Dmitri Mereschkowski
Peter und Alexej
Dmitri Mereschkowski

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II.

Tagebuch des Zarewitsch Alexej.

Segne, oh Herr, den Beginn in deiner Güte.

* * *

Als ich mich auf Befehl dessen, der mich geboren (Anmerkung der Arnheim: so nennt der Zarewitsch seinen Vater), in Pommern zwecks Aufkaufs von Proviant aufhielt, hörte ich, daß der Metropolit von Rjasan Stephan in der Mariä-Himmelfahrts-Kathedrale zu Moskau den zarischen Ukas über die Fiskalen, d. h. die Angeber in weltlichen und geistlichen Angelegenheiten, und auch die übrigen der Kirche feindlichen Ukase des Zaren verurteilte und dem Volke zurief:

»Wundert euch nicht, daß unser sturmreiches Rußland immer noch blutigen Stürmen ausgesetzt ist. So unendlich entfernt sind die menschlichen Satzungen von den Gesetzen Gottes.«

Und die Herren Senatoren kamen zum Metropoliten und machten ihm Vorwürfe, daß er das Volk aufwiegele und die Ehre des Zaren verletze. Und man hinterbrachte das auch dem Zaren.

Und ich riet dem von Rjasan, sich mit dem Vater zu versöhnen, was habe es für einen Vorteil, wenn sie einander befehdeten? Er möchte doch mit aller Kraft nach einer Versöhnung streben; denn wenn man ihn fallen ließe, werde es keinen andern wie er geben.

Noch vor jener Predigt schrieben wir einander Briefe, wenn auch nicht oft und nur, wenn es sich um wichtige Angelegenheiten handelte. Als ich aber von jener Predigt hörte, gab ich die Korrespondenz mit ihm auf, besuchte ihn nicht mehr und ließ ihn nicht mehr vor, weil der, der mich geboren, ihn haßt, und der Umgang mit ihm mir gefährlich werden könnte. Man sagt, daß er das Amt, das er jetzt innehat, verlieren werde.

Und jene Predigt schloß der von Rjasan mit einem Gebet zum heiligen Alexej, dem Manne Gottes, um meinetwillen:

»Oh Heiliger Gottes! Vergiß nicht den, der mit deinem Namen getauft ist, den eifrigen Hüter der göttlichen Gebote und deinen fleißigen Nacheiferer, den Zarewitsch Alexej Petrowitsch. Du hast dein Haus verlassen; auch er irrt obdachlos umher. Dir wurden deine Diener und Untertanen, deine Freunde und Verwandten genommen: desgleichen ihm. Du bist ein Mann Gottes, auch er ist ein aufrechter Knecht Christi. Wir beten zu dir, du Heiliger, beschütze den, der mit deinem Namen getauft ist, unsere einzige Hoffnung, bedecke ihn mit deinen Fittichen wie deinen liebsten Nestling, wie einen Augapfel, daß ihm nichts Böses geschehe!«

* * *

Als ich mich auf Befehl dessen, der mich geboren, in fremden Landen zwecks Erlernung der Navigation, Fortifikation, Geometrie und der übrigen Wissenschaften aufhielt, hatte ich immer große Angst, ohne Beichte sterben zu können. Und ich schrieb darüber nach Moskau meinem Beichtvater Jakob folgendes:

»Wir haben keinen Geistlichen mit uns genommen und können uns keinen verschaffen. Ich bitte also deine Ehrwürden, mir einen Popen in Moskau auszuwählen, der heimlich zu mir reist, nachdem er zuvor alle äußeren Abzeichen seiner Priesterwürde abgelegt hat: er muß Bart und Schnurrbart abrasieren, die Tonsur verwachsen lassen, oder den ganzen Kopf abrasieren, oder auch eine Perücke aufsetzen; auch muß er deutsche Kleidung anlegen und sich für meinen Diener ausgeben. Ich bitte dich sehr darum, Vater! Habe Erbarmen mit meiner Seele, laß mich nicht ohne Beichte sterben! Ich brauche den Priester nur für den Fall meines Todes, sowie auch, solange ich gesund bin, für die Beichte. Es wäre gut, wenn du dazu einen heimatlosen und unverheirateten jungen Priester bewegen könntest, der sich leicht von seinen Bekannten aus Moskau entfernen und wie spurlos verschwinden könnte. Über das Abrasieren des Bartes soll er sich keine Sorgen machen, denn in der Not ist es erlaubt, auch gegen das Gesetz zu handeln: es ist besser, die kleine Sünde auf sich zu nehmen, als eine Menschenseele ohne Beichte sterben zu lassen. Tue das ohne Aufschub; wenn du aber nicht die Gnade hast, dies zu tun, so wird Gott von dir Rechenschaft für meine Seele fordern.«

