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Der Kampf um die Krone

Kaburo schlug mit unsicherer Hand und nach einigem Zögern den Vorhang zurück und meldete seinem Gebieter:

»König Naxitli der Getreue hat die Totenbarke bestiegen …«

Es war Ataxikitli, als müsse auch er sterben. Nun fiel die Krone an Etelku, und dieser Knabe, der ganz im Banne Arototecs stand, würde die Geschicke dieses Volkes leiten? Eine tiefe Bitterkeit bemächtigte sich seiner, denn selbst, wenn … wenn … es das Schicksal anders gefügt hätte …

Kaburo stand noch immer wie festgewachsen auf der Schwelle.

»Nun?« fragte Ataxikitli streng, denn er wollte mit seinen Gedanken allein bleiben.

»Gebieter«, sagte der Sklave, trat langsam näher und sank vor seinem Herrn auf die Knie, »groß ist die Stunde. Sie ruft dich in den Palast …«, er blickte beinahe zärtlich auf, als müsse er von seiner Kraft nun viel abgeben, »und – – zur Krone.«

»Zwischen mir und der Krone steht noch ein Leben«, murmelte Ataxikitli, und die alte Bitterkeit schlug in ihm hoch. Was hatte er alles gehofft und geplant, heimlich ersehnt und offen angestrebt, während die sieben Leben wie Felsen unverrückbar auf seinem Pfad gestanden, und heute mußte er froh sein, daß der junge Prinz die Last des alten Königs tragen würde.

»Du irrst. Isolanthis bat mich, es dir zu sagen, im Falle … in dem sehr wahrscheinlichen Fall, daß König Naxitli sterben sollte, wenn sie nicht daheim war.«

»Was sollst du mir sagen?« Heiser klang die Stimme und wie von Angst durchbebt.

»… daß Etelku Priester werden will und auf die Krone verzichtet hat. So wirst du, o Herr, König von Atlantis werden …«

Es war still, ganz still im Raum. Noch immer kniete der Sklave zu Füßen seines Herrn, ihn stützend, ihm Kraft einflößend, denn die jähe Wunscherfüllung mit Haparus unerbittlichem Schatten um sich war schier zu überwältigend für ein schwaches Menschenherz. Ach, die vielen einsamen Jahre voll glühenden Ehrgeizes, voll schwankenden Hoffens und Harrens und durchfurcht von der Überzeugung, daß die Krone unerreichbar blieb, und nun, seit Haparus Tode, dieses Auflösen der hindernden Gestalten wie Trugbilder, um ihn desto sicherer an der Schranke seiner ungewollten Schuld zerbrechen zu lassen.

Wie durfte er mit diesem Mord auf dem Gewissen die Krone von Atlantis tragen?

»Man harret deiner im Palast …«, unterbrach der Sklave endlich das lange Schweigen. Ataxikitli nickte dumpf, den Sinn der Botschaft kaum fassend. Immerhin mußte ein Entschluß gefaßt werden, und daher winkte er Kaburo sich zu entfernen und durchmaß viele Male das Gemach, die Vorgänge jener schicksalsschweren Nacht prüfend. Nicht er hatte Haparu getötet; dieser hatte sich selbst den Tod gegeben, indem er – schwach vor Trunkenheit – nach dem Buch gegriffen und es samt seinem Träger auf sich niedergerissen hatte. Ohne Streit, am hellen Tage, hätte solches geschehen können. Ja, aber warum hatte er in diesem Fall den Unglücklichen heimlich begraben? Warum nicht offen darüber gesprochen? War sein Gewissen so rein?

Wieder das qualvolle Prüfen, das bittere Erwägen. War er für den Zufall verantwortlich? Und hatte er anderem als dem Selbsterhaltungstrieb gehorcht, als er das, was doch nie mehr zu ändern war, weggeräumt hatte? Wie hätte er zu beweisen vermocht, daß es nichts als eine Verkettung von Umständen gewesen?

