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Die Krönung

Die Gänge, die Hallen, der riesige Palast und Tempelhof wimmelten von Menschen. Vor den großen steinernen Gesetztafeln dicht am Eingang zum Poseidontempel harrten die Priester; Jünger hielten prachtvolle Räuchergefäße, denen feine Dunstwolken entströmten, die sich als durchsichtig bläuliche Schleier auf die ehrfurchtgeneigten Häupter der Knienden senkten. Sklaven aller Länder und Rassen bildeten geschlossene, farbenprächtige Gruppen; die Palastdiener in ihrem eigentümlichen Blau schütteten aus Silberkrügen duftende Blumensäfte auf das erhitzte Gestein. Knaben in kurzen weißen Röcken und mit goldenen Gürteln spielten leise auf dreieckigen Harfen.

Pharao Ramon Phtha stand neben der Erbprinzessin, die heute das schwere Goldband mit dem Dreizack aus Türkisen trug und deren Gewand in feiner Goldstickerei Wellenlinien vom Dreizack unterbrochen aufwies. Ihre Augen blickten noch ernster als sonst, denn hinter den sechs Reihen feierlicher Thronratgeber schritt Ataxikitli mit dem Gesicht einer Maske. Wo einst Wissen und Ehrgeiz gelodert hatten, sah man nichts als leidvolle Starre, und Isolanthis war es, als schliche ein grinsender Schatten hinter ihm her.

»Warum habt ihr so viele Thronratgeber?« hörte sie den jungen König fragen, dem ein Ratgeber schon Ärger genug war. Unweit von ihr stand König Tehuan und der Herrscher von Aere, und diese beiden schauten unverwandt auf die weißen Gestalten, die vor der Priestergruppe stehen blieben, und deren Züge wie aus Stein gemeißelt wirkten.

»Die Zahl zweiundvierzig enthält sechsmal sieben, und sowohl die Sechs wie die Sieben sind heilige Zahlen von besonderer Bedeutung. Zweiundvierzig gilt überdies als Zahl der Erleichterung, und die Ratgeber sollen dem König seine Pflichten erleichtern.«

»Ihr Poseidonier denkt immer an das Übersinnliche«, seufzte der Pharao. Es war schön, aber auch bedrückend, daß jede, selbst die kleinste Sache eine Anspielung an Unvergängliches enthielt.

Nun wurde Ataxikitli entkleidet, denn nur mit einem Lendentuch bekleidet – um anzudeuten, wie nackt man in das Leben tritt – durfte er den Tempel betreten, um geweiht und gekrönt zu werden, nachdem er den Schwur geleistet hatte. Drei Priester standen vor ihm auf den Stufen, und Isolanthis sagte:

»Die Dreieinigkeit Gottes, die Dreifaltigkeit des Urseins wird im Dreizack versinnbildlicht, wie ich es dir schon erklärte, o Ramanatu, und so hat auch die Zahl Sieben bei uns die weitestgehenden Bedeutungen. Siebengegliedert ist die Welt, und an allen sieben Welten hat der Mensch, der eine Nachbildung im kleinen ist, seinen Anteil, denn sieben Hauptkräfte durchströmen Weltall und Menschheit. Die Sechs dagegen deutet die im Weltall verborgene Gottheit an, erinnert uns an den Abstieg des Geistes in die Verdunkelung des Stoffes, an die allmähliche Vergeistigung des Stoffes, das Zurück in die Allseele …« Ihre Augen hingen versonnen an der goldenen Kuppel des Tempels, und ihr Geist bemühte sich, die vielfachen Auswirkungen der Zahlen diesem jungen Fremden mit dem leuchtenden Blick klar darzutun, nicht ahnend, daß der König der dunklen Erde weniger an die geistigen Verbundenheiten als daran dachte, wie wunderbar lang ihre Wimpern, wie weich bei allem Ernst der Schnitt ihres Gesichtes, wie stolz die stark geschwungenen, über dem Nasenbein zusammengewachsenen Augenbrauen waren.

Nun stieg der König langsam die Tempelstufen empor und betrat, vom ältesten Priester geführt, das Heiligtum.

