Dmitri Mereschkowski
Peter und Alexej
Dmitri Mereschkowski

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X.

Nach Beendigung des Prozesses gegen den Zarewitsch begab sich Peter an der Spitze einer aus 22 Kriegsschiffen bestehenden Flotte am 8. August aus Petersburg zur See nach Reval. Das Zarenschiff war die eben auf der Admiralitätswerft vom Stapel gelassene Fregatte »Alte Eiche«, das erste Schiff, das nach den Plänen des Zaren ohne Hilfe von Ausländern, ganz aus russischem Holze und nur von russischen Arbeitern erbaut worden war.

Eines Abends, bei der Ausfahrt aus dem Finnischen Meerbusen in das Baltische Meer, stand Peter am Steuer und lenkte das Schiff.

Der Abend war stürmisch. Schwere, schwarze, gleichsam eiserne Wolken lagerten tief über den schweren, schwarzen, eisernen Wellenkämmen. Die See ging hoch. Bleiche Schaumfetzen stiegen auf wie bleiche Arme wütend drohender Gespenster. Die Wellen schlugen zuweilen über Bord und überschütteten mit ihrem salzigen Regen alle, die auf dem Deck standen, besonders aber den Zaren-Steuermann. Seine Kleidung war durchnäßt; die eiskalte Feuchtigkeit drang ihm durch Mark und Bein; der eiskalte Wind schlug ihm ins Gesicht. Doch er fühlte sich, wie immer auf der See, rüstig, stark und freudig erregt. Er blickte gespannt in die dunkle Ferne und lenkte das Schiff mit fester Hand. Der ganze Riesenkörper der Fregatte zitterte unter dem Ansturm der Wellen; aber die »Alte Eiche« war fest gebaut und gehorchte dem Steuer wie ein gutes Pferd dem Zügel; sie sprang von Welle zu Welle, tauchte zuweilen in den grauen Gischt unter, so daß man glaubte, sie würde nicht wieder zum Vorschein kommen, tauchte aber jedesmal wieder triumphierend empor.

Peter dachte an seinen Sohn. Zum erstenmal erschien ihm alles als die Vergangenheit; er dachte an sie mit großer Trauer, doch ohne Angst, ohne Pein und ohne Reue, denn er sah auch hierin, wie in seinem ganzen Leben, den Willen einer höheren Macht. »Groß, sehr groß ist Zar Peter, aber schwer ist sein Joch. Man kann unter ihm gar nicht aufatmen. Die ganze Erde stöhnt und ächzt!« Diese Worte seines Sohnes vor dem Senat fielen ihm jetzt ein.

– Wie ist es nun? – dachte sich Peter. – Der Amboß muß unter dem Hammer stöhnen. Er, der Zar war in der Hand Gottes der Hammer, mit dem Er Rußland schmiedete. Mit einem fürchterlichen Schlage hatte er es geweckt, wäre er nicht gekommen, so hätte es auch jetzt noch seinen Totenschlaf geschlafen.

Und was wäre geschehen, wenn der Zarewitsch am Leben geblieben wäre?

Früher oder später wäre er zur Regierung gekommen, hätte den Popen und Mönchen, »den langen Bärten«, ihre Macht wieder gegeben, und diese hätten den Staatswagen wieder von Europa nach Asien gelenkt, das Licht der Aufklärung ausgelöscht, und Rußland wäre zugrunde gegangen.

»Es kommt ein Sturm!« sagte der alte holländische Steuermann, an den Zaren herantretend.

Dieser erwiderte nichts und fuhr fort, gespannt in die Ferne zu blicken.

Es wurde rasch dunkel. Die schwarzen Wolken senkten sich immer tiefer zu den schwarzen Wogen herab.

Plötzlich blitzte unten am Himmelsrande in einem schmalen Spalt zwischen den Wolken die Sonne auf, grell und rot wie Blut, das aus einer Wunde hervorbricht. Und die eisernen Wogen erschienen wie in Blut getaucht, wunderbar und grauenvoll war dieses blutige Meer.

»Blut! Blut!« dachte Peter, und die Prophezeiung des Sohnes fiel ihm ein:

»So komme dieses Blut von Haupt zu Haupt bis zum Haupte des letzten der Zaren, so ertrinke unser ganzes Geschlecht im Blute. Gott wird für deine Verbrechen Rußland strafen!«

»Nein, Herr!« betete Peter wieder wie damals vor der alten Ikone mit dem dunklen Antlitz unter der Dornenkrone, mit Umgehung des Sohnes zum Vater, der den Sohn zum Opfer brachte. »So soll es nicht kommen! Sein Blut falle auf mich, auf mich allein! Strafe mich, Gott, und begnadige Rußland!«

»Es kommt ein Sturm!« wiederholte der alte Steuermann, denn er glaubte, der Zar hätte ihn nicht gehört. »Ich habe es Eurer Majestät schon früher gesagt, daß man umkehren sollte . . .«

»Fürchte dich nicht,« erwiderte Peter lächelnd. »Fest ist unser neues Schiff: es wird dem Sturme standhalten. Gott ist mit uns!«

Und mit fester Hand lenkte der Steuermann sein Schiff durch die eisernen und blutigen Wogen in die unbekannte Ferne.

Die Sonne sank, Finsternis brach herein, und der Sturm heulte.

 


 


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