* * *

Als ich aus den fremden Landen zu dem, der mich geboren, nach Sankt Petersburg zurückkehrte, nahm er mich höchst gnädig auf und fragte mich, ob ich das, was ich gelernt, noch nicht vergessen hätte. Worauf ich ihm die Antwort gab, daß ich noch nichts vergessen hätte. Er befahl mir, ihm Zeichnungen von meiner Hand vorzulegen. Ich fürchtete aber, daß er mich zwingen könnte, vor seinen Augen zu zeichnen, was mir vielleicht nicht gelingen würde; daher beschloß ich, mir die rechte Hand zu verstümmeln, damit ich mit ihr nichts tun könnte. Ich lud eine Pistole, nahm sie in die linke Hand und schoß sie gegen meine rechte Handfläche ab, um sie mit einer Kugel zu durchlöchern. Obwohl die Kugel an der Hand vorbeiflog, versengte ich sie mir doch recht schmerzhaft mit dem Pulver, die Kugel aber durchbohrte die Wand meiner Kammer, wo noch heute ein Loch zu sehen ist. Und der, der mich geboren, sah meine versengte Hand und fragte mich, wie das geschehen sei. Und ich sagte ihm etwas anderes, aber nicht die Wahrheit.

* * *

Kapitel VII, Artikel 63 des Kriegsstatuts lautet:

»Wer sich selbst krank macht oder seine Glieder verstümmelt und zum Militärdienst untauglich macht, dem sollen die Nasenflügel aufgerissen werden und er selbst soll zur Zwangsarbeit nach Sibirien verschickt werden.«

* * *

Kapitel XXII, Paragraph 6 des Gesetzbuches des Zaren Alexej Michailowitsch lautet:

»Und wenn ein Sohn gegen seinen Vater Klage erhebt, so soll das Gericht seine Klage gar nicht untersuchen, sondern ihn mit der Knute bestrafen und dem Vater übergeben.«

Ich finde dies nicht sehr gerecht: obwohl die Kinder dem Willen der Eltern unterliegen, sind sie doch kein stummes Vieh. Nicht nur das Natürliche allein – die Fähigkeit, ein Kind zu zeugen –, sondern auch die Tugend macht den Menschen zum Vater.

* * *

Ich hörte, daß der, der mich geboren, es nicht gerne sieht, wenn in Moskau neue Häuser errichtet werden, denn sein Wille ist, in Petersburg zu leben.

* * *

Es geht nicht, daß man an den Volkssitten etwas ändert.

Wenn ein Land seine Sitten abändert, bleibt es nicht lange bestehen.

Die russischen Leute haben das Wasser in ihren eigenen Gefäßen vergessen und fangen an, sich an fremdem, aufgerührtem Wasser zu berauschen.

* * *

Der Erzbischof von Nowgorod, Hiob, sagte mir:

»Es wird für dich in Petersburg etwas Böses vorbereitet. Nur Gott allein kann dich erretten. Du wirst sehen, wie weit es bei euch noch kommen wird.«

* * *

Gott hat uns Sünder in die Gewalt der Ausländer gegeben; es fehlt nur noch, daß sie auf unsern Köpfen herumreiten.

Wir sind dem Teufel der Ausländerei verfallen. Diese todbringende Krankheit – die tolle Liebe zu allen fremden Dingen und Völkern hat unser ganzes Volk durchseucht. Ganz richtig sagt der Prophet Baruch: »wenn du einen Fremden aufnimmst, richtet er dich zugrunde.«

Die Deutschen prahlen damit und haben bereits ein Sprichwort: Wer sein Brot ohne Mühe essen will, der gehe nach Rußland. Sie nennen uns Barbaren und zählen uns mehr zum Vieh als zu den Menschen. Sie geben sich Mühe, uns in den Augen aller anderen Völker schlechter zu machen, als tote Hunde.

Manche ihrer deutschen Einfälle könnte man ja auch abstellen. Obwohl sie sich um uns gar nicht bekümmern, halten wir es doch für unsere Pflicht, immer hinter ihnen herzulaufen. Und wir übersetzen alles aus dem Deutschen in unsere eigene Narrensprache. Wir erniedrigen uns selbst, unsere Sprache und unser Volk und machen uns zum Gespött aller Völker.

