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Das Mondfest

Der Vollmond hüllte in sein silberflimmerndes Strahlenkleid die Stadt der fließenden Wasser.

Ramon Phtha und Isolanthis stiegen die Stufen des Palastes hinab und gingen der Mauer entlang bis zum großen Vorhof, der vom Haupt- oder Poseidontempel und vom kleineren Mondtempel begrenzt wurde.

»Streng gedacht, darfst du, als Andersgläubiger, nicht unseren Festen beiwohnen«, sprach sie sanft, »aber mir ist es, als müsse ich dich mit all dem vertraut machen; dies kostbare Gut in deine Hände legen für jene Tage, die noch ungeboren sind …«

»Ich verdanke dir alles, o Isolanthis. Du hast meine Seele ins Licht gehoben, und du bist mein Licht.«

Wortlos bedeutete sie ihm, hinter einen der viereckigen Tempelpfeiler zu treten und im bergenden Schatten zu verharren, während sie selbst so weit vortrat, daß ein bleicher Schimmer über das blendende Weiß ihres Gewandes hinhuschte und dem Volke ihre Gegenwart kündete.

Ringsum, im Schatten der hohen Mauer, kniete das Volk, in dunkle Gewänder gehüllt, lautlos, in Andacht versunken, die Arme gekreuzt, das Haupt gesenkt. Plötzlich öffnete sich das Tor des Mondtempels, ein grüner Schein fiel auf die mondhellen Fliesen, die Knienden schwankten so leicht und lautlos wie wehende Halme. Über die Stufen nieder schritten langsam und feierlich Priesterinnen – immer drei und drei – in leuchtend weißen Gewändern, das offene schwarze Haar von schmalem Silberreifen gehalten, über jedes Ohr eine Mondblume fallend, an den nackten Füßen weiche Sandalen mit Silberspangen. Die mittlere Priesterin jeder Gruppe trug eine silberne Mondharfe, die beiden andern Silberschalen, wie Halbmonde, aus denen feine Rauchwolken aufstiegen. Ihre blassen, weltabgewandten Gesichter blickten zur vollen Mondscheibe hinauf. Ganz still bewegten sie sich über den weichen Sand, glichen lieblichen Luftgeistern, schwebten anmutig über den Platz, bis sie einen Vollkreis bildeten.

Ganz weich ertönten die Mondharfen.

Es war keine bestimmte Melodie, nur ein zagendes Greifen, ein kaum hörbarer Anschlag der silbernen Saiten.

»Das Klingen suchender Seelen …«, flüsterte Isolanthis dem König der dunklen Erde zu.

Der Kreis löste sich auf wie Nebel beim Sonnennahen, verrann im grünlichen Licht, floß neuerdings zusammen, die Mondsichel formend, erst ganz schmal, hierauf sichtbarer, nur um sich wieder aufzulösen und zu anderer Form zu vereinen, doch immer die Wandlungen des Mondes darstellend.

»Es wird dadurch die verrinnende Zeit und die Wiederkehr alles Gewesenen versinnbildlicht«, raunte die Prinzessin ihrem Begleiter zu, der, hingerissen von dem Geschauten, dicht hinter ihr gegen den Pfeiler lehnte.

Nun hoben die Priesterinnen die Schalen mit Räucherwerk hoch über das Haupt, und seltsame Nebelformen kreisten um diese schimmernden Schalen, lösten sich davon, verschwommen im Mondlicht und im grünen Schein, der wie ein leuchtender Smaragdstrom aus dem Tempelinnern floß, und dazu schluchzten und klirrten die Mondharfen ganz weich, stiegen zu Lob und Freude, sanken zu verhaltener Klage und vertieften sich zu einem feinen Lachen, das wie siegreich durch Tränen zu brechen schien …

Die Stimmen der Priesterinnen, rein, wundersam abgetönt, schwollen und fielen.

