Dmitri Mereschkowski
Peter und Alexej
Dmitri Mereschkowski

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II.

Peter liebte Peterhof nicht weniger als das »Paradies«. Er kam jeden Sommer hin und überwachte selbst den Bau der »Plaisirgärten, Gartenlinien, Kaskaden und Fontainen.«

»Die eine Kaskade,« befahl der Zar, »soll so eingerichtet werden, daß das Wasser spritze, und die andere, daß das Wasser glatt wie Glas über die Erde dahinfließe; es ist eine Wasserpyramide mit kleinen Kaskaden einzurichten; vor der großen Pyramide ist oben die Geschichte des Herkules darzustellen, wie er mit einem siebenköpfigen Reptil, das man Hydra nennt, kämpft, aus dessen Köpfen Wasserstrahlen springen; auch ist der wagen Neptuns mit vier Seepferden darzustellen, und aus ihren Mäulern soll Wasser fließen; an den Absätzen sind Tritonen aufzustellen, welche Hörner blasen und allerlei von Wasser angetriebene Wasserspiele, von jeder Fontaine ist zuvor eine perspektivische Zeichnung anzufertigen, so wie die französischen und römischen Gärten entworfen werden.«

Peterhof lag im Lichte einer weißen Mainacht da. Das Meer war glatt wie Glas, vom grünlichen Himmel mit dem rosa Schimmer von Perlmutter hoben sich die schwarzen Tannen und die gelben Wände der Schloßbauten ab. In den trüben Fenstern spiegelte sich wie in blinden Augen das traurige Licht der niemals erlöschenden Abendröte. In diesem Lichte erschien alles bleich und tot; das Grün des Grases und der Bäume war grau wie Asche, die Blumen sahen wie welk aus. In den Gärten war es still und öde. Die Fontainen schlummerten. Nur an den moosbewachsenen Stufen der Kaskaden und von den Tuffsteinen der Grotten fielen einzelne Tropfen wie Tränen herab. Nebel stieg auf, und in ihm schimmerten weiß wie Gespenster zahllose Marmorstatuen, ein ganzer Olymp der auferstandenen Götter, hier, an den äußersten Grenzen der Erde, an den Gestaden des hyperboreischen Meeres, in der weißen, tageshellen Nacht, die wie der nachtgleiche Tag des Hades war, lag auf diesen blassen Schatten des toten Hellas eine unendliche Trauer. Sie schienen gleich nach ihrer Auferstehung einen zweiten Tod zu sterben, von dem es keine Auferstehung mehr gibt.

Über einem niederen gestutzten Gärtchen, dicht am Ufer des Meeres erhob sich ein Backsteinhäuschen in holländischem Geschmack. Es war das Zarenschlößchen Monplaisir. Auch hier war alles still und öde. Nur in einem Fenster brannte Licht: es war die Kerze im Arbeitszimmer des Zaren.

Am Schreibtisch saßen Peter und Alexej einander gegenüber. Im Zwielichte der Kerze und des Abendrotes erschienen ihre Gesichter, wie alles in dieser Nacht, gespensterhaft und bleich.

Peter verhörte zum erstenmal seit seiner Rückkehr nach Petersburg seinen Sohn.

Der Zarewitsch antwortete ihm ruhig, als ob er den Vater nicht mehr fürchtete, sondern nur Müdigkeit und Langweile empfände.

»Wer von den weltlichen oder geistlichen Amtspersonen hat etwas von deiner Absicht, sich mir zu widersetzen, gewußt, was für Worte hast du zu ihnen, und was für Worte haben sie zu dir gesprochen?«

»Ich weiß sonst nichts,« antwortete Alexej zum hundertsten Mal.

»Hast du solche Worte gesprochen, wie: ›Ich spucke auf alle, wenn mir nur das gemeine Volk gewogen bleibt‹?«

»Vielleicht habe ich dergleichen im Rausche gesprochen. An alles kann ich mich nicht mehr erinnern. Im Rausche habe ich allen möglichen Unsinn zusammengeredet und ein loses Maul gehabt; ich konnte ohne aufrührerische Worte niemals in Gesellschaft sein und habe solche Worte oft gebraucht, indem ich mich auf die Verschwiegenheit der Leute verließ. Du weißt ja selbst, Väterchen, daß jeder Mensch manchmal betrunken ist . . . Alles ist Unsinn!«

Er blickte den Vater mit einem so eigentümlichen Lächeln an, daß es diesem ganz unheimlich zumute wurde, als ob er einen Verrückten vor sich hätte.

