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Bei Arototec

Pharao Ramon Phtha griff nach dem dunklen Umwurf und hüllte sich sorgsam hinein, besonders das Haupt, das den breiten Goldstreifen mit dem Löwen trug, und schlug den Weg nach dem Haus der lichtlosen Sterne ein.

An den Riesenfiguren aus Lavastein vorüber und hinab zur Hauptstraße. Von da ging es leicht ansteigend in breiten Windungen hinauf zum zweiten Wall, an dessen Ostseite das Haus Arototecs gelegen war. In den tiefen Torbogen der Häuser brannten schon die gelben Sonnen. Ihr Licht strich unruhig über den braunen, unebenen Boden. Wie Schatten glitten die Menschen am jungen König vorüber.

»Es ist wohl am besten, allein zu ihm zu gehen und ihn klar zu fragen. Ich weiß, daß er nicht mein Freund ist, aber ob er mein Feind ist, darüber muß ich Klarheit haben.«

Nun stand er, etwas atemlos vom raschen Gang, vor dem seltsam gebauten Haus, dessen einer Turm oben einem ausgebrochenen Zahne glich, und an dem die Bewohner der Stadt nur in weitem Bogen vorüberschritten.

»Ein Löwe erkennt die Höhe der Mauer am Sprung und ein Mensch den andern am Reden«, dachte er und durchkreuzte beherzt den Torbogen.

Der ältere der beiden Diener, in dunkelvioletter Gewandung, das Gesicht wie aus Stein gehauen, empfing ihn und geleitete ihn durch einen Gang, in dem ein trübes Dämmern herrschte, und über schmale Stufen bis an einen Vorhang aus blassem Lila. Ein fremder Geruch von welken Blumen und seltenen Kräutern erfüllte die Luft und wirkte beklemmend.

Mehr als einmal war der Pharao unten im kleinen Gemach dicht hinter dem Torbogen empfangen worden, doch noch nie hatte man ihn bis tief in das Innere des Baues geführt. Ein wenig erstaunt darüber, sah sich Ramon Phtha forschend um.

Lautlose Stille, trübes Dämmern, merkwürdige Gerüche.

Der Diener hob den Vorhang und ließ ihn hinter dem Eintretenden wieder lautlos fallen. Ramon Phtha sah sich in einem menschenleeren Gemach allein, und obschon mit Recht »der Tapfere« genannt, fühlte er sich von Kälteschauern überrieselt, denn was er zuerst für einen bescheiden erhellten Raum gehalten hatte, erwies sich als eine ungeheure Halle, die ihr Licht ausschließlich durch die bleckenden Zähne und die Augenhöhlen von riesigen Tierschädeln erhielt. Die grauschwarzen Wände trugen seltsame Zeichen, der Boden war mit sich windenden Schlangen bemalt, und je mehr sich der Besucher an das Dämmern in diesem sonderbaren Saal gewöhnte, desto schauriger wirkten die Einzelheiten, die sichtbar wurden. Tiergerippe, wie er sie nie für möglich gehalten, standen an den Wänden, Menschenskelette, deren Beine weit größer als ein Mensch waren, ragten ins Dunkel der Decke hinauf, auf schwarzer Steinplatte stand – eine Lampe ersetzend – ein beleuchteter Totenkopf, und an der Decke bildete die geknotete Schnur, das Zeichen göttlicher Urkraft, einen Kreis, wohl die Einheit darstellend. Innerhalb dieses Kreises zeigten vier Schädel in die verschiedenen Himmelsrichtungen, und in jedem Schädel brannte ein Licht von anderer Farbe. Die vier Hände, die zwischen den Tierschädeln riesengroß eingezeichnet waren, erinnerten an die Wiedergeburt. Das Mittellicht fiel aus einem Menschenschädel; aus den Tierschädeln jedoch, die wohl von Elentieren herstammen mochten, fiel – seltsame Gegensätze hervorrufend – in jede Richtung ein anderer Schein, und zwar nach Osten weiß, nach Westen rot, nach Norden schwarz und nach Süden gelb. Wie Isolanthis ihm erklärt hatte, entsprachen diese Farben den Urstoffen: Wasser, Feuer, Erde und Licht.

