Dmitri Mereschkowski
Peter und Alexej
Dmitri Mereschkowski

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V.

Kapitän Pyrskij hatte folgende Instruktion von der Nishnij-Nowgoroder Bischofskanzlei bekommen:

»Das Kommando hat sich der Wohnstätte der Raskolniki unbemerkt zu nähern, damit die Leute den Bau nicht anzünden. Sollten sie sich aber in ihrem Kloster oder in einer Kapelle einsperren, so hat das Kommando sich in Kriegsordnung vor ihrem Baue aufzustellen und mit größter Sorgfalt aufzupassen; es darf unter keinen Umständen geduldet werden, daß sie sich anzünden; sie sind vielmehr zu ermahnen, daß sie sich ergeben und ihre Schuld bekennen, wobei ihnen zu versprechen ist, daß ihnen ihre Schuld vergeben und nichts nachgetragen werden wird. Und wenn sie sich ergeben, sind sie alle aufzuschreiben, durch Anbringung von Fußblöcken oder Anwendung anderer Mittel, die vorher zu beschaffen sind, an der Flucht zu hindern und mit Hab und Gut unter strenger Bewachung nach Nishnij zu bringen, sollten sie aber trotz aller Ermahnung ihre Schuld nicht bekennen und in ihrem Unterschlupf hartnäckig verbleiben, so sind sie zu bedrängen und mit allen möglichen Mitteln einzufangen; die Verbreitung ihrer verbrecherischen Lehre ist nicht zu dulden; man soll sie durch einen Sturmangriff gefangen nehmen und verhaften, oder durch Aushungerung, jedoch ohne Blutvergießen ausrotten. Und wenn sie ihre Diebesverstecke oder Kapellen anzünden, so ist das Feuer mit Wasser zu löschen, Türen und Fenster sind aufzubrechen und die Verbrecher lebend herauszuziehen.«

Kapitän Pyrskij, ein alter tapferer Soldat, der sich bei Poltawa eine Verwundung geholt hatte, hielt die Zerstörung der Klöster für eine »intrigante Erfindung der langmähnigen Popengesellschaft«; er hätte es vorgezogen, in das mörderischste Feuer der Türken oder Schweden zu gehen, als sich mit den Raskolniki abzugeben, sie verbrannten sich, er wurde aber dafür verantwortlich gemacht und bekam Verweise wie diesen: »Dem erwähnten Kapitän und den übrigen weltlichen Befehlshabern sind derartige ungehörige Handlungen zu verbieten, denn es ist aus allem ersichtlich, daß die Leute sich verbrannt haben, nur weil der Kapitän ihnen zu viel Angst gemacht hatte.« Er erklärte darauf: »Die Raskolniki sterben nicht aus Furcht sondern infolge ihrer Verstocktheit, denn sie sind von fürchterlicher Bosheit erfüllt, halten uns durchaus für Abtrünnige und erklären, daß sie sich der neuen Ordnung, auch wenn sie sterben müßten, nicht fügen würden; so aufgeblasen sind sie und so überzeugt von ihrem Unsinn.« Man schenkte aber seinen Erklärungen nicht die geringste Beachtung, und die Bischofskanzlei erließ einen neuen Ukas:

»Da die Raskolniki nur Scheinverbrennungen veranstalten, um die doppelten Steuern nicht zahlen zu müssen, in der Tat aber in entlegene Gegenden ziehen, um in ihrem Verstecke sich ungehindert ihrer abscheulichen Ketzerei hinzugeben, so haben die weltlichen Befehlshaber die Pflicht, die Zahl der Verbrannten nach den Überresten ihrer Eingeweide festzustellen und in das Register einzutragen, weil die Eingeweide selbst beim Brande eines noch so großen Gebäudes niemals zu Asche verbrennen können.«

Der Kapitän fand es für seine Offiziersehre erniedrigend, sich mit dem Nachzählen der Eingeweide zu befassen, und erhielt dafür einen neuen Verweis.

