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Um das Haar der Isolanthis

Roxa saß auf dem Boden, die Beine von sich gestreckt, und bearbeitete die Sandalen der Erbprinzessin mit Tuchresten aus Llamawolle. Ihre Hände rasteten ebensowenig wie ihre Gedanken, die wie zudringliche Falter einen einzigen Punkt umschwirrten: Die Übeltaten Colotlis; und von Zeit zu Zeit rollte sie die Augen nach dem Lager hin, um ihrer Zunge beim ersten Hoffnungsschimmer auf Gehör freien Lauf zu lassen. Sie brannte darauf, ihrer Herrin zu erzählen, daß der schöne junge Pharao, der ihr und ihrem geliebten Colotli immer eine Gabe zuschob, von mehr als einer Seite und von mehr als einem Menschen heimlich bewacht wurde, aber das kummerbewölkte Antlitz flößte ihr Scheu ein. Mit einem hörbaren Ruck zog sie die Zunge, die schon freudig zwischen den Lippen gewackelt hatte, in die Mundtiefen zurück und ließ das Gitter der Zähne mit einem Seufzer zusammenklappen.

Isolanthis, in ernstes Grübeln versunken, spielte unbewußt mit den dunkelbraunen Flechten und sann über all das nach, was man ihr von den Ausschweifungen im Haus des Genusses erzählt hatte, was ihr der unglückliche Vater Moanis vorgeklagt, was der immer verschlossenere König über die Qual seiner schlaflosen Nächte berichtet hatte und was ihr, unten im dritten Wall, zu Ohren gekommen war. Auch gedachte sie des Königs der dunklen Erde und all seiner Wünsche, die schweigen mußten, wie auch die Wünsche ihres eigenen Herzens seit langem schwiegen. Selbst das Gesicht des Weisen im Turm des Sonnenaufgangs schien ihr in letzter Zeit unerklärlich trauerbeschattet, wie wenn ein Berg plötzlich von einer Wolke verdunkelt wird. Etwas Ungreifbares wälzte sich drohend heran …

Ihre Finger, die alle vier Flechten eingefangen hatten, tasteten nun prüfend daran nieder. Aus ihrem Grübeln erwachend, folgte der Blick den Fingern. Das war erstaunlich! Die anmutig gewundenen Haarsträhne waren von ungleicher Länge.

»Roxa, wie kommt das nur? Die Gewinde, die über meinen Rücken fallen, sind …«

»Herrin«, unterbrach sie die Sklavin mit sichtlicher Verlegenheit, »von einer deiner Flechten hat der König der dunklen Erde mit seinem edelsteinverzierten Dolch ein klein wenig abgeschnitten …«

»Abgeschnitten?!«

»Mit seinem wunderschönen, mit kostbaren Steinen …«

»Die kostbaren Steine haben nichts damit zu tun«, sagte Isolanthis streng, »wozu in aller Welt soll der Pharao meine Haare …?«

»Gebieterin, Erbprinzessin«, rief Roxa, sich umständlich erhebend, »so sind die Männer alle, wenn sie lieben, ob sie eine Krone aus Gold oder nur das Sklavenzeichen auf der Stirn tragen. Er wird deine Haare an seinem Herzen …«

»Das ist eine sehr – – überflüssige Handlung«, erklärte Isolanthis und begann die Außengewänder und den Stirnreifen über das weiße Tuch anzulegen, »doch weil man zwecklose Handlungen weder begehen noch besprechen soll, erteile ich dir den Befehl, über den Vorfall zu schweigen,«

»Ich bin der Staub unter deinen Füßen, o Herrin.«

Die Erbprinzessin, die das Tuch endlich so geordnet hatte, wie es fallen mußte, zog zwei Haarflechten vorn über die Brust herab, während zwei über den Rücken hingen, Sie bemerkte mit erneutem Staunen, daß auch die Flechten, die vorn niedersielen, von ungleicher Länge waren.

»Roxa«, rief sie streng, »du wirst nicht behaupten wollen, daß der König der dunklen Erde es gewagt haben sollte, auch an diesen Flechten etwas abzuschneiden. Sprich! Du weißt mehr darüber, als du eingestehen willst …«

»Vergib, o Herrin«, sehr zerknirscht kam es von der Sklavin, die niedersank und den Saum des weißen Gewandes an ihre Lippen zog, »ich habe ein wenig, ein klein wenig dieser Flechte abgeschnitten!«

» Du?! Doch nicht, um es an deinem Herzen zu tragen?«

»Nicht gerade deshalb. Verzeih mir, ich schnitt sie für jemand ab, der alt ist und keine Krone trägt …«

Die Erbprinzessin ließ ganz hilflos die Arme sinken.

»Sag, wollen die Menschen plötzlich eine Haarsammlung an legen?«

»Wenn alle, die dich lieben, Haare von dir besitzen wollten, müßtest du zwei Köpfe mit Flechten haben, und noch langte es nicht …«

»Ich möchte dich bitten, in Zukunft die Haare, die ich besitze, als mein ausschließliches Eigentum zu betrachten. Würdest du mir etwa Zehen oder Ohren abschneiden, weil jemand den Wunsch geäußert hat, sie zu besitzen?« erkundigte sich Isolanthis streng.

