Dmitri Mereschkowski
Peter und Alexej
Dmitri Mereschkowski

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II.

Im Kloster fand eine Versammlung statt, auf der über die strittigen Briefe des Protopopen Awakum verhandelt werden sollte.

Der vielgepeinigte Protopop hatte seinem Freund, dem frommen Greis Sergius, nach Kershenetz Briefe über die heilige Dreieinigkeit geschickt mit der Aufschrift: »Empfange, Sergius, dieses ewige Evangelium, das nicht von mir sondern vom Finger Gottes geschrieben ist.«

In den Briefen wurde behauptet: »Das Wesen der heiligen Dreieinigkeit kann in drei gleiche und gesonderte Wesenheiten getrennt werden. Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist haben drei einzelne Sitze auf drei Thronen wie drei Himmelskönige. Und Christus sitzt auf einem besonderen vierten Throne und regiert neben der heiligen Dreieinigkeit. Der Sohn Gottes hat sich im Leibe der Jungfrau nicht als eine der drei göttlichen Personen und nicht als eine Wesenheit, sondern nur als die Gnade verkörpert.«

Der Diakon Fjodor bezichtigte Awakum der Ketzerei. Der Greis Onufrij, ein Schüler Awakums, warf dasselbe dem Diakon Fjodor vor. Die Anhänger Fjodors, die »Eindeuter«, nannten die Onufrianer – »Dreideuter«, und diese bezeichneten sie ihrerseits als »Falschdeuter«. Und so kam es zu der großen Spaltung, »und an Stelle der früheren brennenden Liebe herrschte unter den Brüdern Haß und Lüge und jede Bosheit.«

Um den kirchlichen Streit zu schlichten, berief man eine Versammlung nach Dolgije Mchi ein und lud Onufrij's Schüler P. Jerofej, der nach dem Tode des Meisters das einzige Oberhaupt und der Lehrer der Onufrianer war, zur Disputation ein.

Man versammelte sich in der Zelle der Mutter Golenducha, die außerhalb der Klostermauer auf einer Wiese mitten im Walde lag. Die Onufrianer weigerten sich, den Disput im Kloster selbst zu führen, weil sie eine Schlägerei befürchteten; diese hätte für sie gefährlich werden können, denn die »Eindeuter« waren den »Dreideutern« gegenüber in der Mehrzahl.

Tichon wohnte der Versammlung bei. Der alte Kornilij ging aber nicht hin. »Was nützt das Geschwätz?« sagte er. »Man soll sich lieber verbrennen, denn nur im Feuer erkennt man die Wahrheit.«

Die geräumige Zelle bestand aus zwei Teilen: einer kleinen Wohnkammer und einer großen Betstube. An den aus rohen Balken zusammengefügten Wänden entlang standen auf Borden Heiligenbilder. Vor ihnen brannten Lampen und Kerzen. An den Leuchtern hingen Auerhahnschwänze zum Auslöschen der Kerzen. Rings an den Wänden standen Bänke. Auf ihnen lagen dicke Bücher in Leder- und Holzeinbänden mit Messingbeschlägen und handgeschriebene Heftchen; die ältesten Aufzeichnungen der großen Lehrmeister der Wüste waren auf Birkenrinde geschrieben.

Es war hier schwül und trotz der Mittagsstunde dunkel; die Läden an den Fenstern, bei denen trübe Fischblasen die Scheiben ersetzten, waren wegen der Sonne geschlossen. Nur hier und da drangen durch die Ritzen einige Lichtstrahlen, die die Flammen der Lampen und Kerzen röter und trüber erscheinen ließen, herein. Es roch nach Wachs, Leder, Schweiß und Weihrauch. Die Türe nach außen stand offen, und man konnte durch sie die von Sonnenlicht übergossene Wiese und den dunklen Wald sehen.