In Dolgije Mchi wollte er vorsichtiger vorgehen und alle Maßregeln anwenden, um eine Selbstverbrennung zu verhüten.

Vor Anbruch der Nacht befahl er seinem Kommando, sich von der Kapelle ziemlich weit zu entfernen und sich nicht von der Stelle zu rühren, dann trat er ganz allein und ohne Waffen vor den Bau, untersuchte ihn sorgfältig und klopfte ans Fenster, indem er nach der Weise der Raskolniki das Gebet aufsagte:

»Jesu Christe, Sohn Gottes, erbarme dich unser!«

Niemand antwortete ihm; in der Kapelle blieb es still und dunkel wie im Grabe. Ringsumher war es öde und einsam. Die Wipfel der Bäume rauschten leise. Ein frischer Nachtwind kam gezogen. »Wenn sie sich anzünden, gibts ein Unglück!« sagte sich der Kapitän. Er klopfte und wiederholte:

»Jesu Christe, Sohn Gottes, erbarme dich unser!«

Wieder blieb alles still; nur die Wachteln schnarrten im Sumpfe, und irgendwo in weiter Ferne heulte ein Hund. Eine Sternschnuppe flammte als feuriger Bogen am dunklen Himmel auf und zerstob zu Funken. Es wurde ihm unheimlich zumute, als ob er in der Tat an einen Sarg klopfte.

»Jesu Christe, Sohn Gottes, erbarme dich unser!« wiederholte er zum drittenmal.

Ein Fensterladen wurde aufgeriegelt. In der schmalen Ritze leuchtete ein Lichtschein auf. Endlich wurde das Fenster langsam aufgemacht, und der alte Kornilij steckte seinen Kopf hinaus.

»Was wollt ihr? Was seid ihr für Menschen, und wozu seid ihr hergekommen?«

»Auf Befehl Seiner Majestät des Zaren Peter Alexejewitsch kommen wir her, um euch zu ermahnen. Gebt uns an, wie ihr heißt, von welchem Stande und welcher Herkunft ihr seid, seit wann ihr euch in diesem Walde befindet, mit welchen Papieren ihr euch aus euren Wohnorten entfernt habt und mit wessen Erlaubnis ihr euch hier aufhaltet. Wenn ihr an der heiligen orthodoxen Kirche und ihren Sakramenten zweifelt, so möchtet ihr eure Zweifel schriftlich niederlegen und uns eure Lehrer ausliefern, damit sie sich mit den kirchlichen Obrigkeiten ohne Furcht und Gehässigkeit auseinandersetzen . . .«

»Wir sind Bauern und Leute verschiedener Stände und sind hergekommen im Namen Jesu Christi; auch unsere Frauen und Kinder werden wir zur Ruhe bringen,« antwortete der Alte still und feierlich, »wir wollen durch Selbstverbrennung für den alten Glauben sterben. Euch, die ihr uns verfolgt, werden wir uns nicht ergeben, weil ihr einen neuen Glauben habt. Und wenn ihr selig werden wollt, so kommt zu uns, um euch mit uns zu verbrennen: wir gehen nun zu Christus selbst.«

»Laß gut sein, Bruder!« entgegnete der Kapitän mit freundlicher Stimme. »Gott sei mit euch! Gebt eure abscheuliche Absicht, euch zu verbrennen, auf, geht nach Hause, und niemand wird euch anrühren. Und ihr werdet wie früher glücklich in euren Dörfern wohnen, wenn ihr nur eure Abgaben bezahlt, die doppelte Steuer . . .«

»Kapitän, das kannst du kleinen zahnenden Kindern erzählen; wir fallen aber auf diesen Betrug nicht herein. Es sind nichts als schöne Worte!«

»Ich schwöre es bei meiner Ehre, daß ich euch alle laufen lassen und nicht mit einem Finger anrühren werde!« rief Pyrskij aus.

