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Die Totenfeier

In einer prachtvollen Halle, in der nun in silbernen Schalen abwechselnd blaues und grünes Licht brannte, und in der viele feine Rauchwolken aufstiegen, knieten Klageweiber mit aufgelöstem Haar um die hohe Bahre, auf der Naxitli der Getreue saß, nicht lag, denn so sitzend sollte er später auch in der Königsnische der Pyramide verbleiben. Drei Wochen hindurch hatte die Leiche in öligen Flüssigkeiten gelegen, dann erst war mit der Umwicklung mit Leinenstreifen, mit dem Bespritzen mit wohlriechenden Blumensäften, dem Färben des Gesichts mit Gold und dem Aufkleben von Tempelblüten auf Beine und Füße begonnen worden. Dies geschah meist mit Ebenholzharz. Jede Handlung mußte immer unter Absingen ganz bestimmter Sprüche, zu ganz bestimmten Tageszeiten erfolgen, und ununterbrochen mußte der Leichnam von Priestern und Jüngern bewacht werden. Nun aber war der Augenblick gekommen, in dem auch die stofflichen Reste des alten Königs aus dem Palast verschwinden mußten, und wo das Neue und Künftige begann.

Große Aufregung herrschte im Volke. Alle Leute hatten weiße Gewänder angelegt oder doch weiße Streifen um den Oberarm gewunden, und von den Riesenbauten wehten nach wie vor weiße Trauertücher. Selbst die Sonne hatte sich versteckt, obschon man mitten in der Trockenzeit war, und hinter dem Meer herauf stiegen Gewitterwolken, die seltsame Schatten warfen. Eine beklemmende Stille lag in der Luft. Durch alle Kasten ging das Ahnen einer Wende, und jedermann wußte: Ein mächtiges Jahrhundert wurde mit Naxitli dem Getreuen zu Grabe getragen …

Die Tore des Palastes flogen zurück. Zehn Jünglinge, alle in graue Gewänder gehüllt, setzten die königliche Mumie in einen schön verzierten kistenartigen Sarg und trugen ihn, vom Klagerufen des Volkes begleitet, zum Leichenwagen, der die Form einer Totenbarke hatte und von zehn Rappen gezogen wurde, denn die Zehn war von alters her die heilige Zahl von Atlantis, das Urbild der Vollendung in Raum und Zeit. Der Totenbarke voran schritten die Priester mit Sembasa in ihrer Mitte. In seinem Blick lag weder Trauer noch Furcht oder Sorge, nur Güte. Er sah die Welt, wie sie war. Er kannte Vergangenes und Gegenwärtiges, und das Unabwendbare schreckte ihn nicht. Er strebte bewußt, doch ohne Hast oder Ungeduld, zum Urquell alles Seins zurück …

Den Priestern folgten die schönsten Jungfrauen des Landes, von Isolanthis geführt. Sie warfen Mondblumen auf den Pfad und unter die Hufe der Pferde; zwischen ihnen und der Totenbarke schritt ein Jüngling, der in einer Schale eine wohlriechende Flüssigkeit trug, die er mit Hilfe eines grünenden Reises immer wieder auf den Weg schüttete. Während er so den Erdboden besprengte, rief er laut:

»Ich reinige den Weg für dich!«

Zu beiden Seiten der Totenbarke schritten Knaben mit Räuchergefäßen, die sie schwenkten und hochhielten, so daß dichte Wolken zum Sarge aufstiegen. Zuzeiten trugen sie die Gefäße wie eine Opferschale ausgestreckt, dann wieder hoben sie sie hoch über das Haupt, sie kreisförmig schwingend, bis der Rauch in bläulichen Riesenringen himmelwärts zog. Sooft sie das Räucherfaß hoben, sangen sie traurig:

»In Frieden! In Frieden!«

Hinter der Totenbarke schritten, immer sieben und sieben in einer Reihe, die zweiundvierzig Thronratgeber mit dem goldenen Dreizack als Stab in der Hand, die Gesichter geschlossen, fast finster, während der Wind des aufsteigenden Gewitters mit den blauen Fransen ihrer breiten blauen Gürtel spielte. Hinter den Thronratgebern kamen die Krieger, hierauf die Gelehrten und Künstler aus dem Haus der Wissenschaften und wieder eine große Anzahl Krieger. Den Schluß bildeten die zahlreichen Palastdiener und Sklaven.

