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Die Heimkehr der Isolanthis

Das Fahrzeug kam zur Ruhe wie ein Schwan, der das Ufer erreicht. Im Licht scheidender Sonne funkelten Türme und Kuppeln, glitzerten die mächtigen Riesenbogen aus Silber, schimmerten die Verkleidungen der drei ungeheuren Wälle und strahlte der heilige Dreizack auf Felsen, Bauten und Bogen – das Wahrzeichen von Poseidonis.

Isolanthis stand am Bug des großen Schiffes, das sie vom Reich des Westens, vom Mondreich, weil gegen Sonnenuntergang gelegen –, hierher gebracht hatte, und in ihre Augen traten Tränen. Das war sie – die einzigartige, wundervolle, märchenhaft wirkende Stadt der goldenen Tore, und über der unbeschreiblichen Pracht und Größe dieses Bauwunders wölbte sich fleckenlos und lichtflimmernd ein Himmel von merkwürdig hellem Blaugrün.

Auf dem Wasser der Bucht schaukelten der Schiffe und Barken viele, diese mit braunem Fischkopf und erhobenem Schuppenschwanz, auf dem Haupt stolz die drei goldenen Zacken, jene wie Riesenvögel mit unzähligen sich öffnenden Flügeln, die meisten flaggengeschmückt und mit bunten Teppichen reich behangen. Trotzig und rauh grüßten die Felsen, bläulich verdämmernd umspannten Berge und verlaufende Hügel die weite eiförmige Ebene.

Es war der Ankommenden übrigens nicht vergönnt, das bezaubernde Bild lange in Ruhe zu genießen, denn Kisten mußten ausgeschifft, prachtvoll verzierte Truhen verläßlichen Sklaven anvertraut werden, und kaum hatte sie die Steintreppe bis zur Straße erstiegen, so warf sich ihr schon ein junger, rotbrauner Mann aus dem Volke zu Füßen.

»Colotli? Bist du es wirklich? So gewachsen!« rief sie staunend. »Bist du nun brav geworden? Womit beschäftigst du dich?« Eine Frage, die dem Skorpion von Kindheit an recht unangenehm gewesen, auf die er jedoch nun mit komischer Wichtigkeit Antwort gab:

»Ich bin unseres hohen Königs erster Stallmeister …«

»Der Llamas?« erkundigte sich das junge Mädchen lachend.

»Llamas?!« Große Entrüstung durchbebte die Stimme des Jünglings, »Llamas? Keineswegs! Ich füttere, reibe ab, überwache und führe zu Übungszwecken bis hoch in die Berge die … königlichen Elefanten.«

»Was bist du vornehm, o Colotli«, lachte Isolanthis, wenig beeindruckt von so viel Würde. »Und wenn dein Kopf und deine Beine versagen, weil das Gerstenbier dein Gleichgewicht erschüttert hat, was dann, du großer königlicher Elefantenhüter?«

»Ja dann … aber es geschieht nicht oft, trägt mich der Leitelefant im Rüssel in den Stall zurück und legt mich auf das Palmenstroh im Winkel …«, gestand der Skorpion kleinlaut.

»Du könntest von deinen Schützlingen manches lernen, doch nun eile zu meiner lieben Roxa, deiner viel zu nachsichtigen Mutter, und sage ihr, daß ich heimgekehrt bin und sie erwarte …«

»Keine freudigere Botschaft könnte ich ihr bringen«, rief Colotli aufspringend, nachdem er den Saum des weißen Gewandes an die Lippen gezogen hatte, denn er verehrte Isolanthis. »Wann befiehlst du ihr Kommen?«

»Wenn der himmlische Ballspielplatz aufleuchtet …«

»Ehe das letzte Rot im Haus des Niederganges erloschen ist, legt sie sich dir zu Füßen …«, und weg war der Skorpion, von seltenem Tatendrang ergriffen. Isolanthis hüllte sich fester in den graublauen Umwurf, da sie unerkannt zu bleiben wünschte, lehnte eins der kleinen zweirädrigen Llamafuhrwerke ab und kletterte im Tiefschatten der Riesenbauten und des nahenden Abends langsam bis zur Ostseite des zweiten Walls hinauf, wo hinter dem Haus der Künste und Wissenschaften das einfache Haus der weißen Blumen lag.