Er meinte es ernst: er hatte tatsächlich beschlossen, sie gegen seine Instruktion, auf eigene Verantwortung laufen zu lassen, wenn sie sich ergeben würden.

»Was sollen wir so laut schreien, wir können heiser werden,« fügte er mit einem gutmütigen Lächeln hinzu. »Das Fenster ist so hoch, daß man nichts hören kann. Paß also auf, Alter: laß einen Riemen herauswerfen, ich binde mich an sein Ende fest, und ihr zieht mich zum Fenster herein; doch nicht in dieses, sondern in ein anderes, breiteres, denn durch dieses komme ich nicht durch. Ich bin allein, und ihr seid Viele; was habt ihr also zu fürchten? Wir wollen miteinander reden und uns, so Gott will, vielleicht einigen . . .«

»Was haben wir mit euch zu reden? Wie können wir Arme und Einfältige mit euch streiten?« höhnte der Alte, sich offenbar an seiner Macht und Glaubensstärke berauschend. »Ein tiefer Abgrund trennt uns voneinander,« schloß er feierlich. »Der Abgrund ist so tief, daß niemand von hier zu euch hinüberkommen kann und niemand von euch zu uns . . . Geh fort, geh fort, Kapitän, sonst zünden wir uns gleich an!«

Das Fenster wurde zugeklappt, wieder trat Stille ein. Nur der Wind rauschte in den Baumwipfeln, und die Wachteln schnarrten im Sumpfe.

Pyrskij kehrte zu seinen Soldaten zurück, ließ ihnen je ein Glas Schnaps geben und sagte:

»Wir werden doch nicht mit ihnen kämpfen. Es sind nur wenige Männer dabei, es sind wohl zum größten Teil Weiber und Kinder, wir wollen die Türe aufbrechen und sie alle, ohne Waffen, einfach mit den Händen einfangen.«

Die Soldaten richteten Stricke her, Äxte, Leitern, Eimer, Fässer mit Wasser, um das Feuer zu löschen, und lange Stangen mit eisernen Haken am Ende, um die Brennenden aus dem Feuer zu ziehen. Als es endlich ganz dunkel geworden war, begaben sie sich zur Kapelle, zuerst den Waldesrand umgehend und dann über die Wiese, durch das hohe Gras und das Gebüsch auf allen Vieren kriechend, wie Jäger, die ein Wild beschleichen.

Als sie ganz nahe an den Bau herangekommen waren, begannen sie die Leitern anzulegen. In der Kapelle war es dunkel und still wie in einem Sarge.

Plötzlich wurde das Fenster wieder aufgemacht, und der Alte rief ihnen zu:

»Geht weg! Sobald Salpeter und Pulver Feuer fangen, werdet ihr von den Balken erschlagen werden!«

»Ergebt euch!« schrie der Kapitän, »wir werden sonst euren Bau im Sturm nehmen und euch sowieso ergreifen! Ihr seht doch, daß wir Musketen und Pistolen haben . . .«

»Ihr habt wohl Pistolen, wir haben aber Keulen Christi!« antwortete eine Stimme aus der Kapelle.

In den hinteren Soldatenreihen erschien der Pope mit dem Kreuz in der Hand und begann, den Hirtenbrief des Bischofs vorzulesen:

»Wer im Widerspruch mit dem Gesetz ein Martyrium erleidet, ist der verruchteste Mensch: er wird sein zeitliches Leben durch das Martyrium zugrunde richten und auch den Qualen im Jenseits nicht entrinnen!«

Im Fenster erschien der Lauf eines alten Schießgewehrs aus Urgroßvaterszeiten, und es fiel ein blinder Schuß: man schoß nicht, um zu töten, sondern nur um die Verfolger zu erschrecken.