* * *

Die Reinheit der slawischen Sprache ist durch die fremden Sprachen mit Asche verschüttet. Ich weiß gar nicht, warum wir unbedingt Fremdworte gebrauchen müssen. Um zu prahlen? Das bringt aber wenig Ehre ein. Zuweilen sprechen wir so, daß weder wir selbst noch andere ein Wort davon verstehen können.

* * *

Setz dich nicht unter einen fremden Zaun; setz dich lieber in Brennesseln, aber unter deinen eigenen Zaun. Fremder Verstand reicht nur bis zur Schwelle. Wir müssen nach unserm eigenen Verstand leben. Was weit herkommt, scheint immer schön und gut; wenn man es aber in der Nähe besieht, so ist es nichts wert.

* * *

Die Deutschen sind in den Wissenschaften viel klüger als wir; im Scharfsinn stehen wir ihnen aber durch Gottes Gnade gar nicht nach, und sie beschimpfen uns ohne jeden Grund. Ich fühle, daß Gott uns gar nicht schlechter erschaffen hat als sie.

* * *

Ich zweifle sehr, ob das Wohl des Menschen wirklich auf der Wissenschaft beruht. In alten Zeiten hat man doch weniger gelernt, war aber glücklicher, als man es jetzt mit den vielen Wissenschaften ist. Trotz der größten Gelehrsamkeit kann man ein großer Geizhals sein. In einem verderbten Herzen ist die Wissenschaft eine gefährliche Waffe, um Böses zu tun.

Man schont bei uns die Menschen nicht. Von den armen Untertanen werden die Tränen- und Blutsteuern auf eine tyrannische Art eingetrieben. Man hat Boden-, Seelen-, Kummet-, Bart-, Brücken-, Bienen-, Lade-, Leder- und zahllose andere Abgaben erdacht. Von einem einzigen Ochsen ziehen sie zwei und drei Felle ab und können doch kein einziges ganzes Fell abziehen; so sehr sie sich auch bemühen, reißen sie nur Fetzen ab. Aus diesem Grunde bringen alle diese Steuern nichts ein, die Menschen gehen aber zugrunde. Man sagt: laß dem Bauern das Fell nicht wachsen, sondern schere ihn kahl. Und auf diese Weise verwüstet man das ganze Reich. Die Verarmung des Bauernstandes ist die Verarmung des ganzen Landes. Unsere Regierenden sind imstande, sich wegen des Ausfalles von einem Groschen totzuärgern; wenn aber Tausende von Rubeln verlorengehen, regen sie sich gar nicht auf.

Beim Gastmahle des Herodes verzehrt man Menschen und trinkt ihr Blut und ihre Tränen. Die Herren haben von allem genug, aber den armen Bauern fehlt oft eine Brotkrume. Die einen überessen sich, und die andern hungern.

Das russische Volk ist bei der größten Armut angelangt. Und niemand sagt dem Zaren die Wahrheit, verloren ist unser Land!

* * *

Wir Russen brauchen kein Brot: wir fressen einander auf und werden satt.

* * *

Die Bojaren sind ein abgestorbener, vom Frost getöteter Baum. Die dicke Schicht der Bojaren verdeckt das Volk vor dem Zaren.

Väterchen ist ja ein kluger Mensch, aber Menschikow betrügt ihn doch immer.

* * *

Die Regierenden sind vom Kleinsten bis zum Größten böswillig. Die alten Gesetze sind in Verfall geraten, und die neuen werden nicht befolgt. Wieviele neue Gesetze sind erlassen worden und welche Wirkung haben sie? Darum ist doch alles beim alten geblieben. Auch für die Zukunft erwarte ich nichts Gutes von den neuen Gesetzen.

Als ich mich auf Befehl dessen, der mich geboren, im Nowgoroder Kreise aufhielt, um Schiffbauholz zu besorgen, sprach ich mit einem Bauern aus dem Dorfe Pokrowskoje, Iwan Possoschkow, über die Frage einer Reichsversammlung und eines Volksrates: man müßte Menschen aus allen Ständen und auch Bauern wählen, lauter verständige Männer, damit sie ein neues Gesetzbuch verfassen und es mit freier Stimme allen Völkern verkünden. Denn Gott hat den Menschen den Verstand in kleinen Brocken zugeteilt, einem jeden nach seiner Kraft. Auch durch den Mund der Unverständigen verkündet Er oft Seinen Willen und Seine Wahrheit. Es ist sündhaft, solche Leute herabzusetzen. Der Zar kann ohne den Rat von Vielen und ohne die Freiheit des Wortes gar nicht bestehen.

* * *

Vom Amte des Zaren.

