Dmitri Mereschkowski
Peter und Alexej
Dmitri Mereschkowski

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III.

Peter fuhr in seinem Kabriolet über den Quai nach dem Sommerpalais, wo er in diesem Jahre bis in den Spätherbst hinein wohnen blieb, weil das Winterpalais umgebaut wurde.

Er dachte darüber nach, warum er früher immer so freudig nach Hause zum Mittagessen und zu seiner Katenjka zurückgekehrt und es ihm jetzt beinahe lästig war. Er erinnerte sich an die anonymen Briefe mit den Anspielungen auf seine Frau und den jungen hübschen Deutschen, den Kammerjunker Mons.

Katenjka war stets seine treue Lebensgefährtin und gute Gehilfin gewesen. Sie hatte mit ihm stets alle Mühen und Gefahren geteilt und ihn wie eine gewöhnliche Soldatenfrau bei allen Feldzügen begleitet. Im Feldzuge beim Pruth hatte sie, indem sie sich »als Mann und nicht als Frau benahm«, die ganze Armee gerettet. Er nannte sie »Mutter«, wenn er sie nicht bei sich hatte, fühlte er sich hilflos und jammerte wie ein Kind: »Mutter! Ich habe niemanden, der meine Sachen instandhält und mir die Wäsche wäscht.«

Sie waren eifersüchtig aufeinander, doch nur im Scherz. »Dein Brief machte mich nachdenklich. Du schreibst mir, ich möchte noch länger ausbleiben, angeblich wegen meiner Gesundheit; ich nehme aber an, daß du inzwischen einen Jüngeren gefunden hast; schreibe mir, bitte, ob es einer von den unsrigen oder ein Deutscher ist. So behandelt ihr Evastöchter uns Greise!« – »Ich halte dich nicht für einen Greis,« antwortete sie, »und du hast gar keinen Grund, dich einen Greis zu nennen. Ich hoffe, daß sich auch heute noch viele finden werden, die sich mit einem so lieben Greise einlassen. Solches habe ich von Euch auszustehen! Ich habe Nachrichten bekommen, daß die Königin von Schweden mit Euch ein Liebesverhältnis beginnen will; das erscheint mir auch recht glaubwürdig.«

Während der Trennung tauschten sie wie Verlobte Geschenke aus. Katenjka schickte ihm, selbst wenn er mehrere tausend Werst von ihr entfernt war, Ungarwein, starken Schnaps, neue Salzgurken, Zitronen und Apfelsinen, – »da die hiesigen wohl besser schmecken. Gott lasse sie Euch wohl bekommen.«

Doch die teuersten Geschenke waren die Kinder. Außer den beiden ältesten Töchtern Lisanjka und Annuschka kamen sie kränklich zur Welt und starben im zartesten Alter. Am meisten liebte er das letztgeborene Kind, Petenjka, »das Tannenzäpfchen«, den »Herrn von Petersburg«, der an Stelle Alexejs zum Thronerben erklärt worden war. Petenjka kam auch schwächlich zur Welt, war ständig krank und lebte nur von Arzneien. Der Zar zitterte um ihn und fürchtete, daß er sterben werde. Katenjka tröstete den Zaren: »Ich glaube, daß wenn unser teurer Greis hier wäre, wir im nächsten Jahr ein neues Zäpfchen haben würden.«

In dieser Zärtlichkeit der Ehegatten zueinander lag eine gewisse Süßlichkeit, eine galante Empfindsamkeit, die zu dem strengen Zaren so wenig paßte. »Ich habe mir hier die Haare schneiden lassen; obwohl du dich darüber kaum freuen wirst, schicke ich dir meine abgeschnittenen Haare.« – »Die teuren Härchen habe ich richtig erhalten und die Nachricht von Eurem Wohlergehen mit Freude vernommen.« – »Ich schicke dir, meine Herzensfreundin, eine Blüte von jener Minze, die du selbst gepflanzt hast. Hier ist es, Gottlob, sehr lustig; aber so oft ich in unser Landschlößchen komme und dich nicht vorfinde, spüre ich Langeweile,« schrieb er ihr aus Reval, aus ihrem Lieblingsparke Katharinental. Dem Briefe waren eine getrocknete blaue Blume und eine Abschrift aus einer englischen Zeitung beigelegt: »Am elften Oktober des vorigen Jahres kamen aus der Provinz Monmouth zwei Ehegatten nach England, die 110 Jahre miteinander verlebt hatten, der Mann war 126 und die Frau 125 Jahre alt.« Das sollte bedeuten: gebe Gott, daß auch wir ebensolange in glücklicher Ehe zusammenleben.

Und als er jetzt, wo sein Leben zur Neige ging, an diesem traurigen Herbstmorgen an alle mit Katenjka verlebten Jahre zurückdachte und sich sagte, daß sie ihm untreu werden und ihren »Greis« mit dem ersten besten hübschen Jungen, einem Deutschen niedriger Abstammung vertauschen könnte, empfand er keine Eifersucht, auch nicht Haß oder Empörung, sondern nur die Hilflosigkeit eines Kindes, das von seiner »Mutter« verlassen ist.

Er übergab die Zügel dem Kammerlakaien, krümmte sich zusammen, und senkte den Kopf, der bei jedem Stoße des Kabriolets auf dem schlechten Steinpflaster wie vor Altersschwäche wackelte. Auch er selbst schien auf einmal ganz alt und gebrechlich.

Das Glockenspiel auf der andern Newaseite schlug elf. Das Morgenlicht war so trüb wie der Blick eines Sterbenden. Es schien, daß der Tag niemals anbrechen würde. Es schneite und regnete zugleich. Die Pferdehufe klatschten in den Pfützen. Die Räder ließen den Schmutz emporspritzen. Die grauen, langsam dahinschleichenden, wie Spinnenleiber aufgedunsenen Wolken zogen so niedrig, daß sie die Nadel der Peter-Paulfestung verdeckten. Das graue Wasser, die grauen Häuser, Bäume und Menschen zerflossen im Nebel wie Gespenster.

Als das Kabriolet die hölzerne Zugbrücke des Schwanengrabens erreichte, schlug aus dem Sommergarten der an Grabesodem gemahnende Geruch feuchter Erde und faulenden Laubes entgegen; die Gärtner kehrten in den Alleen das welke Laub zu Haufen zusammen. Auf den kahlen Linden krächzten die Raben. Man hörte Hammerschläge: die Marmorstatuen wurden für den Winter zum Schutze gegen Frost und Schnee in schmale lange Bretterkisten eingesargt. Es war, als ob man die auferstandenen Götter wieder in Särge legte, um sie aufs neue zu begraben.

Zwischen den lila-schwarzen, nassen Stämmen zeigte sich ein in holländischem Geschmack erbautes Häuschen mit hellgelben Mauern, gewürfeltem Dach aus Eisenblech, einer blechernen Wetterfahne in Form eines heiligen Georg, weißen Stuckreliefs, die allerlei Seeungeheuer, Tritone und Nereïden darstellten, enggegitterten Fenstern und einer Glastüre, die direkt in den Garten führte. Es war das Sommerpalais.


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