Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Zwanzigstes Kapitel

Wie man Gutes mit Bösem vergilt

Der Winter brach ein, hart und streng, Weihnachten nahte. Es ist eine eigene Ordnung in der Natur, daß je starrer der Erdboden durch Frost gebunden wird, desto hungriger Menschen und Vieh werden. Alle Ordnung kommt von Gott, darum sicherlich auch diese. Alle Ordnung macht Gott besonders darum, daß der Mensch Weisheit lerne und in der Demut bleibe. Es sieht der Mensch in dieser Ordnung alle Winter, daß es Zeiten gibt, wo man mehr braucht als sonst und nichts erhält, daß man mit allen Mühen nichts hervorbringen kann, sondern bloß und allein vom Vorrat leben muß, vom Vorrat, den Gottes Güte gegeben und den man mit fleißigen Händen eingesammelt. Er sieht daraus, daß die Zeiten immer wieder kommen, wo man bloß von Gottes Güte lebt und nicht von seiner Weisheit und Kraft, wo man zehrt von den Früchten der Sparsamkeit, welche die Vergangenheit gegeben, und Zeiten, welche nichts hervorbringen trotz allem Fortschritt und allem Übermut der Menschen als gesteigerten Hunger und ein Verzehren der Schätze der Vergangenheit und eine alle Tage mehr zutage tretende Ohnmacht, die Schätze der Vergangenheit zu bewahren und neue zu schaffen, die Bedürfnisse der Gegenwart zu befriedigen. Das sind auch Zeiten, welche die Ehre Gottes erzählen und herausquellen mit ihrer Rede, Gottes Weisheit zu verkünden. Sie haben zwar keine Rede und keine Worte, und doch wird ihre Stimme gehört. Ihre Schrift geht aus in alle Lande und ihre Rede an das Ende des Erdkreises. König David schrieb dies vor fast dreitausend Jahren für Israeliten; müssen damals die Leute gescheiter gewesen sein als gegenwärtig, die Väter weiser als die Kinder. Denn solche Schrift verstehen nicht bloß die jungen Juden nicht mehr, sondern nicht einmal unsere zeitgeistlichen Schulmeister. Und wenn es so steht mit dem jungen Holz, was soll man vom alten erwarten, und namentlich von Vehfreudigern!

Diese konnten sich in die strenge Kälte gar nicht schicken, ihre so köstlich greiseten Kühe wollten gar nicht satt werden, und ihre Heustöcklein waren gegen Weihnachten ungefähr wie ehedem an der Fastnacht. Jetzt erfuhren sie, wie es geht, wenn man im Sommer noch einmal so viel graset als sonst und doch gleich viele Kühe wintern will. Kühe sind begreiflich nicht Töchter, da ist ein himmelweiter Unterschied. Töchter lassen sich schnüren, bis ihr Magen nicht größer wird als ein braver Fingerhut. Töchter haben Verstand: wenn sie ein gesundes Aussehen kriegen und sich Fleisch ansetzen will, essen sie nur noch halb genug und trinken dünnen Tee und starken Essig ohne Zucker, das kostet den Papa wenig und hilft den Töchtern von den roten Backen und dem guten Aussehen. Kühe nun sind bekanntlich ganz anders, haben keinen Verstand, fragen der Taille hell nichts nach und scheren sich um niemanden, am allerwenigsten um einen Bauer, dessen Heustock die Schwindsucht hat. Im Gegenteil, je dünner derselbe wird, desto mehr Appetit kriegen sie, und wenn ihnen derselbe nicht vollständig befriedigt wird, so sind sie indiskret, haben keine Manieren und brüllen, bis sie zu fressen kriegen, und zwar hartnäckig ganze Nächte durch, noch viel ärger als gewisse Reisende, wenn sie mal das Glück haben, auf fremdem Boden einquartiert zu werden. Indessen, um gerecht zu sein, wären gewissen Bade- und andern Wirten Gäste, welche so natürlich und stettig ihre Bedürfnisse verständlich machen, auf den Hals zu wünschen. Es wären für den Wirt wahrhafte Kurgäste. Gar oft ists der Fall, daß der Wirt sein eigenes Wasser am allerwenigsten braucht und doch das Kurieren am allermeisten nötig hätte. Auch den respektiven Kellnern täte es wohl an den Manieren, wenn sie Gäste kriegten mit solchen Stimmen und ohne Blatt vor dem Maul.

