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Im Haus der weißen Vögel

Der Morgen lag auf den Bergen.

Er küßte die Silberbogen, er lachte in die Gärten der Ostseite mit ihrem bunten Geblühe, und nur an Arototecs Erholungsplatz scheiterten seine Versuche. Der hochummauerte Ort mit seinen säulenartig gestutzten Eiben glich einer Beerdigungsstätte.

Pharao Ramon Phtha eilte, ebenfalls den Morgen im Herzen, dem Hause des Künstlers Daminophis zu. Er liebte das Leben, er liebte die Krone, und er liebte vor allem Isolanthis. Sie erfüllte seine Gedanken am Tage wie Sonnennebel und durchzitterte seine Träume: sie war ihm Auftakt und Abtakt des Seins.

An unüberwindliche Hindernisse glaubte er nicht. Wie auch? Er war schön und jung und trug nicht unwürdigerweise den Beinamen der Tapfere. Nichts kam ohne Kampf, doch Kampf bedeutete für ihn nur Sieg.

»Das Haus der weißen Vögel?« rief er einem Vorübergehenden zu.

»Im zweiten Wall«, hieß es, »mit dem Blick auf die Berge. Es hat eine hohe Mauer aus lichtem Stein und über dem Torbogen Blüten von der Farbe wie Wolken bei Sonnenaufstieg.«

So flog er dahin, daß sein langes Haar flatterte.

Richtig! Da waren sie schon, schwerduftend, vom Morgenlicht umsprüht, wie begrüßend herabgeneigt, und dahinter das hellblaue Haus mit den drei weißen Vögeln, die niederzuflattern schienen. Der Pfad bis zum Eingang bestand aus hellgetönten glatten Steinen, und an der Hauswand selbst waren Figuren eingeritzt, die Kunst darstellend, weiche Frauengestalten, die teils über dem Haupte, teils in beiden Händen eine Schale mit dem Opferfeuer hielten.

Daminophis eilte dem Pharao entgegen.

»Sei mir gegrüßt und willkommen!«

Ganz in Lichtblau und Gold gekleidet, mit seinen gütigen Augen, schien er dem König die Verkörperung menschlicher Wärme. Wo immer er auftauchen mochte, wirkte er wie ein Sonnenstrahl.

»Willst du mir alles erklären?« bat Ramon Phtha lebhaft.

»Gern, so du es wünschest«, erwiderte der Künstler mit sichtbarer Freude. »Das Haus, wie es ist, habe ich ganz allein entworfen. Die kniende Figur hier auf dem Sockel unweit des Eingangs stellt die Anbetung des Lichtes dar, und die Frauen mit den Opferschalen sind mein Dank gegen die Gottheit für die Gabe der Kunst und drücken meinen Willen aus, mit meiner Kunst meinem Gotte zu dienen. Hier«, er wies auf das Wasserbecken zur Linken, »siehst du meines Gottes Verkörperung. Du verstehst, daß man Unfaßliches nicht darstellen kann, man verleiht ihm nur irgendwie Form, um eine, wenn auch ganz ungenügende Vorstellung damit verbinden zu können. Das allein habe ich versucht.«

Ramon Phtha staunte über die hehre Ruhe, die wie ein himmlischer Abglanz auf der Gestalt ruhte, deren Gewand weiche Wellenlinien trug, um deren Haupt der Stirnreifen mit dem Dreizack lief, und die in ihren ausgestreckten Händen ebenfalls einen goldenen Dreizack wie ein Krone hielt, aus der das Wasser in feinen Schleiern niederfloß. Um das weite Becken spielten silberne Fische. Rechts vom Eingang war ebenfalls ein Springbrunnen aus Silber, doch hier hielten, in gewissen Abständen voneinanderstehend, Seejungfrauen, auf ihren Schwanz gestützt, ein Silberband in Händen, und zwar hob die oberste Gestalt das Band hoch über das Haupt, die mittlere Figur empfing es geneigt und die unterste vertrauensvoll und demütig zugleich in kniender Stellung.

»Der Kreislauf des Seins …«, bemerkte Daminophis.

»Ich weiß, ich weiß …«, rief Ramon Phtha eifrig. »Isolanthis erklärte es mir in der Halle der Erkenntnis …«

»So hat sie dich hingeführt?«

Der Pharao nickte.