Der Pope versteckte sich hinter den Soldatenrücken. Der alte Kornilij drohte ihm mit der Faust und schrie voller Wut:

»Feuerscheite der Hölle! Überreste der Flammen Sodoms! Des zerstörten Turmbaus von Babel Same! Gebt mir nur Zeit, ihr Hunde, ihr entgeht mir nicht! Selbst den Besten unter euch werde ich im Namen Jesu Christi auf die Kehle treten! Er wird bald kommen und euch mit dem Schwerte seiner Lippen bekriegen, und wird die Throne erschüttern und eure Gebeine wie die Jesabels den Hunden zum Fraße vorwerfen! Wir werden im hiesigen Feuer verbrennen, ihr brennt aber schon jetzt und werdet auch im Jenseits in ewigen Flammen brennen! Schmiedet also noch mehr Schwerter, bereitet noch grausamere Qualen vor, erfindet noch schrecklichere Todesarten, damit unsere Freude um so größer sei! Jetzt zündet an, Kinder! Gott ist mit uns!«

Aus dem Fenster flogen Hosen, Sarafane, Pelze, Hemden und Röcke.

»Nehmt es nur, Verfolger! Würfelt darum! Wir brauchen nichts. Nackt sind wir geboren und werden auch nackt vor den Herrn treten! . . .«

»Schont doch wenigstens eure Kinder, ihr Verfluchten!« rief der Kapitän verzweifelt.

Aus der Kapelle erscholl ein leiser Gesang, wie eine Sterbelitanei.

»Klettert hinauf, brecht die Fenster auf, Kinder!« kommandierte Pyrskij.

Im Innern des Baues war alles fertig. Das Zündmaterial war vorbereitet, Hanf, Pech, Stroh und Birkenrinde lagen aufgehäuft. Die Wachskerzen vor den Heiligenbildern waren so lose befestigt, daß sie bei der geringsten Erschütterung in die Rinnen mit dem Pulver fallen mußten; das wurde immer so gemacht, damit die Selbstverbrennung möglichst wenig einem Selbstmorde gleiche. Die halbwüchsigen Kinder hatte man auf die Bänke gesetzt und ihre Kleider an die Bänke genagelt, damit sie sich nicht losreißen konnten; man hatte ihnen Arme und Beine mit Stricken gebunden, damit sie sich nicht hin und her werfen, und die Münder mit Tüchern zugebunden, damit sie nicht schreien konnten. Auf dem Fußboden zündete man etwa drei Pfund Weihrauch in einer irdenen Schüssel an, damit die Kinder vor den Erwachsenen erstickten und die Schrecken des Brandes nicht sähen.

Ein Weib war soeben mit einem Mädchen niedergekommen. Man legte das Neugeborene auf die Bank, damit es gleich mit der Flammentaufe getauft werde.

Dann zogen sich alle nackt aus, legten neue weiße Totenhemden an, setzten sich Papierkronen auf die Köpfe, auf die mit roter Tinte achtspitzige Kreuze gemalt waren, und knieten reihenweise mit Kerzen in den Händen nieder, um den Bräutigam mit brennenden Lampen zu empfangen.

Der Alte hob die Arme empor und betete mit lauter Stimme:

»Herr und Gott, schaue auf uns, deine unwürdigen Knechte, herab! Wir sind schwach und ohnmächtig und wagen daher nicht, uns den Verfolgern zu ergeben. Schaue auf diese versammelte Herde herab, die dir, dem guten Hirten, folgt und den reißenden Wolf, den Antichrist flieht. Rette uns und erbarme dich unser, denn du kennst unser Schicksal! Stärke und festige uns zum feurigen Martyrium! Erbarme dich unser, Herr, erbarme dich unser! Wir erwarten von dir jede Antwort und bringen dir, als unserm Herrn dieses eine Gebet dar: Erbarme dich unser! Wir sterben um deiner reinen Liebe willen!«

Alle wiederholten wie aus einem Munde das Gebet. So jammervoll und so schrecklich klang dieser Schrei der Menschen zu Gott:

»Wir sterben um deiner reinen Liebe willen!«

Indessen hatten die Soldaten auf Kommando Pyrskij's die Kapelle von allen Seiten umringt. Sie kletterten auf den Leitern hinauf und hieben mit den Äxten auf die dicken Balken der Wände, die Läden und Gitter an den Fenstern und die Schilder vor den Türen ein.

