Dmitri Mereschkowski
Peter und Alexej
Dmitri Mereschkowski

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV.

Am ersten Fastensonntag, dem 2. März hielt der neuernannte Bischof von Pskow Feofan Prokopowitsch den Gottesdienst in der Mariä-Himmelfahrtskathedrale ab.

Nur vornehme Personen und hohe Beamte hatten Zutritt in die Kathedrale.

An einer der vier Riesensäulen, die das Gewölbe stützten und mit dunklen Heiligenantlitzen auf goldenem Grunde bemalt waren, stand unter dem Baldachin, unter dem die alten Moskauer Zaren zu beten pflegten, Zar Peter. An seiner Seite war Alexej.

Als der Zarewitsch den Bischof Feofan ansah, fiel ihm ein, was er über ihn gehört hatte.

Feofan war an die Stelle Fedoßkas, des Hauptadmimstrators der geistlichen Angelegenheiten, getreten, weil dieser alt geworden war und in der letzten Zeit oft Anfälle von Melancholie hatte. Feofan war der Urheber des Ukases, welcher befahl, die in der Beichte enthüllten Staatsverbrechen anzuzeigen. Er hatte auch das Geistliche Reglement verfaßt, das die Gründung des Heiligsten Synods zur Folge hatte.

Der Zarewitsch musterte mit neugierigen Blicken den neuen Bischof.

Von Geburt ein Kleinrusse, etwa achtunddreißig Jahre alt, vollblütig, mit glänzendem Gesicht, glänzendem schwarzen Vollbart und glänzendem langen schwarzen Schnurrbart glich er einem Riesenkäfer. Wenn er lächelte, bewegte er den Schnurrbart wie ein Käfer. Schon aus diesem Lächeln konnte man schließen, daß er die schlüpfrigen lateinischen Scherze, die Fazetien des Poggio nicht weniger liebte als die fetten kleinrussischen Klötze, und scharfe dialektische Kunstgriffe nicht weniger als einen guten Schnaps. Trotz seiner bischöflichen Würde zitterte jede Fiber seines Gesichts beständig wie vor allzu großer Lustigkeit und Trunkenheit: dieser rotbackige Silen im bischöflichen Ornate berauschte sich an seinem eigenen Verstand. »Oh, Kopf, Kopf, wo wirst du dich niederlegen, wenn du dich am Verstande berauscht hast?« pflegte er in Augenblicken von Offenherzigkeit zu sagen.

Und der Zarewitsch wunderte sich sehr, als er daran dachte, daß dieser Vagabund, der davongelaufene Unierte, der der römischen Kirche die Treue geschworen hatte und ein Jünger der Jesuiten, dann der Protestanten und gottlosen Philosophen gewesen war, vielleicht sogar selbst ein Gottloser, das Geistliche Reglement verfaßt hatte, von dem das Schicksal der russischen Kirche abhing.

Nachdem der Protodiakon das für den ersten Fastensonntag vorgeschriebene Anathema über alle Ketzer und Abtrünnige von Arius bis zu Grischka Otrepjew und Masepa verkündet hatte, trat der Bischof auf die Kanzel und hielt die Predigt: »Über die Gewalt und die Würde des Zaren.«

In dieser Predigt begründete er den Satz, der zum Eckstein des Heiligsten Synods werden sollte: »Der Zar ist das Haupt der Kirche.«