Wieder trat Ramon Phtha einige Schritte tiefer in den Raum und blieb stehen. In einem Becken, das aus den Wirbelknochen eines lemurischen Tieres zusammengesetzt schien, brannte ein rußendes Feuer, und Geräte lagen auf der Platte, Gefäße standen da herum, wie er sie nie geträumt, weit weniger gesehen hatte, alle unheimlich, alle wie belebt in diesem fahlen grünlichen Schein, der alles wie in Verwesung begriffen erscheinen ließ. Die Schlangen auf dem Boden schienen sich zu krümmen, die Tiermäuler waren wie in zuckender Bewegung, die Riesenzeichen über dem gegenüberliegenden Eingang brachen wie drohend aus dem Dunkelgrau der Wand, und die Riesenskelette zu beiden Seiten der Halle sahen aus, als wollten sie sich plötzlich von der Wand lösen und auf ihn zuschreiten. Der Geruch welkender Kräuter, fremder Flüssigkeiten lag schwer über allem, und die tiefe Stille war beklemmend. Als warte alles – Tiere, Gerippe, Geräte und Räucherwerk auf irgendein schreckliches Ereignis.

Und wo blieb Arototec? War es schicklich, einen Pharao so warten zu lassen wie einen Mann vom dritten Wall?

Nun schob sich der dunkelviolette Vorhang im Hintergrund beiseite, und auf der Schwelle erschien Arototec, eine geisterhafte Erscheinung mit seinem lichtgelben Gesicht, aus dem schwarz und unergründlich kalte glanzlose Augen starrten; mit dem schimmernden Goldreifen um die Stirn und dem wallenden Gewand, dessen Weiße durch den fransenbesetzten blauen Gürtel noch gehoben wurde. Die Hände verschwanden in den sich fächerartig weitenden goldbesetzten Ärmeln, und die völlige Regungslosigkeit, in der er unmittelbar vor dem dunklen Vorhang verharrte, erhöhte den Eindruck von fürstlicher Größe und von unbedingter Unbeugsamkeit des Wollens.

Ramon Phtha hob die Rechte und sprach beherzter, als er sich fühlte:

»Ra möge seine Strahlen über dir leuchten lassen.«

Arototec verblieb unbeweglich, wie aus Stein gemeißelt. Herzschlag folgte Herzschlag, und nichts unterbrach die Stille. Das grüne Licht über dem Eingang, das aus unheimlich großem Tierschädel fiel, warf einen Schein von Verwesung, von Unwirklichkeit auf alles, auch auf den gefürchteten Thronratgeber.

Den König der dunklen Erde schreckten zwar die völlig ungewohnte Umgebung und der düstere Ernst der Halle, aber es ärgerte ihn auch die Haltung des Gelehrten, in der er eine Mißachtung seines hohen Standes zu erkennen glaubte, und überdies durchbebte ihn das Ungestüm der Jugend, die Frage, die zu stellen er gekommen war, so oder so entschieden zu wissen. Den Kopf in den Nacken werfend, fragte er daher sehr stolz und befehlend:

»Warum grüßt du nicht, Arototec, wenn der Gast deines Königs zu dir spricht?«

Um die harten Lippen des ersten Thronratgebers spielte etwas wie ein allerdings schon im Werden erstarrendes Lächeln.

»Jung«, dachte er, »sehr jung.«

Kalt entgegnete er, nachdem er noch eine endlos scheinende Minute hatte verstreichen lassen:

»Du magst als Pharao versuchen, dich mutig und königlich zu halten, dennoch weiß ich, daß du dich fürchtest.«

Ramon Phtha wies die Zumutung entrüstet von sich.

»Ich wollte dir gern all das erklären«, Arototec zeigte auf die Zeichen an den Wänden und die Geräte auf der Steinplatte, »doch ich errate, daß du nicht um solchen Wissens willen zu mir gekommen bist«, fügte er spöttisch hinzu.

»Vieles hat mich zu dir geführt …«, erwiderte der Pharao versonnen, mit dem Blick auf die merkwürdig belebt scheinenden Schlangen des Fußbodens.

»Nein, nicht vieles«, unterbrach ihn der Thronratgeber kalt, »du willst nur Isolanthis!«

»Es ist, wie du sagst.«

»Zwischen deinem Land und unserm Land ist eine Verbindung schwer. Deine Sterne sind nicht unsere Sterne«, entgegnete der Gelehrte beherrscht.