»Da hast du den besten Führer gehabt, denn sie las schon als Kind alle Inschriften in Rmoahal und lernte später gar viel im Hause der Wissenschaften. Sembasa lehrte sie den Weg der Gestirne, und Arototec«, seine Züge verfinsterten sich, »den der Kräfte.«

»Doch den Weg des Glückes, des Lebens kennt sie nicht«, sagte Ramon Phtha betrübt. Innerlich war er fest entschlossen, auf diesem Pfad ihr Lehrer zu sein und die Blüten seiner sorgenden Liebe darauf zu streuen.

Daminophis sah die plötzliche Versunkenheit und erriet die Ursache. Viel schärfer als der junge Fremdling erkannte er die ungeheuren Hindernisse, die Gefahren, das schier Unmögliche solchen Beginnens, doch erfaßte er mit dem warmen Verstehen des Künstlers die grenzenlose Liebe in des jungen Königs Herzen und entschloß sich, wenigstens nie hemmend einzugreifen. Helfen konnte und durfte er nicht, aber abseitsstehen und nicht hindern, das war ihm gestattet. Auch war es möglich, daß die hereinbrechenden Schwierigkeiten, der Widerstand von allen Seiten, vor allem Arototecs Zielsicherheit im Vorgehen, den liebwerten Jüngling entmutigen und ungefährdet heimführen würden in sein lichtes Land. In diesem Fall sollte er die besten Eindrücke hoher Kunst mitnehmen.

»Komm«, sagte Daminophis daher sehr entschieden, »ich werde dir meine neuesten Entwürfe zeigen. Mein Kopf ist wie der Schweigsame drüben, es steigt da immer viel Rauch auf. Manchmal verdichtet er sich zu neuen Gebilden, noch öfter verliert er sich, vom Wind heranbrausender Eindrücke verweht. Tritt ein!«

Die Räume, durch die er den König der dunklen Erde führte, waren alle licht und hoch, blau oder grün gehalten, die Wände reich verziert, alle Nischen voll Vasen, in denen die farbenprächtigsten Blumen dufteten und glühten; an den Säulen der Mittelhalle waren zahllose Verzierungen zu sehen, eigene Entwürfe, Licht und Wärme verkörpernd. Dank an die Gottheit, Frohsinn des Herzens, das Sehnen nach Vollendung, den Segen der Kunst und auch manches, was sich dem Verstehen des jungen Gastes entzog.

»Nun führe ich dich auf meinen Arbeitstummelplatz«, lachte Daminophis, »wo der Geist der Unordnung mit dem der Begeisterung kämpft. Ich lasse nur Bevorzugte hinein. Schau, so möchte ich eine neue Vase gestalten: Ein feiner Kelch, sich zur Knospe weitend, mit einem Falter wie darüberschwebend, den äußersten Rand nur mit seinen feinen Füßchen berührend, und als Untergrund des Ganzen die Knollenwurzel, aus der die Blume sich entwickelt.«

»Wie entzückend!« rief Ramon Phtha unwillkürlich seufzend. »Du gehörst schon zu den Größten deines Landes und bist noch so jung!«

»Ich verdanke das wohl mittelbar Isolanthis, die mich, als ich noch ein kleiner Knabe war, immer anspornte und, wenn wir im Spiel etwas kneteten, mir in ihrer ein wenig befehlenden Art zurief: ›Daminophis, mach das‹, ›Daminophis, mach das so, versuch jenes‹, oder: ›Warum läufst du den Spuren anderer Künstler nach wie ein Hund den Fußabdrücken seines Herrn? Schaff eigene Formen, du schaust in die Welt mit deinen Augen, nicht mit den Augen eines anderen, und du erlebst Dinge in deinem Herzen, gib daher in der Kunst dein Eigenes.‹ So lernte ich es.«

Ein Diener brachte Erfrischungen, und Daminophis griff zu einem Musikwerkzeug, das er selbst entworfen und ausgestattet hatte. Es war eine Art Harfe, doch in Dreieckform, oben die drei heiligen Zacken tragend, das Gold der Umrandung innen rotbemalt.