*

Die meisten Bauten der Stadt hatten nur in den Türmen kleine dolchartig zulaufende Fensterspalten, durch die gedämpftes Licht fiel, daher brannte in dem unteren Raum schon die große künstliche Sonne. Der gelbrote Schein glitt an den düsterblauen Wänden nieder, griff in die finstersten Winkel und bildete auf dem unebenen Fußboden große rötliche Lichtpfützen, die Ataxikitli mit Schaudern an fließendes Blut erinnerten. Flaches Brot, etwas Obst und ein Zinnkrug voll billigen Gerstenbiers wurden eben von Kaburo auf die kahle Steinplatte gestellt, als leichte Schritte hörbar wurden und sich treppauf näherten. Erstaunt blickten Herr und Sklave einander an. Wer sollte gegen Tagesende …?

Es blieb ihnen keine Zeit zu langem Grübeln, denn eine zarte Frauenhand bog den Vorhang zurück, das verhüllende Tuch sank auf die schmalen Schultern, eine Fülle von Haaren zeigte sich und, von wallender Flut umrahmt, ein schmales Gesicht mit großen ernsten Augen.

»Isolanthis!«

Das junge Mädchen kniete vor Ataxikitli nieder und legte seine zitternde Hand wie um Segen bittend auf ihr Haupt.

Als er stumm blieb und sie nur das Zittern seiner kalten Rechten fühlte, bat sie, von etwas wie auskeimender Furcht erfüllt:

»Vater … segne meinen Eingang, wie du vor sieben Jahren meinen Ausgang gesegnet hast.«

Er murmelte scheu, mit zuckenden Lippen, einige unverständliche Worte und zog sie hoch.

»Du kommst so plötzlich, so ganz unerwartet daher … und mein Staunen …«, seine Hand fuhr über den breiten Stirnreifen, als versuchte er etwas wegzuwischen.

»Ich hoffte«, sagte sie leise, »du … würdest dich freuen.«

Da sah Ataxikitli wieder den langen öden Weg endloser Lügen vor sich und sammelte Kraft, ihn zu beschreiten. Wie aus einem Traum erwachend, lächelte er und sagte:

»Gewiß freue ich mich. Sieh nur, wie Kaburo schon mit frischen Früchten herbeistürzt, so schön und groß, wie er sie nie für seinen Herrn findet. Glaube nicht, daß meine Freude gering ist, o Tochter. Es … es trifft mich nur alles Unerwartete immer wie ein Schlag. Wenn der Ball des Lebens abwärtsrollt, wird die kleinste Erhebung zum Berg, obschon es nicht so sein müßte. Labe dich!« Er winkte Kaburo, noch eine Trinkschale zu bringen. »Ich fürchte, daß die Fahrt dich entkräftet hat.«

»Sie war besser, als man hoffen durfte. Die Boten hatten Eile, und daher ruderte man, wenn der Wind abflaute …«

»Welche Boten und wozu solche Eile?«

Er ließ das Gerstenbier in die silberne Schale schäumen und war im Begriff, seiner Tochter den Trunk zu reichen, als sie erwiderte:

»Die Boten Tehuans, des Thronerben …«

Die Schale polterte zur Erde. Wie dunkles gestocktes Blut floß das verschüttete Bier über die Fliesen.

»Vergib«, bat Isolanthis weich, »ich hatte keine Ahnung, daß Siotatls Tod dich so erschüttern würde. Du mochtest ihn nie sonderlich.«

»Tot … tot …«, stöhnte Ataxikitli dumpf.

»Ja, an einer Seuche, der viele erlagen, auch der mutmaßliche Erbe, deshalb hat Tehuan, sein Neffe, den Thron des Mondreiches bestiegen.«

»Hat man nicht …«, die Zunge des Sprechenden klebte am trockenen Gaumen, »immer daran gedacht, Tehuan …« Er verstummte. Es war ihm unmöglich fortzufahren.

»Allerdings«, entgegnete Isolanthis befremdet, doch erratend, was er unausgesprochen gelassen, »er sollte den Thron von Atlantis besteigen, doch nur im sehr unwahrscheinlichen Fall, daß alle Thronerben stürben. Nun jedoch muß er über Akozetatl herrschen, denn nur ein König aus unserer Sippe darf diese Krone tragen. Die übrigen Thronerben haben nicht mehr unvermengtes Blut.«

Ataxikitli stützte sich auf die schwere Tischplatte.