Noch empfindlicher als das Brüllen wird was anderes. Bosheit ist weit ärger als Unverschämtheit, und Rachgier liegt in jedem Tiere. Jede Kuh ist rachgierig; je weniger man ihr zu fressen gibt, desto weniger Milch gibt sie aus Rachgier und Bosheit. Diese Bosheit ist so verstockt, daß man weder mit Schlägen noch Zusprechen etwas dagegen ausrichtet, sie wird im Gegenteil noch alle Tage größer. Namentlich die sogenannten greiseten Kühe führten sich am wüstesten auf. Das waren Fremdlinge im Hause, hatten weder Anhänglichkeit an Personen noch ans Haus; wenn sie den Heustock in einem Tage hätten fressen können, sie hätten es getan, unbekümmert, was der Bauer dazu für ein Gesicht gemacht. Und je mehr sie fraßen, je unverschämter sie taten, desto weniger Milch sie gaben. Die frühern, versorgeten, eingebornen Kühe hatten regelmäßig ihre Milch gegeben bis zwei Monate oder sechs Wochen ans Kalben, ja einige waren so treu, daß man sie fast nicht gust (ungemelkt) lassen konnte, dazu taten sie bescheiden im Fressen, es war nicht alles Bauch an ihnen. Die neuen, greiseten hatten es ganz anders. Nachdem sie viel gekostet, gaben die besten einen Monat oder zwei ziemlich Milch, manche noch schlechte und dünne, aber alsbald nahmen sie ab und ab, und nach vier oder fünf Monaten taten die meisten nichts mehr als fressen und brüllen und stoßen nach allen andern, die noch etwas zu fressen hatten. Die Weiber hatten darauf gezählt, den Winter über Milch genug zu haben für den Hausbrauch, für Anken in Vorrat, für gestoßene Nidle am Weihnachtstage und noch etwas zum Verkauf, um ihre erschöpfen Privatkassen wieder einigermaßen zu trösten. Sie waren von ihren Männern den ganzen Sommer über darauf angewiesen worden als wie die Heiden auf das verloren gegangene goldene Zeitalter, die Juden auf das tausendjährige Reich, und war ihnen gegangen wie Heiden und Juden: statt aller Erfüllung nichts als lange Nasen. Schon in der Herbstweide, wo im Bernbiet sonst Milch wie Bach fließt, die Bäuerinnen sich wenigstens so sehr darauf freuen als die Zürcherinnen auf eine Fahrt nach Baden und die Baslerinnen auf eine Hochzeit zu Pratteln oder Sissach oder sonstwo in ihrer wunderlieben Landschaft, ging es miserabel zu, ganz apothekermäßig, das heißt statt maß- bloß tropfenweise, und um diese Tropfen zu erhalten aus den greiseten Kühen, mußte man sich fast den Atem aus dem Leibe ziehen. Und als sie ans Dürre kamen, vertrockneten sie ganz und gar. Die Ankenhäfen blieben leer, die Privatkassen blieben leer, ja die Milchkacheln wurden immer rarer auf den Tischen, dazu die Heubühnen immer durchsichtiger; es war ein wahres Elend. Um Lichtmeß soll sonst, wenn der Bauer mit gutem Gewissen das Frühjahr erwarten soll, nicht mehr als das halbe Heu und das halbe Emd gefuttert sein. Ja, du meine Güte, es waren um Weihnachten solche, welche froh gewesen wären, wenn sie noch die Hälfte vom Halben gehabt hätten.

