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Im Raum der hohen Seelen

Je finsterer die kommenden Ereignisse ihre Schatten warnend vorauswarfen, desto stärker wirkte auf Ramon Phtha die Macht des Glaubens, der nicht sein Glaube war und der ihn dennoch tief erschütterte und anzog. Dieses Volk erlebte seinen Gott täglich aufs neue – jeder Bau, jedes Zeichen, jede Handlung war ein Sinnbild ewiger Kraft, ewiger Gesetze.

Es war der Weg, den Isolanthis ging.

»Enthülle mir mehr von eurem tiefsten Wissen«, bat er, als sie sich im Palasthof trafen, auf den der Mond sein Silber schüttete.

»Du solltest es nicht erfahren«, sprach sie zögernd, »denn deine Seele geht einen anderen Weg und könnte nur irre werden …«

»Ich möchte deinen Weg kennen, um ihn zu gehen …«, erwiderte er leise. Seine Stimme war wie das Klagen des Windes in hohem Schilf.

Sie sah in seine Augen und fand den jungen König sehr gereift. Als er zum erstenmal vor ihr gestanden, war der Sonnenschein froher Jugend darin zu lesen gewesen und ein Aufleuchten von Glück. Nun lag ein Schatten in den dunklen Sternen und um den Mund ein Wissen: das bittere Wissen von Zwang und von Leid.

»Heute erhält Etelku die Weihe. Möchtest du …?« begann sie zaudernd,

»Laß mich auch das sehen, wenn es möglich ist. Nicht Neugierde bestimmt meine Bitte. Ach, alles ist hindernde Kluft zwischen uns«, seufzte er, »alles! Meine Rasse, meine fremde Erziehung, mein Glaube, und dennoch schlägt mein Herz nur für dich, o Isolanthis. Du aber sprichst nur immer wieder vom Getrenntsein unserer Seelen.«

»Einmal … wenn unser Weg kurz und licht geworden ist, wirst du mit mir am gleichen Altare knien, im gleichen Tempel; wirst von gleicher Rasse sein …«

»Wann?« rief er lebhaft und streckte voll Sehnen die Arme nach ihr aus.

Sie lächelte ein wehes und doch belustigtes Lächeln über sein Ungestüm, das alles Warten haßte.

»Der Weg ist lang und dunkel, aber einmal endet er, und da werde ich meine Seele an deine Seele binden. Willst du mir Schrein heiligsten Wissens werden? Nun wohl, so folge mir!«

Den Hof kreuzend, stiegen sie im Palast Treppe auf Treppe nieder und durch Gänge zu andern Treppen, tiefer und tiefer, bis sie den unterirdischen Gang erreichten, der zur geheimen Halle unter dem höchsten Tempel führte. Isolanthis faßte den Pharao an der Hand und half ihm durch das bedrückende Dunkel.

»Du darfst durch jenen engen Spalt schauen«, flüsterte sie ihm zu, »darfst indessen nicht gesehen und nicht gehört werden, denn nur die reifsten Seelen nehmen teil. Verhalte dich regungslos – ich werde dir erklären, was dir unverständlich bleibt.«

»Wo sind wir?«

»Vor dem Raum der hohen Seelen. Es findet nun darin die Weihe Etelkus zum Priester statt.«

Ramon Phtha blickte durch den hohen Spalt in einen langgestreckten, eiförmigen Saal, der sehr groß, aber nicht sonderlich hoch war. Am Ende des Raumes saßen dicht an der Wand im Halbkreis die Mumien der verstorbenen Priester. In der Mitte stand ein Altar, und dahinter leuchteten drei riesengroße Goldzacken. Ein mattes Dämmern erfüllte den Raum, wie von großen Fackeln hinter einem Vorhang herrührend. Unbeschreiblich ernst und würdevoll wirkten die Mumien im zuckenden Fackelschein, alle in blendendes Weiß gehüllt, alle den goldenen Stirnreifen mit dem hohen Dreizack tragend. Es war, als säßen sie lebend da, um wirklich teilzunehmen und von ihrem Wissen und ihrer Seelenkrast dem jungen Priester zu geben, der heute in den Kreis der Führer und Helfer treten wollte.