Die Mönche in schwarzen Kutten und Kappen umringten P. Jerofej, der mitten in der Betstube vor einem Lesepulte stand. Er sah würdig und solid aus; sein sattes Gesicht war weiß wie eine Hostie; die blauen, etwas schielenden Augen hatten jedes einen anderen Ausdruck: das eine drückte »christliche Demut«, das andere »philosophischen Hochmut« aus. Seine Stimme klang verführerisch und einschmeichelnd wie die »einer süßsingenden Schwalbe«. Er war ungemein elegant gekleidet: die Kutte war aus feinem Tuch, die Kappe aus Samt, und das Brustkreuz mit Edelsteinen besetzt: Seine grauen Haare mit goldenem Schimmer dufteten nach Rosenöl. Unter den armen Mönchen, den Waldbauern, sah er wie ein wahrer Bojare oder wie ein nikonianischer Bischof aus.

P. Jerofej war ein gelehrter Mann; »er war mit Bücherweisheit und Verstand vollgetränkt wie ein Schwamm mit Wasser.« Seine Gegner behaupteten aber, daß seine Weisheit nicht von Gott käme; er hätte zwei verschiedene Lehren: die eine, die offenbare und rechtgläubige sei für alle bestimmt, und die andere, die heimliche und ketzerische für Auserwählte, meist reiche und angesehene Leute. Die Einfachen und Armen verführe er aber durch Mildtätigkeit.

Vom frühen Morgen bis zum Mittag währte der Streit der Eindeuter mit den Dreideutern, führte aber zu keinem Ergebnis. P. Jerofej ließ sich nicht in die Enge treiben und redete immer »um die Sache herum«. Wie sehr die Mönche auf ihn auch eindrangen, sie konnten ihn doch nicht überführen.

Schließlich sprang in der Hitze des Gefechts der Schüler Jerofejs, Bruder Spiridon vor, ein Mönch mit lebhaften Augen, schwarzem Haar und schwarzen Locken, die an die Schläfenlocken der Juden erinnerten, und schrie mit lauter Stimme:

»Die Dreieinigkeit sitzt schön nebeneinander. Der Sohn zur Rechten, und der Geist zur Linken des Vaters. Die drei Himmelskönige sitzen unverhüllt auf drei verschiedenen Thronen. Christus sitzt aber auf einem besonderen, vierten Throne!«

»Du vervierfachst die Dreieinigkeit!« schrien die Mönche entsetzt.

»Und ihr meint, man müsse sie als einen Haufen, als eine Person ansehen? Lüge! Es ist nicht eine Person, es sind ihrer drei, drei, drei!« P. Spiridon fuchtelte mit der Hand, als ob er Holz hackte. »Du sollst an die Dreieinige glauben und die Unteilbare teilen. Fürchte dich nicht! Eins ist nicht drei, und die Wesenheit Christi ist das Vierte!«

Und er begann die Verschiedenheit zwischen Wesenheit und Person zu erörtern: Die Wesenheit des Sohnes sei im Innern des Vaters enthalten und die Person des Sohnes sitze zu Füßen des Vaters.

»Gott ist nicht in Wesenheit, sondern in Person Fleisch geworden! Wäre er mit seiner Wesenheit auf die Erde gekommen, so hätte er die ganze Welt verbrannt, und der Leib der allerreinsten Muttergottes hätte diese göttliche Wesenheit gar nicht tragen können – er hätte verbrennen müssen!«

»Oh, du Verirrter und Verblendeter, gehe in dich, erkenne Gott, reiße dir die Wurzel der Ketzerei aus dem Herzen, halte ein, tue Buße, mein Lieber!« drangen die Väter auf ihn ein. »Wer hat es dir gesagt, oder wo hast du es gesehen, daß drei Himmelskönige unverhüllt nebeneinander sitzen? Selbst die Engel und Erzengel können Ihn nicht sehen, und du sagst: sie sitzen unverhüllt! wie ist dir die Zunge, als du solches sprachst, nicht verbrannt?!«

Spiridon schrie aber unentwegt weiter:

»Drei, drei, drei! Ich sterbe für drei! Man kann es mir auch nicht mit Feuer aus dem Herzen brennen! . . .«

Als die Gegner sahen, daß mit ihm nichts anzufangen sei, machten sie sich wieder an P. Jerofej heran.