Peter suchte aus einem Stoß von Papieren ein Blatt heraus und zeigte es dem Zarewitsch.

»Ist das deine Handschrift?«

»Ja.«

Es war der Entwurf des in Neapel geschriebenen Briefes, in dem er die Bischöfe und Senatoren anflehte, ihn nicht zu verlassen.

»Hast du es freiwillig und aus eigenem Antriebe geschrieben?«

»Nein, unter Zwang. Der Sekretär des Grafen Schönborn, Keil, hat mich dazu gezwungen. Er sagte mir: ›Da das Gerücht verbreitet wird, daß du gestorben seist, sollst du diesen Brief schreiben, und wenn du ihn nicht schreibst, so werden wir dich nicht länger hier behalten.‹ Und er wich nicht von mir, bis ich den Brief geschrieben hatte.«

Peter wies mit dem Finger auf eine Stelle des Briefes: es waren die Worte:

»Ich bitte jetzo, jetzo bei dieser Gelegenheit mich nicht zu verlassen.«

Das Wort »jetzo« war zweimal geschrieben und beide Mal durchstrichen.

»Mit welcher Absicht ist dieses Wort ›jetzo‹ geschrieben und warum ist es durchgestrichen?«

»Ich kann mich dessen nicht mehr entsinnen,« antwortete der Zarewitsch erblassend.

Er wußte, daß in diesem durchstrichenen »jetzo« der Schlüssel zu seinen geheimsten Gedanken an eine Empörung, an den möglichen Tod des Vaters und an die Aussicht, getötet zu werden, lag.

»Ist es wahr, daß du es unter Zwang geschrieben hast?«

»Es ist wahr.«

Peter erhob sich, ging ins Nebenzimmer, rief den Diener, gab ihm irgendeinen Befehl, kehrte ins Arbeitszimmer zurück, setzte sich wieder an den Tisch und begann die letzte Aussage des Zarewitsch aufzuschreiben.

Hinter der Türe erklangen Schritte. Die Türe ging auf. Alexej stieß einen leisen Schrei aus und wurde beinahe ohnmächtig. Auf der Schwelle stand Afrossinja.

Er hatte sie seit Neapel nicht gesehen, sie war nicht mehr schwanger. Sie war wohl in der Festung niedergekommen, wohin man sie, wie der Zarewitsch vom Fürsten Jakow Dolgorukij erfahren, gleich nach ihrer Ankunft in Petersburg gesperrt hatte.

»Wo mag der Silberne sein?« dachte sich der Zarewitsch und begann zu zittern. Er streckte ihr seine Arme entgegen, erstarrte aber sofort vor dem Blick des Vaters und suchte nur einen Blick ihrer Augen zu erhaschen, sie sah ihn aber gar nicht an und schien ihn überhaupt nicht zu sehen.

Peter wandte sich an sie mit freundlicher Stimme:

»Ist es wahr, Fjodorowna, was der Zarewitsch sagt, nämlich daß er den Brief an die Bischöfe und Senatoren nicht aus eigenem Antriebe sondern von den Höflingen des Kaisers gezwungen geschrieben habe?«

»Es ist nicht wahr,« antwortete sie gelassen. »Er schrieb den Brief ganz allein, und keiner der Ausländer war dabei. Nur ich und der Zarewitsch waren im Zimmer. Und er sagte mir, daß er diese Briefe schreibe, um sie in Petersburg heimlich verbreiten zu lassen, andere Briefe seien aber an die Bischöfe und die Senatoren gerichtet.«

»Afroßja, Afroßjuschka, Mamachen! . . . was fällt dir ein?« stammelte der Zarewitsch entsetzt.

»Sie weiß es nicht mehr, sie hat es vergessen oder verwechselt,« wandte er sich an den Vater mit dem gleichen seltsamen Lächeln, vor dem es diesem so unheimlich zumute wurde. »Ich schickte damals an den Sekretär des Vizekönigs den Plan der Attacke von Bjelgorod aber nicht jenen Brief . . .«

»Gerade den Brief, Zarewitsch. Vor meinen Augen hast du ihn zugesiegelt, hast du es schon vergessen? Ich habe es gesehen,« sagte sie ebenso ruhig wie vorhin und warf ihm plötzlich den gleichen durchdringenden Blick zu, mit dem sie ihn vor drei Jahren im Hause der Wjasemskij's angeschaut hatte, als er sich betrunken auf sie stürzte, um sie zu vergewaltigen, und sie mit dem Messer bedrohte.