»Nackt kommen wir in diese Welt und nackt scheiden wir aus ihr«, sagte Isolanthis. »Ein König ist nichts als der oberste Diener seines Reiches. Die Pracht, mit der man ihn umgibt, soll nur die Höhe der Entwicklung seines Volkes andeuten. Mit reinen, leeren Händen«, ihre Stimme zitterte, »empfängt er die Krone aus des höchsten Priesters Hand, und mit reinen, leeren Händen soll er sie in die Hände des Priesters zurücklegen, wenn er vor der Pforte des Totenreichs angelangt ist.«

»Nun leistet Ataxikitli den Schwur der Treue«, sagte König Tehuan und spähte aufmerksam in das Dämmern des Heiligtums.

Bald erschien der König wieder, die zehnzackige Krone in den Händen, und rasch warfen eine Anzahl Sklaven die kostbarsten Gewänder um ihn, alle reich mit Gold und mit den bedeutsamsten Zeichen bestickt. So kniete Ataxikitli auf der untersten Thronstufe nieder, der greise Priester nahm ihm die Krone ab und setzte sie ihm auf das Haupt, indem er mit weithin hörbarer Stimme sagte:

»Ich segne dich, Ataxikitli, im Namen Poseidons, des Gründers unserer mächtigen Insel! Er erinnere dich allzeit an deine hohen Pflichten. Ich segne dich im Namen der Sonne, auf daß sie dich innerlich und äußerlich mit ihrem Licht umwebe! Ich segne dich im Namen des Mondes, auf daß du dich erinnern mögest, wie vergänglich und der Umgestaltung unterworfen alles irdische Sein ist, und ich segne dich endlich im Namen deines Volkes, dem du Herrscher, Richter und Vater sein sollst!«

»Sei gesegnet!« riefen alle Priester.

»Sei gesegnet!« riefen dumpf und feierlich die Thronratgeber.

»Sei gesegnet!« kam es lauter und stürmischer vom versammelten Volke, und die Knaben schlugen in die Saiten und sangen von Frieden und Segen.

Langsam erhob sich Ataxikitli. Sein erster Blick fiel auf den Thronratgeber Arototec, und er erbleichte. Ein Name stieg im Gehirn hoch, wollte sich ihm auf die Lippen drängen …

Nichts.

Nur ein blitzartiges Erinnern an etwas, das Form zu gewinnen suchte, dann flössen trübe, graue Wasser darüber hin und ließen nichts als ein Gefühl dumpfer Müdigkeit zurück.

Etwas drückte ihn mit unsagbarer Schwere; er taumelte.

Im nächsten Augenblick hielten ihn die Arme der Erbprinzessin umschlungen und stützten ihn.

»O Isolanthis«, flüsterte er, und faßte ihre Hände, sich mühsam aufrichtend, »etwas drückt mich nieder, eine unerträgliche Last …«

»Deine Krone«, entgegnete sie, das Schluchzen erstickend, das durchzubrechen drohte, »deine zehnzackige Krone – die größte und schwerste der Welt …«

Ein Erinnern flammte auf.

»Meine heißersehnte Krone«, murmelte er, und eine Träne stieg in die sonst so starren Augen. »Ach, eine Bürde, die mich erdrückt.«

»Ich will dir die Last tragen helfen«, flüsterte sie ihm zu und sagte lauter, denn Arototec war dicht an die beiden herangetreten: »Laß die Krone furchtlos auf deinem Haupte ruhen, sie ist das Zeichen deiner königlichen Macht. In dir verkörpert sich Atlantis.« Und während sie zurückeilte, um ihren Platz an der Seite des jungen Pharaos wieder einzunehmen, dachte sie bitter: »Wie wahr! Nach außenhin so viel Prunk, so ungeheure Pracht, und innen faul …« –

Der Festzug durch die Stadt der fließenden Wasser nahm seinen Anfang.

Hinter den weißen Tempelknaben schritten andere, ebenfalls Harfen tragend, in Gelb gehüllt; zehntausend Krieger in vollstem Waffenschmuck eröffneten den eigentlichen Zug, stiegen schon seit einer Stunde vom heiligen Berge nieder, immer zehn in einer Reihe, und das Licht der steigenden Sonne brach sich in den bläulichen Stirnreifen und den blitzenden Waffen. Feuerrot gekleidete Diener gingen hinter den Kriegern her, die Palastdiener in Blau, die Palastsklaven in Braun mit scharlachroten Säumen, und nun erst kam der schönste Teil des Festzuges: Auf einem Wagen aus Gold und Weiß lag eine Riesenkrone mit zehn Zacken, und sechzig der schönsten und kräftigsten Sklaven zogen diesen Wagen, während dicht vor dem Königswagen ein Priester mit einem Palmenzweig in seiner Rechten schritt. Der Krönungswagen selbst glich einer Riesenmuschel mit zwei goldverzierten breiten Rädern und wurde von zehn Elefanten gezogen, die mit Schmuckketten und gestickten Prachtdecken behangen waren und von Colotli geführt wurden, der eine wallende Feder im Stirnreifen trug.

