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Jenseits des Herrscherweges

Selten stieg der Weise von seinem Turm herab.

An diesem Morgen tat er es. Über dem Schläfer und dem Schweigsamen schwebte die Wolke wie ein flammender Helm von Geisterhänden gehalten. Das Dunkel der hohen Eiben stand im Gegensatz zum Geleuchte der Goldkuppeln von Palast und Tempel.

Hinter dem Turm des Sonnenaufgangs, am äußersten Ende des Herrscherweges, wo der Blick über sanft verlaufende Hügel das Meer traf, fand Sembasa unter Mondblumen Isolanthis. Sie lag eher als daß sie saß, zusammengekauert da, die Hände verschlungen, die Augen dem Licht verschlossen, das Haupt so tief gesenkt, daß tiefer Schatten auf den vergrämten Zügen lag. Sie glich einer gebrochenen Mondblume.

Wie sacht streifender Wind, der nur wecken, nicht rütteln will, fuhr die Stimme des Weisen über die halb Liegende hin:

»Beklagst du so bitter ein Erfahren, o Isolanthis, das dir das letzte Wort menschlicher Weisheit gegeben hat? Vieles sieht die Seele, manches erfaßt der Geist, doch einige Dinge lassen sich nur im Stofflichen erfahren. Auch sie sind notwendig …«

Sie sah nicht auf, sie murmelte nur –

»Ich bin wie ein Vogel, dessen Schwingen der Sturm gebrochen, wie eine Blüte, die ein Fuß in den Staub getreten, weder Gattin noch Jungfrau …«

»Als nur Er war, der da lebte, ehe es Licht geworden, ehe der Geist sich in Stoff verwandelte, träumte das Herz des innersten Himmels von Leid, denn Erfahren im Stofflichen ist Leid, und dennoch trennte Er Geist und Stoff, um sein Weltall zu beseelen. Um zu erfahren. Wenn aller Stoff gleichsam Seele geworden, dann ist der Ewige wieder nur Eins

Und als sie schwieg, ohne sich zu rühren, die Züge qualverdunkelt, fuhr er sanft fort:

»Was ist das Wechselvolle, das wir Leben nennen, anderes als eines Gottes Lernen? Sein Ausatmen ist ein Urtag – ein Weltzeitalter – sein Einatmen ist eine Urnacht; Millionen und Millionen Jahre, wie wir sie rechnen …«

»Ich wünschte«, sagte sie bitter, »ich läge schon in jener Urnacht.«

»Weil du die Seele einer Priesterin hast mit dem Sehnen nach Weltferne, fühlst du als Schändung, was nichts als Menschenerleben ist. Es gibt viele Stufen der Liebe: auch die unterste muß man kennen, um die oberste zu erreichen.«

Sie seufzte, ihre Finger suchten Halt auf dem Gestein.

Und wieder sprach der Weise, den sie dauerte:

»Den Kern in dir kann kein Sterblicher berühren, o Isolanthis! Er ist deines Gottes Same, wachsend in Raum und Zeit.«

»Mein Leib und meine Seele sind nichts als schwankende Unruhe …«, klagte sie dumpf.

Er neigte sich liebevoll über sie, wissend, daß nichts so bitter war im Vergänglichen, als vor sich selbst gedemütigt zu stehen.

»Kränke dich nicht über Ebbe und Flut der Sinne, noch über die Unrast, die kommt und schwindet. Der Geist ist ein kühner Reiter, doch unser Leib ein gar widerspenstig Tier. Was bedeutet ein unverschuldeter Sturz? Die meisten Reiter werden hilflos durch den Schmutz gerissen, während das Tier davonrast. Wenn wir nicht mehr fallen können, werden wir gewiß der Notwendigkeit des Reitens enthoben sein.«

»Mir ist's«, klagte Isolanthis, »als stünde ich nackt vor der ganzen Welt.«

»Du hast geschlafen und bist erwacht. Du kanntest dich selbst nicht in jeder Kundgebung und erblickst nun dein Bild im Spiegel des äußeren Seins. Du gingst dahin in der Strenge der Unberührten und fühlst heute die Bedrängnis von all dem, was weiblich im Weltall ist. Es leidet die Erde, wenn sie aufgerissen wird, um Frucht zu geben; es leiden die Vogelweibchen, wenn das Ei kommt; es leidet alles, was werdendes Leben in sich birgt …«

Ein Schluchzen.