»Vom Mond sind wir gekommen
und müssen über die Erde wandern;
Das Licht des Himmels tragen wir in uns
und Licht sollen wir der Erde bringen …«

Die Harfen weinten und jubelten und begleiteten die jungen Stimmen der Priesterinnen. Lichter und Schatten wechselten. Wie in feine Dunstschleier gehüllt standen die Opfernden. Der Duft frischer Mondblumen und starken Räucherwerks strömte bis zu den beiden im Dunkel des Tempelpfeilers. Die Augen der Prinzessin waren dunkel, und etwas wie Sehnsucht lag auf den Zügen.

»Vom Mond sind wir gekommen
und müssen über die Erde wandern …«

»Unsere Seelen begannen ihren Entwicklungsgang auf einem andern Planeten, der seither verschwunden ist. Wir nennen ihn Mond, doch ist es nicht das Nachtgestirn, das du siehst, o Ramanatu«, flüsterte Isolanthis. »Wir kommen aus dem Reinen, durch das Tor des Nordens, und unser Weg ist der des Lichtes.«

»Das Licht des Himmels tragen wir in uns
und Licht sollen wir der Erde bringen …«

»Wir sollen den Seelen helfen, die noch nicht so weit entwickelt sind, denn unsere Seelen gehören zu den ältesten hier auf Erden.«

Feine Räucherdüfte, lautlos schwebende Gestalten, blendendes Mondlicht, von hohen Schatten und vom grünen Schein durchbrochen, weiche Harfenklänge, streifender Wind …

Das Volk rührte sich nicht, blieb in tiefer Andacht versunken. Die Tanzenden wirkten gespenstig, verkörperten die Seele. Der Himmel war tiefdunkel bis auf die dahingleitende Mondscheibe.

Ramon Phtha sog das unvergeßliche Bild in sich ein. Eine tiefe Weihe umfing ihn, dennoch dachte er betrübt:

»Ihr Weg ist anders als der meine. Wenn ich in ihren Anblick versunken bleiben will, wenn sie mir nicht entgleiten soll auf immerdar, muß ich ihren Weg gehen. O Ra, erleuchte und stärke mich, auf daß ich ihn finde und ihn sicher wandte!«

Die Nacht wuchs, der Mond entfloh, die Schatten wurden länger, die Mondharfen verklangen, die Priesterinnen verstummten. Drei und drei, die mittlere die Mondharfe tragend, kehrten sie in feierlichem Zuge in den Tempel zurück, und hinter ihnen rauschte der schwere Vorhang mit seinem silbernen Mondblumenmuster nieder.

Ramon Phtha fühlte sich am Handgelenk erfaßt und fortgezogen. – Hinter ihnen, wie fernes Raunen, vernahm man das Erwachen der Beter.

»Poseidon begleite und behüte dich«, hörte er die von ihm so geliebte Stimme sagen, doch als er sich umblickte, stand er vor dem geheimen Gang allein.

»Ra … Ra …«

Er dachte nur an sie. Er vernahm nicht den geflüsterten Rat Tschiritos, unterwegs immer auf seiner Hut zu sein. Tiefer und tiefer stieg er bis zum Ausgang und durch die schluchtartigen Straßen heim.

Hinter ihm glitten zwei Schatten. Wenn er sich umdrehte, verschwanden sie, sobald er seinen Weg fortsetzte, hefteten sie sich neuerdings an seine Fersen.

»Ra … beschütze mich!«

Eine eiskalte Hand hatte ihn gestreift, doch kaum hatte er den Dolch aus der Scheide gerissen, waren die unheimlichen Gestalten verschwunden.

Seltsam denkmüde und willenlos wankt er weiter, nur mit Anstrengung wird er der wachsenden Schwäche Herr.

»Arototec?!«

Er schnellt herum. Es graut ihm vor diesem Manne.

Nichts. Stille, ragende Häuser, geheimnisvolle Zeichen, die aus dem Dunkel brechen; aus finsterem Spalt ein Ton wie gedämpftes Hohnlachen.

Da nähert sich ihm ein Wächter aus dem Haus der Fremden.

»Auch die Stadt der goldenen Tore hat ihre Schatten, o Pharao. Dein Gott versüße deinen Schlaf und lasse dich gestärkt erwachen!«

Er bewacht den Eingang, bis der König der dunklen Erde die Treppe erstiegen hat.

Die Erbprinzessin hat es ihm streng befohlen.


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