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Die Beschwörung am Meere

Wolkenfetzen jagten über den Mond, die Wellen fangen, durch das steife Gras ging ein Surren.

Die Nacht wuchs und wuchs. Ihre schwarzen Schwingen lagen auf allem, auf Daminophis und dem Pharao, die beide dem Wogengeraune lauschten und friedvolle Schönheit genossen. Isolanthis hatte recht gehabt: ihre besonnte Jugend hatte mühelos die Brücke von Herz zu Herz geschlagen. Nun verglichen sie ihre Erfahrungen und freuten sich gemeinsamen Erlebens.

Wieder sprachen sie vom Haus des Genusses, Ramon Phtha mit Verachtung, doch Daminophis vom Standpunkt des Künstlers, der Formen suchen muß und den alles reizt, was vielgestaltig und vielfarbig ist. Deshalb waren sie auch heute herausgewandert, um die Mondnacht am Strande zu genießen.

»Wo sonst soll ich junge, vom Strom des stofflichen Lebens durchsaftete Leiber finden, deren von Sinnenrausch trunkene Bewegungen sich frei dem Stift bieten?«

»Kannst du da unten verweilen, ohne mitgerissen zu werden?« fragte Ramon Phtha.

»Muß eine Seele nicht durch alle Erfahrungen gehen?« fragte der Künstler wie in Antwort darauf. »Wer sein Wünschen gewaltsam unterdrückt, den reißt es später vom Höhenpfad ebenso gewaltsam nieder. Man muß allmählich herauswachsen aus dem Stofflichen, wie eine Pflanze erst in dunkler Erde Wurzeln entwickelt und vorsichtig einen Stengel in die reine Luft schiebt, ehe es ihr gelingt, Knospe, Blüte und zum Schluß auch Früchte zu zeitigen.«

»Auch ich freue mich des Schönen«, erwiderte der Pharao, »aber in diesen dumpfen Pfuhl bringt mich nichts mehr …«

»Ach, Ramanatu, dein Wünschen liegt verankert in geschlossenem Hafen«, warf Daminophis ein. »Deshalb merkst du in deiner windlosen Bucht den hohen Wellengang des Blutes nicht, aber das Begehren nach diesem Versinken im Fleischlichen ist etwas, was uns nie frei gibt. Es steigt plötzlich unter der Asche unseres Verzichtens wie eine Flamme empor und verzehrt unsern Widerstand, bringt unser Denken zum Schmelzen. Wir stehen unter einer fremden Macht mit gebrochenem Willen und werden erst das alte Selbst, wenn der bittere Belag des Abscheus uns würgt.«

Ramon Phtha begriff dunkel, warum Isolanthis den Künstler zu sehr im Banne der Sinnenfreude glaubte und um das Wohl seines Schaffens bangte, denn in der Kunst überlebt nur das, was irgendwie das Unvergängliche spiegelt. Das andere mag reizen, mag eine Zeit hindurch betören, mag in Verfallszeitläuften gepriesen werden – es versinkt doch. Die Prinzessin aber wünschte die Werke Daminophis' viele Geschlechter überdauern zu sehen.

Der Wind wurde stärker, die Nacht minder friedvoll. Es war den beiden jungen Männern, als nähere sich ihnen Feindliches, doch alles Herumspähen ließ keine fremde Anwesenheit erkennen. Gedämpft sagte der Pharao:

»Ich kann meine Gefühle nicht auf Fäulnis schütten wie Milch auf Straßenstaub. Ich möchte mein ganzes Leben, mein Tun, mein Herz einem einzigen geliebten Wesen rückhaltlos weihen …«

»O Ramanatu, ich könnte dich beneiden, denn du schlummerst in deiner Wunschaura wie ein Kind in seiner Geburtshaut. Wer jedoch herzfrei wandelt, den umlauern die äußeren und die inneren Mächte des Getrübten, des Unwissens …«

»Selbst dich, o Daminophis, der du wie ein wandelnder Sonnenstrahl durch dies Leben gehst?« rief der Pharao erstaunt.

