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Im Turm der toten Nächte

Durch den engen Spalt hoch oben an der sich wölbenden Seitenwand drang wieder einmal ein Finger Ras in das gespenstige Dämmern des Turms der toten Nächte. Ramon Phtha, der in seinen Umwurf gehüllt, auf hartem Boden gelegen hatte, schwankte wie trunken durch Länge und Breite seines grauenhaften Kerkers. Ungeheure Tiermäuler bleckten ihm von überall entgegen; an einen Riesentotenschädel gliederte sich ein schwarzes, viel zu kleines Gerippe; Todeszeichen wie der Blitz, oder Wendezeichen wie die scharf gekrümmte Schlange, bedeckten jede freie Stelle des Mauerwerks, und aus unheimlich weit vorstehenden kopfgroßen Tieraugen blinzelten Lampen, deren fahles Licht einen trüben Schein von Moder und Verwesung auf Wände und Boden warf.

Von Zeit zu Zeit senkte sich durch den Spalt unweit der Decke eine gelbe Sonne und erhellte alle Winkel, verlängerte die Schatten der unheimlichen Figuren und suchte wie eine feindliche Wesenheit den Pharao; tanzte wie in Schadenfreude einige Male auf und ab und wurde dann neuerdings fortgenommen, eine jähe Finsternis zurücklassend. In dieser lichtlosen Stille vernahm er nach einer Weile jenseits der Tierrachen Geflüster und wußte, daß man ihn durch die wieder aufglühenden schaurigen Augen hindurch beobachtete.

Er versuchte in der rundlichen Halle auf und ab zu gehen, um gegen die eisige Kälte anzukämpfen, deren erstarrende Macht ihn mehr und mehr lähmte. Hunger, Zugluft durch die menschgroßen Zähne der Ungeheuer, der kalte Steinboden, Mangel an Bewegung, die nervenreizende Dunkelheit bald vom Glühen der Tieraugen, bald vom Tanzen der gelben Sonne unterbrochen, und vor allem sein Kummer um Isolanthis begannen ihr Zerstörungswerk.

Lebendig begraben …

Nie wieder Ra in seinem Strahlenkleid sehen, nie wieder den Duft der Mondblumen einatmen, wenn der Mond als Opferschale am tiefdunkelblauen Himmel hing, nie mehr frische Luft genießen … nie wieder … nie wieder …

Seine kraftstrotzende Jugend wehrte sich gegen diese langsame und qualvolle Auflösung und erschöpfte sich dennoch in Haß gegen Arototec und im hoffnungslosen ungestümen Sehnen nach der Frau, die er liebte.

Sooft er ihrer gedachte, glaubte er den Duft der Tempelblüten zu verspüren und den Duft ihres bleichen Leibes, um den sich der grüne Schleier wie ein hauchzartes Blatt gewunden hatte; er wollte sie wiedersehen, sie noch einmal in die Arme nehmen, noch einmal küssen …

»Isolanthis …«

Doch nun war sein einziges Reich das der Gerippe und der drohenden Fratzen, und seine letzten Gefährten die Gespenster seines Gewissens, die Schemen seines Erinnerns, die leeren Augen seiner toten Wünsche. Wenn er sie zurückscheuchte, sah er sich im grünen Gemach von den Dienern ergriffen und rauh fortgeschleppt, er – dessen Haupt eine Krone trug – und mußte in Arototecs eiskalte Augen schauen. Er mußte, hilflos und gedemütigt, in Tiritecs Schleicherzüge schauen und sein hohnvolles »Isolanthis wird dir nie gehören, o Pharao!« vernehmen, ohne imstande zu sein den Mann, der so viele Gaben von ihm erhalten, dem er Gold und kostbare Steine für seine Gedichte zugeworfen, so zu züchtigen, wie er es schon einmal, um der Erbprinzessin willen, getan hatte.

Fürwahr, Könige lernten die Menschen kennen. Als Tiritec ihm die ersten Ledertafeln in das Haus der Fremden gebracht hatte, war er gefragt worden, was er dafür begehrte. »Nichts als deine Gunst, o König!« Aber ungeachtet seiner Jugend kannte Ramon Phtha die Herzen der Untergebenen – »Und außer meiner Gunst?« Da hatte der Dichter um seinen breiten Armreifen gebeten. Er hatte ihn gern gegeben; er würde mit tausend Freuden die Schätze seines Landes für Isolanthis gegeben haben: nicht nur die Reichtümer, über die er verfügte, sondern auch das Land und die Krone selbst.

Sie war das Licht seines Lebens und würde sein Licht im Tode sein.

Kälte, Einsamkeit, Sehnen nach Luft und Bewegung, die Schatten des Gewesenen, das Fühlen des Kommenden durchbebten ihn. Erikikatl, fett und zufrieden, hinter einem Schatten hervorspähend und ihn dann so maßlos erstaunt und angstvoll ansehend wie damals … ehe er zusammenbrach. Wie feucht sich die Gewänder anfühlten, wie Blut … wie all das Blut, das er zum Fließen gebracht. Darauf wieder, ihm zugrinsend, Tiritec, der seine Gnade genossen hatte, und der sich dennoch als Werkzeug Arototecs verwenden ließ. Eine letzte schwache Befriedigung wallte im Herzen Ramon Phthas auf, als er des Blickes gedachte, den der erste Thronratgeber dem hinter dem Pfeiler halb verborgenen Dichter zugeworfen hatte. Ein Wurm hätte sich vor solchem Ausdruck der Verachtung krümmen müssen, aber Tiritec hatte sich nur in Demut tief verbeugt.

