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Das Gespenst

Asenath ölte ihren jungen geschmeidigen Körper und sprach von Liebe. Ihre Gedanken umschwirrten diesen einen Punkt wie Bienen eine honigträchtige Blume. Konnte es Schöneres geben als sich umfangen fühlen? War diese rauschende Unrast des Herzens nicht tiefere Seligkeit, als man sie von allen Gärten der Seele erhoffen durfte? Leuchteten nicht alle Farben heller, dufteten nicht alle Blumen stärker, wenn die Hand in der des geliebten Mannes ruhte?

Isolanthis schüttelte das Haupt.

»Du magst mit deinem Leib einen Mann eine Nacht hindurch berauschen, zwei Nächte, drei … dann gleichst du einer Frucht, an der er sich satt gegessen. Im Bestfall wird ihm, vermagst du vielgesichtig seinen Sinnenrausch erneut zu entflammen, dein Leib Bedürfnis. Wenn du dich – eben erst zum Gefühl seligen Gebundenseins an ihn erwacht – an ihn klammerst und deines Herzens Wurzeln sich einer Kletterpflanze gleich um ihn schlingen, liegt das Erleben schon wie tausend Sommer hinter dem Manne, der Freiheit ersehnt, um neues Erfahren zu suchen …«

»Ich wandle den Weg der Liebe …«, und Asenath warf die dicklichen Lippen trotzig auf.

Isolanthis seufzte. Sie hatte vergessen, daß jeder Weg zuerst durch die Trübung der Sinne führen mußte, ehe er zum Licht zurückfand.

»Welche Freude liegt im Verzichten?« fragte spöttisch Asenath.

»Freude?« wiederholte Isolanthis sinnend. »Das Sein bietet wenig Freuden, außer wenn der Quell deiner Freude in reiner Kunst wurzelt, oder in etwas, das fern von dir selbst ist. Doch bitterem Leid kannst du entgehen, wenn du fern vom Rausch der Sinne wandelst. Schenk dich zu flüchtigem Genuß einem Manne, und du verlierst sowohl dich wie auch ihn. Entziehst du dich ihm aber, so gleichst du einer Blume hinter hoher Mauer blühend, deren lockender Duft ihn nur selten durch die Gunst des Windes streift.«

Während Isolanthis sprach, raffte sie ihre Gewänder und die leichte Wolldecke zusammen, mit der sie sich gegen die Kühle vor dem Morgengrauen zu schützen pflegte, und stieg, Asenath eine erquickende Ruhe wünschend, ins Turmgemach hinauf. Es ging etwas von der Tochter Haparus aus, was Isolanthis störend, weil nicht mit ihren eigenen Schwingungen mitschwingend empfand, daher hatte sie sich entschlossen, künftighin im winzigen Turmgemach zu nächtigen. Als sie sich in die Decke wickelte, sann sie schlaftrunken darüber nach, ob es Trieb war, dem man nicht entgehen konnte, oder nur ein Hang, dem man sich nicht entziehen wollte, was so mächtig in den Menschen mit- und durchklang. War dieses unwiderstehliche Zusammenschmelzen zweier Wesen zu flüchtigem Genuß ein Zwang der Natur, ihren Urzweck zu erreichen, oder war es – wo an keine Fortpflanzung gedacht wurde – nicht weit eher tierische Sucht nach einer Lust, der, für den Mann in jedem Fall, keine andere gleichkam? Bedeutete die Loslösung von diesem körperlichen Hang Aufstieg, oder mußten die meisten Menschen ihm unterworfen bleiben, weil er eine Erdnotwendigkeit darstellte?

Wer diesen stärksten Trieb überwunden hatte, stand wohl schon auf der Schwelle des Göttlichen …

Ach, weit war der Weg, durch viel Dunkel, über viel Schweres führend.

All das erwägend, um Asenath ganz gerecht zu werden, schlief Isolanthis endlich ein.

*

Schon erloschen die Sterne allmählich im Hause des Hellwerdens, als ein andauerndes dringendes Pochen die Schlafende in die Welt der Dinge zurückrief. Angestrengt lauschend, stellte sie fest, daß die sonderbaren Geräusche nur aus der Mauer selbst kommen konnten. Es war, als bitte jemand ununterbrochen um Einlaß oder um Befreiung, und während sie auf die gegenüberliegende Wand schaute, war es ihr, als öffne sich eine Lücke.

Isolanthis setzte sich auf. Der Begleiter der Morgenröte warf einen matten Schein in den Raum und tauchte die Steine ringsumher in blaugraues Dämmern. Plötzlich schien es dem jungen Mädchen, als hielten zwei Totenhände den Stein umfaßt, der in die Lücke gehörte, und ließen ihn nun mit dumpfem Gepolter fallen. In der Öffnung zeigte sich ein festumschnürtes Haupt – blutgeschwärzt, fleischlos, mit toten Augen … Die Schatten waren zu tief, um mehr erkennen zu lassen, doch auch das Wenige genügte. Isolanthis erkannte nur noch den grellbunten Teppich, den Siotatl vor vielen Jahren ihrem Vater geschenkt und den sie seit ihrer Rückkehr vermißt hatte, dann lösten sich Finger wie Krallen aus den tiefen Falten und streckten sich ihr wie bittend oder beschwörend entgegen. Da verlor das junge Mädchen die Besinnung …

Die Sonne schüttete schon ihr Gold durch den engen Spalt, als Isolanthis erwachte. Roxa ordnete eben die schlichten Gewänder und drehte sich erstaunt um, als ihre Herrin gebieterisch ausrief:

»Den Stein, wohin hast du den Stein gelegt?«

»Welchen Stein?«

»Den aus …?« und ihr Blick streifte die gegenüberliegende Wand; da war alles wie immer und nirgends auch nur die Spur einer Lücke zu entdecken.