In diesem Blicke konnte er lesen, daß sie ihn verraten hatte.

»Sohn,« sagte Peter, »du siehst wohl selbst, daß es sich hier um etwas außerordentlich Wichtiges handelt. Wenn du jene Briefe aus eigenem Antriebe geschrieben hast, so hast du an eine Empörung nicht nur gedacht, sondern hattest auch die Absicht, sie wirklich hervorzurufen. Dieses hast du in deinen früheren Geständnissen nicht aus Vergeßlichkeit verheimlicht, sondern aus List, um solche Absichten einmal wirklich in die Tat umzusetzen. Wir wollen aber nicht unser Gewissen vor Gott beflecken, indem wir einer Anzeige ohne Nachprüfung Glauben schenken. Ich frage dich zum letztenmal: ist es wahr, daß du es aus eigenem Antriebe geschrieben hast?«

Der Zarewitsch schwieg.

»Du tust mir leid, Fjodorowna,« sagte Peter, »aber es laßt sich wohl nicht anders machen. Ich muß dich foltern lassen.«

Alexej blickte erst seinen Vater dann Afrossinja an und begriff, daß sie der Folter nicht entgehen würde, wenn er noch weiter leugnete.

»Es ist wahr,« sagte er fast unhörbar; kaum hatte er aber diese Worte gesprochen, als seine Angst sich verflüchtigte und ihm alles wieder ganz gleichgültig wurde.

In den Augen Peters leuchtete Freude auf.

»Mit welcher Absicht hast du das Wort ›jetzo‹ geschrieben?«

»Mit der Absicht, daß das Volk für mich mehr einträte, denn ich dachte an die gedruckten Berichte über die Meuterei in Mecklenburg. Später überlegte ich mir aber, daß es schlecht sei, und strich es aus . . .«

»Du freutest dich also über die Meuterei?«

Der Zarewitsch gab keine Antwort.

»Und wenn du dich freutest,« fuhr Peter fort, als ob er die unhörbare Antwort gehört hätte, »so doch nicht ohne Grund, wenn das mit der Meuterei wirklich stimmte, so hättest du dich doch den Meuterern angeschlossen?«

»Wenn sie nach mir geschickt hätten, so wäre ich hingefahren. Ich erwartete dies aber erst nach Eurem Tod. Denn . . .«

Er hielt inne, erbleichte nach mehr und schloß mit großer Selbstüberwindung:

»Denn ich erwartete, daß sie dich töteten; daß sie dich bei Lebzeiten entthronten, das erwartete ich nicht . . .«

»Und wie wäre es bei meinen Lebzeiten?« fragte Peter hastig und leise, dem Sohne gerade in die Augen blickend.

»Wenn sie mächtig genug gewesen wären, so hätte ich es vielleicht auch bei deinen Lebzeiten getan,« antwortete Alexej ebenso leise.

»Sage alles, was du weißt,« wandte sich Peter wieder an Afrossinja.

»Der Zarewitsch strebte immer mit großem Eifer nach dem Erbe,« sagte sie schnell und sicher, als ob sie etwas, was sie auswendig gelernt hatte, aufsagte. »Entflohen ist er aber aus dem Grunde, weil du, Zar, angeblich stets auf eine Gelegenheit gewartet hättest, ihn umzubringen. Als er einmal hörte, daß dein jüngster Sohn, der Zarewitsch Peter Petrowitsch erkrankt wäre, sagte er zu mir: ›Siehst du es nun, Väterchen tut das Seinige, und Gott tut das Seinige!‹ Er setzte auch große Hoffnungen auf die Senatoren. ›Die Alten will ich absetzen und mir neue nach meinem Willen erwählen.‹ Wenn er aber von irgend welchen Traumgesichten hörte oder in den Zeitungen las, daß in Petersburg alles ruhig sei, so pflegte er zu sagen, daß die Traumgesichte und auch die Ruhe einen tieferen Grund haben müßten: ›Entweder wird mein Vater sterben, oder ein Aufstand ausbrechen‹.«

Sie sprach noch lange, führte seine Worte an, an die er sich nicht mehr erinnern konnte, und enthüllte solche Geheimnisse seines Herzens, von denen er selbst nichts wußte.

