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Asenath

Im Haus der weißen Blumen ging Ataxikitli ruhelos auf und ab. Seine Hände zitterten. Zwischen ihm und der Krone standen nur noch zwei Leben, von denen eins schon gleich schwacher Flamme flackerte …

So nahe der Erfüllung seiner ehrgeizigsten Träume, seiner glühendsten Wünsche, und doch so ferne! Haparu drängte sich als verborgene Leiche trennender zwischen Wunsch und Wunscherfüllung, als die sieben Leben es getan hatten; er drohte heimlich, er grinste schadenfroh aus allen Ecken, er schritt als unverlierbarer Schatten hinter Ataxikitli her, und selbst nachts flüsterten die erstarrten Lippen des Toten unerbittlich in das Ohr des Schlafenden:

»Wie kannst du es wagen, mit der Schwere meines toten Leibes drückend auf dir, ein Geweihter zu werden? Wie willst du es ertragen, in der Halle der Versenkung deine Seele im klaren Stein der Erkenntnis zu schauen, sie so zu schauen wie sie ist

Immer, durch die verrollenden Tage, die verrinnenden Stunden, fragte der Tote, und nie wußte der Lebende die Antwort zu geben, die allein Befreiung bringen konnte.

Nur die Nähe seiner Tochter wirkte wie ein Bannungszeichen auf Haparus Schatten, doch war der Anprall des Unsichtbaren doppelt stark, wenn Isolanthis gegangen war.

Aber all das stumme Elend, das an seinem Herzen nagte, war nichts gegen den Schrecken dieser Abendstunde gewesen, in der ihm Colotli Kunde gebracht, Haparus Tochter harre unten, im Hafen, ihres Vaters, der vor Wochen schon von Kem-kem abgereist war, und von dessen Ankunft in Poseidonis niemand etwas zu wissen schien.

Haparus Tochter!

Er hatte sie ganz vergessen gehabt, hatte sich nur an das Weib einer fremden Rasse erinnert, das Haparu zur Gattin erwählt hatte, und nun stand dieses junge Mädchen vor ihm – schlank, von bräunlicher Hautfarbe, ihrer Mutter Ebenbild, und daher weit eher ein Kind der dunklen Erde als Atlanterin, schmuckbehangen und das Gesicht erst verhüllt, bis sie in ihm einen Verwandten kennenlernte.

Haparus Tochter!

Er hatte sich vergeblich bemüht, sie von dem Umstand zu überzeugen, daß ihr Vater nie Fuß auf den Boden dieses Landes gesetzt haben konnte, und während er Lüge an Lüge reihte, zog ihn die Schwere dieser Schuldkette tiefer und tiefer in den Schlamm der Verzweiflung. Er durfte dieses fremde Kind weder bei sich behalten noch entlassen. Unerträglich war ihm Asenaths Gegenwart, doch noch weit mehr mußte er ihr eindringliches Fragen fürchten. Sein letzter Trost blieb Isolanthis. Sie würde irgendwie den richtigen Weg finden, deshalb sandte er Colotli, Kaburo und sogar Roxa in Suche nach ihr aus.

Vor ihm, kindlich und dennoch sehr selbstbewußt, Weib bis in die rotbemalten Nägel ihrer Finger und Zehen, nach fremden Ölen duftend, in fremder lockender Gewandung, saß – – Haparus Tochter!

Da wogte der Vorhang zurück, und erlöst rief er:

»Isolanthis, hier ist meines Vetters Kind, Asenath der dunklen Erde. Sie soll vorerst bei uns wohnen, und du wirst ihr Mutter und Schwester sein.«

Asenath trat grüßend näher. So reizend die Fremde war, glaubte Isolanthis doch, eine jener süßlich duftenden Blumen vor sich zu sehen, wie man sie im Haus des Genusses im Haar der roten Frauen fand, und es kostete sie Überwindung, jene Herzlichkeit zu zeigen, die dem jungen Gast gebührte. Starke lichtrote Ausstrahlungen und ein Schatten von Unaufrichtigkeit gingen von der Fremden aus. Durch diesen grauen Nebel zwang sich Isolanthis, Licht zu senden, und sagte freundlich:

»Mein Schlafgemach und all das, was ich an bescheidenen Gütern mein eigen nenne, steht dir zur Verfügung. Komm und betrachte dein künftiges Heim.«

