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Das Fest der fernen Seelen

»Die Welt gleicht einem uferlosen Meer, auf dem ich als einzelne Barke treibe«, dachte Ramon Phtha traurig. »Die Gespenster, die man Menschen nennt, gleiten an mir vorüber und zählen nicht. Mein Herz hängt nur an einer Seele: Isolanthis.«

In den Gärten des zweiten Walls dufteten die Blumen. In bläulichen Dunst wie in wogenden Weihrauch gehüllt, wachten der Schläfer und der Schweigsame unter goldenem Wolkenschirm, dann umfing die Nacht mit ihren lauen Armen die Stadt der fließenden Wasser.

Das Tor eines kleinen Tempels stand offen. Ein matter Schein fiel auf das Steinpflaster davor. Schweigsam, einzeln, in Abständen voneinander traten die Menschen in diesen bescheidenen Bau, den Ramon Phtha bisher immer nur gesperrt gesehen hatte.

»Tritt auch du ein, so du einsam gehst im Leben«, sagte eine Stimme hinter ihm.

»Ist es ein Tempel der Fremden?«

»Ein Ort für jedermann«, erwiderte der Unbekannte. »Man feiert heute das Fest der fernen Seelen. Es gibt Menschen, die einsam durch dieses Sein gehen müssen, ohne Liebe und ohne Glück. Sie leben nicht wirklich, denn sie warten im Grunde immer auf etwas, das kommen soll, und das doch ausbleibt. Einmal jährlich pilgern sie hierher in den Sternentempel und senden die Wellen ihres Sehnens hinaus in das All, dabei um Wiedervereinigung mit der Schwesterseele bittend.«

Der Fremde winkte einladend, und der Pharao folgte ihm schweigend, merkwürdig ergriffen, in den hohen und stillen Raum, in dem – bis auf einige mattschimmernde Sterne an den Wänden – völliges Dunkel herrschte. Vor dem Altar kniete ein Priester, und leise sangen Priesterinnen im Hintergrund. Allmählich durchglühte den Tempel tiefrotes Licht, das Sinnbild selbstloser wärmender Liebe, heller und heller. Uber dem Altar hing ein großer Stern mit den sinnbildlichen sieben heiligen Strahlen, denn sieben Wege gab es für eine Menschenseele, und einer davon war der Pfad der Liebe. Als Ramon Phtha eintrat, sah man den Stern noch nicht, doch während der junge König stand und wartete und die tiefe Stille ringsumher seine Seele zur Ruhe wiegte, wuchs das Licht im großen Stern und wurde zu so strahlendem Schein, daß die staubgetrübten und tränenmüden Augen der Beter davon wie geblendet waren.

Der Unbekannte neigte sich dem Pharao zu und flüsterte kaum hörbar:

»Viele von uns erkennen die Schwesterseele, denn wir Atlanter sehen oft in zwei Welten. Zuzeiten jedoch geschieht es, daß eine Seele andere Wege auf anderem Stern wandert, und dann läßt sie die Schwesterseele hier verwaist zurück.«

»Warum wählt sie andere Wege?« flüsterte Ramon Phtha gequält zurück. Eine tiefe Angst durchbebte ihn. Wie, wenn Isolanthis sich entschließen würde, ihre Erfahrungen auf anderem Stern fortzusetzen? Wenn er sie nie wieder fände; weder in diesem Leben noch in einem anderen mit ihr vereint sein dürfte?

»Um ihre Erfahrungen zu bereichern oder um zu helfen«, sagte der Fremde, »doch bleibt sie nicht auf immer von der Schwesterseele entfernt. Seelenliebe ist etwas, das immer von neuem bindet und zueinander führt.«

Bitter dachte Ramon Phtha, daß es schon Kummer genug sein würde, wenn er sie Leben auf Leben suchen müßte, ohne sie zu finden …

Er hatte sie sofort erkannt, damals auf den Palaststufen, sie jedoch erriet nicht, daß sie zusammengehörten auf immerdar.

»Wie ist es möglich, daß eine Seele die andere nicht erkennt?«

»Wenn eine hohe Pflicht sie zwingt, allein zu gehen, dann darf sie nicht erkennen, darf nicht warten, nicht rasten, nicht einmal hoffen. Später, im nächsten Sein, einmal ganz unfehlbar im Laufe der Zeiten, kommt die Vereinigung.«

»Sie hat mich nicht erkannt, sie wird mich wohl nie erkennen …«, und Ramon Phtha war es, als müsse sein Herz darüber brechen.

»Du verstehst als Ausländer wohl nicht die alte heilige Sprache? Soll ich dir die Worte übersetzen, die in Rmoahal über dem Stern geschrieben sind? Der Spruch ist so alt wie die Welt und so unvergänglich.«

»Sag ihn mir!«

Flüsternd las der Unbekannte:

»Herzen, die das Glück berauscht, oft wanken;
Seelen, die das Leid gereift, einst danken.
Wenn den lichten Pfad sie gehen,
vereint vor letztem Stern sie stehen …«

Der Priester hob die Opferschale, und das wärmende Licht fiel auf sein weißes Gewand sowie auch auf den bläulichen Boden des Raumes. Wie eine Verheißung stand der Opfernde im Glanz des großen Sterns mit den sieben Zacken da, während die vielen Sternchen an den Wänden allmählich verglommen und sich die Tore des Tempels wieder öffneten.

Ganz still traten die Beter hinaus in die laue Nacht.

Den Weg entlang standen viele schlanke Knaben, alles vater- und mutterlose Kinder, alle ganz in Weiß gekleidet, jedes einen Stern in Händen haltend, in dem ein Lichtchen brannte. Jeder Stern hatte sieben Zacken, und sein weiches Licht fiel erhellend auf den Erdboden.

Reglos standen diese Knaben, endlos schien die Reihe, die sie bildeten. Stumm schritten die Beter an ihnen vorüber.

Im Dunkel der mondlosen Nacht nur diese flimmernden Sterne; in der durchdufteten Stille nichts als das kaum hörbare Knistern der Lichter.

Am äußersten Ende der Reihe wartete jedoch ein Knabe, der einen größeren und helleren Stern emporhob, aus dem ein strahlendes Licht den Betern entgegenströmte.

»Lang ist der Weg bis zum letzten Stern, und oft schwer und einsam«, sagte der Unbekannte leise, »doch vor dem letzten Stern verbinden sich die Schwesterseelen und sinken vereint ins Licht zurück …«

Pharao Phtha seufzte tief auf. Im Ungestüm seiner Jugend schien ihm das Warten, jedes Warten, unerträglich.

»Geh deinen Weg in Zuversicht«, flüsterte der Unbekannte ihm ins Ohr, »so wirst du deinen Stern finden …«, und er verschwand im Dunkel.

»Vielleicht wird ihre Seele dennoch die meine erkennen … einmal … in kommenden Zeiten …«, seufzte der junge König, den Berg niedersteigend, »o meine Schwesterseele Isolanthis!«


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