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Eine Warnung

Der Abend düsterte heran.

»Ramanatu, Ramanatu …«, sagte eine ernste Stimme hinter dem Pharao, der gedankenversunken dem obersten Wall zuschritt, »was nützen Krone und Reichtum, wenn der Tod im Nahen ist?«

Ramon Phtha wandte sich um und sah in ein feierlich ernstes Gesicht.

»Wer bist du?«

Etwas von dem Stolz, von dem sich seine Jugend noch nicht zu befreien vermochte, durchbebte die Frage, obschon er in unwillkürlicher Ehrerbietung Haupt und Blick vor dem Fremden senkte.

»In diesem Leben nennt man mich Sembasa.«

So war es der Weise aus dem Turm des Sonnenaufgangs, von dem Isolanthis schon oft gesprochen hatte. Wie damals, beim ersten Zusammentreffen mit der Erbprinzessin, bemächtigte sich seiner Seele das Ahnen eines früheren Begegnens, als ihrer beider Namen anders geklungen, ihrer beider Augen andere Gegenden geschaut hatten. Einen Herzschlag hindurch stand der junge König gleichsam außerhalb von Raum und Zeit, dann flutete die Gegenwart wieder rauschend zurück und umbrandete ihn mit den Sturzwellen drängender Wünsche.

»Isolanthis sprach von dir, o Weiser«, sagte er in viel bescheidenerem Tone als zuvor. »Ach, kannst du mir nicht helfen, sie zu erringen?«

Der Weise schüttelte sachte das Haupt.

»In diesem Sein laufen eure Schicksalsfäden auseinander. Versuche nicht zu verknüpfen, was getrennt bleiben muß. Einer Liebe Prüfstein liegt im Verzichten, nicht nur im Erringen. Besser ist es, eine Blume an fremder Mauer zu pflegen, als sie in eigener Vase welken zu lassen.«

»Sie könnte nicht welken an meinem Herzen«, rief der junge König ungestüm. »Alle meine Wünsche, alle meine Gedanken umwogen sie, wie Weihrauch die Tempelstatuen. Ich bin König. In meinem lichten Lande kann ich ihr …«

»… nie das geben, wonach ihre Seele begehrt. Was weißt du von ihrem innersten Wesen? Dich lockt das Reine, wie uns der Duft an Mondblumen lockt; dich verführt der weiche Ernst in den dunklen Augen, dich bezaubert die Flut welligen Haares, dich hält die Zartheit der Gestalt, die dich an den Mond beim ersten Sichtbarwerden erinnert. Ihre Stimme ist dir Tempelgesang, aber ihre lehrenden Worte verklingen noch ungehört. Während sie dir die Rätsel der Weltgesetze zu erklären versucht, siehst du mit trunkenen Augen nur die sanfte Biegung der Wangen, und wenn sie mit ihrem Finger über heilige Zeichen streift, um dir aus der Verbindung aller Striche den Sinn zu entwirren, um deinen Geist zu bereichern, um deine Seele zu stärken, bewunderst du nur mit lustverklebten Ohren die Schönheit ihrer Hand. Noch liebst du nur die Schale, nicht den Kern, noch entsinnt sich deine Seele nicht eurer ewigen Bindung, sondern nur der früheren Berührungen in einem anderen Sein. Noch mußt du reifen und wachsen, ehe eine Verbindung euch nicht zurückhält, anstatt euch zu fördern. Dein heißes liebesüchtiges Herz, deine vom Saft der Jugend stark durchpulsten Sinne hungern dem Weibe in ihr entgegen, nicht dem, was tief in ihr unsterblich ist. Tausend Frauen dürftest du schadlos für sie und für dich auf dein Lager heben, o Ramanatu, denn auf dem Weg der Erfahrung muß alles durchgekostet werden, selbst Irrtümer, damit man sich von ihnen später klaglos befreien kann. Isolanthis muß allein gehen. Sie hat einen andern Weg gewählt, sie hat die Seele einer Priesterin, und diese ist gar fest im Unvergänglichen verankert. Trachte ihr nachzuwachsen, reife, und einmal, in einem andern Sein, sollt ihr verbunden werden. Nun aber, o Ramanatu, kehr nach der Krönung Ataxikitlis unverzüglich in dein Land zurück!«

