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Das Erlöschen

»O le aga Ra, hülle mich in dein Strahlenkleid, denn mein Herz ist leer und mein Leben ist tot! Ich wollte in deinem Tempel Priester werden, doch nun ist es zu spät zu solchen Wünschen. Dunkelviolette Lichter glühen im grünen Stein. Schon nahen die Schatten …«

Der Feuerball der sinkenden Sonne spiegelte sich in den ruhig fließenden Wassern des heiligen Stroms. Ramon Phtha stand am Ufer, unweit seines Palastes, in düsteres Sinnen verloren. Daminophis war tot. Das Gift, das dem König bestimmt gewesen, hatte seinem Leben ein jähes Ende gemacht. Hier, in seinen Armen, war der Künstler gestorben, der mit ihm die Verbannung aus der Stadt der fließenden Wasser geteilt, der einzige Mensch, mit dem er über Isolanthis zu sprechen vermocht hatte.

Tiefer und tiefer sank Ra.

Sie waren alle tot, alle, auch seine weiße Tempelblüte. Sie war ihm erschienen, als die Nacht noch jung gewesen, bleich, mit aufgelöstem Haar, den Stirnreifen aus Gold mit funkelnden Tropfen besät, und die Augen so ernst wie immer. Im bleichen Mondlicht war sie vor ihm gestanden und hatte ihm zugewinkt, doch als er die Hände nach ihr ausgestreckt hatte, war sie wie ein Traum zerronnen …

»Isolanthis …«

Dann hatte er sie im Traum gesehen mit flatterndem Haar und fliegendem Schleier, und hinter ihr hatte, durch das Dunkel der Nacht, die goldene Kuppel geleuchtet. Hierauf … ach, zählte er Tage oder Nächte, seit sie alle verwelkten Blumen glichen? … waren heimlich Boten genaht und hatten ihm berichtet, daß das ganze wunderbare Land, das schönste Reich der Erde, die gepriesene Insel Poseidonis, gesunken und verschwunden war. Mit ihr die Stadt der fließenden Wasser, die Stätte seines tiefsten Erlebens.

Sie waren alle tot, und nun nahten die Schatten auch ihm. Sie waren ihm willkommen, denn ihn beseelte nur noch ein einziger Wunsch: sie suchen zu gehen …

Seine weiße Tempelblüte.

Einmal, in einem Lande, in dem die Sonne nur matt leuchtete, über dem die Mondsichel senkrecht stand, nach tausend und tausend und wieder tausend Jahren, wenn der Weg kurz und licht geworden und in seinem ungestümen Herzen das hellrote Licht zu dunkelrotem herabgetönt war, würden sie sich wiederfinden …

»Isolanthis.«

Und er wollte freudig alle verlassen, die er liebte, und alle, die ihn liebten, und in ihr Land ziehen, um ihr zu dienen, denn dann würde sie ihre Seele an die seine binden, und sie würden den Sternenweg vereint wandeln, bis zum letzten Stern …

»Ra, erleuchte mich!«

Er betrat den prunkvollen Palast und stieg durch lange Gänge in ein unterirdisches Gemach. Da waren viele von Daminophis und ihm selbst geformte Standbilder der Erbprinzessin von Atlantis. Er strich mit prüfendem Finger über das goldgestrichene Gesicht, als wolle er sich jede Linie des geliebten Antlitzes einprägen, dann trat er entschlossen in den Gang hinaus und mauerte den Eingang zu. Keine ungeweihten Hände sollten ihr Bild berühren dürfen. Die Steinplatte, die er in die letzte Öffnung fügte, trug in Rmoahal ihren Namen daraufgeschrieben. Niemand würde dies verstehen …

Da war es ihm, als stünde er nach vielen Tausenden von Jahren wieder vor dieser Platte mit fast verwischter Schrift und als flüsterte ihm gleichzeitig eine Stimme ins Ohr:

»Laß die Platte ruhig verfallen, da du ja die Schwesterseele endlich wiedergefunden hast.«

Vor dem Palast tauchte die Sonne soeben in den heiligen Fluß. Die Ebene lag in Purpur gehüllt da, die ersten Sterne flimmerten kaum merklich im Haus des Hellwerdens.

Ramon Phtha betrachtete das ihm von Kindheit an vertraute Bild vom Palasteingang aus und flüsterte:

»Ra, webe dein Strahlenkleid noch einmal um mich, ehe meine Seele in das Totenreich hinabsteigt. Die Schatten kommen, ich vernehme schon ihre schleichenden Schritte in den langen Gängen, ich sehe schon ihre gekrümmten Finger nach meiner Kehle greifen. Mögen sie! Mein Herz ist leer, und mein Leben ist seit langem tot.«

Er trat mutig in das wachsende Dämmern des Ganges zurück, an dessen Ende sich die Schatten zu finsterem Angriff sammelten. Seines Daseins knapp bemessene Jahre schossen noch einmal wie ein reißender Fluß an seinem Erinnern vorüber. Er hatte gekämpft und gesiegt, ihm war die Krone geworden, sein Volk hatte ihn bewundert und ihn zum Lohn zu großer Feier in ein fernes Land geschickt. O goldene Türme und Kuppeln, o gleißende Silberbogen und fließende Wasser! Weisheit, Wissen und Schönheit, vom Licht seiner Liebe umstrahlt. Auch Neid, Haß und Selbstsucht – die finsteren Richter, der Turm der toten Nächte, die Augen des goldenen Tieres im Raume der Erkenntnis, und alles doch nur Hintergrund für sie: Isolanthis.

Er hatte sie gleich erkannt, schon damals, auf den Stufen des Palastes, und er würde sie wiedererkennen in einem andern Sein. Für ihn gab es nur die Schwesterseele, denn sein Pfad war der Pfad der Liebe. Viele Wege gibt es, doch sie alle führen immer zu dem Einen und Ewigen zurück.

Durch die Gänge leises Schleichen.

Ja, er hatte sein Volk vergessen um dieser seiner Liebe willen, und nun haßte sein Volk ihn und trachtete ihm nach dem Leben. Er hatte getötet und mußte durch die Hand des Mörders sterben.

Sie kamen … sie kamen … er ahnte ihre Schatten, sein Ohr vernahm den leichten Fußfall ihrer zögernden Schritte, das erregte Atmen, das sich nicht unterdrücken ließ.

Draußen war es Nacht geworden.

In voller Ruhe erwartete Pharao Ramon Phtha der Tapfere die Schatten, die den Gang füllten.

»Sie war das Licht in meinem Leben«, flüsterte er, den Mördern entgegenhorchend, »und sie wird das Licht in meinem Tode sein …

Isolanthis …!«

 


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