»Und als Herr Tolstoi nach Neapel kam, wollte der Zarewitsch sich aus der Protektion des Kaisers zum römischen Papst begeben, und ich hielt ihn davon ab,« schloß Afrossinja.

»Ist das alles wahr?« fragte Peter den Sohn.

»Es ist wahr,« antwortete der Zarewitsch.

»Nun kannst du gehen, Fjodorowna. Ich danke dir!«

Der Zar reichte ihr die Hand. Sie küßte sie und wandte sich zum Gehen.

»Mamachen! Mamachen!« begann plötzlich der Zarewitsch wie im Fieber zu stammeln, ohne selbst zu wissen, was er redete, und streckte nach ihr seine Arme aus. »Lebe wohl, Afroßjuschka! Vielleicht sehen wir uns nicht wieder. Gott sei mit dir! . . .«

Sie antwortete nichts und sah sich nicht um.

»Warum bist du so zu mir? . . .« fügte er leise, ohne Vorwurf, nur mit grenzenlosem Erstaunen hinzu. Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und hörte, wie die Türe hinter ihr ins Schloß fiel.

Peter tat so, als sähe er den Stoß der Papiere durch, streifte aber den Sohn ab und zu mit einem verstohlenen Blick, als erwartete er etwas von ihm.

Es war die stillste Stunde der Nacht, und die Stille schien noch tiefer, weil es so hell wie am Tage war.

Der Zarewitsch nahm plötzlich die Hände vom Gesicht weg; es war schrecklich.

»Wo ist das Kindchen? Wo ist das Kindchen?« fragte er, indem er einen unbeweglichen, brennenden Blick auf den Vater richtete, »Was habt ihr mit ihm gemacht? . . .«

»Was für ein Kind?« Peter hatte die Frage nicht sogleich verstanden.

Der Zarewitsch wies auf die Türe, durch die Afrossinja hinausgegangen war.

»Es ist tot,« sagte Peter, ohne den Sohn anzublicken. »Es ist tot zur Welt gekommen.«

»Du lügst!« schrie Alexej auf und erhob die Hände, als ob er dem Vater drohen wollte. »Ihr habt es umgebracht, umgebracht! Ihr habt es erwürgt oder wie einen jungen Hund ins Wasser geworfen! Was hat das unschuldige Kind verbrochen? . . . War es ein Knabe?«

»Ein Knabe.«

»Wenn Gott mir zur Regierung verholfen hätte,« fuhr Alexej nachdenklich, wie vor sich hin, fort, »hätte ich ihn zum Thronfolger erklärt . . . Ich wollte ihn Iwan taufen . . . Zar Iwan Alexejewitsch würde er heißen . . . wo ist die Leiche? . . . Wo habt ihr die Leiche hingetan? . . . Sprich! . . .«

Peter schwieg.

Der Zarewitsch griff sich an den Kopf. Sein Gesicht verzerrte sich und wurde rot.

Er erinnerte sich an die Gepflogenheit des Zaren, totgeborene Kinder ebenso wie die anderen »Monstra« in Spiritus zu setzen, um sie in der »Kunstkammer« aufzubewahren . . .

»In ein Glas, in ein Glas mit Spiritus! . . . Der Erbe der Zaren aller Reußen schwimmt wie ein Frosch im Spiritus!« Er lachte plötzlich so wild auf, daß es Peter kalt überlief. Er dachte wieder: »Ein Verrückter!« und fühlte sich wieder von jenem Ekelgefühl, das an überirdisches Grauen grenzte, ergriffen, das er immer vor Spinnen, Schaben und anderem Ungeziefer empfand.

Doch im gleichen Augenblick ging das Grauen in Wut über: es schien ihm, daß der Sohn über ihn lache, daß er sich mit Absicht verstelle, um weiter beim Leugnen zu verharren und seine verbrecherischen Absichten zu verheimlichen.

»Was hast du noch alles auf dem Herzen?« fuhr er im Verhör fort, als ob er gar nicht merkte, was mit dem Zarewitsch vorging.

Dieser hörte aber ebenso plötzlich, wie er begonnen hatte, zu lachen auf, lehnte den Kopf zurück, und sein Gesicht wurde so blaß wie das eines Toten. Er blickte den Vater stumm und verständnislos an.