Die Wände erbebten. Die Kerzen fielen nieder, aber immer an den Rinnen mit dem Pulver vorbei. Nun ergriff Kirjucha auf einen Wink des Alten eine Handvoll Kerzen, die vor dem Muttergottesbilde brannten, warf sie ins Pulver und sprang zurück. Das Pulver explodierte. Das Zündmaterial fing Feuer. Ein Flammenmeer ergoß sich über die Wände und Dachsparren. Ein dichter, erst weißer, dann schwarzer Rauch füllte die Kapelle. Die Flammen erstickten beinahe darin; nur einzelne lange rote Feuerzungen schossen aus dem Rauche hervor, pfiffen und zischten wie Schlangen, streckten sich nach den Menschen aus und beleckten sie und prallten dann wieder zurück, als ob sie mit ihnen spielten.

Es erhob sich ein wahnsinniges Geheul. Und durch die Jammerrufe der Brennenden, durch das Brausen der Feuersbrunst hindurch klang das Lied der triumphierenden Freude:

»Siehe der Bräutigam kommt um Mitternacht!«

Von dem Augenblick an, wo das Feuer ausgebrochen war, bis zu dem, wo Tichon das Bewußtsein verloren hatte, waren höchstens zwei oder drei Minuten vergangen; und doch hatte er alles, was sich in der Kapelle abgespielt hatte, gesehen und für immer im Gedächtnis behalten.

Der Alte hatte das neugeborne Kind gepackt, es bekreuzigt und mit den Worten: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes!« als erstes Opfer ins Feuer geworfen.

Iwanuschka der Narr hatte seine Arme dem Feuer entgegengestreckt, als ob er den kommenden Heiland, den er sein Leben lang erwartet hatte, empfinge.

Das Hemd Kilikejas der Besessenen hatte Feuer gefangen; auch ihr Haar brannte schon, und das Feuer umgab ihren Kopf mit einer Glorie; ohne den Schmerz zu empfinden, stand sie wie versteinert mit weitgeöffneten Augen da, als ob sie in den Flammen die große Stadt, das neue Jerusalem vom Himmel herabsteigen sähe.

Petjka Shisla stürzte sich kopfüber ins Feuer wie ein munterer Schwimmer ins Wasser.

Auch Tichon glaubte etwas Lustiges und Berauschendes im furchtbaren Glanze des Feuers zu sehen. Ihm fiel das Lied ein:

Im Ofen wächst taufrisches Gras,
Es blühen hellblaue Blumen . . .

Im durchsichtigen blauen Herzen der Flamme glaubte er paradiesische Blumen zu sehen. Ihr Blau, das dem heitersten Himmel glich, verhieß überirdische Wonnen; man mußte aber durch die rote Flamme, den Roten Tod, hindurchgehen, um diesen Himmel zu erreichen.

Die Belagerer rissen einige Balken heraus. Der Rauch schlug ihnen durch die Bresche entgegen. Die Soldaten steckten ihre Feuerhaken hinein, zogen die Brennenden heraus und übergossen sie mit Wasser. Die hundertjährige Mutter Feodulia zogen sie an den Beinen heraus, wobei sie ihre jungfräuliche Blöße enthüllten. Die Nonne Vitalia hatte sich an sie geklammert und rettete sich ebenfalls aus dem Feuer, gab aber sofort ihren Geist auf: ihr ganzer Körper war so verbrannt, daß er eine einzige Blase bildete. Als man P. Spiridon herausgezogen hatte, holte er ein Messer, das er im Busen versteckt hielt, hervor und erstach sich. Er lebte noch vier Stunden, bekreuzigte sich ununterbrochen mit zwei Fingern, schimpfte auf die Nikonianer und freute sich, wie es im Bericht des Kapitäns hieß, »daß es ihm gelungen sei, sich den tödlichen Stoß zu versetzen.«

Andere stürzten sich nach den ersten Brandwunden zu der Bresche, fielen um, erdrückten einander, kletterten wie auf einer Leiter über den Haufen der Herabgefallenen hinauf und schrieen den Soldaten zu:

»Wir brennen, wir brennen! Helft uns, Kinder!«

An Stelle der himmlischen Verzückung auf den Gesichtern trat ein Ausdruck tierischer Angst.