»Der Lehrer der Völker, der Apostel Paulus, verkündet mit lauter Stimme: ›Es ist keine Obrigkeit ohne von Gott. Wer sich nun wider die Obrigkeit setzet, der widerstrebt Gottes Ordnung.‹ Fürwahr, das ist eine wunderliche Sache! Man könnte sagen, daß Paulus von den Fürsten selbst zu dieser Predigt ausgesandt worden sei: so eifrig ermahnt er, als ob er es mit einem Hammer in jeden Schädel einmeißeln wollte, und er wiederholt immer und immer wieder: von Gott, von Gott ist die Obrigkeit verordnet! Urteilt bitte selbst: hätte denn auch der treueste Minister eines Zaren mehr sagen können? Wollen wir dieser Lehre gleichsam als Bekrönung die Namen und die Titel hinzufügen, die den hohen Obrigkeiten gebühren und die die Zaren mehr schmücken als Purpur und Diademe. Was sind das nun für Titel, was sind das für Namen? Ein jeder Selbstherrscher wird ein Gott und ein Christus genannt. Weil Gott ihnen die Gewalt verliehen, sind sie Gottes Statthalter auf. Erden und werden daher Götter genannt. Der andere Name, Christus, d. h. der Gesalbte, rührt von jener alten Zeremonie her, bei der die Zaren mit Chrisam gesalbt wurden. Der Apostel Paulus sagt ferner: ›Ihr Knechte, seid gehorsam euren leiblichen Herren mit Furcht und Zittern, als Christo.‹ Also vergleicht der Apostel die Herren mit Christo, was uns aber besonders erstaunlich erscheint und diese Wahrheit wie mit einem diamantenen Panzer umgürtet, das können wir nicht verschweigen: die Schrift gebietet uns nämlich, nicht nur den guten, sondern auch den bösen, ungläubigen und gottlosen Obrigkeiten zu gehorchen. Ein jeder kennt die Worte des Apostels Petrus: ›Fürchtet Gott. Ehret den König. Ihr Knechte, seid untertan mit aller Furcht den Herren, nicht allein den gütigen und gelinden, sondern auch den wunderlichen.‹ Auch der Prophet David, der selbst ein König war, nennt den von Gott verworfenen gottlosen König Saul den ›Gesalbten‹, d. h. den ›Christus‹ des Herrn. ›Denn er ist der Gesalbte des Herrn,‹ sagt er von ihm. Darauf wird mancher einwenden: Es ist ganz gleich, was für ein Mensch Saul gewesen ist; aber er war nach dem klar ausgesprochenen Willen Gottes zum König gesalbt worden, und darum gebührt ihm diese Ehre. Gut! Aber man sage mir doch, wer Cyrus von Persien und Nebukadnezar von Babylon waren? Gott nennt aber auch sie durch den Mund der Propheten seine Gesalbten, also, nach dem Worte Davids, Christusse des Herrn. Und wer war der römische Kaiser Nero? Und doch lehrte der Apostel Petrus, daß man auch diesem bösen Peiniger der Christen wie einem Gesalbten und Christus des Herrn gehorchen müsse. Nur das eine blieb zweifelhaft: daß nicht auf allen Menschen diese Pflicht, den Fürsten zu gehorchen ruht, sondern einige davon ausgeschlossen sind, nämlich der Priester- und der Mönchsstand. Hier ist ein Dorn und noch mehr: ein Schlangenstachel! Hier ist papistischer Geist! Denn die Geistlichkeit bildet wohl einen eigenen Stand im Volke, doch kein eigenes Reich. Ebenso wie der Soldatenstand einen eigenen Beruf hat, der Bürgerstand einen andern, und auch die Ärzte, Kaufleute und Handwerker ihre Obliegenheiten haben, so haben auch die Priester und Geistlichen ihren Beruf, nämlich Diener Gottes zu sein, sind aber ebenso wie alle andern den Obrigkeiten untertan. In der alttestamentarischen Kirche waren die Leviten den Königen Israels in allen Dingen unterworfen. Wenn es so im Alten Testamente war, warum sollte es im Neuen anders sein? Denn das Gesetz von den Obrigkeiten ist unwandelbar und ewig, ebenso dauernd wie der Bestand dieser Welt.«

Und endlich kam die Schlußfolgerung:

»Alle Bewohner des Russischen Reiches, nicht nur die Laien, sondern auch die Geistlichen müssen den Namen ihres Selbstherrschers, des allerfrömmsten Zaren Peter Alexejewitsch, als den eines Hauptes und Vaters des Vaterlandes und eines Christi des Herrn verehren!«

Er sprach die letzten Worte mit lauter Stimme, dem Zaren gerade ins Gesicht blickend und die rechte Hand nach dem Gewölbe der Kathedrale erhebend, von dem das auf mattgoldenem Grunde gemalte dunkle Antlitz Christi herabsah.

