Dmitri Mereschkowski
Peter und Alexej
Dmitri Mereschkowski

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VII.

Am nächsten Tage, dem 3. Oktober, schrieb Tolstoi an den Zaren nach Petersburg:

»Allergnädigster Herr!

Durch dieses unser alleruntertänigstes Schreiben teilen wir mit, daß der Sohn Eurer Majestät, seine Hoheit der Zarewitsch Alexej Petrowitsch uns unter heutigem Datum seinen Entschluß mitzuteilen geruhte: er gibt seinen bisherigen Widerstand auf, leistet dem Ukas Eurer Majestät Folge und fährt mit uns ohne Widerspruch nach Sankt Petersburg, worüber er auch selbst in einem eigenhändigen Briefe Eurer Majestät berichtet. Diesen Brief geruhte er uns unversiegelt zu übergeben, damit wir ihn unter unserm Umschlage Eurer Majestät übersenden; wir fügen aber nur die Abschrift bei und behalten das Original hier, denn wir haben Bedenken, es bei dieser Gelegenheit mitzuschicken. Seine Hoheit geruht nur zwei Bedingungen zu stellen: erstens, daß er auf seinen Gütern in der Nähe von Sankt Petersburg leben dürfe, und zweitens, daß ihm gestattet werde, die Dirne, die er jetzt bei sich hat, zu heiraten. Und als wir ihn zu überreden suchten, daß er zu Eurer Majestät zurückkehre, wollte er gleich von vornherein davon nichts wissen, wenn die oben erwähnten Bedingungen ihm nicht zugebilligt werden würden. Er setzt uns sehr mit seiner Bitte zu, daß wir ihm von Eurer Majestät die Erlaubnis erwirken, jene Dirne noch vor seiner Ankunft in Sankt Petersburg heiraten zu dürfen. Obwohl mir diese das Ansehen des Staates berührenden Bedingungen sehr schwerwiegend erscheinen, habe ich mir doch erlaubt, ohne einen Befehl dazu zu haben, sie ihm mündlich zuzugestehen. Ich teile Eurer Majestät meine unmaßgebliche Ansicht darüber mit: wenn keine besonderen Gründe dagegen sprechen, sollte man ihm die Erlaubnis erteilen, damit die ganze Welt sieht, was er für ein Mensch ist und daß er nicht wegen irgend einer Beleidigung sondern nur dieser Dirne wegen entlaufen ist; zweitens würde er dadurch den Kaiser sehr kränken und sein Vertrauen für immer verlieren; drittens würde ihm die jetzt noch bestehende Möglichkeit, eine standesgemäße Ehe einzugehen, genommen werden. Wenn Ihr darauf eingeht, so geruht dies in einem Briefe unter anderen Angelegenheiten mitzuteilen, damit ich ihm den Brief zeigen kann, aber nicht einzuhändigen brauche. Sollte aber Eure Majestät den Vorschlag für unannehmbar halten, so geruht doch, dem Zarewitsch in Eurem Briefe einige Hoffnung zu machen, daß die Trauung vielleicht in unserm Reiche, aber keinesfalls im Auslande vollzogen werden könne, damit er, von dieser Hoffnung beseelt, seine Absichten nicht ändere und ohne jedes Mißtrauen zu Euch zurückkehre. Und geruht ferner die Rückkehr Eures Sohnes eine Zeitlang geheimzuhalten; denn wenn die Sache ruchbar wird, könnte ihm jemand, dem es nicht passen sollte, schreiben und ihm solche Angst machen, daß er seine Absicht (wovor uns Gott behüten möchte!) aufgibt. Geruht ferner, mir einen Befehl an die Kommandeure der Truppen, denen ich unterwegs vielleicht begegnen werde, zu schicken, daß sie mir im Notfalle bewaffnete Begleitmannschaften mitgeben.