Die Zurückgebliebenen suchten die Fliehenden zurückzuhalten. Großvater Michej hatte sich mit beiden Händen an den Rand der Bresche angeklammert, um herauszuspringen; sein siebzehnjähriger Enkel schlug ihm aber mit einer Axt auf die Hände, und der Großvater fiel ins Feuer. Eine Frau war aus den Flammen gesprungen, ihr kleiner Sohn folgte ihr, aber der Vater packte das Kind an den Beinen, hob es hoch und zerschmetterte ihm den Kopf an einem Balken. Ein dicker Klosterdiener, der in eine Lache von brennendem Pech gefallen war, krümmte sich und zuckte wie im Tanze. »Wie eine Karausche auf der Pfanne!« dachte sich Tichon, vor Grauen auflachend, und schloß die Augen, um es nicht zu sehen.

Vor Hitze und Rauch stockte ihm der Atem. Dunkellilafarbige Glockenblumen auf blutrotem Grunde nickten ihm zu und läuteten leise und mitleidsvoll. Er fühlte, daß Sofja ihn umarmte und sich an ihn schmiegte. Und die Frische ihres unschuldigen Körpers, die durch die Leinwand ihres Totenhemdes hindurchdrang und an die einer Nachtblume gemahnte, war die letzte Frische in dieser sengenden Glut.

Und die Stimmen der Lebenden mischten sich immer noch in die Schreie der Sterbenden:

»Siehe der Bräutigam kommt . . .«

»Mein Bräutigam, mein geliebtester Christus!« flüsterte Sofja Tichon ins Ohr. Und es war ihm, als ob das in seinem Körper brennende Feuer mächtiger wäre als das Feuer des Roten Todes. Sie sanken beide hin, sie fielen wie in bräutlicher Umarmung auf das Hochzeitsbett. Das Weib mit den Flammenaugen und den feurigen Flügeln riß ihn in den brennenden Abgrund mit.

Die Hitze war so stark, daß die Soldaten zurücktreten mußten. Zwei von ihnen waren schon versengt. Einer war in die Kapelle hineingefallen und verbrannt.

Der Kapitän schimpfte:

»Ach, ihr Narren, ihr verfluchten Narren! Es ist leichter, mit den Türken oder Schweden fertig zu werden, als mit diesem Gesindel!«

Aber sein Gesicht war blasser als damals, als er verwundet auf dem Schlachtfelde von Poltawa lag.

Ein starker Wind fachte die Flammen an, sie schlugen immer höher empor und dröhnten wie Donner. Feuerscheite flogen herum wie feurige Vögel. Die ganze Kapelle war wie ein glühender Ofen, und in diesem Ofen kribbelte ein Haufen gefallener, gekrümmter und zuckender Körper. Ihre Haut platzte, ihr Blut kochte, ihr Fett siedete. Man spürte den Gestank von verbranntem Fleische.

Plötzlich fielen die Balken ein, und das Dach stürzte dröhnend zusammen. Eine Feuersäule schoß wie eine Riesenfackel in den Himmel empor.

Himmel und Erde waren von rotem Feuerscheine übergossen, als ob es in der Tat jene letzte Feuersbrunst wäre, die die ganze Welt vernichten soll.


Tichon kam im Walde, auf frischem, taubedecktem Rasen wieder zu sich.