Und der Zarewitsch war wieder sehr verwundert.

Er dachte sich: wenn jeder Zar, selbst ein solcher, der von Gott abgefallen, ein Christus des Herrn ist, wer ist dann der letzte und größte unter ihnen, der kommende Fürst der Erde, – der Antichrist?

Diese Gotteslästerung wurde von einem Bischof der rechtgläubigen Kirche in der ältesten Kathedrale Moskaus vor dem Zaren und dem Volke verkündet. Der Abgrund der Erde hätte sich doch auftun müssen und den Gotteslästerer verschlingen, oder ein Feuer vom Himmel ihn verzehren!

Aber alles blieb ruhig. Hinter den schrägen Garben der Sonnenstrahlen und den blauen Weihrauchwolken schwebte das riesenhafte Antlitz des Heilands hoch und unerreichbar über der Erde.

Der Zarewitsch blickte den Vater an. Dieser blieb ebenfalls ruhig und hörte andächtig und aufmerksam zu.

Durch diese Aufmerksamkeit ermutigt, schloß Feofan feierlich:

»Freue dich, Rußland! Rühme und verherrliche dich! Alle deine Grenzen und Städte sollen frohlocken: denn siehe, an deinem Horizonte geht wie eine strahlende Sonne der Ruhm des erlauchtesten Zarensohnes, des von Gott erwählten Thronfolgers Peter Petrowitsch auf! Er lebe in Freuden, er regiere glücklich, Peter der Zweite, Peter der Gebenedeite! Amen!«

Als Feofan zu Ende war, erklang aus der Menge eine nicht sehr laute, doch allen verständliche Stimme:

»Gott rette, erhalte und segne den einzigen wahren Erben des russischen Thrones, den allerfrömmsten Herrn Zarewitsch Alexej Petrowitsch!«

Die Menge zuckte zusammen wie ein einziger Mensch und erstarrte vor Schreck; dann ging durch sie ein Rauschen und Leben:

»Wer war es? Wer war es?«

»Wohl ein Verrückter?«

»Ein Besessener.«

»Wie haben ihn die Wachen hereinlassen können?«

»Man muß ihn sofort verhaften, sonst entwischt er, und es wird nicht leicht sein, ihn in der Menge aufzufinden . . .«

In den entferntesten Ecken der Kathedrale, wo nichts zu sehen und zu hören war, wurden die unsinnigsten Gerüchte verbreitet:

»Eine Empörung! Eine Empörung!«

»Eine Feuersbrunst! Hinter dem Altare brennt es!«

»Man hat einen Mann mit einem Messer erwischt: den Zaren wollte er ermorden!«

Die Unruhe wurde immer größer.

Ohne auf sie zu achten, ging Peter auf den Bischof zu und küßte das Kreuz; erst als er auf seinen früheren Platz zurückgekehrt war, befahl er, den Mann, der die frechen Worte gerufen hatte, zu ergreifen und vorzuführen:

Der Kapitän Skornjakow-Pissarew und zwei Wachsergeanten brachten ein kleines mageres altes Männchen vor den Zaren.

Der Alte überreichte dem Zaren ein Papier – den gedruckten Text des Treueides für den neuen Thronerben. Unten, auf der für die Unterschrift bestimmten Stelle war etwas mit enger, verschnörkelter Kanzleihandschrift geschrieben.

Peter blickte erst das Papier dann wieder den Alten an und fragte:

»Wer bist du?«

»Ehemaliger Schreiber bei der Artillerie-Kanzlei, Larion Dokukin.«

Der Zarewitsch, der neben dem Zaren stand, sah den Alten an und erkannte ihn sofort; es war derselbe Dokukin, dem er im Frühjahre 1715 zu Petersburg in der Simeonskirche begegnet war und der ihn später am Tage des Venusfestes im Sommergarten in seiner Wohnung aufgesucht hatte.