»Wozu die Ausflüchte? Sage es geradeaus: glaubst du an die einige oder an die dreieinige Dreifaltigkeit?«

P. Jerofej schwieg und lächelte nur verächtlich in seinen Bart. Es war ihm anzusehen, daß er von der Höhe seiner Gelehrsamkeit herab alle diese Mönche wie Knechte verachtete.

Die Mönche setzten ihm immer wütender zu und »fuhren ihn an wie die Böcke.«

»Was schweigst du? Bist du taub? Du verstopfst dir die Ohren wie die taube Schlange!«

»Hochmütig bist du wie der Pharao!«

»Wolltest nicht mit den Brüdern in Eintracht leben, bist allen feind, hast die brüderliche Liebe zerstört!«

»Aufrührer und Verführer unter den Christen!«

»Was wollt ihr von mir?« fuhr sie P. Jerofej, der sich nicht länger beherrschen konnte, schließlich an, indem er unbemerkt zur Türe der Seitenkammer zurückwich. »Drängt nicht so! Ihr habt für mich keine Verantwortung zu tragen: Was geht es euch an, ob ich selig werde oder nicht? Lebt, wie ihr wollt, und wir werden leben, wie wir wollen. Wir haben nichts miteinander zu tun! Bleibt mir bitte vom Leibe!«

Der schneeweiße, aber noch rüstige und kräftige Greis P. Prow fuchtelte vor P. Jerofejs Nase mit einer Keule aus Ulmenholz herum.

»Wahnsinniger Ketzer! Wenn der Stadtrichter dir eine solche Keule vor den Hüften tanzen läßt, wirst du schon bekennen, ob du den eindeutigen oder den dreideutigen Glauben hast. Solange du aber in Freiheit bist, redest du, was dir gerade paßt!«

»Friede mit euch, Brüder in Christo!« erklang plötzlich eine Stimme, die zwar leise, aber den andern so unähnlich war, daß alle sie hörten. Es war der Einsiedler P. Missail, der aus seiner weitentlegenen Einsiedelei gekommen war, ein starker Glaubensheld, »noch jung an Jahren, doch hundertjährig an Verstand«. – »Was soll das werden, meine lieben Väter? Ist es nicht der Teufel, der aus euch schreit und in euch den brudermörderischen Zwist weckt? Niemand von euch sucht nach dem Wasser des Lebens, um die satanische Flamme zu löschen, aber jeder sucht nach Pech, Kohlenglut und trockenem Schilf, um das Feuer noch stärker lodern zu lassen. Bei Gott, ihr Väter, selbst bei den Nikonianern habe ich noch keinen solchen Bruderhaß gesehen! Wenn sie davon erfahren und uns noch mehr verfolgen und hinmorden, werden sie ohne Schuld vor Gott dastehen und jene Qualen werden für uns nur der Anfang der ewigen Qualen sein.«

Alle verstummten und schienen zur Besinnung gekommen zu sein.

P. Missail kniete nieder, verbeugte sich bis zur Erde zuerst vor der ganzen Versammlung und dann noch vor P. Jerofej allein.

»Verzeiht mir, Väter! Verzeihe mir, lieber Bruder Jerofej! Groß ist deine Weisheit, und dein Verstand ist wie Feuer. Habe Erbarmen mit uns Armen, lege die strittigen Briefe weg, tue es um der Liebe willen!«

Er stand auf und wollte Jerofej umarmen. Dieser ließ es aber nicht zu, sank selbst in die Kniee und verneigte sich vor P. Missail bis zur Erde.