»Hast du nichtsgefunden, Roxa? Ich meine, war mein Zimmer ganz leer, als du eintratest?«

»Nun du mein Gehirn durch den Wind deiner Fragen vom Staub des Vergessens gereinigt hast, fällt es mir ein, daß ich mich ärgern mußte. Als ich nämlich den Vorhang zurückschlug, liefen da zwei jener häßlichen Käfer auf mich zu, die wir in meinem Lande ›Leichenschatten‹ nennen, weil man sie immer auf Aas findet. Und wo wäre in unserem lichten Haus derlei aufzuspüren? Ich nahm daher rasch eine meiner Sandalen und schlug sie tot. Nun haben die Ameisen des Gartens gewiß die letzte Spur vertilgt.«

Isolanthis sandte die Sklavin unter einem Vorwand nach unten und versuchte die gleiche Frage zu lösen. Wie kamen diese Käfer, die um Leichen schwirrten, hierher in ihr lichtes Turmgemach? Was bedeutete der Traum, wenn der schaurige Vorfall im Morgengrauen nur Traum gewesen war? Und wohin war der bunte Teppich aus Akozetatl gekommen? Das, in jedem Falle, mußte in Erfahrung zu bringen sein.

Nach dem Morgenbad begab sie sich in die kleine Halle, in der ihr Vater, über das Zeitbuch geneigt, nahezu alle Stunden des Tages verbrachte. Er blätterte in dem großen Band, als suche er nach etwas Verlorenem.

Unwillig sah er auf, als sie den Vorhang beiseiteschob.

»Verzeihe die Störung«, sprach sie, und ihre Stimme bebte bei aller Beherrschung ein wenig, »doch muß mir Gewißheit werden. Ein sonderbarer Traum quälte mich heute …«

»Was wünschest du zu wissen?« fragte Ataxikitli dumpf.

»Vor Jahren«, begann sie stockend, denn es war ihr, als stünde sie vor grausiger Offenbarung, »schenkte dir Siotatl einen großen bunten Teppich. Er pflegte im Eßgemach …«

»Ich habe ihn weggeräumt … vor langem …«, erwiderte ihr Vater, ohne aufzusehen.

»Wohin?«

Sehr ruhig klang die Frage. Sie fühlte, daß sie die Wahrheit wissen mußte, wie immer sie auch darunter würde leiden müssen. Alles war besser als dieses Unwissen.

»Ich … weiß es nicht. Was kümmert es dich?«

Nie hatte er so hart zu ihr gesprochen, nie so feindlich ablehnend gewinkt, daß sie sich entfernen möge.

»Vater …«, sie trat näher, »welch furchtbares Geheimnis umgibt den roten Teppich? Sprich!«

»Ein … Geheimnis? Was meinst du?«

Große starre Augen, die ihren Blick mieden, zuckende Hände, die etwas gewaltsam wegschoben, dann belebten sich seine schlaff gewordenen Züge wieder, und er entgegnete hart:

»Bin ich dir Rechenschaft schuldig?«

»Nicht mir«, sagte sie sehr sanft und sehr traurig, »doch läßt sich nie verbergen, was da ist. Der Tote …«

»Welcher … Tote?«

Da flüsterte sie mit Augen, die sich weiteten:

»Der Tote im bunten Teppich, Vater, oben … im Turmgemach …«

»Tochter!« schrie er auf und sank vom Sitze herunter.

Kaburo stürzte herbei, und vereint betteten sie den Kranken auf sein Lager. Als Ataxikitli die Augen aufschlug, winkte er ihr, ihn allein zu lassen.

»Muß zwischen uns ein Schatten stehen?« fragte sie betrübt.

»Manches erträgt man durch Sprechen und manches – – durch Schweigen. Wenn du mir helfen willst, so … entferne Asenath. Ihre Gegenwart tötet mich.«

Ehe es dunkelte, hatte Isolanthis für Haparus Tochter ein neues Heim gefunden. Die Gattin Erikikatls, des Hüters der Kronschätze, war kinderlos und gern bereit, Asenath zu sich zu nehmen. Sie war reich, und ein junges Mädchen, das sich schmücken und mit dem es sich gut plaudern ließ, war eine willkommene Zerstreuung. Roxa trabte zufrieden treppauf, treppab, um alles zu reinigen, denn auch sie freute sich über das Scheiden des Gastes.

Sie stellte Tempelblüten in eine hohe Vase, um das Gemach zu durchduften, und füllte eine Schale mit wohlriechendem Kräuterwerk.

»Damit wir gut riechen«, murmelte sie, denn sie sprach von ihrer Herrin gern in wohlklingender Mehrzahl. Das verlieh ihr das Empfinden, irgendwie mitbeteiligt zu sein.

Ataxikitli erholte sich rasch, doch mied er seine Tochter. Kaburo bediente ihn und brachte Nachricht über sein Befinden.

Weil sie sich überflüssig dünkte, und auch um neue Kraft zu sammeln, entschloß sich Isolanthis, die Höhle der müden Herzen zu besuchen und Ausschau nach dem grünen Stein zu halten, dessen sie mehr und mehr bedurfte.


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