»Ach, es gibt keine Frau wie sie … so rein, so schön, so feierlich. Ich will sie allein zu unserer Königin machen.«

»Nicht auf dein Wollen kommt es an, o Ramanatu. Sie gehört ihrem Lande und ihrem Volke. Was weißt du von den Höhen und Tiefen unseres Wissens? Nichts!«

Er fegte mit der Hand leicht durch die Luft, und eine der ungeheuren Wände samt Lichtern und Gerippen wich weit zurück. Wo sie gewesen war, gähnte ein schwarzer Schlund.

Nur mit Mühe unterdrückte der junge König einen Schrei des Entsetzens. Sich gewaltsam beherrschend, dachte er: »Dieser furchtbare Mann mag fünfhundert Geister beherrschen und über schwindelndes Wissen verfügen, doch vor meiner Liebesglut für Isolanthis müssen alle Mächte weichen …«

Leidenschaftslos, beinahe sanft, sprach der erste Thronratgeber:

»O Pharao, Liebe ist wie eine Rose, die man aus der Hand legen soll, ehe sie sich zu entblättern beginnt. Ein Scheiden im schönsten Augenblick gewährt ungetrübtes Erinnern.«

»Isolanthis ist wie eine Mondblume, die unverwelkt an meinem Herzen liegen soll …«

»Ach, Ramanatu, ein welkes Blatt wirbelt zur Erde und wird Staub; der funkelndste Tau wird aufgesogen. Auch Liebe stirbt ab im Trugland der Sinne. Sieh, eine Leiche begräbt man, aber eine tote Liebe wollen die Menschen um jeden Preis einbalsamieren und diese Mumie wie etwas Lebendes um sich haben. Selbst Ehen sind in der Regel nichts als solch mumifizierte Liebe. Kehr in dein Land zurück, ehe …«

»Meine Liebe ist zeitlos«, rief leidenschaftlich der junge König.

Arototec lächelte nur ein unsagbar frostiges Lächeln.

»Was du Liebe wähnst, ist deine Jugend im Banne der Sinne. Erst wenn das Gefühl des Ichbesitzes tot ist, liebst du den Menschen um seines tiefen Eigenwertes willen, ohne Begehren und folglich ohne Leid …«

Es war schwer, der Weisheit des erfahrenen Mannes zu widerstehen, aber Ramon Phthas Gedanken schwirrten wie Motten um das Licht seiner Wünsche, und deshalb verkrallte er sich in seine Ansicht wie ein Baum in den Erdboden.

»Du spottest meiner Kraft, weil ich jung bin. Baust nicht auch du auf deines Volkes Nachwuchs?«

»Gewiß, aber nicht auf die Jugend baue ich, sondern auf die Kaste. Das Volk ist mir nichts, denn darin verkörpern sich unreife, junge Seelen. Näher und näher seinem Traum baut der unsichtbare Herr einer Rasse die Formen, und die reifsten Seelen steckt er in die besten der erzielten Formen, weil das tauglichste Gefäß auch am besten die ewig wirkende göttliche Urkraft durchläßt. Verwechsle daher nicht Unreife mit Jugend, o Pharao! Ein Wirbelwind braust auch mit wachsender Kraft daher und zerstört doch nur. Wind, der die Saat streift, muß befruchtend und stärkend zugleich sein. Du bläst wie Sturm, der nichts als Sand aufwirbelt. Kehr in dein Land zurück!«

»Wenn Isolanthis meine Gattin geworden …«

Sehr sicher, sehr zuversichtlich klang es, obwohl dem König der dunklen Erde nicht danach zumute war.

»Du machst mich an ein Kind denken, das zum erstenmal den Mond sieht. Es streckt die Hände aus und will das glitzernde Ding greifen …«

»So hol' ich mir den Mond vom Himmel herab!« rief Ramon Phtha trotzig.

»Die Erbprinzessin von Atlantis ist nicht für dich.« Und mit plötzlichem Warnungston, nicht völlig ungemischt mit Güte:

»Ramanatu … deine Jugend dauert mich. Kehr in dein Land zurück, ehe es zu spät ist. Deinen Wünschen kann nie Erfüllung werden.«

»Ich werde um sie kämpfen …«

»Kämpft ein Ei mit der Wand?«

»Du allein willst es nicht! Du stehst ewig hindernd wie ein Fels zwischen ihr und mir. Liebst du Isolanthis?«

»Auch wenn du Pharao bist, hast du kein Recht, in mein Herz zu schauen!«

Arototec sagte es mit Würde.

