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Im Dunkel der Pyramide

Das Fest der Toten.

Arototec führte den jungen Pharao durch die endlosen unterirdischen Gänge der Pyramide und erzählte ihm von Naxitli dem Getreuen und dessen Taten. Wie er die im Zeitalter der Hand begonnenen Beziehungen mit farbigen Rassen, die dann Jahrtausende hindurch nahezu vergessen worden waren, wieder aufgenommen hatte, um neue Siedlungen zu schaffen, fremde Waren einzuführen, der Kunst noch Ungesehenes zu bieten. Wie er sich immer bemüht hatte, die hohen Ämter den körperlich wie seelisch hochwertigsten Menschen zu übertragen, und wie er im Gesetze gelebt hatte. Überhaupt ließ es sich der erste Thronratgeber angelegen sein, dem fremden König ein möglichst vollendetes Bild der hohen Entwicklungsstufe des Volkes zu geben, unter dem jetzt zu leben ihm gestattet war.

Ihnen voran durch die dunklen Gänge schritten Priester, immer drei und drei, jeder eine Fackel tragend, deren Schein die weißen Gewänder geheimnisvoll und wechselnd erhellte. Ein starker Duft von Harzen, welken Blumen und heilsamen Kräutern erfüllte die Luft. An den dunklen Wänden blitzten zuzeiten Todeszeichen auf, doch am öftesten sah man eine stark geringelte Schlange – das Sinnbild der Wende.

»Der Kreislauf des Seins von der Verkörperung bis zur stofflichen Auflösung und zurück zur Wiederverkörperung, wobei die Seele neue Bestandteile sucht, die ihrer Entwicklung entsprechen …«, sagte Arototec.

»Wie hart seine Stimme klingt und wie dumpf«, dachte Ramon Phtha, »und wie unerklärlich bedrückend er auf mich wirkt …«

»Die Totenstadt für das einfache Volk liegt außerhalb der Pyramiden hinter dem Garten der Toten und besteht aus vielen Gängen und Quergängen. Hier werden nur die Mumien der Höchstkastigen und der Könige beigesetzt, und niemand aus dem Volke darf diese Totenhallen betreten.«

Nun weiteten sich die Gänge, und auch Arototec verfiel in Schweigen. Düsterfeierliche Ruhe lag auf allen Gesichtern. Die Priester blieben stehen, denn man hatte die große Halle erreicht, in der die Mumien saßen. Der Riesenraum bestand aus vielen eng aneinandergereihten Nischen, und in jeder dieser Nischen in Dreizackform saßen auf hohen Sockeln die Mumien. Sie waren stark verhüllt, doch erkannte man noch gut die Umrisse, und wenn der Fackelschein die gelblichen Gesichter streifte, war es, als belebten sich die Züge, als blickten die Augen noch einmal forschend herab …

Um die Mumie Naxitlis lagen noch viele verwelkende Tempelblüten, Pharao Ramon Phtha verbeugte sich und legte frische Blumen zu Füßen des toten Königs nieder, weiße Tempelblüten, die er lange in Händen getragen, und in deren Kelchen er den zarten Leib eines jungen Mädchens zu sehen geglaubt hatte.

»Ach … Isolanthis …«

Sie erfüllte seine wachen Stunden, und sie glitt durch all seine Träume. Weniger als zuvor grübelte er darüber nach, wie sie geheißen haben mochte, als er sie schon geliebt hatte; heute wußte er, daß er sie wieder liebte und daß er sie immer lieben würde bis an das Ende seiner Lebenskette …

In jeder Zacke immer diese verhüllten Mumien, die Beine dicht aneinandergedrückt, selbst im Tode noch in sich geschlossen, würdevoll auf hohem Sockel thronend. Vor jeder Zacke hielten die Priester, füllten die hohen Silbervasen mit frischen Blumen, steckten Räucherwerk in Brand, murmelten ihr eintöniges »In Frieden! In Frieden!«, bis die Runde vollendet war. Hierauf verließen sie in wohlgeordnetem Zuge den Ort des Schweigens. Lautlos waren ihre Schritte, denn ihre Füße trugen weiche Sandalen; lautlos waren ihre beherrschten Bewegungen, unendlich ruhig und abgeklärt die Züge. Den Priestern voran schritt Torototec, als einziger eine etwas hellere Fackel tragend. Wie eine weiße Riesenschlange glitten die Gestalten durch die Gänge, bogen ab, waren wie aufgesogen von der Finsternis ringsumher, nur zwei junge Priester begleiteten Arototec und den König der dunklen Erde als stumme Fackelträger. Sooft sie sich einer Mumiengruppe näherten, schien es dem Pharao, als wollten die Lippen der Toten ihm etwas zuraunen, als belebe etwas wie eine Warnung den erloschenen Blick oder als leuchte darin ein Erkennen auf. Das Knistern der Fackeln war der einzige Laut.

Um sie war die Nacht des Todes.