»Haare wachsen wieder«, verteidigte sich die Sklavin, »du wirst sehen, wie schnell deine Flechten so lang sein werden wie …«

»Genug, künftighin …«

»… Poseidon lasse mich den Tod in den Wassern finden, wenn ich noch einmal …«

»Höre, Roxa«, unterbrach sie die Prinzessin streng, »ich liebe es nicht, den heiligen Namen im Zusammenhang mit solch wertlosem Ding zu vernehmen, und was den Wassertod betrifft, so warne ich dich: dein Colotli wird ihn nie erleiden. Ein Elefantenleib faßt weniger Futter, als er Palmenwein. Groß sind die Klagen über ihn, und wenn er sich nicht bessert, wird er kaum Hüter der Elefanten bleiben dürfen.«

»Nicht er sucht den Trunk, er wird ihm gereicht, und er fließt gar erquickend über Gaumen und Zunge«, verteidigte die Sklavin ihren vergötterten Sohn, »und so ertränkt er im Palmenwein …«

»Verstand und Gewissen«, erwiderte Isolanthis. »Um mein Leid zu ertränken, genügte nicht das Meer«, fügte sie leise hinzu.

Roxa senkte beschämt das Haupt.

»Ich weiß es, o Herrin, aber dein Herz ist wie das Herz des Himmels, an dem wir alle hängen.«

Der Ausspruch entwaffnete Isolanthis. Sich zum Gehen wendend, fragte sie, mit einem Lächeln, das die Sklavin beruhigte:

»Gestehe, um wessentwillen du meine arme Flechte so verstümmelt hast?«

»Viele, viele Tage hindurch bat er mich …«, begann Roxa zögernd.

»Es gibt viele Er im Palast und in der Stadt …«

»Der befreite Krieger …«

»Rotorù«, rief Isolanthis sehr erstaunt.

»Er, Herrin, er. Niemand im ganzen weiten Palast – von mir selbst will ich nicht reden, denn ich bin der Staub unter deinen Füßen – ist dir so ergeben. Er hat dir Treue geschworen für dieses Sein und für alle kommenden Zeiten, und er ist treu wie Gold. So wollte er gern eine Locke deines Haares als Schutzgehänge an der Brust tragen.«

»O Roxa …«, entfuhr es der Prinzessin, die nicht wußte, was sie sagen sollte, und die sowohl gerührt wie auch belustigt war, »der eine so jung und der andere so alt …«, sie senkte die Lider und sann nach, »dieser ein Diener, jener ein Herrscher …«

»Ein Mann bleibt ein Mann, und ein Weib ist ein Weib«, bemerkte achselzuckend die Sklavin, »und wenn sie das nicht mehr sind«, sie dachte an den Weisen im Turm des Sonnenaufgangs, »dann sind sie nicht mehr Menschen und dann schmeckt ihnen nichts …«

»… nicht einmal der berauschende Palmenwein«, lachte Isolanthis. »Laß Rotorù, was du ihm unerlaubt gegeben hast, aber behalte dieses Wissen für dich, und deinen scharfen Achat ebenfalls, sonst erwache ich wohl eines Morgens so kahl wie ein räudiger Tapir.«

»Nie wieder, o Gebieterin, werde ich meine unheiligen Hände zu solch übler Tat verwenden, und schweigen werde ich wie die Mumien in den Nischen der Pyramide …«

»Deine Zunge bewegt sich noch im Schlafe …«, neckte die Prinzessin und fügte ernster hinzu: »Was hast du? Du siehst recht betroffen drein?«

»Ich habe wirklich geschwiegen – ich hatte ja auch niemanden, dem ich es mitteilen konnte«, erklärte sie treuherzig, »aber Tiritec, der Schleicher, hat die Sache irgendwie ausgeschnüffelt wie ein Tapir, der seinen Rüssel in alles bohrt. In letzter Zeit streicht er immer hier im ersten Wall herum, und seine Augen gleichen denen einer Schlange. Nun verspottet er Rotorù, wo er nur kann, und verhöhnt ihn offen vor anderen. Er dichtet boshafte Liedchen …«

»Tut er das?« Und die dunklen Augenbrauen der Prinzessin zogen sich finster zusammen.

