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Der grüne Schleier

Ein Mensch, der etwas will, im Guten wie im Bösen, beginnt mit dem Entwickeln bestimmter Gedanken und kräftigt sie durch stete Neubelebung, bis die Erschaffenen eines Tages ihrem eigenen Schöpfer zu Engeln, doch weit öfter zu Dämonen werden, gegen die er machtlos ist, es sei denn, er kenne das Zauberwort, das die Gebilde seines Geistes siegreich bannt und auflöst.

So stand auch Ramon Phtha völlig unter der zwingenden Macht seines ungezähmten Begehrens, Isolanthis besitzen zu wollen. Blind gegen die tiefste Eigenart der Frau, die sinnenabseits ging, Arototecs ungeheure Macht verkennend und sich gegen alle Vernunftgründe verschließend, taub gegen alle Ratschläge; alle Menschen vom Wege fegend, die seinem Plane hinderlich waren, der unüberwindlichen Schwierigkeiten nicht achtend, lief er, von seinem Wunschdämon gejagt, in sein unabwendbares Verderben.

»Wenn sie mein Eigentum geworden ist, wird sie sich nicht mehr weigern, mich zu begleiten«, dachte er, seelische und geistige Einflüsse unterschätzend, während er durch den geheimen Gang den Frauengemächern des Palastes zueilte, »einmal mein eigen, wird sich auch der Thronrat nicht einer öffentlichen Vereinigung widersetzen.«

Wie wenig kannte er Arototec, wie wenig den maßlosen Rassenstolz der Poseidonier!

Im trüben Dämmern zeigte sich ein dunkler Schatten, wuchs vor ihm, herrschte ihn an. Wohl trug der Pharao die Gewänder der Palastsklavinnen, aber seine erregte Stimme, sein kräftiger Gang, die unklare Antwort, die er gab, erfüllten den Gangwächter mit Mißtrauen. Er streckte gebieterisch die Hand aus:

»Wer …?«

Ein Faustschlag, und der Getroffene brach lautlos zusammen. Mit einem jähen Ekelgefühl lehnte Ramon Phtha einen Herzschlag hindurch die Stirn an das kalte Gestein. Finster war der Weg, den er beschritten hatte, Schatten reihte sich an Schatten …

Doch die Leidenschaft, die Sklavenpeitsche der dunklen Mächte, trieb ihn an. In der Ferne zeigte sich ein grünschimmernder Vorhang. Er schlüpfte in das Gemach und hielt berauscht inne. In hohen Vasen dufteten Mondblumen, an den hellgrünen Wänden leuchteten geheimnisvolle Zeichen in Gold auf und erinnerten ihn an das Gefunkel in der Höhle der müden Herzen. Auf einem Lager, zu dem wie üblich einige Stufen emporführten, lag Isolanthis, nur in einen grünen Schleier gehüllt. Aus goldgrüner Sonne fiel das Licht auf die Ruhende, ließ die lichten Formen wie Elfenbein auf taufrischem Gras erscheinen. Das aufgelöste Haar umflutete sie, und die von Ramon Phtha so oft bewunderten langen Wimpern warfen weiche Schatten …

»So schön …!« flüsterte er benommen.

Als er sich dem Lager näherte, spitzte TIactlac die Ohren und richtete sich auf. Ein schwaches Winseln – alles, was er an Stimmkraft aufzubringen vermochte – entfuhr ihm, und mit gesträubtem Fell erwartete er den Eindringling. Er fletschte die Zähne …

»Das Tier kann mich verraten«, dachte der Pharao, zog den Dolch und stieß ihn dem Hund in den Leib, der sich noch einmal krümmte und hierauf zusammenbrach. Wieder war eine weitere schwarze Perle zur Schuldkette jener verhängnisvollen Nacht gereiht worden.

Als sich Ramon Phtha berauscht über Isolanthis neigte, erwachte sie aus unruhigem Schlummer. Furcht, Entsetzen, Staunen und doch auch ein Anflug von Freude spielten über ihre Züge hin. Was sollte das! War es ein Traum? Wie kam der König der dunklen Erde hierher in ihr Gemach? Ihre Abwehr erfolgte wie im Schlafe …

Er ließ ihr keine Zeit zum Nachdenken. Er küßte sie, wie er noch nie ein Weib geküßt hatte, versengend, zeitentrückt, völlig glückberauscht. In der auflodernden Glückseligkeit der Gegenwart erlosch alles: Pflicht und Bedenken, das Erinnern an Krone, Volk, Land, Gefahren. Er riß den grünen Schleier von ihrem Leib …

Als die Brandung der Sinne verebbte, lag die Prinzessin regungslos in seinen Armen, das Gesicht erstaunlich bleich, die Augen geschlossen, die Lippen eiskalt. Sie wehrte seine Küsse nicht ab, sie erwiderte sie nicht, sie ließ seine stürmischen Liebkosungen über sich ergehen. Zu Häupten brannte die grüne Sonne, in den hohen Vasen dufteten schwer die Mondblumen; auf die Stufen des Lagers tropfte das Blut Tlactlacs.

Inmitten seines hohen Glückes kam eine unendliche Traurigkeit über den jungen Pharao, und in dieses plötzliche Leid klang leise und anklagend die Stimme Isolanthis':

»O Ramon Phtha, warum hast du als Knospe gebrochen, was vielleicht Blüte geworden wäre? Ich hätte dich lieben gelernt …«

Er schüttelte stumm das Haupt. Dinge, die früher verzerrt gewesen waren, nahmen neuerdings klare Umrisse an und schreckten ihn.

