Dmitri Mereschkowski
Peter und Alexej
Dmitri Mereschkowski

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III.

Tichon erblickte den alten Kornilij, den ein Haufen Klosterbrüder, Bauern, Weiber und Kinder aus den Nachbarsdörfern umringte.

»Wer an Gott glaubt, darf nicht zaudern oder lange nachdenken,« predigte der Alte. »Er gehe mutig ins Feuer und empfange um des Herrn Willen den Tod! Er nehme einen Anlauf und springe in die Flamme! Teufel, hier hast du meinen Leib; meine Seele geht dich aber nichts an! Heute drohen uns von unsern Peinigern Feuer und Scheiterhaufen, Erde und Beil, Messer und Galgen; dort erwarten uns aber Engelsgesänge, Ruhm, Lob und Freude, wenn unsere toten Leiber vom Heiligen Geist mit neuem Leben erfüllt sind, werden wir aus dem Schoße der Mutter Erde wie Kinder aus dem Mutterleibe hervorkommen. Selbst die Propheten und die Erzväter und alle Heiligen müssen durchs Fegefeuer gehen, nur wir allein sind davon befreit: was soll uns das Fegefeuer, da wir schon hier verbrannten? Was soll uns der flammende Fluß, da wir schon durchs Feuer gegangen sind? Wie die Kerzen werden wir zum Opfer Gottes brennen! Wie ein süßes Brot für die heilige Dreieinigkeit werden wir gebacken werden! Laßt uns für die Liebe des Sohnes Gottes sterben! Schöner als die Sonne ist der Rote Tod!«

»Wir wollen uns verbrennen! Wir wollen uns verbrennen! Dem Antichrist ergeben wir uns nicht!« brüllte die rasende Menge.

Die Weiber und die Kinder schrieen noch lauter als die Männer:

»Lauft ins Feuer! verbrennt euch! Flieht vor den Peinigern!«

»Heute brennen die Klöster,« fuhr der Alte fort, »später werden auch die kleinen und die großen Dörfer und die Städte brennen! Ich will gern ein Feuerscheit in die Hand nehmen und die Stadt Nishnij-Nowgorod anzünden! Ich würde frohlocken, wenn sie von einem Ende bis zum andern verbrennte! Und wenn man uns nacheifert, so wird bald auch ganz Rußland brennen!«

Seine Augen sprühten schreckliche Funken; es schien das Feuer jener letzten Feuersbrunst zu sein, durch die einst die Welt vernichtet werden wird.

Als er geendet hatte, zerstreute sich die Menge über die Wiese und den Wald.

Tichon ging lange Zeit auf und ab und lauschte, was in den einzelnen Reihen gesprochen wurde. Es schien ihm, daß alle den Verstand verloren hatten.

Ein Mann sagte zum andern:

»Das Himmelreich fällt dir von selbst in den Mund, du zögerst aber noch immer und sagst, du hättest kleine Kinder und ein junges Weib und wollest nicht zugrunde gehen. Hast du denn viel von ihnen, du Seele? Höchstens einen Lack und einen Topf und die Bastschuhe an den Füßen. Auch dein Weib will ins Feuer. Du bist ein Mann, aber dümmer als ein Weib. Und wenn du einmal deine Kinder verheiratet und dein Weib getröstet hast, was erwartet dich noch? Das Grab! Ob du dich verbrennst oder nicht, sterben mußt du auf jeden Fall!«

Ein Mönch redete dem andern zu:

»Was bedeuten zehn Jahre Kirchenbuße? Doch nicht mehr als Beten und Fasten! Nur im Feuer ist die wahre Buße. Brauchst dich nicht abzumühen, brauchst nicht zu fasten und kommst gleich ins Paradies: das Feuer reinigt dich von allen Sünden, wenn du schon einmal verbrannt bist, bist du alles los!«

Ein Greis forderte den andern auf:

»Genug gelebt, mein Lieber. Die Rüben haben uns schon den Bauch zerfressen. Es ist Zeit, ins Jenseits zu kommen, und wenn auch nur als kleine Märtyrer!«

Knaben scherzten mit Mädchen:

»Wir wollen ins Feuer gehen! In der andern Welt bekommen wir goldene Hemden, rote Stiefel und Nüsse, Honig und Äpfel nach Herzenslust.«

»Es ist gut, wenn auch die Kinder verbrennen,« ermunterten sie die Alten, »damit sie nicht sündigen, wenn sie einmal groß sind; damit sie nicht freien und sich nicht vermehren! So wird ihre Keuschheit erhalten bleiben!«

Man erzählte sich von den früheren großen Selbstverbrennungen.