»Und ob! Ich selbst hörte eins, doch soll er viele herabschnurren, wenn er den alten Krieger trifft.«

»Sag es mir!«

»Rotorù trägt an der Brust
zierlich goldumsponnen
eine Locke – welche Lust
sein Herz daran zu sonnen …«

»Eine schlechte Dichtung, von schlechtem Menschen stammend …«, sagte Isolanthis erzürnt. »Bisher habe ich ihn nur lächerlich gefunden und schwach in seinem Wollen, doch nun erkenne ich …«

Ein großer Lärm vor den fürstlichen Gemächern ließ Herrin und Sklavin ganz erschrocken zusammenfahren. Isolanthis durcheilte die großen Räume bis zur Empfangshalle und warf da entschlossen den Vorhang zurück. Wie angewurzelt blieb sie auf der Schwelle stehen, denn das Bild, das sich ihr zeigte, war seltsam genug. Zwei Körper rollten über den Boden hin, und gerade als der Vorhang gelüftet wurde, landete die Faust des einen Mannes auf der Nase des andern.

»Was soll das?« rief sie streng.

Die beiden Kämpfer erhoben sich, schwankten betäubt und sanken ihr hierauf reumütig zu Füßen. Es waren Rotorù und Tiritec. Die Nase des Dichters war im Anschwellen begriffen.

»Was tut ihr beide hier im Vorraum zu meinen Gemächern?« fragte sie streng, obschon sie die Zusammenhänge erriet. »Du als der ältere, o Krieger, sprich zuerst!«

»Er verhöhnte mich, wo er mich traf, und machte mich lächerlich vor anderen«, entgegnete beschämt der alte Krieger, »und er umschleicht den Palast«, er zögerte, »nicht … als Freund …«

Das glaubte auch Isolanthis.

Sie winkte Rotorù stumm, sich zu entfernen, aber in ihren Augen las er, daß sie ihm vergeben hatte.

Nun wandte sie sich Tiritec zu, dessen Nase wuchs und wuchs.

»Geziemt es sich für den Dichter aus dem Haus der Wissenschaften und einen Mann der höchsten Kaste, sich wie ein Sklave aus dem dritten Wall herumzubalgen? Bewertest du so gering deinen Stand und deine eigene Rasse und hast du so wenig Achtung vor deinem Könige, daß die Folgen deiner unbesonnenen Taten hier ausgetragen werden müssen?«

»Verzeih deinem geblendeten Bewunderer«, rief er mit flatternden Armen, die Isolanthis an die Schwingen eines fliegenden Hundes erinnerten, »wenn er es nicht ertragen konnte, eine Locke deines kostbaren Haares in fremder Hand und an der haarigen Brust eines Fremdrassigen zu sehen …«

»Was dich nicht verhinderte, dich mit einem Manne aus niederer Rasse hier im Palast deines Königs herumzuprügeln?«

»Wie durfte ich es dulden«, näselte Tiritec, die Hand auf seiner schmerzenden Nase, »daß ein Stück deines Liebreizes im Besitz eines …«

»Beruhige dich«, unterbrach sie ihn kalt, »es waren nur die Haarenden, an denen Tlactlac oft im Spiel gezogen hat. Und nun geh! Es gelüstet mich nicht, dir länger zu lauschen.«

Er verbeugte sich immer wieder, während er nach rückwärts schritt, und gleichzeitig sprudelten seine Lippen von Versen über, die – weil durch eine verschwollene Nase gesprochen – lächerlich wirkten.

»Vergib, vergib …«, (er schob sich dem Ausgang zu)
»o Fürstin,
… daß nicht ich könnt' es sehn
die Zierde deines Hauptes an fremder Brust getragen,
weil meiner Sehnsucht Flügel dich allzeit sanft umwehn
und meines Herzens Wünsche wie Felsen dich umragen …«

»Trag deine Felsen an die Luft, denn dahin gehören sie naturgemäß«, hörte der Dichter eine gefürchtete Stimme dicht hinter sich sagen.

Ohne daß die drei Teilnehmer es bemerkt hatten, war Arototec eingetreten und Zeuge des Vorgangs gewesen. Er sah den alten Krieger, der auf Freiheit und Heimat verzichtet hatte, um der Prinzessin in Treue zu dienen, sich eben zerknirscht, aber keineswegs schuldbewußt entfernen, und er beobachtete mit wachsendem Unwillen die Verrenkungen Tiritecs sowie seine wasserfallgleichen Ergüsse, und er billigte vollkommen die Art, wie sie bei Isolanthis Aufnahme fanden.

Tiritec schnellte zurück und stieß bei einem Haar an den ersten Thronratgeber, der mit einer unverkennbaren Gebärde der Verachtung beiseitetrat, um ihn hinauszulassen.

Der Dichter knickte wie windgebrochenes Schilf zusammen und stolperte, sich immer wieder vor den beiden Gefürchteten verbeugend, in den Gang hinaus.

»Feigling!« rief Arototec und trat auf Isolanthis zu.

Beide lächelten einen Augenblick kaum merklich, hierauf verneigte sich der erste Thronratgeber tief vor der Erbprinzessin.

Sie war die einzige, vor der er es tat.

Groß war sein Stolz und unbeschränkt seine Macht, aber ihr zollte er Hochachtung.

»Begleite mich«, sagte er kurz, »ich habe dir viel zu zeigen.«

Vor dem Eingang, ihnen finster nachblinzelnd, stand Tiritec und rieb seine blutende Nase.


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