»Du hättest mich nie geliebt«, seufzte er in jäher Erkenntnis, während das Licht in ihm langsam verflackerte. Ungeachtet seiner glühenden Liebe und seiner Verzweiflungstat blieb sie ihm fern. An das Innerste in ihr konnte er nicht heran.

Der Duft der Mondblumen, das bleiche Gesicht mit geschlossenen Lidern, die Zeichen an den Wänden, die sich wie zu einer Warnung belebten, das Blut zu seinen Füßen quälten ihn. Sie mahnten gleichzeitig gebieterisch an sofortiges Handeln. Jeder Herzschlag brachte die Gefahr einer Entdeckung näher und vereitelte den Plan seiner Flucht.

»Isolanthis – – ich tat es, weil ich dich so grenzenlos liebe. Komm nun mit mir, in mein lichtes Land! Daminophis erwartet uns links von der Landungstreppe …«

Sie rührte sich nicht. Sie lag da, bleich und gebrochen, als klängen die Worte wie streifender Wind an ihr vorüber.

»Isolanthis!«

Er versuchte sie zu heben, um ihr das dunkelbraune Gewand überzuwerfen. Ohne aufzuschauen, wehrte sie ab, hüllte sich fest in den weichen grünen Schleier.

»Wenn die Fackeln im Haus der Fledermäuse erbleichen …« hatte Colotli gesagt. Jeder Atemzug brachte die Gefahr näher.

»O Isolanthis … die Zeit drängt«, stammelte er fassungslos, »wir müssen fliehen! Komm, ich werde deinen Weg mit den Blumen meiner Liebe bestreuen und all deine Wünsche erfüllen, ehe sie noch gesprochen sind.«

Sie saß auf dem Lager, die Lider gesenkt, stumm; nun schüttelte sie traurig abwehrend das Haupt.

»Isolanthis!«

Bitte, Beschwörung, Trauer, Furcht durchbebten den Ruf.

Da horchten sie beide auf, denn im Hauptgang entstand Lärm. Ramon Phtha sprang die Stufen vom Lager herab und zog den Dolch. Isolanthis erhob sich. Ihr nackter Fuß berührte den toten Tlactlac, und sie zuckte zusammen.

Eine Hand griff nach dem Vorhang, er bewegte sich. Isolanthis deutete auf den geheimen Zugang und flüsterte:

»Fliehe … entfliehe, Ramon Phtha … ehe es zu spät geworden.«

Er blickte gefaßt zu ihr auf, als er sagte:

»Ein Pharao steht für seine Taten ein. Ich bin bereit zu sterben, wenn es sein soll.«

Im nächsten Augenblick drangen Palastdienerinnen, Sklavinnen und allen anderen voran, Roxa in das Gemach. Die alte Vertraute raffte einen grünen Umwurf auf und hüllte die Prinzessin hinein, eben als Arototec die Schwelle kreuzte.

»Ah … Pharao!«

Viel lag in seinem Ausruf: Haß, Frohlocken, die Härte des Richters, die Vorfreude des Rächers und etwas, tief unten mitklingend, wie Schmerz. Er wollte sich an Isolanthis wenden, doch Roxa hatte sie zurückgebettet auf das Lager und bemühte sich um die Bewußtlose.

»Fesselt ihn!«

Die rauhen Hände der herbeieilenden Diener griffen an die königlichen Arme, die es erdulden mußten, rissen an den königlichen Gewändern. Man stieß ihn in den Hauptgang hinaus und an Tiritec vorbei, der ihm schadenfroh zuraunte:

»Nie wirst du Isolanthis besitzen!«

Ha, der elende Schleicher, der alle seine Schritte bewacht hatte! Verwirrt dachte es der junge König, dann wurde ein Tuch über sein Haupt geworfen, er wurde gefesselt und über Treppen hinab ins Freie geführt. Weiter und weiter, weiter und weiter.

Er wußte nicht mehr wohin, alles war ihm gleichgültig. Durch das dichte Gewebe fühlte er etwas wie Lichtstrahlen. Ra war gekommen und hatte die Fackeln im Haus der Fledermäuse ausgeblasen. So waren die Lampen seiner Wünsche erloschen und mit ihnen das Traumland seines Glücks.

Daminophis würde warten, vergeblich warten.

Auch sein Volk und sein lichtes Land …

Jemand stieß ihn einige Stufen hinab, das Tuch sank vom Haupte, er stand in Finsternis. Hinter ihm schloß sich knirschend eine schwere Pforte.

*

Im Gemach der Erbprinzessin stand Arototec. Nach all dem Wirbel wandte er sich den beiden Frauen zu. Isolanthis lag noch immer totenblaß mit geschlossenen Augen da, und Roxa weinte bitterlich.

»Was heulst du … Weib?!« herrschte er sie an.

»Weil Tlactlac tot ist«, schluchzte sie und deutete auf die Tierleiche und das allmählich stockende Blut, »der Hund vom heiligen Berg, der Hüter des Palastes …«

»Auch dafür soll ihm Strafe werden«, erklärte der erste Thronratgeber finster, »und was ist ihr geschehen?«

»Er sah sie … im grünen Schleier«, schluchzte Roxa weiter, mit der Hand über das aufgelöste Haar ihrer Herrin streifend, »und ist das nicht genug Schande für ein Weib – ob Prinzessin oder Sklavin? Und nun geh, Arototec, denn keinem Manne ist es gestattet, in den Frauengemächern des Palastes zu verweilen.«

»Wie eine gebrochene Mondblume«, dachte er unwillkürlich, einen letzten Blick auf das Lager werfend, doch die Frage, die sich quälend vordrängte, mußte aufgeschoben werden.

Durch die Gänge eilend, murmelte er, das Zunächstliegende planend, bitter:

»Ah, Pharao … nun bist du meiner Macht verfallen!«


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