»Verächtlich!«

Erschöpft sank der junge König auf den harten, unebenen Fußboden, bis sich das Spiel mit Sonne, Schein und Finsternis wiederholte und er sich aufzwang, um der Starre in den durchkälteten Gliedern Herr zu werden, doch war auch das nur mit Mühe durchzuführen. Erstaunlich lebendig wirkende Schlangenleiber, die sich anscheinend auf dem Fußboden krümmten, und gegen die er wirklich mit dem Fuße stieß, erschreckten den Pharao und hemmten seine Bewegung, zwangen ihn zu vorsichtigem Klettern in völliger Finsternis oder blendeten ihn mit dem grünlichen Verwesungsschein in den Augen, daher zog er sich bald in die eine Ecke des Turmes zurück, in der ihn weder die spähende Sonne noch die Lichter der Tieraugen erreichen konnten, wickelte sich in seinen nach Moder riechenden, verstaubten Umwurf und träumte von Isolanthis.

Er sah sich mit ihr aus goldenem Becher vom Wasser der Befreiung in der Höhle der müden Herzen trinken, glaubte sich tröstend umfangen vom weichen grünen Schein, der alles Leid hinwegsog, und träumte von der feierlichen Gestalt in Weiß, die ihn an eine Mondblume erinnerte, und deren Herz das einer Priesterin war.

Goldene Funken auf grünem Gewässer …

Sie hatte zu ihm gesprochen von Licht und von Wärme und jener heiligen Dreiheit des Geistes, der Seele und des Leibes, die eine sich allzeit verändernde Fruchthülle um den göttlichen Kern bildete und eine Menscheinheit darstellte. Schön und feierlich zugleich sah er Isolanthis vor sich, und diese Vorstellung ihrer Gegenwart verwandelte die Nacht seines Kerkers in wärmenden Tag.

Das waren kraftgebende Augenblicke, ein erlösendes Ausruhen von zerrüttenden Bildern, die sich immer häufiger herandrängten, je länger die furchtbare Gefangenschaft dauerte. Man hatte ihm – um seine Pein zu erhöhen – einen Korb voll Speisen hingestellt, und obschon er zuerst entschlossen gewesen war, sie nicht zu berühren, hatte der nagende Hunger über seinen Stolz gesiegt. Vielleicht glomm auch in den tiefsten Tiefen seiner Seele noch ein Fünkchen, das nicht erlöschen wollte: ein Wunder, eine Flucht, eine Vereinigung mit Isolanthis …

Doch je öfter die hüpfende Sonne gleichsam Ausschau hielt nach den ersten Anzeichen von Wahnsinn und Zerstörung, desto stärker mußte er gegen die siegende Verzweiflung ankämpfen, gegen die Schwäche des Leibes, gegen das Grauen vor der Finsternis, aus der alle die, denen er etwas getan hatte, ihn grinsend anstarrten – Erikikatl mit seinem maßlosen Staunen im Blick, der verletzte Sklave, der aufstöhnend niedergesunken war, Daminophis, der um die Stadt der fließenden Wasser trauerte, und selbst Tlactlac, dessen Gewinsel aus den schwarzen Winkeln zu kommen schien. Oder er glaubte die zweiundvierzig Thronratgeber an sich vorbeigehen zu sehen und ihr kaltes »Lebendig begraben!« zu hören. Tiritec spottete seiner im fahlen Schein der Tieraugen, und die Zugluft war so eisig wie Arototec …

Oft war es ihm, als hauche ihm der Schreckliche selbst jetzt noch allerlei Gedanken zu, am liebsten von Vorgängen im Palaste, so daß der unglückliche Pharao wieder von seinem harten Ruheplatz aufgeschreckt wurde und im irren Taumel über die Schlangenleiber kletterte, als würden sich die Riesenrachen der Ungeheuer doch öffnen und ihn hinauslassen müssen zu rächender Tat.

Dann – wenn die Erschöpfung und der nagende Hunger neuerdings einsetzten – kroch er in seinen Winkel zurück und zwang all sein Denken in die eine noch erlösende Bahn: Isolanthis.

Manchmal hatten sie, unter den Eiben auf- und abschreitend, mit dem Blick auf die unvergeßlichen Berge, die er lieben gelernt, vom Tode gesprochen. Nun würde er selbst bald vom Herrn der Muschel gerufen werden und durch das Haus des Niederganges in das Totenreich hinabsteigen, um sein Herz vor den Richtern der Unterwelt auf die Waage zu legen, dadurch erfahrend, ob er würdig war bis zum neunfachen Strom vorzudringen, ihn zu durchqueren …

Seine Gedanken verwirrten sich, er versank in dumpfes Hinbrüten. Höher und höher stieg Ra. Daminophis mußte längst die Stadt der goldenen Tore verlassen haben. Wohin mochte er, der einzige Freund, den er in diesem Lande gehabt hatte, geflohen sein? Im Haus der lichtlosen Sterne würde Arototec wohl neue Möglichkeiten ersinnen, Isolanthis zu beherrschen. Von der zehnzackigen Krone und dem geheimen Leid erdrückt, dämmerte König Ataxikitli langsam in den Tod hinein. Er lebte kaum noch, sein Blick schien nach innen gerichtet, der Außenwelt abgestorben. Ach, wie gering war der Wert dieses Seins, das in Leid begann und in Leid endete?

Das Haupt Ramon Phthas sank auf einen der kalten Schlangenleiber des Fußbodens nieder, und der Schlaf der Erschöpfung brachte vorübergehendes Vergessen.

Es starb sich schwer in der Blüte der Jahre …


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