Warum verließ Arototec noch immer nicht diese Halle, in der es so betäubend nach frischen und nach welkenden Blumen roch, und durch die ganz fein die Rauchschwaden der Räucherstäbchen zogen? Ramon Phtha verspürte eine eigene Mattigkeit, eine Leere im Kopf und im Herzen, und nur mit Überwindung dieser nie zuvor empfundenen Trägheit schleppte er sich hinter dem Thronratgeber her durch die finsteren Gänge mit den Todes- und den Wendezeichen am grauen Gestein. Die weißen Gewänder der Priester, die schon erlöschenden Fackeln, den Hauch von Vergänglichkeit wie eine erstickende Wolke um sich, schritt er wie im Traum dahin. Alles um ihn her hatte plötzlich den Anschein des Unwirklichen, und eine tiefe Traurigkeit bemächtigte sich seiner. So war er schon einmal gewandert, und so mußte er wieder wandern …

Als sie endlich die luftigeren Treppen hinaufzusteigen begannen, wurde Arototec neuerdings gesprächig.

»In vergangenen Zeiten pflegte man nicht nur die Toten in diese Finsternis zu versenken, sondern auch die Lebenden. Es ist immer Rechtsbrauch bei uns gewesen, Menschen, die sich ein ganz ungewöhnliches Verbrechen zuschulden kommen ließen, nicht mit raschem Tode zu bestrafen, der die Seele ohne weitere Möglichkeit zu Reue und Einkehr vom Leibe trennt, sondern wir haben dem Schuldigen Muße zu voller Betrachtung gegönnt. Er wurde durch diese Gänge hinab in den tiefsten Teil der Pyramide gebracht und lebendig in einer Nische eingemauert.«

»Wie entsetzlich!« entfuhr es dem Pharao.

»Das läßt zweierlei Auffassung zu«, entgegnete der Thronratgeber kalt. »Dieses Sichversenken in das Gewesene lehrte die scheidende Seele, solche Irrtümer im folgenden Sein zu meiden, und verminderte durch das ihr schon hier auferlegte schwere Leiden die Schuldbürde; es gestattete, genau gesehen, eine günstigere Wiedergeburt, als das bei plötzlicher Todesart der Fall gewesen sein würde, und es war gleichzeitig auch ein warnendes Beispiel für alle anderen Seelen, in denen der Keim zu ähnlichen Irrtümern schlummerte …«

»Wie hart und kalt er ist«, dachte erschauernd der Pharao, »und wie kalt sie alle sein müssen, um mit der Ruhe kühlen Erwägens solche Qual über eine Seele zu bringen, selbst wenn sie schuldig ist. Und warum findet dieser rätselhafte Thronratgeber Freude daran, mir derlei Dinge zu erzählen?«

Erleichtert atmete er auf, als sie ins Freie traten und die Priester, die erloschenen Fackeln niederlegend, sich mit stummem Gruß entfernten. Vor Ramon Phtha lag das wunderbare Gleißen der Stadt, das Glühen der Wolke über dem Schweigsamen, das Flimmern zahlloser Sterne, die eben durch das letzte Abenddämmern brachen.

Sie schritten der Stadt zu, und Arototec deutete auf die Wälle, die eigentümlich schimmerten, jeder in anderer Art.

»Als man – vor langer, langer Zeit – diese Wälle erbaute, ließ man im untersten Wall einige Öffnungen frei. In diese Räume, denn die Öffnungen waren keineswegs klein, steckte man schwere Verbrecher aus fremden Ländern und mauerte sie lebendig ein. Man gab ihnen, um ihren Seelen länger Zeit zur Betrachtung zu erlauben, auch etwas Speisevorrat mit …«

»Auch das noch!« rief Ramon Phtha entrüstet. »Und solche Behandlung läßt sich dein Volk bieten?«

»Der Rechtsbrauch ist lange nicht mehr in Kraft getreten«, erwiderte der Thronratgeber unerschüttert, »und außerdem vergaß ich, früher erklärend hinzuzufügen: Es wird diese Todesstrafe nuran Angehörigen fremder Rassen vollzogen, schon deshalb, weil kein Poseidonier eine Schuld auf sich laden würde, die solcher Strafe bedürfte. Und wenn an Ausländern vollzogen, berührt es uns nicht so. Man erzählt sich«, fuhr er gelassen fort, »daß man das Stöhnen der Eingemauerten viele Tage lang vernommen haben soll. Es klang angeblich wie Wasser, das gegen hartes Gestein schlägt, doch nicht durchbrechen kann. Grausam? Warum, o Pharao? Es waren Fremde, die unsere heiligen Gesetze übertreten hatten. Wer lebt, der steht im Banne der Gesetze, der inneren wie der äußeren. Strafe kann erst erfolgen, wenn man sich diesem Zwang von innen wie von außen her absichtlich entzieht.«

Er verabschiedete sich vom König, um in sein Haus der lichtlosen Sterne zurückzukehren, während der Pharao dicht vor dem Haus der Fremden angekommen war. Im Blick des Thronratgebers lag etwas wie eine sehr verhüllte, doch sehr ernst gemeinte Warnung.

Wovor?

Ramon Phtha sah dem Dahinschreitenden mit einem Gefühl von Grauen nach, in das sich Abneigung mischte. Was hatte Arototec mit seinem Nachdruck auf die Strenge der Landesgesetze bezwecken wollen? Was wollte er damit erreichen?

Wohl ahnte es der junge König der dunklen Erde, doch schlug er die innere wie die Warnung von außen her mit gleichem Trotz in den Wind.

Für ihn gab es nur ein Ziel: Isolanthis.


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