Die Katholiken haben die schöne Sitte, im Frühjahr ihre Felder einsegnen zu lassen, im südlichen Frankreich lassen sie die Ochsen weihen, die in die Berge gehen, und wenn Dürre oder Nässe, Mißwachs drohen, gibt es große Prozessionen, außerordentliche Feierlichkeiten. Schön nennen wir es, wenn man diese Sitte von allem Aberglauben entkleidet und darin die demütige Anerkennung sieht, daß mit aller Weisheit und Macht der Mensch nichts machen könne an Regen und Fruchtbarkeit, an guten und bösen Jahren, daß jede gute Gabe von oben komme, vom Vater der Lichter. Dieses Bewußtsein erhält sich am längsten bei dem Landmann, der alle Tage Gottes Macht vor Augen hat und die eigene Ohnmacht, wie Gott unerwartet nehmen kann, aber ebenso unerwartet geben. Der Landmann bedarf aber auch dieses Bewußtseins bei seiner schweren Arbeit, damit er geduldig auszuharren vermöge in harter Arbeit bei so zweifelhaftem Erfolge, im Vertrauen auf den, der da seine milde Hand öffnet zu seiner Zeit und mit Wohlgefallen sättigt alles, was da lebet. Wo dieses Bewußtsein erlischt, wo der Zeitgeist wie ein schwarzes Gespenst dasselbe ersetzt, da kommt das Ungenügen, die Unzufriedenheit, das Unbehagen über den Bauer; sein Stand, der schönste sonst, scheint ihm der lästigste, seine Verhältnisse erleiden ihm, er fällt auch der Zerrissenheit anheim, welche als eine neue Art von Auszehrung die Kinder dieser Weh verzehrt und die nichts anderes ist als eine Emanzipation von Gott, ohne etwas zu haben, worauf man sein Vertrauen setzen kann, nichts zu haben als ein alle Tage deutlicher werdendes Gefühl des Unvermögens, sich das mit eigenen Kräften zu verschaffen, wornach das Fleisch gelüstet. Der nicht emanzipierte Landmann hat auch noch Augen für den Unterschied zwischen gesegneten und ungesegneten Menschen oder Sachen. Schon David sagt: »Wo der Herr nicht das Haus bauet, arbeiten seine Bauleute umsonst daran; wo der Herr nicht die Stadt behütet, da wachet der Wächter umsonst. Es ist euch umsonst, daß ihr früh aufstehet und lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen, da der Herr Schlaf und Brot den Seinen ohne Sorgen gibt.« Es ist wirklich wunderbar mit diesem Segen Gottes, von ihm kann man nicht sagen: siehe, er ist dies oder er ist jenes; aber sagen kann man von ihm: Siehe, hier ist er, und siehe, dort ist er, und ebenso deutlich tritt der Unsegen heraus aus diesem und aus jenem Hause. Lachen wir daher durchaus nicht darüber, wenn die Katholiken sichtbarlich die Äcker sich segnen lassen, sobald der Sinn dabei ist, der im äußern Zeichen das innere Wesen erkennt und weiß, daß nicht im Wasser der Segen ist, sondern im Geiste, der das Wasser spritzt. Ja, auch wenn sie ihre Ochsen weihen und segnen lassen, haben wir nichts dawider, wenn darin das Bekenntnis liegt, daß auch das Unvernünftige Gottes Schirm und Güte nötig habe, und das Gelübde, daß der Besitzer ebenfalls seines Viehes sich erbarmen wolle. Wir lassen gar nichts mehr weihen und segnen; ich will nicht von Ochsen reden, aber nicht einmal unsere Ratsherren werden eingesegnet, darum auch werden sie selbst so unerquicklich sein und so unfruchtbar ihre Ratschläge. Ja, wir sind überzeugt, das Parlament in Frankfurt wäre ein ganz anderes geworden, der Unsegen wäre nicht so schwarz und schauerlich über ihm gelegen, die Personen nicht so lächerlich oder verächtlich geworden, die Ratschläge nicht so verkehrt, wenn die christliche Weihe nicht mit solchem Hohne von der Hand gewiesen worden wäre. Gewiß kommen die Ochsen in der Provence gesegneter von ihren Bergen als so viele Parlamentsmitglieder von Frankfurt und allweg auch als so viele schweizerische Räte, Brunnen ohne Wasser, Wolken ohne Regen, Räte ohne Rat, wenigstens ohne gesegneten.