»Drei Leben«, stöhnte er, »drei Leben!« Und mit wachsender Qual im Herzen dachte er, »drei Leben, die durch Gesetz oder Tod entfallen und … Haparu!«

»Seltsam, wie die Thronerben sich plötzlich vermindern, gerade, wenn Naxitli sich dem Haus des Niedergangs nähert«, sagte Isolanthis betrübt und betrachtete die veränderten Züge ihres Vaters, die sich so eigentümlich verfinstert hatten und auf denen ein Abglanz von schreckhafter Erwartung lag. »Siotatl ist tot, der Lieblingsneffe am gleichen Tage wie er begraben, Tehuan nun König von Akozetatl, Amenavit hat auf die Thronfolge verzichtet, weil er …«

»Verzichtet?!« schrie Ataxikitli auf und ein Schluchzen entrang sich seiner Brust. »Wann? Warum?«

»Er lebt in Acre, wo ihm große Besitzungen zuerkannt wurden, und wo er unseren Glauben und unsere Kultur verbreiten will. Das ist eine Lebensaufgabe, die er nicht unterbrochen wissen möchte, und deshalb brachten Boten vor kurzem diesen seinen Entschluß auf Stein und auf Leder geschrieben in zwei Abschriften hierher. Wußtest du es nicht, Vater?«

Er starrte sie an, ohne sie zu sehen. In seinen Ohren brauste es wie ein Sturmwind, und vor seinen Seelenaugen stand nun grinsend und frohlockend Haparu. Was er sich ein Leben lang so glühend ersehnt hatte, es näherte sich ihm mit schreckhaft großen Schritten. Nur noch zwei Leben, wo vor einem Jahr noch sieben hindernd gestanden, und von diesen Leben konnte eins täglich erlöschen …

»Wußtest du es nicht?«

Aus weiter Ferne kam die Frage.

Nein, er hatte nichts gewußt, denn nach der Ankunft der Boten aus Aere war …

Isolanthis sprang vorwärts und hielt, vom Sklaven unterstützt, den Fallenden auf.

Als er seine Besinnung zurückgewann, kniete Isolanthis an seinem Lager und fragte besorgt:

»Was beschwert dein Herz, o Vater?«

Mühsam eroberte er seine Beherrschung zurück, vermochte freundlich zu erwidern:

»Nichts … nichts. Ich fühle nur stärker als in meiner Jugend die Last des Neuen. Die Zeit rollt über uns hinweg, wie eine Meereswoge über Sand und Muscheln rollt, rücksichtslos, jähe Umwälzungen schaffend. Das Alte entgleitet, und in das Folgende wachsen wir Herbstelnde nicht mehr hinein …«

Isolanthis seufzte. Sie begriff nicht den erstaunlichen Umsturz in seinem Wesen, sie fühlte nur, daß sie zu einem Fremden heimgekehrt war.

»Geh zu den Blumen, zu deinen weißen Blumen …«, bat er und strich der Knienden über das weiche wellige Haar, »und gönne meinem müden alten Herzen Ruhe. Im Mondlicht, das einer Segnung gleicht, möchte ich später mit dir sprechen, denn ich habe dir viel, viel zu sagen, auch von deinem alten Bekannten im Haus der Wissenschaften …«

»Von Arototec?« fragte sie, sich gehorsam erhebend, um in den Turm hinaufzusteigen, der seit den Tagen ihrer einsamen Kindheit ihr Lieblingsort gewesen.

»Ja. Naxitli, der Getreue, ernannte ihn vor kurzem zum Thronratgeber. Der König ist ganz vom Anschauungswasser des Erfinders durchtränkt«, erklärte er bitter.

»Sein Ruhm reicht von Sonnenaufgang zu Sonnenniedergang … man nennt ihn den klügsten Mann nicht nur von Poseidonis, sondern von ganz Atlantis. Alle Reiche bewundern ihn.«

»Mag sein, doch steht er im Bann der dunklen Mächte, und lichtlos ist alles um ihn her.«

Er wandte sich ab, und Isolanthis ließ lautlos den Binsenvorhang hinter sich fallen.


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