Er erfuhr später, daß im letzten Augenblick, als er schon bewußtlos war, der Alte und Kirijucha ihn aufgehoben und zum Altar der Kapelle getragen hätten, wo sich eine Falltüre, eine Art Luke befand, daß sie in ein Kellergewölbe, von dem niemand wußte, hinabgestiegen und durch einen unterirdischen Gang in den Wald gelangt wären, in das dichteste Dickicht, wo sie vor den Verfolgern sicher waren.

So verfuhren die meisten Apostel der Selbstverbrennung: sie verbrannten die andern und brachten sich selbst und ihre treuesten Jünger in Sicherheit, um die Predigt fortsetzen zu können.

Tichon konnte lange nicht zu sich kommen. Der Alte und Kirjucha begossen ihn lange mit Wasser: sie fürchteten, er würde sterben. Seine Brandwunden waren übrigens nicht lebensgefährlich.

Endlich kam er zu sich und fragte:

»Wo ist Sofia?«

Der Alte sah ihn mit seinen hellen und freundlichen Augen an und sagte:

»Quäle dich nicht, Kind, traure nicht um deine Schwester und Braut! Im himmlischen Reiche ist ihre keusche Seele zusammen mit den anderen heiligen Märtyrern.«

Er hob seine Augen zum Himmel empor, bekreuzigte sich und sprach voll Rührung und Freude:

»Ewiges Gedenken den Knechten Gottes, die sich freiwillig verbrannt haben! Ruhet, meine Lieben, bis zur allgemeinen Auferstehung und betet für uns, daß es auch uns vergönnt sei, den gleichen Tod um des Herrn willen zu sterben, wenn unsere Stunde kommt. Heute ist aber die Stunde noch nicht gekommen, und wir müssen noch für Christus arbeiten . . .« Hier wandte er sich an Tichon: »Auch du, Kind, bist durch die Versuchung des Feuers hindurchgegangen. Du bist für die Welt gestorben und für Christus auferstanden. Bemühe dich nur, dieses zweite Leben nicht für dich selbst, sondern für den Herrn zu leben. Umgürte dich mit den Waffen des Lichts, werde gut, werde ein Krieger Jesu Christi, ein Apostel des Roten Todes wie wir Sünder!«

Fast lustig fügte er hinzu:

»Nun wollen wir uns am Ozean, an den Gestaden des Weißen Meeres ergehen! Auch dort werden wir Feuerchen anzünden! Wir wollen noch kühner sein und noch mehr liebe Christenmenschen verbrennen. Und wenn es uns nacheifert, wird ganz Rußland mit Gottes Hilfe in Flammen aufgehen, und nach Rußland – die ganze Welt!«

Tichon hielt die Augen geschlossen und schwieg. Der Alte glaubte, daß er wieder ohnmächtig geworden sei, und ging in die Erdhütte, um Kräuter zu holen, mit denen er Brandwunden zu behandeln pflegte.

Als Tichon allein geblieben war, wandte er sich vom Himmel, der noch immer im blutroten Widerscheine der Feuersbrunst glühte, weg und drückte sein Gesicht an die Erde.

Die Feuchtigkeit der Erde stillte den Schmerz der Brandwunden, und es war ihm, als hätte die Erde sein Flehen erhört und ihn vom brennenden Himmel des Roten Todes gerettet; als käme er wieder aus dem Schoße der Erde, wie ein neugeborenes Kind, wie ein auferstehender Toter ans Licht. Und er liebkoste und küßte sie wie eine Lebende, weinte und betete:

Herrliche Königin, Muttergottes,
Erde, Erde, feuchte Mutter!

Nach einigen Tagen, als der Alte sich auf die Wanderung machen wollte, gelang es Tichon, von ihm zu fliehen.

Er hatte begriffen, daß die alte Kirche nicht besser sei als die neue, und hatte beschlossen, in die Welt zurückzukehren und so lange nach der wahren Kirche zu suchen, bis er sie finden würde.

 


 


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