Er war immer noch derselbe: ein gewöhnlicher Schreiber, einer von denen, die man »Tintenseelen« und »Kanzleiseelen« nennt, ein ganz ausgetrockneter, wie zu Stein erstarrter Mensch, ebenso farblos und grau wie die Papiere, über denen er in seiner Kanzlei dreißig Jahre lang geschwitzt, bis man ihn auf die Anzeige hin, daß er Bestechungsgelder angenommen habe, hinausgejagt hatte. Nur in der Tiefe seiner Augen leuchtete ebenso wie vor drei Jahren ein unverrückbarer Gedanke.

Auch Dokukin warf dem Zarewitsch einen heimlichen Blick zu, und durch seine harten Züge huschte plötzlich etwas, was Alexej daran erinnerte, wie Dokukin ihn einst angefleht hatte, sich des christlichen Glaubens anzunehmen, wie er geweint, seine Füße umarmt und ihn die »Hoffnung Rußlands« genannt hatte.

»Du willst den Eid nicht leisten?« fragte Peter ruhig, gleichsam erstaunt.

Dokukin blickte dem Zaren gerade in die Augen und wiederholte mit der selben nicht sehr lauten, aber allen Anwesenden verständlichen Stimme, wie vorhin alles, was unten auf dem gedruckten Bogen geschrieben stand:

»Dieweil der einzige wahre Thronerbe, der Herr Zarewitsch Alexej Petrowitsch, den Gott beschützen möchte, unverschuldet verstoßen und vom russischen Throne ausgeschlossen worden ist, will ich keinen Treueid leisten, über dem heiligen Evangelium nicht schwören, das lebenspendende Kreuz nicht küssen und den Thronfolger, den Zarewitsch Peter Petrowitsch als den wahren Thronfolger nicht anerkennen. Ich weiß, daß ich damit den Zorn des Zaren auf mich ziehe, aber der Wille meines Herrn und Heilands Jesu Christi geschehe. Amen, Amen, Amen.«

Peter sah ihn mit noch größerem Erstaunen an.

»Weißt du denn auch, daß dir für solchen Widerstand gegen meinen Willen der Tod droht?«

»Ich weiß es, Zar. Ich bin ja auch dazu hergekommen, um für das Wort Christi den Tod zu empfangen,« antwortete Dokukin einfach.

»Du bist tapfer, Alter. Warte nur, du wirst schon ein anderes Lied singen, wenn ich dich auf der Wippe hochziehen lasse! . . .«

Dokukin erhob stumm seine Hand und bekreuzigte sich mit weitausholenden Bewegungen.

»Hast du gehört,« fuhr der Zar fort, »was der Bischof über die Obrigkeiten gesagt hat? Es gibt keine Obrigkeit ohne von Gott . . .«

»Ich habe es gehört, Zar. Alle Obrigkeit ist von Gott, und was nicht von Gott ist, das ist keine Obrigkeit. Es geziemt sich aber nicht, die gottlosesten Zaren und Antichriste Christusse des Herrn zu nennen. Dem, der solche Worte gesprochen, sollte man die Zunge ausreißen!«

»Hältst du vielleicht mich für den Antichrist?« fragte Peter mit einem leisen, traurigen, fast gutmütigen Lächeln, »sprich die Wahrheit!«

Der Alte schlug verlegen die Augen nieder, hob sie aber gleich wieder und blickte dem Zaren gerade ins Gesicht.

»Ich halte dich für den allerfrömmsten rechtgläubigen Zaren und Selbstherrscher aller Reußen und einen Gesalbten des Herrn,« sagte er mit fester Stimme.

»Wenn so, so hättest du dich in unseren Willen fügen und schweigen sollen.«

»Zar, Eure Majestät! Gerne hätte ich geschwiegen, aber es ist mir unmöglich, wenn in meinen Eingeweiden ein Feuer brennt und mich mein Gewissen zwingt, so daß ich es nicht aushalten kann. Wenn wir schwiegen, so würden die Steine schreien!«

Er fiel dem Zaren zu Füßen.