Stumm drängte sich das Volk in den breiten Torwegen der Häuser. Wie nahendes Unheil lag es auf allen Gemütern. Die Wolken hatten sich zu tiefgrauer Decke geschlossen. Feiner Lavasand wirbelte über das Pflaster hin.

»Sieh, da gehen die Knaben mit den vielen Kuchen, die vor der Pyramide verteilt werden sollen«, flüsterte Moani ihrem Vater zu.

»Sie sind weiß und haben Dreizackform«, erwiderte er ebenso leise, »und man verteilt sie vor der Pyramide an das Volk. Sie sollen uns daran erinnern, daß alles Geistige dreifach ist …«

Am Eingange der Pyramide erwarteten die Priester ihren toten König. In langen Reihen standen sie da in ihren weißen Gewändern, mit dem wunderbar blauen Stirnreifen und dem Dreizack in der Mitte, dem Zeichen der Gottheit und des Unvergänglichen. Ihre Hautfarbe war vom zartesten Mattgelb, ging schon fast in Weiß über, denn sie waren die Verfeinertsten ihrer Rasse. Sie entstammten der höchsten Kaste, und ihre Gesichter waren durchgeistigt.

Hier wurde die Mumie aus dem Sarg gehoben, wieder mit wohlriechenden Flüssigkeiten besprengt, die ein Priester aus dickbauchigem Gefäß schöpfte, hierauf trat ein Priester nach dem anderen an den König heran, berührte die linke Hand des Toten, verbeugte sich, ließ einen Augenblick die rechte Hand wie segnend auf der Stirn der Mumie ruhen, und entfernte sich. Nur der greise Priester aus dem Poseidontempel, Sembasa aus dem Turm des Sonnenaufgangs und zwei Priesterjünger begleiteten die Mumie bis hinein zur Königsnische in Dreizackform. Isolanthis schritt dem kurzen Zuge voraus und streute Blumen auf den Boden, während die Priesterjünger Fackeln trugen, deren düsterrotes Licht sich im grauen Gestein spiegelte.

Draußen wurden die Kuchen unter das Volk verteilt, das dumpf »in Frieden, in Frieden!« rief und sich allmählich zerstreute.

Sobald der älteste der Priester mit Hilfe Sembasas die Königsmumie auf ihren Thron aus Orichalcum gehoben hatte, segneten sie Naxitli noch einmal, Isolanthis legte den Rest der Tempelblüten zu seinen Füßen nieder, und die Priesterjünger bewegten still die Räuchergefäße.

Einige Minuten standen sie in ehrfürchtigem Schweigen vor dem Toten, dann sangen sie alle nochmals eintönig: »In Frieden, in Frieden!« und entfernten sich durch die endlosen Gänge.

Der Priester aus dem Tempel überreichte dem Hüter des Totenreiches den Schlüssel in Dreizackform, dann befanden sie sich alle wieder im Freien unter schwarzdrohendem Himmel. Ferner Donner wurde hörbar.

Sembasa kehrte rasch und alles Gedränge vermeidend durch den geheimen Königsgang hinauf in sein stilles Reich zurück, und Isolanthis bestieg den Muschelwagen, den zwei weiße Llamas zogen.

Es war der Hofwagen von Poseidonis.

Ataxikitli war nicht erschienen. Es hieß, daß er sich leidend fühlte und der Ruhe bedurfte.

Arototec, der allein zurückgeblieben war und der das Volk finster musterte, das weiter und weiter von ihm zurückwich, trat an den Wagen heran und sagte:

»Du bist blaß, Isolanthis?«

»Ich verspüre den Druck der Krone …«, entgegnete sie leise.

Die Llamas zogen an, denn ein Blitz spaltete das Gewölk, und der Wagen rollte rasch bergwärts. Arototec wußte nicht, ob sie den schweren Goldreifen mit dem Dreizack gemeint hatte, an den sie noch nicht gewöhnt war, oder den Druck jener Krone, die unsichtbar blieb.

»Wohl beides«, dachte er, als er der Stadt der fließenden Wasser zuschritt.


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