Der Zar soll sich nicht auf seinen Verstand verlassen, er soll sich um das Land und um das Volk, um die Provinzen und Dörfer bekümmern; mit Liebe, Einsicht, Sorgfalt und Schutz soll er seine geringsten Brüder in Christo behandeln, denn vor dem Jüngsten Gericht werden auch die Großen und Mächtigen gerichtet werden. Dem Geringen wird verziehen werden; den Mächtigen erwartet aber eine mächtige Strafe.

Das alles muß ich immer vor Augen haben, wenn mich Gott zur Regierung kommen läßt.

* * *

Am Tage des Märtyrers Jewstafij feierten wir in großer Gesellschaft und tranken furchtbar viel. Sänger und Zymbelspieler waren auch dabei. Dem Shibanda wurde ein Auge verletzt, dem Sachljustka ein Zahn ausgebrochen. Ich kann mich an nichts mehr erinnern; bin mit großer Mühe von dort heimgekommen. Von den Gaben des Bacchus war ich sehr befriedigt.

* * *

In Roshdestwenno blieb ich allein zu Hause. Die Tage flossen wie Wasser dahin. Nichts als Stille.

* * *

Die Zeit vergeht, jeder Tag bringt mich dem Tode näher.

Ich erkenne meiner Zeit Nichtigkeit und Fäule,
Warte nur noch auf den Tod ohne Furcht und Eile.

* * *

War etwas betrunken.

* * *

Die mir verbundene (Anmerkung der Arnheim: so nennt der Zarewitsch seine Gemahlin, die Kronprinzessin Charlotte) ist gesegneten Leibes.

Jerjomka-Eros, du verdammter Gott! Von Jugend an bedrängen mich viele Leidenschaften. Ich beschuldige andere der Verruchtheit und bin dabei verruchter als alle.

Afrossinja. Ich habe meine Freveltaten erkannt und meine Sünde nicht bedeckt, schwer lastet auf mir Deine Hand, oh Herr! Wie werde ich vor Dein Antlitz treten? Tränen sind meine Speise Tag und Nacht, meine Seele sehnt sich nach dem Hause des Herrn.

Mit dem Priester der Verkündigungskathedrale, meinem Beichtvater Jakob, zechte ich bis tief in die Nacht hinein, wir tranken nicht nach deutscher, sondern nach russischer Art. Wir waren zuletzt ordentlich betrunken.

Afrossjka! Afrossjka! (Anmerkung der Arnheim: es folgt ein unflätiges Schimpfwort).

* * *

Den Vers: »Feind des Kreuzes des Herrn« aus der Litanei zu Ehren des Sieges bei Poltawa sangen wir ganz öffentlich bei einem Trinkgelage in Gegenwart des Archimandriten des Alexander-Newskij-Klosters, Feodossij.

* * *

Ich kann den Vater nicht verstehen: warum liebt er diesen Fedoßka so sehr? Vielleicht, weil er lutherische Gebräuche einführt und dem Volke alles gestattet? Er ist ein wahrer Atheist, ein Feind des Kreuzes des Herrn!

* * *

Einen solchen Gauner habe ich noch niemals gesehen! Ein politischer Kopf, tut offen nichts Böses; man muß ihn mit der größten Vorsicht behandeln und ihn niemals offen bekämpfen, sondern heucheln, wenn man schon einmal das Unglück hat, unter seinem Kommando zu stehen.

* * *

Das Mitleid mit Deinem Haus verzehrt mich, oh Herr! Ich fürchte und zittere, daß das Christentum aus Rußland gänzlich verschwinden kann!

* * *

Der Erzketzer Fedoßka und andere seinesgleichen bekämpfen ganz offen die Kirche, schaffen die Fasten ab, stellen die Beichte und die Abtötung des Fleisches als ein Märchen hin, verspotten die Ehelosigkeit und freiwillige geistige Armut und verwandeln die beschwerlichen engen Pfade des strengen christlichen Lebens in breite und glatte Straßen. Sie predigen dreist ein ausschweifendes und zügelloses Leben, sehen nichts als Sünde an, halten alles für heilig und verführen mit ihrem Gebell die Liebhaber dieser Welt zu einem so furchtlosen und wollüstigen Leben, daß viele bereits den epikureischen Ansichten huldigen: iß, trink, freue dich, denn nach dem Tode gibt es keine Vergeltung.

