Dmitri Mereschkowski
Peter und Alexej
Dmitri Mereschkowski

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VIII.

»In Rußland wird alles einmal mit einem schrecklichen Aufstand enden, und die Selbstherrschaft wird fallen, denn Millionen schreien zu Gott gegen den Zaren,« schrieb der hannöversche Resident Weber aus Petersburg, indem er über den Tod des Zarewitsch meldete.

»Des Kronprinzen Tod ist nicht durch den Schlagfluß verursacht. Dagegen geht die Rede, daß er durch einen Schlag des Schwertes oder Beiles umgekommen sei,« meldete der kaiserliche Resident Pleyer. »Denn am Tage seines Todes wurde kein Mensch in die Festung gelassen, und diese wurde gegen Abend gesperrt. Ein holländischer Zimmermann, welcher auf dem neuen Turm der Festung arbeitete und unbemerkt über Nacht dort schlafen geblieben, soll abends heruntergeschaut und in dem Peinhaus einige Menschen köpfen gesehen haben; er erzählte dieses seiner Schwiegermutter, einer Hebamme, und diese dem holländischen Residenten. Der Leichnahm lag auch in einem schlechten Sarg, der Kopf etwas verdeckt und war ihm ein Tuch, als zum Variieren um das Kinn mit Falten um den Hals gelegt.«

Der holländische Resident Jakob de Bie berichtete den Generalstaaten, daß man den Tod des Zarewitsch durch Öffnen der Adern herbeigeführt habe und daß man in Petersburg einen Aufstand befürchte.

Die Briefe der auswärtigen Residenten wurden auf dem Postamt geöffnet und dem Zaren vorgelegt. Jakob de Brie wurde verhaftet, in die Gesandtenkanzlei geschleppt und peinlich befragt. Man verhaftete auch den holländischen Zimmermann, der auf dem Turme der Peter-Pauls-Festung gearbeitet hatte, sowie seine Schwiegermutter, die Hebamme.

Um alle diese Gerüchte zu widerlegen, wurde im Namen des Zaren an die russischen Residenten bei den auswärtigen Höfen folgende von Schafirow, Tolstoi und Menschikow abgefaßte Note über den Tod des Zarewitsch gesandt:

»Nachdem das Todesurteil gefallt und dem Zarewitsch mitgeteilt worden war, konnten wir in dem Kampfe zwischen dem väterlichen Mitleid einerseits und der Sorge für die Integrität und Sicherheit Unseres Staates andererseits keinen Beschluß fassen. Gott aber löste diese Zweifel, indem er durch eine schwere der Apoplexie ähnliche Krankheit, welche den Zarewitsch nach Vernehmung des über ihn gefällten Todesurteils befiel, seinem Leben ein Ziel setzte. Der Zarewitsch war zuletzt wieder bei Besinnung, nahm das Abendmahl, bat Uns zu sich; ohne des Uns durch ihn veranlaßten Verdrusses zu gedenken, verfügten wir Uns mit den Ministern und Senatoren zu ihm; er bekannte alle seine Verbrechen mit Ruhe und Tränen, bat Uns um Verzeihung, und wir gewährten dieselbe nach christlicher Elternpflicht; so beschloß er am 26. Juni gegen 6 Uhr nachmittags christlich sein Leben.«

Der auf den Todestag des Zarewitsch folgende 27. Juni, der neunte Jahrestag der Schlacht bei Poltawa, wurde in der gewohnten Weise gefeiert: man hißte auf der Festung die gelbe Triumphstandarte mit dem schwarzen Adler, zelebrierte in der Dreifaltigkeitskathedrale eine Messe, schoß Salut, veranstaltete auf dem Posthofe ein Festmahl und vergnügte sich »wie es sich gehört« des Nachts im Sommergarten, in der offenen Galerie über der Newa, zu Füßen der Venus von Petersburg, zu den Tönen der zarten Musik, die wie Liebesseufzer aus dem Reiche der Venus klangen:

Cupido, laß den Pfeil,
wir sind ja nicht mehr heil . . .

In der gleichen Nacht wurde der Leichnam des Zarewitsch eingesargt und aus der Festungskasematte in ein leerstehendes hölzernes Haus in der Nähe der Wohnung des Festungskommandanten gebracht.