Die Wände waren aus Gold mit Silber und kostbaren Steinen ausgelegt, doch im Grunde mattgehalten, um die hohe Feierlichkeit zu unterstreichen, nicht um sie durch weltlichen Prunk abzuschwächen, deshalb war auch der Fußboden, über den die Priester lautlos auf weichen Sandalen schritten, aus dem merkwürdig schimmernden bläulichen Orichalcum.

Auf dem Altar brannten abwechselnd blaue und grüne Flammen in den Opferschalen, vier an der Zahl, und eine Menge duftender Blumen schmückte ihn. Rings an den Wänden reihte sich Priester an Priester, in Schweigen und in Betrachtung versunken. In Händen hielten sie prachtvolle silberne Räuchergefäße, aus denen ein herrlicher Duft aufstieg. Der feine Rauch legte sich wie ein bläulicher Schleier auf alles und erleichterte das Sichversenken in das eigene Ich.

Langsam wurde nun am Ende des Raumes ein Vorhang zurückgeschoben, ein düsteres Rot ergoß sich über die weißen Gestalten und ließ die Stirnreifen aufflimmern, dann führten zwei alte Priester Etelku herein, der die Weihe erhalten sollte.

»Nun wird er zur Helferpflicht gekrönt werden«, flüsterte Isolanthis. »Schau gut und lausche! Die Worte der Weihe sind uralt und werden immer nur in Rmoahal gesprochen, weil auch in ihrer Anreihung und in ihrem Klang schon stärkende Macht liegt.«

Der alte Priester neigte sich über den knienden Jüngling, segnete ihn, hob hierauf feierlich die goldene Krone mit den drei Zacken aus Gold und sprach mit seltsam erdferner Stimme:

»Kronen bedeuten: Dienen!
Geh diesen Weg die letzte Schuld zu sühnen
aus einem andern Sein,
und trage hellen Schein
in dunkler Seelen Nacht,
um die du bang gewacht.
Schau nicht zu viel zurück,
eil nicht zu schnell voran,
weil deiner Seele fernem Blick
der Geist nicht folgen kann.
Gönn Ruh deinem müden Herzen,
das noch gebunden an dies Sein;
wohl muß es leiden ird'sche Schmerzen,
um mit desto wärmerm Schein
Führer einst der Welt zu sein.
Geh in Frieden deinem Ziele zu!
Du kommst weit her, du wanderst lang,
doch einmal findet deine Seele Ruh
und singt dann helfend hohen Sang.«

Lange kniete der Eingeweihte am Altar, während Isolanthis die Worte für Ramon Phtha übersetzte. Die Priester hoben und senkten die Räuchergefäße mit ruhiger, feierlicher Gebärde und hielten sie hierauf über dem Haupte, sie nur leicht bewegend. Der schleierhafte Rauch wirbelte in seltsamen Gebilden durch den Raum. Tiefrot – die Farbe wärmender Liebe – floß das Licht aus dem Nebengemach, und dem Pharao schien es, als nickten die Mumien wie in Einverständnis mit Priestern und Jüngern.

Ganz leise sangen nun alle eine uralte, eintönige Melodie, wie der Sang der Sphären, wie der Pulsschlag im Menschen, wie Auftakt und Abtakt alles Seins.

Ramon Phtha betrachtete die Erbprinzessin. Ihre Augen leuchteten wie vom Widerschein überirdischen Lichtes, und er wußte plötzlich, daß er den Weg zu ihrem Herzen nur durch ihre Seele finden konnte. Als sie ihn, ganz in das Erlebte versunken, die Treppen hinaufgeleitete, flüsterte er ihr bittend zu:

»Sei mein Führer durch die Zeiten.«

»Ich will trachten, dein Licht zu sein, Ramanatu … sagte sie weich zum Abschied.

»Und ich werde dein Herz mit dem Feuer des meinen wärmen!«


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