»Auch mich, auch mich …«, seufzte der Künstler. »Wir sind unselige Wesen, zu hoch über dem Tiere, um naturgetreu zu leben; zu wenig Geist, um über Triebe, die wir mit den Tieren teilen, siegreich hinwegzukönnen. Ein armes Zwittergeschöpf, zwischen Himmel und Erde auf- und abgerissen.«

So ungefähr hatte er selbst gedacht, als er vor vielen Monden in dieses Land gekommen war, und deshalb merkte er mit Erstaunen, wie sehr er gewachsen war, wie sehr sich sein Denken entfaltet hatte. Etwas warnte ihn, daß Daminophis die Tiefe der Weisheit seines Landes nicht ganz erfaßt hatte, weil er noch zu sehr im Stofflichen wurzelte, weil es ihm nur zuzeiten, in Augenblicken hohen Schaffens, ganz gelang, sich vom Druck des Vergänglichen siegreich zu befreien. Isolanthis würde das, was sein Freund geäußert hatte, anders gedeutet haben. Er vermochte es noch nicht, daher erwiderte er nur mit dem Blick auf die nachtdunklen Wogen:

»Manchem scheint es doch zu gelingen, diesem Unwillen zu entrinnen und ins Geistige zu flüchten …«

Daminophis lächelte halb belustigt, halb bekümmert.

»Ich kenne nur zwei Menschen, denen es gelungen zu sein scheint, und ich … beneide sie nicht: Sembasa und Isolanthis. Der eine sitzt im einsamen Turm mit dem Blick auf die Sterne; die andere …«

»Warum unterbrichst du dein Reden?«

»Die andere trägt ihren Sternenhimmel in sich. Beide sind sie rein und gut und weise, aber an beiden, o Ramanatu, fließt das Leben, das mich berauscht, das Leben, das wir verstehen, unbemerkt vorüber. Begreifst du nicht, daß du das Irdische verlierst, sobald du das Tor des Ewigen gefunden?«

»Liebe überbrückt Raum und Zeit, durchgoldet die Welt, durchflutet die Herzen, ergießt sich befruchtend über alles wie der heilige Fluß in meinem lichten Land …«

»Ausstrahlende Liebe, o Pharao, jene reine Glut, die nichts begehrt als zu wärmen! Was in uns schäumt, ist noch der samengebende Born, der zum Stofflichen gehört. Und ich beklage es nicht«, fügte er heiter hinzu, »denn ich schaffe im Zeitlichen. Wenn wir alle im Ewigen lebten«, und nun lachte er, »gäbe es keine Bauten, keine Kunst, und nichts zu essen, was mir leid täte, denn ich fühle einen rechtschaffenen Hunger in mir. Wie wäre es, wenn wir …« Er hielt erschrocken inne und zog Ramon Phtha hastig in den Tiefschatten des niederen Strauchwerks zurück.

Sie waren nicht länger allein. Eine hohe Gestalt näherte sich der hier flach werdenden Küste entlang den beiden jungen Männern. Sie war so dunkel gekleidet, daß sie schwarz wirkte und daher etwas Gespenstisches an sich hatte. Auch war etwas in Gang und Haltung, was den beiden Beobachtern bekannt schien, und tatsächlich flüsterte Ramon Phtha bald dem Künstler zu:

»Arototec! Was soll sein Kommen bedeuten? Sucht er uns?«

Das war nicht der Fall, denn der erste Thronratgeber blieb in einiger Entfernung von den jungen Leuten, dicht am Rande des Wassers, stehen und streckte die Arme über die Fluten aus. Gleichzeitig verbarg sich der Mond hinter dichtem Gewölk, das Meer gluckerte und plätscherte seltsam unruhig, der aufsteigende Wind rüttelte an Palmen und Buschwerk, der Sand knirschte feindlich wie ein getretenes, aber eingeschüchtertes Tier, und ein merkwürdiges Knistern erfüllte die Luft.

Zum zweitenmal hob Arototec die Hände und streckte sie wie befehlend über die heranrollenden Wogen aus, die zischten und sprudelten.

»Was tut er?«

Daminophis schwieg. Er hatte mehr als einmal schon vernommen, daß der Ratgeber der Krone mit andern Entwicklungsströmen, nicht nur mit jenen der Menschheit, vertraut sein sollte, hatte es indessen nie zu glauben vermocht. Um so gespannter folgte er daher den Bewegungen der einsamen Gestalt im schattenhaft durchbrechenden, meist gleich wieder verschwindenden Mondschein.

Zum drittenmal schwebten nun Arototecs Hände wie ein im Flug rastender Vogel über den immer lauter zischenden Wassern, und nun erklang es schaurig wie ersticktes Hohngelächter aus den Fluten. Weißer Schaum verwandelte die vor kurzem so glatte Fläche in mattsilbernen Gischt, und hinter dem Beschwörer erhob sich ein dunkler, drohender Schatten, den er anscheinend dicht hinter sich wußte, denn er krümmte sich plötzlich wie in aufsteigender Furcht und drehte sich so rasch herum, daß es Ramon Phtha bei diesem Anblick schwindelte. Wie schnell sich Arototec indessen auch bewegte, immer blieb der ungeheure schwarze Schatten so dicht hinter ihm, drehte sich so schnell mit, daß er ihn nur fühlen, nicht selbst sehen konnte. Dem Pharao sträubte sich das Haar beim Beobachten des riesenhaften, wie aus Dunst geformten Wesens, das sich dem Beschwörer an die Fersen geheftet hatte und als grauschwarze Wolke hinter ihm emporwuchs.