»Vergib mir, Vater! Was bin ich denn? Ein Hundeaas. Wie sollte ich auch mehr Verstand haben als eure heilige Versammlung? Du sagst, mein Verstand sei wie Feuer. Du erfüllst meine Seele mit Eitelkeit! Ich bin ein Mensch, der dem im schmutzigen Schlamme lebenden Geschlechte, das man das Geschlecht der Frösche nennt, gleicht. Wie ein Schwein fülle ich meinen Bauch mit Trebern. Hätte mir Gott nicht beigestanden, so wäre meine Seele schon längst in die Hölle gefahren. Mit Mühe erwehre ich mich der Wollust, die mich erdrückt. Wehe mir, armen Sünder! Gott schütze dich, lieber Missail, für deine Belehrung!«

P. Missail streckte wieder mit mildem Lächeln seine Arme aus, um P. Jerofej zu umarmen. Dieser erhob sich aber und stieß ihn zurück. Sein Gesicht war von solchem Hochmut und Haß verzerrt, daß es allen unheimlich wurde.

»Gott schütze dich für deine Belehrung,« fuhr er mit plötzlich veränderter, vor Wut zitternder Stimme fort, »daß du uns Unverständige belehrst und strafst! Es wäre besser, Freund, wenn du Maß halten wolltest! Du fliegst zu hoch empor; paß auf, daß du von der Höhe nicht herabfällst! Von wem hast du die Lehrerwürde erhalten, und wer hat dich zum Lehrer eingesetzt? Heute sind alle zu Lehrern geworden, und es ist niemand da, der auf sie hört! Wehe uns und wehe der Zeit und allen, die in ihr leben! Du bist noch ein Kind, erhebst aber frech den Kopf. Wir haben wirklich keine Lust, auf dich zu hören. Belehre diejenigen, die deinem Verstand folgen wollen, uns laß aber, bitte, in Ruhe. Das sind mir schöne Lehrer! Der eine droht mit einer Keule, und der andere schmeichelt mit seiner Liebe. Was hat man von dieser Liebe, wenn sie zur Vernichtung der Wahrheit führt? Auch der Satan liebt seine Getreuen. Wir haben aber weder die Kraft, Christus zu lieben, noch Seine Feinde zu hassen! Wenn ich durch Gottes Ratschluß auch sterben müßte, würde ich mich doch nicht mit den Abtrünnigen vereinen! Ich bin rein und schüttele den Staub von meinen Füßen vor euch ab, wie es geschrieben steht: ›Besser einer, der den Willen Gottes tut, als ein Haufen Gottloser!‹«

Mit diesen Worten huschte P. Jerofej unter der Deckung seiner Getreuen durch die Türe der Nebenkammer.

P. Missail trat zur Seite und begann leise zu beten, immer dieselben Worte wiederholend:

»Das Unglück kommt, das Unglück kommt. Erbarme dich unser, allerreinste Muttergottes!«

Die Mönche schrieen und stritten aber noch wütender als vorher.

»Spirka, du, Spirka, du Frechling, höre, was man dir sagt: Der Sohn sitzt zur Rechten des Vaters. Gut, du toller Bursche, rühre ihn nicht an, stoße ihn nicht mit deiner unreinen Zunge von seinem Königsthrone zu den Füßen des Vaters! . . .«

»Verflucht, verflucht, verflucht! Anathema! Auch der Engel hat über jede Lehre, die nicht aus der Schrift kommt, das Anathema verkündet!«

»Ihr Unwissenden! Ihr versteht die Schrift nicht zu deuten! Was soll man mit euch Bauerntölpeln viel Worte verlieren!«

»Gott hat dir die Ohren verschlossen, damit du dich der Wahrheit widersetzt! Gehe mit den Deinigen zugrunde, Verruchter!«

»Es sei keine Gemeinschaft zwischen uns, weder in diesem noch im zukünftigen Leben!«

Alle redeten zu gleicher Zeit, und niemand hörte auf den andern.

Nicht nur die Eindeuter waren bereit, den Dreideutern die Kehlen zu durchbeißen, sondern auch die Brüder ihren Brüdern von der gleichen Partei. Man ereiferte sich wegen jeder Kleinigkeit: ob man das Räucherfaß im Kreuze oder dreimal schwingen müsse? ob man am Tage der Verkündigung und am Tage der Vierzig Märtyrer Knoblauch essen dürfe, und ob sich die Popen einen Tag vor der Liturgie des Genusses der Zwiebel enthalten müßten; ob es erlaubt sei, während der Beichte mit übereinander geschlagenen Beinen zu sitzen; ob man ›Von Ewigkeit zu Ewigkeit‹ oder ›Von Ewigkeit zur Ewigkeit‹ lesen müsse; wegen jedes Buchstabens, Kommas oder Punktes in den alten Büchern.