Am Morgen wurde die Leiche in der Dreifaltigkeitskathedrale aufgebahrt und »man gestattete den Menschen aller Stände, und jedem, der es wollte, zum Sarge des Zarewitsch zu kommen, seine Leiche zu sehen und von ihm Abschied zu nehmen.«

Sonntag den 29. Juni war wieder ein Fest: es war der Namenstag des Zaren. Man zelebrierte wieder eine Messe, schoß Salut, läutete mit allen Glocken und aß im Sommerpalais zu Mittag; am Abend begab man sich in die Admiralität, wo eine neue Fregatte namens »Alte Eiche« vom Stapel lief; auf dem Schiffe wurde das übliche Zechgelage abgehalten; nachts brannte man ein Feuerwerk ab und belustigte sich wieder »wie es sich gehört«.

Am Montag den 30. Juni fand die Beisetzung des Zarewitsch statt. Der Trauergottesdienst war höchst feierlich. Er wurde vom Metropoliten von Rjasan, Stephan, dem Bischof von Pskow, Feofan, sechs andern Bischöfen, zwei Metropoliten aus Palästina, mehreren Archimandriten, Protopopen, Hieromonachen, Hierodiakonen und achtzehn Pfarrern abgehalten, auch der Zar, die Zarin, die Minister, die Senatoren und alle höheren Militär- und Zivilchargen wohnten dem Totenamte bei. Eine unzählige Volksmenge drängte sich um die Kirche.

Der mit schwarzem Samt ausgeschlagene Sarg stand auf einem hohen Katafalk unter einem Baldachin aus goldenem und weißem Brokat. vier Sergeanten des Preobrashenskij-Leibgarderegiments mit blanken Degen hielten die Ehrenwache.

Vielen Würdenträgern schmerzte noch der Kopf vom gestrigen Zechgelage. Die Lieder der Hofnarren klangen ihnen noch in den Ohren:

Mutter hat mich einst im Rausch geboren,
In der Schenke wurde ich getauft . . .

An diesem strahlenden Sommertage machten die trüben Flammen der Beerdigungskerzen und die leisen Töne des Grabgesanges einen besonders düsteren Eindruck:

»Mit den Heiligen lasse ruhen, Christus, die Seele deines Knechtes, an der Stätte, wo kein Schmerz, und kein Gram, und kein Stöhnen ist, sondern ewiges Leben.«

Traurig klang die Stimme des Diakons:

»Noch beten wir um den Frieden für die Seele des entschlafenen Knechtes Gottes Alexej, daß ihm jede gewollte und jede ungewollte Sünde vergeben werde.«

Dumpf verhallte das Weinen des Chors:

»Wir weinen über seinem Grabe und singen ein Halleluja!«

Plötzlich begann in der Menge jemand zu weinen, und alle waren erschüttert, als der letzte Gesang angestimmt wurde:

»Die ihr mich stumm und ohne Atem liegen seht, kommt alle, die ihr mich liebt, und küßt mich mit dem Abschiedskuß.«

Als erster trat der Metropolit Stephan vor den Sarg, um sich zu verabschieden. Der Greis konnte sich kaum auf den Beinen halten. Zwei Protodiakonen stützten ihn von beiden Seiten. Er küßte dem Zarewitsch die Hand und die Stirne, beugte sich dann über ihn und sah ihm lange ins Gesicht. Stephan begrub in ihm alles, was ihm lieb und wert war – das ganze alte Moskau, das Patriarchat, die Freiheit und die Größe der alten Kirche und seine letzte Hoffnung, »Die Hoffnung Rußlands«.

Nach den Geistlichen stieg der Zar die Stufen zum Katafalk empor. Sein Gesicht war ebenso leblos wie an allen vorhergehenden Tagen. Er blickte dem Sohn ins Gesicht.

Es war heiter und jugendlich und schien nach dem Tode noch heiterer und noch jugendlicher geworden zu sein. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln, das zu sagen schien: Alles ist gut, der Wille Gottes geschehe in allen Dingen.

Durch das unbewegliche Gesicht Peters ging ein Zucken und Beben, als ob sich darin etwas langsam, mit größter Anstrengung enthüllen wollte; endlich kam es zum Durchbruch, und das tote Gesicht wurde lebendig und heiter, gleichsam vom Lichte, das das Gesicht des Verstorbenen ausstrahlte, beschienen.

Peter beugte sich zum Sohne und drückte seinen Mund an dessen kalte Lippen. Dann hob er die Augen gen Himmel, – alle sahen, daß er weinte, – bekreuzigte sich und sagte:

»Gottes Wille geschehe in allen Dingen.«

Jetzt wußte er, daß der Sohn ihn vor dem Ewigen Gerichte rechtfertigen und ihm dort erklären würde, was er hier nicht verstehen konnte: was der Sohn und was der Vater bedeutete.


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