Im Kloster von Paleostrow, wo sich mit dem frommen Greis Ignatij an der Spitze 2700 Menschen verbrannt hatten, sah man ein Gesicht: als die Kirche schon in Flammen stand und eine große Rauchwolke sich erhob, kam aus der Kirchenkuppel P. Ignatij herausgeschwebt mit dem Kreuz in der Hand, und ihm folgten die übrigen Mönche und eine Menge Volkes, alle in weißen Gewändern, und sie zogen in Glanz und Herrlichkeit reihenweise in den Himmel hinauf und verschwanden, sobald sie die Himmelstore erreichten.

Im Kloster von Pudosh, wo sich 1920 Seelen verbrannt hatten, sahen die Wachtsoldaten nachts eine helle, in allen Farben des Regenbogens strahlende Lichtsäule; und von der Spitze der Säule stiegen drei Männer in Gewändern, die wie die Sonne leuchteten, herab und gingen in der Richtung von Osten nach Westen um die Brandstätte herum; der eine segnete sie mit dem Kreuze, der zweite besprengte sie mit Weihwasser, der dritte schwang ein Räucherfaß, und alle drei sangen mit leisen Stimmen; und als sie die Brandstätte auf diese Weise dreimal umkreist hatten, stiegen sie wieder auf die Säule hinauf und verschwanden im Himmel. Nach diesem Gesicht sah man an manchen Abenden an der gleichen Stelle brennende Kerzen und hörte einen unsagbar süßen Gesang.

Ein Bauer vom Weißen Meere hatte aber ein anderes Gesicht. Er lag bewußtlos im Hitzfieber und sah ein großes Feuerrad, das sich drehte und in dem Menschen gepeinigt wurden; und diese schrien: »Das ist der Ort für diejenigen, die sich nicht verbrennen, wollten, die in ihrer Schwäche leben und für den Antichrist arbeiten. Geh und predige es der ganzen Welt, daß sich alle verbrennen sollen!« Und es fiel ihm ein Tropfen vom Rade auf die Lippe. Als der Bauer erwachte, begann seine Lippe zu verfaulen. Und er predigte den Menschen: »Es ist gut, sich zu verbrennen. Dieses Zeichen auf der Lippe haben mir die Toten gemacht, die sich nicht verbrennen wollten!«

Kilikeja die Besessene saß im Grase und sang das Lied von der Frau Halleluja.

Als Herodes Juden aussandte, um den kleinen Jesus zu töten, versteckte ihn die Frau Halleluja bei sich und warf ihr eigenes Kind ins Feuer.

Und es sprach der Himmelskönig Christus:
Oh, du Halleluja, milde Seele!
Meinen Willen sage allen Menschen,
Die den rechten Christenglauben haben,
Daß sie mir zulieb' ins Feuer gehen
Und auch ihre Kinder mit verbrennen.

Hie und da wurden auch Stimmen gegen die Selbstverbrennung laut:

»Liebe Väter!« flehte P. Missail, »es ist gut, für den Herrn zu eifern, man soll aber auch Maß halten! Die Selbstpeinigung ist dem Herrn nicht gefällig. Christus wies nur den einen Weg: die Nicht-Ergriffenen sollen entfliehen, und die Ergriffenen leiden, aber nicht von selbst die Gefahr suchen. Ruhet aus von all den Schrecken, ihr Armen!«

Auch der rasende P. Trifilij war gleicher Meinung mit dem milden P. Missail.

»Ihr seid doch keine Holzscheite, um mir nichts dir nichts zu verbrennen! Werdet ihr denn euch wirklich wie die Schweine in einen Stall zusammendrängen und den Stall anzünden?«

»Abgrundtiefe Unverständigkeit!« sagte P. Jerofej, verächtlich die Achseln zuckend.