Und da gab es niemanden, der besser geeignet war, die Krone zu tragen als ihn selbst, dem das Wohl des Landes und des Volkes so sehr am Herzen lag. Wenn er einmal gekrönt war, würde er Haparu einbalsamieren lassen …

»Was Käfer und Würmer übrig gelassen …«, höhnte etwas leise hinter ihm, doch diesmal war er entschlossen, dem wesenlosen quälenden Verfolger nicht zu unterliegen. Bitter genug hatte er die unfreiwillige Schuld gebüßt, nun sollte das Vergangene begraben sein und Neues sollte aufgebaut werden. Er machte eine Gebärde, wie um etwas Unsichtbares zu verscheuchen, und entwarf seine Pläne. Das Haus des Genusses sollte abgeschafft, vieles von den ihm zwecklos scheinenden Erfindungen unverwertet gelassen, das Volk zu alter Zucht und Sitte zurückgeführt werden. Er rief Kaburo herbei und legte das Gewand der höchsten Kaste an – ganz weiß, über dem Kopftuch, das bis zu den Hüften herabfiel, den breiten goldenen Reifen, und um die Mitte, als Thronerbe, den breiten Goldgürtel.

So stieg er den Berg hinan, das Gewesene zurückdrängend, vom neu aufflammenden Ehrgeiz beseelt, tatenhungrig und sich seiner Würde plötzlich voll bewußt. Die Diener warfen sich vor ihm nieder, die Palastknaben geleiteten ihn durch die langen hohen Gänge in das gleiche Gemach, in dem er vor Monden die letzte Unterredung mit dem Könige gehabt hatte.

Im Grunde hätte er sich am liebsten in die Thronhalle begeben, doch wurde diese schon zum Empfang der fremden Gäste geputzt und geschmückt, und in den Gemächern des toten Königs waren Ärzte und Einbalsamierer tätig, sangen die Klageweiber, hielten die jungen Priester die Totenwache.

Am Morgen noch ein armer Mann, dem stärkste Einschränkung zur Pflicht gemacht ist, und vor Sonnenuntergang schon König, Herr eines unbegrenzten Reiches, Gebieter über das Volk höchster Entwicklung. Fürwahr, der Pfad des Lebens ging durch das Wechselvolle.

Tiritec ließ sich melden und erbat sich Befehle hinsichtlich der Klagelieder, der Krönungsgesänge und der Festempfänge. Seine Arme flogen, er warf sich dem neuen Herrscher zu Füßen und bettelte etwas zu demütig um Gunst und Gnaden, aber Ataxikitli lauschte gierig den Lobreden, die zu hören er nicht mehr erwartet hatte; ehrlich oder nicht, – sie galten seiner Stellung, waren sein Recht.

Es kamen auch die Priester aus dem Poseidontempel und aus dem Mondtempel, ernst und feierlich in ihren blendenden Gewändern und den breiten blauen Gürteln. Sie umstanden ihn im Halbkreis, und der älteste Priester sprach von der Würde und von den Pflichten eines Königs.

»Zehn Zacken hat deine Krone und zehn ist die Zahl der Vollendung in Raum und Zeit, sie umfaßt die Kleinwelt und die Großwelt, die in der ewigen Einheit geborgen liegen. Gedenke heute der zehn Gottkönige unseres Landes, erwähle sie zu deinen Vorbildern!«

»Sei gesegnet!« riefen die übrigen Priester, und in Ataxikitli keimte ein leises Glücksempfinden auf. Er glitt in seine neuen Pflichten, genoß seine neuen Würden, besprach die Leichenfeier, überreichte dem Hüter der Pyramide den Schlüssel in Dreizackform, mit dem die Halle der Toten aus höchster Kaste geöffnet werden konnte, erteilte Befehle und entschloß sich, sofort in den Palast überzusiedeln, um vom Banne des Hauses der weißen Blumen befreit zu sein.

Wo nur Isolanthis bleiben mochte?

Von allen Gebäuden wehten nun schon die weißen Trauertücher.

Ataxikitli fühlte sich eben vom totgeglaubten Ehrgeiz durchrieselt, als der Thronratgeber Arototec gemeldet wurde.

»Morgen …«, befahl er kurz dem Diener. Heute wollte er sich die Freude dieser Weihestunde nicht trüben lassen. Auch mußte er sich vorerst klar werden, wie er dem hochgeschätzten Gelehrten und Erfinder am besten entgegentrat. Ob er ihn zu Versuchszwecken in ein fremdes Land schicken oder …?

Der Vorhang wurde zur Seite geschoben und Arototec kreuzte die Schwelle.