Vom geheimen Gang her beschaute sich auch Roxa das Werden des Zuges und dachte, als sie des Sohnes ansichtig wurde:

»Ach – er ist wie keiner! Und er ist mein Sohn …«

»Siehst du, o Ramon Phtha«, sagte Isolanthis, während das Geschiebe und Gestoße fortdauerte, »sechzig Sklaven ziehen die Krone. Im Grunde dreimal zwanzig Sklaven. Du weißt, daß jede Zehnzahl Bezug auf das Sein hat, also in der Zwanzig Diesseits und Jenseits verknüpft sind, und dreimal Zwanzig …«

Sie unterbrach sich, denn nun bestieg Ataxikitli den Wagen, und Arototec, der nicht von seiner Seite gewichen war, trat zurück zu den Thronratgebern, die unmittelbar hinter dem Krönungswagen schritten. Ihnen folgten die Fürsten und Herrscher vieler Länder, teils in eigenen seltsamen Fuhrwerken, teils in den verzierten Muschelwagen, die hier üblich waren. Langsam rollte die Muschel heran, in der Isolanthis mit dem König der dunklen Erde fahren sollte.

Ramon Phtha freute sich, daß es die Umstände gestatteten, bei der Erbprinzessin zu bleiben. Seine Augen strahlten wie dunkle Edelsteine, und mehr als ein Frauenherz schlug schneller, als der Zug vorüberglitt. Im Torbogen des Hauses, in dem Erikikatl, der Hüter der Kronschätze, wohnte, stand festlich geschmückt Asenath. Als des neugekrönten Königs Blick sie streifte, stieg das Dämmern eines Erinnerns in ihm auf. Er sah ein großes Buch und dahinter eine Gestalt. Sein starrer Blick wurde noch starrer, er versuchte dem Bild Namen oder klarere Form zu geben: vergebens. Nichts blieb als ein Weh, das jenseits aller Worte lag.

Das weder wich noch sich einfangen ließ, um geprüft zu werden …

»Da steht eine Frau aus meinem Lande!« rief der Pharao erstaunt. »Wer ist es?«

»Sie ist mit dir verwandt – es ist die Tochter Haparus«, erwiderte tonlos Isolanthis.

»Lebt Haparu hier?«

»Nein – er ist tot.«

In ihrem Vater hatte Arototec den Schatten gebannt, doch an der Seite der Erbprinzessin schritt er stumm dahin, weder drohend, noch weichend: er war einfach da.

Asenath hielt sich mit zitternden Händen an der Gattin Erikikatls fest und flüsterte:

»Ist er nicht wunderschön, unser König? So müßte Ra aussehen, wollte er irdische Gestalt annehmen.«

Ähnliches dachte mehr als einer, der den jungen König sah, doch dieser hatte nur Augen für Isolanthis.

Unten, am Ende des dritten Walls, und kurz nachdem der Zug sich so weit aufgelöst hatte, um ein Wenden der Prunkwagen zu gestatten, erblickte die Erbprinzessin im Torbogen eines einfachen Baus einen alten Mann, der anscheinend zu ihr zu gelangen wünschte, und den man mit Gewalt zurückhielt und in das Dunkel des Hauses zerrte.

Er hatte den Stirnreifen verloren und das Haar wirr über das Gesicht hängen gehabt, so daß seine Züge nur undeutlich zu erkennen gewesen. Dennoch sagte ihr ein untrügliches Ahnen, daß es der Vater der lieblichen Moani sein mußte, und ihr graute plötzlich vor dem, was er ihr sagen würde.

In leidvolle Gedanken versunken saß sie da, während sie Wall auf Wall durchfuhren.

Merkwürdig still war auch das Volk. Jede Festfreude fehlte. Ein Druck lastete auf allen …

Selbst Daminophis, der den Krönungswagen zu lenken schien, obwohl Colotli die Elefanten anführte, war merkwürdig in sich gekehrt.


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