Wir sind überzeugt, wenn jemand den Einfall gehabt hätte, Kapuziner kommen zu lassen, um die Heustöcke zu weihen, dieweil sie dann noch einmal so lang darhielten, am Glauben hätte es in der Vehfreude nicht gefehlt; Glauben ist dort viel, doch die Einfälle sind rar. Eisi im Dürluft wäre das Erste gewesen, welches den Versuch gemacht hätte, hatte es auch bsunderbar nötig, denn alle Tage gewannen Mondschein und Sonnenlicht mehr Raum auf seiner Bühne und nicht lange ging es mehr, konnte es dieselbe zu einem Tanzsaal einrichten, den Tänzern stand gar nichts mehr im Wege. Das käme manchem Bauer fürwahr kommod, wenn mit Tanzen die Kühe gefuttert wären, dann wüßte er doch, wofür seine Töchter zu gebrauchen seien und womit er sie nützlich beschäftigen könnte. Eisi im Dürluft hätte sicher den ganzen Tag selbst getanzt mit Peterli, oder wer es gewesen, wenn es geholfen hätte. Es war bitter übel dran, es hatte weder Milch noch Anken noch Geld. Der erste Stoß Käsgeld war längst verbraucht, hatte gar nicht dargehalten, es war, als ob der Wind dahinter sei. Ihre greiseten Kühe hatten es gemacht wie die andern, standen jetzt dürr und mager im Stall, brüllten jetzt den Bahren voll, sobald er nicht voll Heu war; die einen waren nicht trächtig, die andern taugten sonst nichts, es sollte wieder aufs neue greiset sein. Aber wo Geld nehmen und nicht stehlen? Ein heilloses Geld sollte Peterli an den Kühen verspielen, und dann wo nehmen für andere Kühe? Eisi stand allemal weit vor das Haus hinaus, wenn es von weitem den Polizeidiener sah, und hoffte, es komme wieder ein Brief und bringe Hülfe. Aber es kam Keiner, der Hülfe brachte, all sein Ausgucken war vergeblich.

Der arme Peterli mußte es wiederum entgelten. Er sei doch der leidist Hung von der Welt, sagte Eisi, key lebendige Seel ästimier ne u schryb ihm öppe es Briefli u säg, wo Geld syg u wo me chönn ga näh. Wenn es gewußt hätte, daß er so ein Leider sei, es hätte ihn sy Seel nit gno, er hätte seinethalb ihm chönne pfyffe oder blase. »U de du«, sagte Peterli, wenn er endlich ungeduldig ward, »was bist de du, u was han ih vo dir? Gäll, für mih sy doch scho Briefe cho u hey neuis gseyt, aber nit vo dir her, vo mir; da bist froh gsi drüber, Eisi, gäll.« »Ja, wenn mein Vater auch so gewesen wäre wie der deine, so ein Löhl und Lappi, daß er sein Vermögen andern schlechten Leuten angehängt und es in Geltstagen verloren hätte, wo er hätte voraus sinnen können, wie es ihm ergehen könne, es weiß kein Teufel, wie viel Briefe wir jetzt erhielten und nicht nur einen, und was alles darin wäre, und nicht bloß so eine Lumperei, die gerade ist wie: wer geht da durch«, so polterte Eisi. »Es wäre deinem Vater eine Kunst gewesen«, sagte endlich Peterli, »Andern viel Geld anzuhängen und es verlieren zu müssen; dafür hätte er erst solches haben müssen, und sein Lebtag hat der nicht viel anderes gehabt als eine böse Frau und strube Kinder, und die hat niemand stark begehrt.« Wohl, da hatte Peterli Zeit, zu gehen, wenn er Haare auf dem Kopfe und Zähne im Mund behalten wollte; weithin trieb dem Flüchtling das ertaubete Eisi einen Besenstiel nach.


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