»Rot ist das Leben im Stoffe, auch die Leidenschaft, und wenn man zu Speis' und Trank spielt und singt, muß Frohsinn dabeisein, doch umgibt meine Harfe reines Gold, um anzudeuten, daß die tiefsten Herzensklänge, so vermittelt, Gold sind. Ich verfasse Worte und Tonfolge selbst.«

Die frauenhaft zarten Finger des Künstlers glitten über die Saiten hin, und sofort quollen tiefe, nachhallende Töne durch das Gemach. Er sang dazu – von Liebe, die wie ein Mondstrahl unversehens ins Herz sickerte und alles in jähes Licht tauchte; von der Kunst, die einem Wasserstrahl glich, der in das sonst leere Becken der Menschheit siel; von Poseidon, dem Gründer des Landes, vom Leben, das aus dem Frühling kam, um in den Herbst zu steigen, zu besserer Wiedergeburt versinkend, und Ramon Phtha lauschte entzückt. Seine umherstreifenden Augen hatten unter einem roten Tuche die Umrisse einer Figur entdeckt, und er glaubte annehmen zu dürfen, daß es sich um die Erbprinzessin handelte. Liebte der Künstler Isolanthis? Und wie sollte er nicht? Der Gedanke war quälend, doch wagte er keine Frage …

Daminophis war sein Freund, das glaubte er schon zu wissen. Er würde wohl nie gegen ihn kämpfen, wenn er einmal wußte, wie sehr …

»Nun sollst du mich hinab ins Haus der Künste begleiten«, erklärte der Künstler sehr entschieden, denn er war dem Blick gefolgt und erriet die Gedanken seines plötzlich so ernst gewordenen Gastes. »Da werde ich dir noch eine Reihe fertiger Arbeiten zeigen!«

Er legte die Harfe wieder auf den Boden zurück und schritt dem Pharao voran durch die lichten Räume und durch den schwerduftenden Garten mit seiner farbenschillernden Blumenpracht bis auf die Straße hinaus und seitlich am Wall entlang bis zu einem riesigen Torbogen.

»Lag nicht hier irgendwo das Haus, in dem …«, begann zögernd Ramon Phtha.

»Ja, ganz da drüben, in gleicher Luftlinie mit dem Turm des Hauses der Wissenschaften, doch dicht am höchsten Wall gelegen. Ein schmaler Spalt führt vom Ende des Gartens hinein in den Tempelhof, und als Kind pflegte Isolanthis da hindurch auf den einsamen Herrscherweg zu schlüpfen. König Naxitli hatte es ihr gestattet. Nun geht sie selbst den Weg der Herrschenden.«

»In jenem Häuschen«, sagte der Pharao weich, »das über dem Eingang eine Mondsichel und darunter drei Tempelblüten hat?«

»Man nannte es das Haus der weißen Blumen …«

»Ach, und eine weiße Blume ist auch sie …«, seufzte der junge König.

»Du hast recht, sie gleicht einer Mondblume, doch du weißt«, und hinter den Worten grollte es wie ferne Warnung, »daß man diese Blumen auch Tempelblüten nennt, weil sie nur zu heiligen Zwecken verwendet werden sollen.«

»Ist Liebe nicht auch etwas Heiliges?« fragte Ramon Phtha, der fand, daß es im Reich der Poseidonier etwas zu sehr von Verboten wimmelte. Jeder Mensch, der seinen Pfad kreuzte, schien eine lebende Warnungstafel. Wovor?

»Nun, wir wollen nicht in die tiefsten Fragen des Seins eindringen«, erwiderte Daminophis, »sondern die Schönheiten des Bestehenden froh genießen, Sieh dir diese Türme und Pyramiden, diese schwindelnd hohen Bauten innerhalb der eiförmigen Umfriedungsmauer an! So etwas gibt es nie wieder! Das findest du nur hier. Und all das umfaßt das Gebiet der Wissenschaften, der Versuche, der Künste. Was neu entdeckt oder was geschaffen wird, das wurzelt hier, innerhalb dieser Mauer. Komm!« Und sehr entschlossen zog er den jungen Gast hinter sich her.