Wie Regen, der leise niederrieselt und erst allgemach erquickt, flössen die Worte des Weisen in Isolanthis' Ohr –

»Die Welt ist ein grauer Altar, auf den jedes Weibes Opferblut fließen muß, da sie sich nur dadurch zu erneuern vermag. Der Mann verkörpert nebst Befruchtung auch Zerstörung, um seinem innersten Wunschbild näher aufzubauen. Er ist der Erstürmer und Erkämpfer im Plangefüge Gottes, aber das Geistige, die Kraft im Weltall, kann ohne Wärme nicht Licht werden, und daher geschieht nichts ohne die Opfernde, das Weib, die Seele, denn das Höchstmaß der Liebe ist Selbstaufopferung. Vielleicht«, setzte er nachdenklich hinzu, »ist deshalb die Farbe begehrender Liebe hellrot, gleich jener fließenden Blutes. Wärmende Liebe dagegen gleicht dem Feuerschein …«

Langsam hob die Liegende das Haupt.

»Die beiden Grundgewalten des Seins – Mann und Weib – stehen nur in Zeiten des Verfalls im Gegensatz zueinander, denn ihre Macht liegt im Einklang. Der Wille des Mannes, die Zeugungsgewalt der Welt, läßt alles kreisen, aber nur durch das Opfer des Weibes, der Empfangenden, der Spendenden, wird etwas.«

»Jedes Weibes …?« fragte Isolanthis zögernd.

»Jedes, auch dessen, das sich feilbietet, denn es liegt im Staub, auf daß sowohl Jungfrau wie Gattin rein die Krone tragen …«

»O Sembasa«, schluchzte die Erbprinzessin, »Liebe mag die Sonne über dem Leben sein, aber eines Menschen reine Herzensgüte ist wie Mondlicht, so still und so verklärend. Die Sonne hat mich versengt und geblendet, du aber hast den Tau des Trostes auf mein wundes Herz geträufelt und den Schein der Weisheit auf meinen Pfad geworfen … Sei gesegnet!«

»Ich habe dir nur den Weg zu dir selbst zurück gezeigt«, erwiderte er schlicht. Und dann, als sie schwieg:

»Er wird zum Tode verurteilt werden …«

»Ich weiß …«

»In der Halle der würgenden Schatten liegt er gefangen …«

»Groß war seine Schuld«, erwiderte sie mit dem letzten Aufkeimen von Bitterkeit, »er hat zwei Leben genommen und eins zerstört …«

»Die Schatten, die er geworfen, werden seinen Weg verdunkeln, bis er gesühnt hat … durch Leben und Leben …« sagte der Weise still.

»Ja …«

»Nur in deiner Seele, o Isolanthis, steht die Tiefe deines Erfahrens geschrieben. Vor deinem Volke bist du unbefleckt, in deiner Seele rein. Er sah dich … im grünen Schleier …«

»Ich weiß …«

Kein Zucken der Züge, kein Aufschlagen der Augen, kein Vergeben, Beschwörend sagte Sembasa:

»Er tat unrecht, weil er dich liebte, Er ist sehr jung und vater- und mutterlos.«

Diesmal bewegten sich ihre Lippen, doch ohne hörbaren Laut. War sie nicht auch vater- und mutterlos, obschon ein Schattenkönig lebte, dessen Tochter sie war?

Der Weise wandte den Blick den Bergen zu.

»Wenn der Schläfer erwacht … und«, gedämpfter, »er ist im Erwachen, sinkt die Wurzel und nur die fernsten Äste bleiben. Soll alle Kunst und alles Wissen verloren sein?«

»Was … wünschest du?«

»Nichts, Isolanthis, denn nur du weißt es! Nicht was uns von anderen trifft, sondern wie wir an anderen handeln, bedingt unserer Seele Wachstum.«

»Gegen die Thronratgeber, gegen Arototec, gegen das Schicksal … was vermag ich?!«

»Wollen, Fühlen, Denken – die geistige Dreieinigkeit«, kam es sinnend von Sembasa. »Geh in die Halle der Erkenntnis und wandle mit der Lebenswoge von der Ausatmung unseres Gottes bis auf den heutigen Tag. Wenn du von deinem irdischen Ich Abstand gewonnen hast und diese Welt der stofflichen Täuschung wieder richtig bewertest, dann … schau in dein eigenes Herz. Dein Licht liegt in dir!«

Er legte seine Hand segnend auf ihr Haupt.

»Sich einer Pflicht gegen andere entziehen, heißt an der Seele verarmen, o Isolanthis«, doch als sie aufsah, war er verschwunden …


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