»Auch der kleinste Schreibfehler kann die größte Ketzerei erzeugen!«

»Wir sterben für ein einziges A!«

»Sprich so, wie es in den alten Büchern geschrieben steht, und wiederkäue immer das Vaterunser – das ist die ganze Wahrheit!«

»Merke dir doch, Fedjka, du Feind Gottes, Hund, Hurensohn, du Höllenhund, wie das Kreuz Christi und wie das Kreuz Petri beschaffen ist: das Kreuz Christi hat ein Brettchen über der Querleiste, und das Kreuz Petri hat kein Brettchen,« erklärte mit heiserer Stimme P. Ulian, der Schriftgelehrte von Dolgije Mchi, der sonst immer still und mild, jetzt aber so rasend war, daß ihm der Mund schäumte, die Schläfenadern anschwollen und die Augen rot wurden.

»Ein Brettchen, ein Brettchen über der Querleiste!« schrie Fedjka.

»Nein, kein Brettchen, kein Brettchen!« heulte Ulian.

Für Ulian trat P. Trifilij, ein anderer Schriftgelehrter ein. Wie man sich später erzählte, sprang er auf »wie ein Kaulbarsch aus dem Wasser, mit gestrecktem Hals, gesträubten Haaren, vor großem Eifer zitternd und bebend; seine Knochen krachten, seine Glieder bebten, sein Bart tanzte, seine Zähne klapperten, seine Stimme klang wie die eines zornigen Kamels; er war unversöhnlich, unbezähmbar und schrecklich in seiner Wut.«

Er suchte gar nichts zu beweisen, sondern fluchte nur mit Mutterschimpfworten. Man antwortete ihm mit gleichem. Mit Theologie hatten sie begonnen und mit den unflätigsten Flüchen endeten sie.

»Der Satan ist dir in die Haut gefahren!«

»Du ganz gemeiner Mönch, für ein Glas Schnaps hast du deine Seele verkauft!«

»Oh, Schande über Schande! Du bist ein verruchtes Schwein, das weder Erde zu fressen noch diese Welt zu schauen verdient! Ein verirrtes Vieh! . . .«

»Es gibt ein Gewürm, das nichts als Kot von sich gibt und behauptet, daß die heilige Dreieinigkeit . . .«

»Hört, hört, er will von der Dreieinigkeit reden! . . .«

»Da gibt es doch nichts zu hören! Man kann dein Geflecht gar nicht entwirren: du hast einen Bastschuh geflochten und die Enden des Bastes verloren . . .«

»Ich verkünde himmlische Geheimnisse, mir ist es gegeben!«

»Genug Unsinn geredet! Verstopfe dir das Maul mit einem Fußlappen!«

»Ihr seid verflucht! Verflucht! Anathema!«

Auf dem bäuerlichen Konzil in den Wäldern von Wetluga zankte man sich fast ebenso wie vor vierzehn Jahrhunderten, in den Tagen Julian Apostatas auf den Konzilen am Hofe der byzantinischen Kaiser.

Tichon sah zu und lauschte, und es war ihm, als ob hier nicht Menschen wegen Gott stritten, sondern Tiere einander totzubeißen trachteten, als ob die Stille seiner herrlichen Mutter-Wüste durch diesen gotteslästerlichen Streit für immer entweiht wäre.

Vor den Fenstern erhob sich Geschrei. Mutter Golenducha, Mutter Meropia und Mutter Uleja, die Alte, blickten hinaus und sahen einen großen Menschenhaufen, der aus dem Walde von der Klosterseite her auf die Wiese gelaufen kam. Nun fiel es ihnen ein, daß einmal bei einer ähnlichen Brüderversammlung zu Kershenetz im Filialkloster des heiligen Larion ein Haufen bestochener Novizen, Arbeiter und Imker zu dem Hause, in dem die Versammlung stattfand, mit Büchsen, Jagdspießen und Stangen bewaffnet gekommen war und die Mönche überfallen hatte.