Sie nennen die frommen Ikonen – Götzenbilder und den Kirchengesang – ein Gebrüll von Ochsen. Sie vernichten die Kapellen; wo aber noch die Wände stehengeblieben sind, gestatten sie, Tabakbuden und Rasierstuben aufzumachen. Sie fahren die wundertätigen Ikonen auf schmutzigen Wagen unter stinkenden Bastmatten fort und beschimpfen sie vor dem ganzen Volke, sie erklären jeder Gottesfurcht und dem rechten Glauben den Krieg, doch auf die Weise und unter dem Vormunde, als ob sie nicht den Glauben, sondern nur den gottlosen und dem Christentum schädlichen Aberglauben ausrotten wollten, wieviele geistliche Männer sind schon unter diesem Vorwande zugrunde gerichtet, der geistlichen Würde entkleidet und zu Tode gemartert worden! Und wenn man sie fragt, wofür, bekommt man nur die eine Antwort zu hören: ein Irrgläubiger, ein Heuchler, ein Scheinheiliger. Wer die Fasten hält, ist ein Heuchler, wer betet – ein Scheinheiliger, wer die Ikonen verehrt – ein Frömmler.

Sie tun das alles mit der Absicht, die rechtgläubige Geistlichkeit in Rußland gänzlich auszurotten und die neumodische lutherische und calvinistische priesterlose Religion einzuführen.

Bei Gott, wer da den atheistischen Geist nicht riecht, der ist ganz gefühllos!

* * *

Wenn diese noch unbedeutende Wunde des Luthertums größer wird und den ganzen Körper ergreift, – wer kann sich vorstellen, was dann kommt!

Wenn wir nur die Maische haben, werden wir auch das Bier erleben.

* * *

Sie haben das Kirchengeläute abgeändert. Sie läuten mit elenden Glocken, es klingt wie Feueralarm oder Sturmläuten. Und auch alles andere ist verändert. Sie malen die Ikonen nicht mehr auf Bretter, sondern auf Leinwand nach deutschen Modellen. Man sehe sich nur das neue Heilandbild »Emanuel« an: ganz wie ein feister, dicker Deutscher, in fleischlichem Sinne gemalt. Sie haben das feiste Fleisch liebgewonnen und das geistige verworfen. Sie bauen die Kirchen nicht mehr nach alter Sitte, sondern mit spitzen Türmen wie die ausländischen Kirchen, und es ist befohlen, auf den Glockentürmen Glockenspiele nach Art der lutherischen Orgeln einzurichten.

Ach, mein armes Rußland! Warum strebst du nach deutschen Sitten und Taten?

* * *

Sie wollen auch das Mönchtum abschaffen. Man bereitet einen Ukas vor, daß in Zukunft niemand Mönch werden dürfe; die freien Stellen in den Klöstern sollen aber mit verabschiedeten Soldaten besetzt werden.

Im Evangelium heißt es aber: »Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.«

Aber die Heilige Schrift gilt ihnen nichts.

* * *

Der Glaube ist zu einem Geistlichen Statut geworden, wie es ein Militärstatut gibt.

Wie mag ein Gebet ausfallen, wenn man es auf Befehl und unter Androhung einer Strafe verrichtet?

* * *

»Bettler sind zu verhaften, grausam mit Ruten zu züchtigen und nach Sibirien zur Zwangsarbeit zu schicken, damit sie ihr Brot nicht unnütz essen.«

So lautet ein Ukas des Zaren. Der Ukas Christi beim Jüngsten Gericht lautet aber: »Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht getränket. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich nicht beherberget. Ich bin nackend gewesen, und ihr habt mich nicht bekleidet. Wahrlich, ich sage euch, was ihr nicht getan habt einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan.«

So lehrt man durch die treffliche polizeiliche Verordnung, den Heiland zu beschimpfen; man züchtigt den himmlischen König in Gestalt der Bettler mit Ruten und schickt ihn auf die Zwangsarbeit.

Das ganze russische Volk stirbt vor geistigem Hunger.

Der Säemann sät nicht, und die Erde nimmt die Saat nicht auf; die Hirten hüten ihre Schafe nicht, und die Gemeinde kommt auf Abwege. Die Dorfpopen unterscheiden sich durch nichts von den Bauern: wenn der Bauer nach dem Pfluge greift, so tut auch der Pope dasselbe. Und die Christen sterben wie das Vieh. Die betrunkenen Popen führen vor dem Altare unflätige Reden und schimpfen mit dem Mutterschimpfwort. Um die Schultern tragen sie ein goldgesticktes Meßgewand und an den Füßen schmutzige Bastschuhe; die Hostien backen sie aus schwarzem Mehl; das allerheiligste Sakrament des Herrn bewahren sie in schmutzigen Gefäßen mit Wanzen, Grillen und Küchenschaben auf.

Die Mönche sind der Trunksucht und dem Diebstahl verfallen.