In der Eingangshalle waren die Wände aus Orichalcum, und das Licht fiel von oben ein, alles in ein bläuliches Schimmern verwandelnd. Alles war reich mit Gold und mit Silber eingelegt, und in der Mitte des Raumes stand ein Brunnen, dessen Wasser auf viele duftende Blumen niederrieselte. Die Sinnbilder waren die von Daminophis entworfenen – die opfernde Kunst, das Sehnen nach Vollendung, der Aufstieg ins Geistige.

Der junge Pharao schaute in das glitzernde Funkenmeer auf den weißen Blüten. So war sie, die Eine.

Daminophis führte ihn von Arbeitsraum zu Arbeitsraum.

In der ersten Halle wurden Tempelgeräte hergestellt. Da waren die hohen Krüge, die von den Priestern im Mondtempel getragen wurden. Sie glichen einem schlanken, sich nach oben sanft öffnenden Kelche, der wie von Blumenblättern von sieben zarten Mondsicheln umschlossen wurde und als Kelchumrandung Wellenlinien trug. Auch Tempelblüten aus Silber, an langen Stengeln zum Opfertanz bei Mondfesten, waren eben in Arbeit, und runde Vasen, die drei übereinandergestapelten Kugeln glichen und auf denen sich das Kreismuster ununterbrochen wiederholte. Ferner silberne Opferschalen in Halbmondform und viele Geräte, deren Gebrauch dem Pharao unverständlich blieb.

»Hier werden meine Entwürfe verarbeitet«, sagte Daminophis, als sie von Raum zu Raum gingen. »Nun will ich dir noch rasch die Statuenabteilung zeigen, denn sie ist unser Stolz. Unsere öffentlichen Gebäude werden alle von hier versorgt, und was für den Palast oder Tempel bestimmt ist, wird nach besonderen Entwürfen angefertigt und darf nicht nachgeahmt werden. Die Wasserbecken dagegen, die du hier siehst, kann jedermann erwerben, der Lust dazu hat.«

Manche Räume waren nur künstlich erhellt, in manche fiel schräges Licht durch die komischen dolchartigen Einschnitte.

»Warum habt ihr keine Fenster, ihr Poseidonier? Wir lassen Ra in alles schauen, was wir haben«, sagte der Pharao, dem der Mangel an Tageslicht oft schwerfiel.

»Weil wir in allem nach möglichster Übereinstimmung mit dem Weltall trachten, das einer ungeheuren Truhe mit dem gestirnten Himmel als Deckel, den Bergen als Wänden, der Erde als Boden gleicht. In der Bergwand aber gibt es keine großen Lücken, sondern nur sich nach oben zu weitende Spalten zwischen Gipfel und Gipfel.«

»Ihr lebt immer im Ewigen«, brummte Ramon Phtha, »und überdies: bei uns ist alles flach, man kennt keine Einengung.«

Daminophis lächelte ein klein wenig überlegen.

»Es scheint dir so, weil du ein Fleckchen für die ganze Erde ansiehst,«

So groß die Bewunderung des jungen Königs für seinen Künstlerfreund auch war, ärgerte er sich dennoch über die Bemerkung, denn er trug die Krone dieses Fleckens Erde.

Schweigend folgte er seinem Führer, bis sie die Halle erreichten, die voll Blumen war, die in Töpfen und in Kisten gezogen wurden.

»Hier unternimmt man Versuche, entweder fremde Blumen an unsere Verhältnisse zu gewöhnen oder seltsame neue Kreuzungen zu gewinnen. Vieles ist schon gelungen, und besonderer Wert wird auf Leuchtkraft der Farben und Lieblichkeit des Duftes gelegt. Diese beiden Vorzüge zu vereinen wird allzeit getrachtet. Nun aber hast du für einen Tag genug gesehen und erfahren, o Pharao, denn ich muß in wichtiger Angelegenheit zu einem Mann der höchsten Kaste eilen und kann dich leider nicht weiter begleiten. Drüben«, er senkte die Stimme und blinzelte Ramon Phtha vielsagend zu, »beginnt das Reich der Wissenschaften, und somit das deines Freundes Arototec.«

»Magst du ihn?«

»Ich erlaube mir über ihn keine Gedanken, um wieviel weniger Worte …«, und etwas überhastet entfernte er sich.

»Ra lasse seine Strahlen auf dir ruhen und stärke deine Kunst!« rief ihm der Pharao wieder versöhnt nach.

Planlos durchwanderte er die Straßen …


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