»Wenn du deine Hoffnungen auf das gemeine Volk setztest,« fuhr Peter fort, indem er seine Stimme erhob und sich bemühte, sie ruhig erscheinen zu lassen, »hast du nicht jemand zum gemeinen Volk geschickt, um einen Aufstand anzuzetteln, oder hast du nicht von jemand gehört, daß das Volk zu einem Aufstand bereit sei?«

Alexej schwieg.

»So antworte!« schrie Peter, während sein Gesicht in einem Krampfe zuckte.

Auch in Alexejs Gesicht schien etwas zu zucken. Er öffnete mit Mühe seine zusammengepreßten Lippen und sagte:

»Ich habe alles gesagt. Ich werde nicht mehr reden.«

Peter schlug mit der Faust auf den Tisch und sprang auf.

»Was unterstehst du dich!«

Auch der Zarewitsch erhob sich und sah den Vater unverwandt an. Eine flüchtige, gleichsam gespenstische Ähnlichkeit zwischen ihnen trat plötzlich wieder zutage.

»Was drohst du mir, Vater?« sagte Alexej leise. »Ich fürchte dich nicht, ich fürchte nichts mehr. Du hast mir alles genommen, hast meine Seele und meinen Leib zugrunde gerichtet. Nun kannst du mir nichts mehr nehmen. Du kannst mich höchstens töten. Töte mich also! Mir ist alles gleich.«

Seine Lippen verzogen sich langsam in einem leisen spöttischen Lächeln. Peter glaubte in diesem Lächeln eine grenzenlose Verachtung zu sehen.

Er brüllte wie ein verwundetes Tier, stürzte sich auf den Sohn, packte ihn an der Kehle, warf ihn zu Boden und begann, immer noch unmenschlich schreiend, ihn zu würgen, mit den Füßen zu treten und mit dem Stocke zu schlagen.

Die Leute im Schlosse erwachten und begannen unruhig hin und her zu laufen, aber niemand wagte es, ins Arbeitszimmer des Zaren zu treten. Die Diener erbleichten und bekreuzigten sich, als sie sich der Türe näherten und auf die schrecklichen Töne horchten, die hinter ihr klangen; es hörte sich so an, als ob ein Raubtier einen Menschen zerfleischte.

Die Zarin schlief im oberen Schlosse. Man weckte sie. Sie kam halb bekleidet herbeigelaufen, wagte aber auch nicht einzutreten.

Erst als es wieder still geworden war, machte sie leise die Türe auf, blickte ins Zimmer und schlich leise auf den Zehen hinter dem Rücken des Gatten hinein.

Der Zarewitsch lag bewußtlos auf dem Boden. Der Zar saß im Sessel fast ebenfalls bewußtlos.

Man schickte nach dem Leibarzt Blumentrost. Er beruhigte die Zarin, die geglaubt hatte, daß der Zar seinen Sohn erschlagen habe. Der Zarewitsch war grausam zugerichtet, hatte aber weder gefährliche Wunden noch Knochenbrüche. Er kam bald wieder zur Besinnung und schien sogar ruhig.

Der Zustand des Zaren war schlechter als der des Sohnes. Als man ihn in sein Schlafzimmer geführt, oder vielmehr auf den Armen getragen hatte, bekam er solche Krämpfe, daß Blumentrost einen Schlaganfall befürchtete.

Gegen Morgen ging es ihm aber besser. Am Abend stand er auf, ließ sich, trotz der Bitten Ratenjkas und der Warnungen des Leibarztes, eine Schaluppe bereit machen und fuhr nach Petersburg. Der Zarewitsch wurde in einer geschlossenen Schaluppe, die neben der des Zaren fuhr, nach Petersburg gebracht.

Am nächsten Tag, den 14. Mai, wurde ein zweites Manifest über den Zarewitsch veröffentlicht, in dem es hieß, daß der Zar geruht hätte, seinem Sohne Verzeihung zu versprechen, »falls er ein vollständiges und aufrichtiges Geständnis ablegt und nichts verheimlicht; da er aber diese väterliche Gnade mißachtet und seine Absicht, das Erbe mit Hilfe der Ausländer oder durch die Gewalt von Meuterern zu erlangen, verheimlicht hat, so ist das Versprechen des Zaren, Gnade walten zu lassen, null und nichtig.«

Am gleichen Tage wurde der höchste Gerichtshof eingesetzt, der den Zarewitsch als einen Hochverräter abzuurteilen hatte.

Nach einem Monat, am 14. Juni, wurde er in die Peter-Pauls-Festung gebracht und in die Trubetzkoj-Bastion gesperrt.


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