Der ganze Mönch- und Priesterstand verlangt nach einer gründlichen Besserung; vom wahren Mönchtum und Priestertum ist keine Spur mehr zu finden.

Wir nehmen die Schande auf uns, daß wir weder unsern Glauben, wie er sein soll, noch die geistlichen Satzungen verstehen und beinahe wie das stumme Vieh dahinleben. Ich glaube, daß in Moskau kaum ein Mensch von hundert weiß, was der wahre christliche Glauben ist, oder wer Gott ist, wie man zu ihm beten und wie man seinen Willen tun soll.

Kein einziges christliches Merkmal ist an uns zu finden, außer daß wir uns Christen nennen.

* * *

Alle sind Narren geworden. In Glaubenssachen schwanken wir wie ein Blatt des Baumes hin und her. Wir neigen verschiedenen seltsamen Lehren zu: die einen dem römischen, die andern dem lutherischen Glauben; wir sind auf beiden Knien lahm, wir sind getaufte Götzenanbeter. Wir haben die Brüste unserer Mutterkirche verschmäht und suchen nach andern – ägyptischen, ausländischen, ketzerischen Brüsten. Wie neugeborene junge Hunde, die man auf den Boden geworfen hat, irren wir nach verschiedenen Richtungen, und niemand weiß, wohin.

* * *

Im Tschudowkloster hat der Bilderstürmer, Barbier Fomka, die Ikone des wundertätigen Metropoliten Alexej mit einer eisernen Sichel in Stücke geschnitten, weil er, Fomka, die heiligen Ikonen, das lebenspendende Kreuz und die Reliquien der Heiligen nicht anerkenne; die heiligen Ikonen und das lebenspendende Kreuz seien Werke von Menschenhand, und die Reliquien der Heiligen hätten ihm ihre Gnade noch niemals erwiesen; auch die Dogmen und Überlieferungen der Kirche könne er nicht hinnehmen; auch glaube er nicht, daß im heiligen Abendmahl der wahre Leib Christi enthalten sei: das Abendmahl bestünde einfach aus einer Hostie und Kirchenwein.

Und der Metropolit von Rjasan, Stephan, tat diesen Fomka in den großen Kirchenbann und überlieferte ihn dem bürgerlichen Strafgericht: er ließ ihn auf dem Roten Platz in einem Holzverschlag verbrennen.

Und die Herren Senatoren luden den Metropoliten nach Petersburg vor und zogen ihn zur Verantwortung. Den Ketzern gaben sie aber nach: den Lehrer Fomkas, den Bilderstürmer und Arzt, Mitjka Tweretinow, sprachen sie frei, den Metropoliten jagten sie aber mit Schimpf und Schande aus dem Gerichtssaale hinaus. Und er ging weinend fort und sprach:

»Christus, unser Herr und Heiland! Du sagtest selbst: ›Wenn man Mich austreibt, wird man auch euch austreiben.‹ Nun treiben sie mich hinaus, doch nicht mich – Dich selbst treiben sie hinaus! Du siehst selbst, Allsehender, daß ihr Gericht ungerecht ist. Richte Du sie selbst.«

Und als der Metropolit aus dem Staatsgebäude auf den Platz hinaustrat, hatte das ganze Volk Mitleid mit ihm und weinte.

Und der, der mich geboren, zürnt nun dem Metropoliten noch mehr.

* * *

Die Kirche ist über das irdische Reich erhaben, heute herrscht aber das irdische Reich über die Kirche.

Vorzeiten verbeugten sich die Zaren vor dem Patriarchen bis zur Erde. Heute unterschreibt aber der Verweser des Patriarchenstuhles seine Briefe an den Zaren: »Eurer Majestät Knecht und Fußschemel, der demütige Stephan, unwürdiger Hirte von Rjasan.«

Das Haupt der Kirche ist zum Fußschemel für den Zaren geworden, die ganze Kirche ist versklavt.

Dimitrij, der Metropolit von Rostow, war doch wahrlich ein heiliger Mann; als ihn aber der, der mich geboren, mit Ungarwein betrunken gemacht hatte und über die geistliche Politik auszufragen begann, konnte der heilige Greis ihm nichts entgegnen; er schwieg nur und bekreuzte immer den Zaren. So hielt er ihn sich nur durch das Zeichen des Kreuzes vom Leibe!

* * *

Gegen die Strömung des Flusses kann man nicht schwimmen, sagen die Väter; man kann nicht mit einer Peitsche gegen eine Axt ankämpfen.

Wie haben aber die heiligen Märtyrer ihr Blut für die Kirche verspritzen können?

