viel man wollte. Der Bauer behauptete steif und fest, nicht bloß erspare er am Katzenschaum wenigstens fünfzig Maß Milch jährlich, sondern seit die Katzen keinen Schaum mehr erhielten, wüßten sie wieder, was Mausen sei. Nun aber brüllten sie unter der Stalltüre gar wehlich und manchmal halbe Nächte durch, daß wir uns nicht bloß bitterlich schämen mußten, weil die Kühe in andern Ställen hätten glauben können, unsere Milch gebe nicht Schaum, sondern auch in den Ohren schrecklich leiden mußten. Im Waadtland war ich an Musik und Vaterlandslieder gewöhnt, ach Gott, wie herrlich, hier im Bernbiet nun Katzengeschrei, und ganz ohne allen Takt und Melodie, wie es halt im Bernbiet bräuchlich sein wird!


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