»Wir hoffen Neapel am 6. oder endgültig am 7. Oktober zu verlassen. Der Zarewitsch wird aber zuvor nach Bari zu den Reliquien des heiligen Nikolai fahren, wohin wir ihn begleiten werden. Die Straßen im Gebirge sind sehr schlecht, und wir können daher, selbst wenn wir uns sehr beeilen, unmöglich so schnell vorwärts kommen, wie es erwünscht wäre. Die erwähnte Dirne ist aber im vierten oder fünften Monat schwanger, welcher Umstand unsere Reise verzögern kann, weil er ihretwegen nicht rasch fahren wollen wird: es ist unmöglich zu schildern, wie sehr er sie liebt und wie er um sie sorgt.

So verbleibe ich mit sklavischer Ergebenheit und hohem Respekt alleruntertänigst

Peter Tolstoi.

P.S. Wenn Gott mir die Gnade schenkt, daß ich nach Sankt Petersburg heimkehre, werde ich vor Eurer Majestät Italien loben dürfen, ohne dafür einen Strafbecher trinken zu müssen; denn es bedurfte nicht einmal einer wirklichen Reise, sondern schon Eure Absicht allein, nach Italien zu gehen, hat genügt, um einen für Eure Majestät und das ganze russische Reich nützlichen Effekt zu erzielen.«

Am gleichen Tage schrieb er auch an den Residenten Wesselowskij nach Wien:

»Haltet alles ganz geheim, damit nicht irgend ein Teufel dem Zarewitsch schreibt und ihn von dieser Reise abschreckt. Gott allein weiß, welch große Schwierigkeiten wir in dieser Sache zu überwinden hatten! Welch große Wunder uns geschehen, kann ich in Wahrheit gar nicht schildern.«

Peter Andrejewitsch saß nachts allein in seinen Gemächern im Gasthofe »Zu den drei Königen« am Schreibtisch vor einer Kerze.

Nachdem er den Brief an den Zaren beendigt und vom Schreiben des Zarewitsch eine Kopie gemacht hatte, nahm er den Siegellack zur Hand, um beide Briefe in einem Umschlage zu versiegeln. Aber er legte den Siegellack wieder weg, las noch einmal den Originalbrief des Zarewitsch durch, holte tief und mit Wonne Atem, zog seine goldene Tabaksdose aus der Tasche, zerrieb die Prise zwischen den Fingern und versank mit stillem Lächeln in seine Gedanken.

Er traute kaum seinem Glück. Erst heute morgen war er so verzweifelt, daß als vom Zarewitsch das Billet kam: »Ich muß dich dringend sprechen, was nicht ohne Nutzen sein wird«, er zu ihm gar nicht hinfahren wollte: »Durch alle diese Gespräche verliere ich nur Zeit.«

Und plötzlich war der »verstockte Starrsinn« wie weggeblasen, und der Zarewitsch willigte in alles ein. »Es ist ein Wunder, ein wahres Wunder! Niemand als Gott und der heilige Nikolai hat es vollbracht! . . .« Nicht umsonst hatte Peter Andrejewitsch den heiligen Nikolai immer besonders verehrt und sich stets auf die »heilige Protektion« des Wundertäters verlassen. Er freute sich auch jetzt, mit dem Zarewitsch nach Bari reisen zu können. »Der Heilige hat es wahrlich verdient, daß ich ihm eine Kerze weihe!« Den Erfolg hatte er natürlich außer dem heiligen Nikolai auch der Göttin Venus zu verdanken, die er gleichfalls mit großem Eifer verehrte: Mütterchen Venus hatte ihn doch wirklich nicht zu Schanden werden lassen und ihm aus der Klemme geholfen! Heute hatte er der Dirne Afroßjka beim Abschied die Hand geküßt. Er hätte sich vor ihr auch gern bis zur Erde verneigt wie vor der Göttin Venus. Eine tüchtige Dirne! Wie geschickt sie doch den Zarewitsch umgarnt hat! Er ist wohl doch nicht so dumm, um nicht zu sehen, was ihn erwartet. Das ist eben die Sache, daß er zu klug ist. »Es ist die Hauptregel,« lautete einer von Tolstois Aussprüchen, »daß man einen Klugen recht leicht betrügen kann: die Klugen wissen zwar sehr viel, kennen sich aber in den alltäglichsten Dingen, die man im Leben am meisten braucht, gar nicht aus; die Vernunft und den Charakter eines Menschen zu ergründen, ist eine große Philosophie, und es ist viel schwieriger, die Menschen zu kennen, als viele Bücher auswendig zu wissen.«

Mit welcher Sorglosigkeit, mit welch freudigem Gesicht hatte ihm der Zarewitsch heute erklärt, daß er zum Vater reisen wolle! Er war wie schlaftrunken oder berauscht; er lachte die ganze Zeit so unheimlich und mitleiderregend.