Mutter Golenducha, die schon einmal gebrannt hatte, aber nicht verbrannt war, weil man sie rechtzeitig aus dem Feuer gezogen und mit Wasser begossen hatte, machte allen Angst mit ihren Erzählungen darüber, wie sich die Körper im Feuer winden und krümmen, wie der Kopf und die Füße gleichsam mit einem Strick zusammengedreht werden und wie das Blut wie siedendes Pech kocht und schäumt, wie nach der Verbrennung die aufgedunsenen und angebrannten Körper nach gebranntem Fleisch riechen; die einen sehen zwar unversehrt aus, wenn man aber ein Glied anrührt, so reißt es leicht ab. Die Hunde laufen mit schwarzen Schnauzen herum und fressen von jenem gebratenen Fleisch. An der Brandstätte herrscht lange Zeit ein so schrecklicher Gestank, daß niemand vorbeigehen kann, ohne sich die Nase zuzuhalten. Während einer Verbrennung habe man aber einmal über der Flamme zwei Teufel, schwarz wie Mohren, mit Fledermausflügeln tanzen sehen; sie hätten vor Freude in die Hände geklatscht und gerufen: »Ihr gehört uns!« Und viele Jahre später habe man an jener Stätte allnächtlich weinen und Klagen gehört: »Ach, wir sind verloren! wir sind verloren!«

Endlich machten sich die Gegner der Selbstverbrennung an den alten Kornilij heran.

»Warum hast du dich selbst noch nicht verbrannt? Wenn es wirklich so gut ist, so hättet ihr, die ihr solches prediget, euch als erste verbrennen sollen! Ihr zwingt aber uns, eure armen Schüler, ins Feuer zu gehen, um euch hinterher an unserer geringen Habe zu bereichern. So seid ihr alle, ihr Prediger der Selbstverbrennung; es ist gut, es ist gut, aber für andere und nicht für euch. Fürchtet Gott, ihr habt schon genug Leute verbrannt, verschont die Übriggebliebenen!«

Auf einen Wink des Alten trat der Bursche Kirjucha, ein wütender Anhänger der Selbstverbrennung, vor. Eine Axt schwingend, schrie er mit lauter Stimme:

»Wer sich nicht gutwillig verbrennen will, der trete mit seiner Axt vor, und wir wollen kämpfen. Wer den andern totschlägt, der hat recht. Wenn mich jemand erschlägt, so ist die Selbstverbrennung Gott nicht gefällig; wenn ich ihn aber erschlage, so müßt ihr euch alle verbrennen!«

Niemand ging auf diese Herausforderung ein, und Kirjucha blieb Sieger.

Nun trat der alte Kornilij vor und sagte:

»Die sich verbrennen wollen, sollen auf die rechte Seite treten, und die es nicht wollen, auf die linke Seite!«

Die Menge teilte sich. Ein Teil scharte sich um den Alten, und der andere trat beiseite. Es zeigte sich, daß es an die achtzig Selbstverbrenner und an die hundert Gegner der Selbstverbrennung gab.

Der Alte bekreuzigte die dem Tode Geweihten, hob den Blick gen Himmel und sprach feierlich:

»Um deinetwillen, oh Herr, um deines Glaubens und der Liebe deines eingeborenen Sohnes willen gehen wir in den Tod. Wir schonen unsre Seelen nicht, wir opfern dir unser Leben; um unsere Taufe nicht zu entweihen, empfangen wir die zweite Taufe im Feuer, und wir verbrennen uns aus Haß gegen den Antichrist. Wir sterben für deine allerreinste Liebe!«

»Verbrennt euch, verbrennt euch! Zündet euch an!« brüllte die Menge wie rasend.

Tichon glaubte, daß er den Verstand verlieren würde, wenn er noch länger unter dieser wahnsinnigen Menge bliebe.

Er floh in den Wald und lief so lange, bis er vom Geschrei nichts mehr hörte. Ein schmaler Pfad führte ihn zu der ihm bekannten mit hohem Gras bewachsenen und von dichten Tannen umgebenen Wiese, wo er einst zu der feuchten Mutter Erde gebetet hatte. Auf den dunklen Wipfeln verglomm der Widerschein der Abendsonne. Am Himmel schwammen goldene Wölkchen. Das Dickicht atmete frischen Harzgeruch. Die Stille war grenzenlos.