Der Mond glich einer erlöschenden Fackel, Daminophis' Atem kam schwer und keuchend, schon drohte die Nacht mit schwarzer Finsternis, denn unheimlich große Wolkenschwaden fuhren heran, und der Wind rüttelte stärker an Palmen und Strauchweck, während die See zischend und gurgelnd dem Strand zurollte, Woge gleichsam Woge auf den Rücken springend und zur Springflut wachsend.

Da raffte sich der Mann mit dem schaurigen Schatten auf, lachte ein furchtbares Hohnlachen, das alle Geister um ihn her zu verhöhnen und herauszufordern schien, straffte den gekrümmten Leib und zeichnete hierauf geheimnisvolle Bannungsrunen in den Sand; trat dann entschlossen in den Kreis, den er in weitem Bogen gezogen hatte …

Langsam streifte der Mond seine Umhüllung ab, die Wolken verteilten sich, verflatterten, verrannen. Wieder streckte der Thronratgeber gebietend die Hände aus, sicher, furchtlos, eigentümlich klingende, fremde Worte murmelnd. Es schwieg der Wind, es lauschten die Bäume, es sanken die Wogen und jede Welle hielt im Heranrollen, wie von seinen Händen gebannt, mitten im Anlauf inne und zerrann zu seinen Füßen.

»Er ist doch wunderbar …«, flüsterte Daminophis.

»Seine Macht ist ungeheuer …«, seufzte Ramon Phtha.

Immer so: Welle auf Welle heranbrausend, wie von leisem Hohnlachen begleitet, und dann verebbend, furchtgebunden, zaubergebannt. Wie eine Gestalt aus Stein stand der Beschwörer inmitten seines schützenden Kreises. Nun jagten die Wolken neuerdings herbei, diesmal in ruhigen, schweren, unaufhaltsamen Schwaden, und verschlangen alles Nachtgestirn. Schattenhaft, immer undeutlicher sahen die beiden Jünglinge den einsamen Mann am Rande des Meeres, kleine, dunkelviolette und später bläulich werdende Lichter oder Funken begannen um ihn zu tanzen, wie Geister, die der Erde entsprangen und sich um den weiten Kreis bewegten, als wollten sie ihn zerstören oder überhüpfen und könnten es doch nicht – – –

»Laßt uns gehen!«

Der Künstler faßte den König der dunklen Erde an der Hand und zog ihn auf nur ihm bekanntem schmalem Pfade zurück auf die breite Straße, die vom Hafen hinauf in die Stadt der fließenden Wasser führte.

»Was wollte er? Dem Meere gebieten?« fragte Ramon Phtha, als sich die Entfernung vergrößert hatte und die beiden Freunde wieder wagten, lauter als im Flüsterton zu sprechen.

»Ich weiß es nicht – er möchte wohl alle Macht in Händen haben über Menschen und andere Wesenheiten, und man behauptet, daß er danach trachtet, als Gott der Finsternis angebetet zu werden, doch Isolanthis lacht, wenn man ihr davon erzählt. Sie ist der Ansicht, daß ihm nur daran gelegen sei, herauszufinden, wie weit die Macht eines menschlichen Willens zu gehen vermag, was zu beherrschen innerhalb menschlicher Begrenzung liegt. Scheinbar recht viel, wenn man alle seine Kräfte darauf gerichtet hält, doch dann ist das Leben wohl nicht Leben mehr. Ich genieße lieber in Ruhe das Wenige, das mir gestattet ist. Jedenfalls empfiehlt es sich, ihm aus dem Wege zu gehen, denn ein Mensch, vor dem die Meereswogen innehalten, mag unangenehm als Feind werden. Laß es dir wieder gesagt sein, o Ramanatu!«

»Es graut mir vor ihm. Er führt mich oft und belehrt mich, aber seine Kälte und Härte lähmen mich, und zuzeiten will es mir scheinen, als ob er mich haßt …«

»Ihn zum Freunde zu gewinnen, liegt wohl außerhalb aller Möglichkeiten, doch trachte – mein Rat entspringt meiner großen Zuneigung zu dir –, ihn wenigstens nicht zum offenen Feinde zu machen.«

Der Himmel war nun eine schwarze Wölbung geschlossener Wolkenmengen, Ein ungewöhnlich kühler Wind trieb von der See her stadtwärts.

Schweigend, von trüben Ahnungen gequält, stiegen die beiden zum Haus der Fremden empor.


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