* * *

Die Erzbischöfe essen das Brot des Zaren; aber wes Brot ich esse, des Lied ich singe.

* * *

Die Bischöfe von einst waren die Fürbitter für das ganze russische Land; doch die heutigen Bischöfe verwenden sich niemals vor dem Zaren; im Gegenteil: sie sehen ihm alles nach und schänden so das fromme Amt des Zaren.

* * *

Wenn das Volk sündigt, kann der Zar Fürbitte im Himmel einlegen; aber wenn der Zar sündigt, kann das Volk ihn nicht losbeten. Für die Sünde des Zaren straft Gott das ganze Land.

* * *

Neulich sagte der Hirt von Rjasan im Rausche zu dem, der mich geboren: »Ihr Zaren, irdische Götter, gleicht dem Zaren des Himmels.«

Und der Fürst-Papst, der betrunkene Narr, höhnte den Metropoliten:

»Ich bin zwar nur unter den Narren Patriarch, würde aber ein solches Wort dem Zaren niemals sagen. Das Göttliche ist über das Zarische erhaben.«

Und der Zar lobte den Narren.

* * *

Beim gleichen Trinkgelage, als die Bischöfe vom Witwenstande der Kirche und von der Not des Patriarchats sprachen, zog der, der mich geboren, im großen Zorne seinen Hirschfänger aus der Scheide, so daß alle erzitterten und meinten, er würde sie erdolchen, schlug mit der flachen Klinge auf den Tisch und schrie:

»Da habt ihr den Patriarchen! Beides zusammen – den Patriarchen und den Zaren!«

* * *

Fedoßka redet dem, der mich geboren, zu, daß die russischen Zaren von nun an den kaiserlichen Titel, d. h. den Titel der altrömischen Cäsaren annehmen sollen.

* * *

Beim Triumph von Poltawa im Jahre 1709 errichteten Männer geistlichen Standes auf dem Roten Platz zu Moskau eine Art altrömischen Tempel mit einem Opferaltar, den Tugenden des russischen Gottes Apollo und Mars, d. h. dessen, der mich geboren, gewidmet. Und auf jenem althellenischen Götzentempel stand die Inschrift:

»Basis et fundamentum reipublicae religio. – Die Grundlage und das Fundament des Staates ist der Glaube.«

Welcher Glaube? Der Glaube an welchen Gott oder an welche Götter?

Bei der gleichen Triumphfeier wurde auch die »Politische Apotheose des Allrussischen Herkules«, d. h. dessen, der mich geboren, dargestellt, wie er viele Tiere und Menschen erschlägt und nach Vollbringung dieser Heldentaten in dem von Adlern gezogenen Wagen des Jupiter die Milchstraße hinauf in den Himmel fliegt. Darunter die Inschrift:

»Viamque effectat Olympo.«

»Er erstrebt den Weg zum Olymp.«

Und in einem vom Hieromonach Joseph, dem Präfekten der Akademie, über diese Apotheose verfaßten Büchlein heißt es:

»Man beachte, daß dies weder ein Tempel noch eine zu Ehren irgendeines Heiligen erbaute Kirche, sondern ein politisches, d. h. bürgerliches Lob ist.«

* * *

Fedoßka redet dem, der mich geboren, zu, er möge im Ukas über die Gründung des neuen geistlichen Kollegiums, des heiligen Synods, vielleicht auch in der Eidesformel selbst dem ganzen Volke erklären:

»Der Name des Selbstherrschers als der des Oberhauptes und des Vaters des Vaterlandes ist wie der Name Christi in Ehren zu halten.«

* * *

Die Menschen wollen Gott den Ruhm und Christo, dem ewigen und einzigen Könige aller Könige, die Ehre rauben. Auch in der Sammlung der römischen Gesetze kann man die frevelhaften und lästerlichen Worte lesen: »Der römische Herrscher ist der Herr der ganzen Welt.«

* * *

Wir bekennen und glauben, daß Christus allein der König aller Könige und der Herr aller Herren ist und daß es keinen Menschen gibt, der Herr über die ganze Welt wäre.

* * *

Der Stein, der ohne Hände vom Berge herabgerissen ward, Jesus Christus, hat das Römische Reich geschlagen und zerstört und seine tönernen Füße zu Staub zermalmt. Wir wollen aber das, was Gott zerstört hat, neu errichten und wieder aufbauen, heißt das nicht, gegen Gott kämpfen?

* * *

Siehe die römische Geschichte. Kaiser Kaligula sagte: »Dem Kaiser ist alles erlaubt. Omnia licent.«

Nicht nur den römischen Cäsaren, sondern auch allen Schelmen und Knechten und auch dem vierfüßigen Vieh ist alles erlaubt.