Wieder trieb Ramon Phthas zwangentwöhnte Jugend ihn zu Unvorsichtigkeit:

»Ich werde nie ohne sie scheiden … und wenn ich sie entführen müßte …«

»Hüte dich! Wir wachen und wir kämpfen …«, kam es drohend zurück.

»Kämpft mit allen Mitteln eurer Macht, auch ich werde es tun!«

Gerunzelte Brauen, erzürntes Stampfen mit dem Fuße und knabenhaftes Ungestüm, dennoch rührend, weil so ganz von diesem einen Wunsch beseelt. Von seinem Thron der Jahre herab schaute Arototec mit etwas wie Wehmut und einem Anflug von Neid auf den Jüngling, der noch zu hoffen wagte, mit kühner Hand in die Speichen des Schicksalsrades eingreifen zu dürfen, der sich stark genug glaubte, gegen ihn – den mächtigsten und klügsten Mann seiner Zeit – ankämpfen zu können. Fast weich sagte er:

»Ramanatu … Ramanatu … kehr in dein Land zurück!«

Doch als der Pharao, der finster zu Boden gestarrt hatte, aufblickte, fand er sich allein.

Betroffen wandte er sich dem Eingang zu.

Der Diener, der ihn heraufgeleitet hatte, führte ihn nun nicht auf dem gleichen Weg zurück, sondern durch andere, endlos dünkende Gänge, in denen ein grünlicher Schein alles in spukhafte Leichenfarbe tauchte. Die schwarzen Schlangen auf dem Fußboden und an den grauen Wänden, die geheimnisvollen Zeichen des Todes und der Wende, die bleckenden Tierschädel, die als Lampen dienten, waren alle in dieses Verwesungslicht gehüllt, und noch mumienhafter, versteinerter, abweisender als zuvor erschien dem Pharao der schweigsame Führer an seiner Seite, dessen dunkelviolettem Umwurf ein Geruch von Moder und Giftkräutern entstieg.

Was dieses Irren durch Gänge und Nebengänge indessen noch nervenaufreizender machte, war der Umstand, daß all diese Schädel und Schlangen und die schemenhaft auftauchenden eingeritzten Frauengestalten an den Wänden sowie diese Wände selbst in Bewegung zu sein schienen und Schwindel erzeugten.

Gerade als der Pharao in einiger Entfernung den Ausweg zu erkennen glaubte, öffnete sich dicht zu seinen Füßen der Fußboden, und in einer bedeutenden Tiefe im Spalt sah er zwei schimmernde Lichter – oder zwei funkelnde grünliche Tieraugen? – aufblitzen. Diese Spalte glitt über dem schlundartigen Abgrund weiter und weiter auseinander.

Mit einem tigerartigen Satz schnellte Ramon Phtha darüber hinweg, fühlte das Zittern des Bodens und sprang ins Freie.

Draußen umfing ihn köstliche Nachtluft, schaukelten ihm wieder friedvoll zu Häupten die Goldampeln der Sterne, ruhte der Fuß sicher auf festem Gestein.

Er sog die laue Nachtluft in vollen Zügen ein und trocknete sich die schweißnasse Stirn.

»Das war die Hölle!« rief er, noch ganz benommen vom Erlebten.

Er tat einige Schritte, immer noch etwas taumelbefangen. Langsam festigten sich Gang und Haltung.

»Das ist kein Mensch, sondern eine Marmorfigur! Er hat kein Herz. Der kann nicht lieben.«

Keuchend eilte er dem Haus der Fremden zu.

»Dämonisch!«

Wie sehr er auch fahndete, so gab es im reichen Wortschatz seiner Sprache doch kein Wort, das völlig imstande war, das auszudrücken, was er beim Erinnern an das Haus der lichtlosen Sterne und dessen lichtloseren Besitzer empfand, und daher hüllte er sich in Schweigen.

Eins stand fest: die Zeit geduldigen Harrens war vorüber, nun mußten die Tage des Kampfes und der Taten folgen.

Erschöpft sank er auf das Lager unter dem roten Licht.


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