So zog Asenath, die Tochter Haparus, in das Haus der weißen Blumen ein …

*

Isolanthis war unglücklich. Das fremde Mädchen klammerte sich in ungesunder Art an sie, hungerte ins Leben der Sinne hinein, entflammte Begehren im schönheitsliebenden Daminophis, erschütterte die Ruhe Ataxikitlis, der von geheimer Unrast gequält, und dem der Anblick des Gastes unerträglich schien, und verwirrte sogar Colotli, der merkwürdig oft und diensteifrig zu seiner Mutter kam, seit Asenath eingezogen war. Sie hatte auch immer allerlei Botengänge für ihn und behandelte ihn zuzeiten wie einen Sklaven, zuzeiten beinahe wie einen Gleichgestellten – beides von Isolanthis als unpassend verworfen.

Am schlimmsten schien es der Herrin im Haus der weißen Blumen, daß sie durch die wachsenden Sorgen um Vater, Heim und Wirtschaft – denn größte Einfachheit war geboten – noch immer nicht dazu gekommen war, eine friedvolle Stunde im Turm des Sonnenaufgangs zu verleben. Sie sehnte sich nach dem Frieden der Sterne und nach einer Aussprache mit dem Weisen. Dringend bedurfte sie seines Rates und mußte doch, anstatt an das Ewige, an das Befriedigen irdischer Wünsche ihrer Umgebung denken.

Während sie eifrigst die wäßrigen Knollen einer Art Wasserrübe putzte, gedachte sie ihrer flüchtigen Begegnung mit Sembasa am Ende des zweiten Walls. Fast wollte es ihr nun im Rückblick scheinen, als ob dieses Zusammentreffen kein zufälliges gewesen, denn er hatte nicht nur gütig wie immer mit ihr gesprochen, sondern ihr auch geraten, demnächst in die Höhle der müden Herzen zu pilgern, und zwar allein. Sie werde da – an einer genau angegebenen Stelle in diesem und diesem Gange – einen Stein finden, wie er selten gefunden wurde: tiefgrün und ganz klar. Diesen grünen Stein sollte sie künftighin in die linke Hand nehmen, wenn sie mit Menschen zusammenkäme, deren Ausstrahlungen zu prüfen angezeigt sein würde, um die Denkweise solcher Leute richtig zu beurteilen.

»Prüfe die Herzen anderer Menschen im Lichte des grünen Steins«, hatte er ihr geraten, »doch hüte dein eigenes Herz vor fremder Beeinflussung, denn von der Klarheit deines Wesens hängt die Klarheit des Steins ab.«

Vor dem Haus der Wissenschaften stehend, hatte sie ihm auch ihre Erfahrungen im Mondreich schildern müssen und hatte daran ihr Erstaunen über die Wandlungen in der Stadt der goldenen Tore geknüpft.

»Ich sehe dunkle Schatten«, hatte der Weise seufzend erwidert.

»Und … Arototec?« hatte sie geflüstert.

»Du mußt selbst schauen und selbst prüfen, weil du künftighin für dein Urteil einstehen mußt«, hatte er gesagt.

Da war es ihr, als hätte ihr jemand eine Bürde auf die Schultern gelegt. Erschrocken hatte sie aufgeschaut und das ermutigende Lächeln des Weisen gefunden.

»Immer hat deine Güte meinen Pfad erhellt«, hatte sie ihm gesagt und bemerkt, daß ihre Augen die Tränen kaum zurückzudrängen vermochten. »Erinnerst du dich noch, o Sembasa? Ich war noch klein gewesen und war so schnell die Stufen zu dir hinaufgelaufen, daß ich eine meiner Sandalen unterwegs verloren und mir am rauhen Gestein den Fuß verletzt hatte. Wohl sprach ich zu dir von dem, was ich gelernt hatte, aber mein Fuß blutete und meine Stimme bebte ein wenig. Da verließest du die Sterne und wuschest meine Wunde …« Und wieder hatten die Tränen hervorzubrechen gedroht, obschon ihr solche Schwäche sonst fremd zu sein pflegte.

Er hatte gelächelt.

»So sehr darf man nie in andere Welten versinken, daß man am Leid dieser Welt achtlos vorübergeht«, hatte er geantwortet und ihr freundlich zugenickt.

»Ich komme bald«, hatte sie ihm nachgerufen.

»Du wirst kommen, wenn die Zeit reif ist«, hatte er mit seltsamer Weichheit erwidert und war seinen Weg bergauf gegangen.


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