»Ach, der Ärmste, der Ärmste!« sagte sich Tolstoi, bekümmert den Kopf schüttelnd. Dann nahm er die Prise und wischte sich eine Träne aus den Augen; ob die Träne vom Tabak oder von seinem Mitleid mit dem Zarewitsch herrührte, war nicht klar, »wie ein stummes Lamm läßt er sich zur Schlachtbank führen. Gott stehe ihm bei!«

Peter Andrejewitsch hatte ein gutes, sogar empfindsames Herz.

»Ja, er tut mir leid, aber ich konnte nichts anderes tun,« tröstete er sich sogleich. »Dazu gibt es ja auch den Hecht im See, damit die Karausche nicht zuviel schläft! Freundschaft ist Freundschaft, und Dienst ist Dienst.« Nun hatte Tolstoi dem Zaren und dem Vaterlande einen wirklich großen Dienst erwiesen, hatte sich nicht blamiert, stand als ebenbürtiger Schüler Niccolo Machiavellis da und hatte seiner Karriere die Krone aufgesetzt: sein Glücksstern wird sich nun als ein Andreasstern auf seine Brust herabsenken, die Tolstois werden Grafen sein, und wenn sie in den kommenden Jahrhunderten berühmt sein werden und sich die höchsten Titel erwerben, so werden sie auch des Peter Andrejewitsch gedenken! Herr, nun lassest du deinen Diener in Frieden fahren!

Diese Gedanken erfüllten sein Herz mit fast ausgelassener Freude. Er fühlte sich plötzlich so jung, als ob ihm vierzig Jahre vom Buckel genommen worden wären. Er wäre imstande gewesen, vor Freude zu tanzen, als ob ihm an Händen und Füßen kleine Flügel wie beim Gotte Merkur gewachsen wären.

Er hielt den Siegellack über die Kerzenflamme. Die Flamme zitterte, und der riesengroße Schatten seines kahlen Schädels – er hatte zur Nacht die Perücke abgenommen – tanzte auf der Wand, hüpfte, schnitt Grimassen und grinste wie ein Totenschädel. Die dicken blutroten Tropfen des Siegellacks fielen siedend herab. Und er summte leise sein Lieblingslied vor sich hin:

Cupido, laß den Pfeil,
Wir sind ja nicht mehr heil,
Wir sind so süß versehret
Durch deinen Pfeil vom Golde,
Die Liebe, ach, die holde,
An unsren Herzen zehret! . . .

Der Brief des Zarewitsch, den Tolstoi dem Zaren schickte, lautete:

Allergnädigster Herr Vater!

»Eurer Majestät allergnädigstes Schreiben habe durch die Herren Tolstoi und Rumianzow zu recht erhalten / aus welchen so wohl als aus der mündlichen Vorstellung derer Herren Abgeschickten / Eurer Majestät allergnädigsten Zusage / so sie mir Unwürdigen thun / vernommen habe / und daß Eure Majestät diese meine muthwillige Flucht sofern ich zurück komme / pardonieren wollen / davor sage ich Ihnen allerunterthänigsten Dank / und bitte nochmahls mit Thränen zu den Füßen Eurer Majestät fallend / um Vergebung meiner Fehler / der ich mich aller Straffe würdig gemachet. Ich verlasse mich auf Eurer Majestät allergnädigstes Versprechen / und nach dem ich mich Dero Willen unterworffen / werde mit denen von Eurer Majestät Abgeschickten / dieser Tage aus Neapolis nach St. Petersburg abreisen

Dero

Allerunterthänigster und unnützer Knecht / der
nicht würdig sich zu nennen Dero Sohn

Alexius.«

 


 


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