»Zar, Peter Alexejewitsch, Väterchen, höre uns Arme an, die wir zu dir schreien! Wir wagen nicht, etwas abzuändern oder umzudeuten, aber wie deine Väter und Großväter und die heiligen Patriarchen ihr Seelenheil suchten, so wollen auch wir unser Heil suchen und nach dem himmlischen Jerusalem streben. Um des wahren Gottes willen suche die Wahrheit! Um des Blutes Christi willen suche die Wahrheit! Um deines Seelenheiles willen suche die Wahrheit! Schaffe Frieden in der heiligen Kirche, deiner Mutter. Richte uns ohne Grimm und Zorn. Erbarme dich deines Volkes, erbarme dich des Zarewitsch!«

Peter hörte ihm anfangs aufmerksam, sogar neugierig zu und schien sich Mühe zu geben, ihn zu verstehen. Dann wandte er sich aber weg und zuckte gelangweilt die Achseln.

»Nun ist's genug. Du redest zu viel. Ich habe euch Narren wohl noch zu wenig gestraft und gehängt. Was drängt ihr euch immer wieder vor? was wollt ihr? Glaubt ihr vielleicht, daß ich die Kirche des Herrn weniger achte und an Christus meinen Heiland weniger glaube als ihr? Und wer hat euch, ihr Knechte, zu Richtern über den Zaren und Gatt eingesetzt? Wie wagt ihr es? . . .«

Dokukin richtete sich auf und erhob den Blick zu dem dunklen Antlitz im Gewölbe der Kathedrale. Ein Sonnenstrahl, der von oben fiel, umgab sein greises Haupt wie mit einer strahlenden Glorie.

»Wie wir es wagen, Zar?« rief er mit lauter Stimme. »Höre also, Majestät! Die Heilige Schrift sagt: ›Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst, und des Menschen Sohn, daß du ihn heimsuchst. Du hast ihn eine kleine Zeit der Engel mangeln lassen, mit Preis und Ehre hast du ihn gekrönt, und hast ihn gesetzt über die Werke deiner Hände, alles hast du untergetan zu seinen Füßen; und hast ihm geboten, sein eigener Herr zu sein! . . .‹«

Peter wandte langsam, wie mit Anstrengung den Blick von Dokukin ab, und sagte vor dem Weggehen zu Tolstoi, der neben ihm stand:

»Laß ihn verhaften, auf die Kanzlei bringen und bis zur Untersuchung strengstens bewachen.«

Man ergriff den Alten. Er schlug um sich, schrie und versuchte noch etwas zu sagen. Man band ihn mit Stricken, hob ihn auf die Arme und trug ihn fort.

»Oh, ihr geheimen Märtyrer, erschreckt und verzagt nicht!« fuhr er zu schreien fort und blickte den Zarewitsch an. »Wartet, wartet noch eine kleine Zeit, um Gottes willen! Er naht schon und säumt nicht. Komm, ach komm, Herr Jesu! Amen!«

Der Zarewitsch hörte ihm ganz blaß und zitternd zu.

»So soll man es machen, so soll man es machen!« dachte er, als ob er erst jetzt sein ganzes Leben begriffen hätte und seine Seele bis ins Innerste aufgewühlt worden wäre: was er früher als eine Last empfunden hatte, das wurde jetzt zu Flügeln. Er wußte, daß er wieder in Ohnmacht, Trauer und Verzweiflung fallen würde, aber er wußte auch, daß er das, was er eben begriffen, niemals vergessen würde.

Er hob wie Dokukin seinen Blick zu dem dunklen Antlitz im Gewölbe der Kathedrale empor. Und es schien ihm, als ob dieses Riesenantlitz in den schrägen Sonnenstrahlen und den blauen Weihrauchwolken sich bewege, aber nicht mehr wie vorhin in die unerreichbare Höhe emporsteige, sondern vom Himmel auf die Erde herabsinke, als ob der Herr selbst nahe.

Mit einem Frohlocken, das an Grauen grenzte, wiederholte er die Worte:

»Komm, ach komm, Herr Jesu! Amen!«


 << zurück weiter >>