»Du maßt dir viel an«, rief Ataxikitli streng. »Ließ ich dir nicht mitteilen, daß ich dich morgen zu sprechen wünschte?«

»Es war nötig, dich noch heute zu sehen«, erwiderte sehr ruhig der Thronratgeber und trat langsam näher. Obgleich etwas Ataxikitli im Halse zu würgen schien, entgegnete er mutig:

»Wenn dein König etwas befiehlt …«

Bisher hatte er Arototec nur gehaßt, nun merkte er, daß er den sonderbaren Erfinder, über den so viele Gerüchte im Umlauf waren, auch fürchtete. Eine zwingende Macht ging von ihm aus.

»Noch bist du nicht König«, erklärte Arototec, und nichts in seinem harten Gesicht deutete auf Nachgeben hin, »und fraglich bleibt es, ob du die Krone tragen wirst …«

»Elender, das wagst du zu behaupten?« herrschte ihn Ataxikitli an. »Etelku ist Priester, und Daminophis kommt nach mir, selbst wenn er bei seiner Jugend und Gemütsart in Frage käme. Ich bin der einzige Thronerbe …«

»Doch verbietet das uralte Gesetz, das du selbst gern betonst, daß jemand die Krone von Atlantis trage, der nicht frei von Schuld ist. Bist du frei von Schuld?«

Eisig durchrieselte es den Gefragten, und wieder war es ihm, als erklänge in ihm selbst ein leises hohnvolles Lachen – das Lachen Haparus –, doch hatten die letzten Stunden sein Selbstgefühl gestärkt und die fremde Umwelt den Schleier ewiger Trauer von ihm gerissen, daher erwiderte er mit größerer Gelassenheit, als Arototec es erwartet hatte:

»Von welcher Schuld sprichst du?«

»Wenn du mich in die Halle der Versenkung begleiten willst, bin ich bereit, sie dir zu zeigen.«

Ein Weigern war unmöglich, und dennoch scheute Ataxikitli vor der Probe zurück, von der er oft gehört hatte. Langsam folgte er dem Thronratgeber durch Gänge und Hallen bis an den grünblauen Vorhang. Strahlend schön war die Halle, in die von der Decke herab helles Licht fiel, das sich gerade um das Tier auf goldenem Sockel sammelte. Arototec zog das verhüllende Tuch ab und befahl hart:

»Wenn du es noch wagst, so erhebe den Blick und schau in dein Herz!«

Ein Zurückschrecken glich einem Schuldbekenntnis, doch faßte Ataxikitli rasch den Entschluß, seinen Blick nicht auf die Augen aus klarem Stein zu richten, sondern auf den Kopf oder den Nacken des Tieres, um nach kurzer Zeit die Probe als bestanden zu erklären, aber kaum hatte sein Blick das Tier gestreift, so hatten die seltsam leuchtenden Augen ihn schon gebannt. Geblendet versuchte er die Lider zu senken und vermochte es nicht. Das Funkeln nahm zu, es entstanden Kreise, und diese schlossen sich zu einem einzigen Riesenkreis, der wie ein Spiegel wirkte. Er sah darin sein vergangenes Leben in Bildern vorbeigleiten – alle Schwächen, alle Leidenschaften, bis er das Turmgemach erreichte. Aus scharlachrotem Nebel löste sich Haparus Gestalt, schob mit fleischlosen Fingern den Teppich auseinander und winkte ihm. Die Augen waren gebrochen, das Antlitz blutverklebt, und die zur Kralle gewordene Hand schien nach ihm greifen zu wollen …

Ataxikitli stieß einen röchelnden Schrei aus und brach vor dem Sockel zusammen.

»Wagst du es noch immer, die Krone zu tragen?« hörte er eine Stimme hinter sich, aber er war zu keiner Antwort fähig. Seine Sinne schwanden.

Arototec warf das verhüllende Tuch über den Sockel, vermied es jedoch, ins Licht der Steine zu schauen. So mutig er auch war, seine Seele in ihrem schonungslosen Licht zu prüfen, wagte er nicht.

Lange schaute er auf die Gestalt zu seinen Füßen nieder, dann rief er einige Diener herbei und befahl kurz:

»Bringt Ataxikitli hinab in das Haus der weißen Blumen, wo er die gewohnte Ruhe und Pflege finden wird. Er ist krank.«

Stumm hoben die Diener den ohnmächtigen König auf und brachten ihn hinab in den zweiten Wall; schweigsam kehrten sie in den Palast zurück.

Der letzte Thronerbe …

»In der Halle der Erkenntnis …«, raunte einer dem andern furchtgeschlagen zu, ehe sie sich trennten. Das übelste Vorzeichen.


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