* * *

Nebukadnezar, der König von Babylon, sprach: »Ich bin Gott.« Er wurde aber nicht zu Gott, sondern zu einem Vieh.

* * *

Auf dem Wassiljewskij-Ostrow wohnt im Hause der Zarin Praskowja Matwejewna der heilige Greis Timofej Archipytsch, die Zuflucht der Verzweifelten, die Hoffnung der Enttäuschten, ein Narr für die Welt, aber nicht für sich selbst. Ihm ist jedes menschliche Gewissen offenbar.

Neulich fuhr ich nachts zu ihm hin und sprach mit ihm. Archipytsch sagte mir, der Antichrist sei ein falscher Zar und ein wahrer Knecht. Und dieser Knecht nahe schon.

* * *

Ich las des Metropoliten von Rjasan »Vorzeichen der Ankunft des Antichrist« und erzitterte vor diesem nahenden Knechte.

Zu Moskau verbrannte man den Grigorij Talitzkij, weil er zum Volke von der Ankunft des Antichrist gesprochen hatte. Talitzkij war ein Mann von großem Verstand. Auch der Hauptmann der Dragoner, mein Reisegenosse im Jahre 1711 von Lemberg nach Kijew, Wassilij Lewin, und des durchlauchtigsten Fürsten Menschikow Beichtvater, der Pope Lebedka und der Schreiber Larion Dokukin und auch viele andere denken ebenso über den Antichrist.

In den Wäldern und Wüsten verbrennen sich die Menschen selbst aus Furcht vor dem Antichrist.

* * *

Von außen sind wir kampfbereit; innerlich sind wir voller Angst. Ich sehe, daß wir an allen Ecken und Enden zugrunde gehen und von keiner Seite Hilfe und Rettung erwarten können. Wir beten und fürchten uns. Soviele Sünden, soviele Gewalttaten schreien zum Himmel und rufen nach dem Zorn und der Rache Gottes!

* * *

Das Geheimnis der Gottlosigkeit geht in Erfüllung. Die Zeit ist gekommen. Wir stehen auf dem Berge der Frevel und haben nicht den geringsten Glauben.

* * *

Irgendein Raskolnik hat das heilige Sakrament Christi auf den Boden gespuckt und mit Füßen getreten.

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Bei der Stadt Ljubetsch zogen vom Mittag zur Mitternacht Heuschrecken vorbei, und auf ihren Flügeln stand geschrieben: »Zorn Gottes.«

* * *

Die Tage sind kurz und trüb. Die alten Leute sagen, daß auch die Sonne nicht mehr so wie früher scheine.

* * *

Wir tranken heute viel Schnaps. Gott sei unser Zeuge, daß wir nur aus Angst trinken, um uns selbst zu vergessen.

* * *

Eine tödliche Angst hat mich befallen.

Das Ende steht vor der Türe, die Axt liegt an der Wurzel, die Hippe des Todes hängt über dem Haupte.

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Errette, Herr, das russische Land! Stehe uns bei und erbarme dich unser, Allerreinste Muttergottes!

* * *

Gut, sagte der heilige Simeon, der Narr in Christo, vor seinem Tode zu seinem Freunde, dem Diakon Johannes: »Unter den einfachen Menschen und Bauern, die in der Unschuld und Einfalt ihrer Herzen leben, niemanden beleidigen, von ihrer Hände Arbeit und im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot essen, – unter diesen gibt es viele große Heilige; denn ich sah sie oft, wie sie in die Stadt kamen, um das Abendmahl zu empfangen, und sie waren lauter wie Gold.«

* * *

Oh Menschen, ihr Märtyrer dieser letzten Zeiten, in euch wohnt Christus wie in seinen Gliedern. Der Herr liebt die Weinenden, – ihr aber seid immer in Tränen. Der Herr liebt die Hungernden und Dürstenden, – ihr aber habt fast nichts zu essen und zu trinken, und mancher von euch hat nicht einmal die Hälfte des Brotes, das er braucht. Der Herr liebt die schuldlos Leidenden, – eure Leiden kann man aber gar nicht aufzählen, und bei manchen von euch hängt die Seele nur noch ganz locker am Körper. Ermattet nicht vor Leiden, sondern danket eurem Heiland, denn er wird nach seiner Auferstehung zu euch als Gast kommen: und nicht nur als Gast, sondern um für alle Ewigkeit bei euch zu bleiben. Christus ist in euch und wird ewig in euch bleiben, ihr aber sprecht: Amen!


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