»Ich will auch meine Seele und meinen Geist an sie binden«, rief der junge König ungestüm. »In meinem Lande soll sie Volk und König lehren, und ich will ihr gehorsamster Jünger sein …«

»Zu hoch schätzt du deine greifbaren Güter, o Pharao, die – wie alles Stoffliche – vergänglich sind, heute dir geliehen, und morgen einem andern; zu stolz bist du auf deine Krone, deren Glanz dich blendet, ohne dich Verantwortung gelehrt zu haben.«

Mit erstaunlicher Demut nahm Ramon Phtha den Tadel des Weisen hin.

»Es ist wahr, daß ich meine Krone liebe. Sie wurde mir vom Volk aufs Haupt gedrückt, als ich, nach meines Vaters Tod, siegreich heimkehrte und man mich den Tapferen nannte, aber der Stolz, den zu zeigen ich mir angewöhnen mußte, ist nur äußerlich. Er ist ein Schutzwall um das stille Heiligtum meiner Gefühle, in dem, seit meiner Ankunft hier, Isolanthis allein thront. O Weiser, ich bin mein Leben lang so einsam, solch ein Bettler an Liebe gewesen! Meine Mutter starb, als der heilige Fluß kaum zweimal gestiegen und gefallen war, und Sklaven bewachten meine Jugend. Hart war der König, mein Vater, hart war alles, was mich berührt hat. Was sind Weiber, die sich einem Herrscher vor die Füße werfen? Zum erstenmal begreife ich den Zauber der Vielbesungenen. Über dem Dunkel meines Lebens ist plötzlich die Sonne aufgegangen. Isolanthis …«

»Bewahre ihr Bild als Kleinod im Schrein deines edlen Herzens und wachse daran, auf daß eure Wege bei nächster Verkörperung gleichlaufend seien. Etwas vom Schicksal erzwingen zu wollen, o Ramanatu, ist Wahnsinn …«

»Nein, o Weiser«, rief der Pharao mutig, und seine Augen blitzten kampfbereit, »es ist nur das Recht des Kühnen …«

»Ach, Ramanatu, unsere Schicksalsfreiheit schwingt nur zwischen Gut und Böse, alles andere ist vorbestimmt, ist Erfüllung eines Gesetzes. Mit Geduld erringen, nicht mit Macht erzwingen, führt zum goldenen Tor des Sieges. Ich trauere um deine Jugend, und meine wärmende Liebe neigt sich dir zu, wie die eines Vaters zum Sohne. Kehr in dein Land zurück, ehe es zu spät geworden! Dunkle Wolken, schwere Schatten sehe ich über dir schweben. Was erst im Entstehen ist, kann noch ungeschehen bleiben. Das einmal Vollendete dagegen löscht kein Schwamm vom Weltengedächtnis. Wirf nicht die böse Saat deiner Unbesonnenheit in den leidenschaftgedüngten Boden des Augenblicks, um nicht durch die zeugenden Jahrhunderte hindurch die bitteren Früchte ernten zu müssen.«

»Ich danke dir, o Weiser, für deine große Güte, aber ich liebe Isolanthis.«

»Wer den Brandruf überhört, muß in den Flammen sterben«, sagte Sembasa traurig und wandte sich zum Gehen.

Ramon Phtha hob die Rechte und, mit seiner Linken das Knie berührend, sprach er in ehrfürchtiger Haltung:

»Ra leuchte über deine Tage und segne deinen großen Geist!«

Der Weise hob ebenfalls segnend die Rechte und rief ernst zurück:

»Möge dein Gott dich glücklich heimgeleiten, Pharao! Sei gesegnet!«


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