Er legte sich platt auf den Boden, vergrub sich im Grase, drückte sein Gesicht an die Erde und küßte sie wieder wie damals am Runden See, und betete zu ihr, als wüßte er, daß nur sie allein ihn vom feurigen Wahne des Roten Todes retten könne:

Herrliche Königin, Gottes Mutter,
Erde, Erde, feuchte Mutter!

Plötzlich fühlte er, wie jemand seine Schulter berührte. Er wandte sich um und erblickte Sofja.

Sie beugte sich über ihn und sah ihm schweigend und unverwandt ins Gesicht.

Auch er schwieg und blickte sie von unten hinauf an, so daß das vom schwarzen Nonnentuche eingefaßte Gesicht des Mädchens sich deutlich vom goldigen Blau des Himmels wie das Antlitz eines Heiligen vom goldenen Grunde einer Ikone abhob. Mit seiner gleichmäßigen matten Blässe, den Lippen, die rot und so frisch wie eine eben aufgesprungene Blütenknospe waren, mit Augen, so unschuldig wie bei einem Kinde und so dunkel wie ein tiefer Sumpf, war das Gesicht so schön, daß ihm wie vor plötzlichem Schreck der Atem stockte.

»Also hier bist du, Brüderlein!« sagte endlich Sofja. »Kornilij sucht dich überall und kann sich gar nicht denken, wo du hingekommen bist. Nun stehe auf, wir wollen gehen, wir wollen schneller gehen!«

Sie war in großer Eile und freudig wie in Festtagsstimmung.

»Nein, Sofja,« sagte er ruhig und fest. »Ich will nicht wieder hingehen. Ich habe genug davon. Ich habe genug gesehen und gehört. Ich will das Kloster ganz verlassen . . .«

»Und wirst dich nicht verbrennen?«

»Nein.«

»Wirst ohne mich fortgehen?«

Er warf ihr einen flehenden Blick zu.

»Sofjuschka, mein Täubchen! Höre nicht auf die Wahnsinnigen. Man darf sich nicht verbrennen, denn es ist nicht Gottes Wille! Es ist eine große Sünde, eine teuflische Versuchung! Wir wollen zusammen fortgehen, meine Liebe!«

Sie beugte sich noch tiefer zu ihm herab, lächelte ihm schelmisch und zärtlich zu, näherte ihr Gesicht dem seinigen, ihre Lippen den seinigen, so daß er ihren heißen Atem spürte.

»Du wirst nicht fortgehen!« flüsterte sie vor Leidenschaft keuchend. »Ich lasse dich nicht, Liebster!«

Plötzlich umschlang sie seinen Kopf mit ihren Händen, und die beiden Lippenpaare vereinigten sich in einem Kuß.

»Was tust du, Schwesterlein? Darf man es denn? Man wird uns noch sehen . . .«

»Man soll es nur sehen! Man darf alles, die Flamme reinigt von jeder Sünde. Sage mir nur, daß du dich verbrennen willst . . . Willst du es?« fragte sie ihn mit einem kaum hörbaren Seufzer, sich immer fester und fester an ihn schmiegend.

Ohne einen einzigen Gedanken im Kopfe, ohne Kraft und ohne Willen antwortete er ihr mit einem gleichen Seufzer:

»Ja, ich will!«

Auf den dunklen Tannen war der letzte Sonnenstrahl erloschen, und die goldenen Wölkchen wurden grau wie Asche. Ein duftiger feuchter Hauch zog durch die Luft. Der Wald überdachte sie mit seinem dunklen Schatten. Die Erde bedeckte sie mit ihren hohen Gräsern.

Ihm war es aber, als ob der Wald und das Gras, die Erde und der Himmel und die ganze Luft in den Flammen der letzten Feuersbrunst lohten, durch die die Welt vernichtet werden soll, in den Flammen des Roten Todes. Er fürchtete sich aber nicht mehr, und glaubte, daß der Rote Tod schöner sei als die Sonne.


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