Aus Furcht, daß sich auch jetzt dasselbe wiederholen könnte, stürzten die drei Mütter in die Betstube, verriegelten die Außentüre mit dicken eichenen Riegeln just in dem Augenblick, als die Menge das Haus erreicht hatte. Die Leute versuchten die Türe aufzubrechen und schrieen:

»Macht auf! Macht auf!«

Sie schrieen zwar auch etwas anderes, aber Mutter Galenducha, die die Oberaufsicht hatte, war schwerhörig und verstand nichts. Die übrigen Mütter rannten wie besessen hin und her und gackerten wie erschrockene Hennen. Sie waren auch von dem Geschrei betäubt, das noch immer in der Betstube anhielt: die Väter fuhren, ohne auf etwas zu achten, in ihrem Disput fort.

P. Spiridon erklärte, daß »Christus in die heilige Jungfrau durchs Ohr gedrungen sei und ihren Leib auf unerklärliche Weise durch die Hüfte wieder verlassen habe.«

P. Trifilij spie ihm ins Gesicht. P. Spiridon packte den P. Trifilij am Barte, riß ihm die Kappe vom Kopfe und wollte ihn mit seinem Messingkreuz auf die Glatze schlagen. Aber P. Prow schlug ihm mit seiner Ulmenkeule das Kreuz aus den Händen. Der onufrianische Schriftgelehrte Archipka, ein Riesenkerl, stürzte sich auf den P. Prow und versetzte ihm einen solchen Faustschlag auf die Schläfe, daß der Alte wie tot zu Boden fiel. Nun begann eine allgemeine Schlägerei. Die Mönche waren wie von Teufeln besessen. In der schwülen Dunkelheit, die vom trüben Lichte der Lämpchen und den feinen Strahlen des durch die Ritzen eindringenden Sonnenlichts kaum erleuchtet war, bewegten sich entstellte Gesichter und geballte Fäuste, flogen lederne Rosenkränze, mit denen sie sich auf die Augen schlugen, zerrissene Bücher, zinnerne Leuchter und brennende Kerzen, die gleichfalls als Waffen dienten. Die Luft war von Mutterflüchen, Stöhnen, Heulen, Brüllen und Winseln erfüllt.

Von außen fuhr man fort zu klopfen und zu schreien:

»Macht auf! Macht auf!«

Das ganze Haus erdröhnte unter den Schlägen: man hieb mit einer Axt einen Fensterladen ein.

Mutter Uleja, ein aufgedunsenes und wie Hefenteig blasses Weib, sank auf die Erde und schrie mit so durchdringender, schluchzender Stimme, daß alle erschraken.

Der Laden krachte, und durch die gesprungene Fischblase steckte der Klostersattler P. Mina seinen Kopf herein, seine Augen traten vor Entsetzen aus den Höhlen, und er schrie mit weitgeöffnetem Munde:

»Die Soldaten, die Soldaten kommen her! Was habt ihr euch eingesperrt, ihr Dummköpfe? Kommt schnell heraus!«

Alle waren vor Schreck wie gelähmt. Der eine blieb mit geballten Fäusten, der andere mit in das Haar des Gegners eingekrallten Fingern wie angewurzelt, wie zu einer Bildsäule erstarrt stehen.

Totenstille trat ein. Nur P. Missail weinte noch und betete:

»Das Unglück ist gekommen, das Unglück ist gekommen. Allerreinste Muttergottes, erbarme dich unser!«

Als sie wieder zur Besinnung gekommen waren, stürzten sie zur Türe und liefen hinaus.

Von der Menge, die sich auf der Wiese versammelt hatte, erfuhren sie die schreckliche Kunde: eine Soldatenabteilung kommt in Begleitung von Popen, Zeugen und Beamten durch den Wald gezogen; sie haben schon das benachbarte Moroschkin-Kloster am Flusse Unsha zerstört und werden heute oder morgen nach Dolgije Mchi kommen.


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