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Auf dem Silberbogenweg

Der Diener im Haus der lichtlosen Sterne betrachtete den königlichen Besucher mit finsterem Blick und führte ihn, nach einigem Zögern, in einen Raum unweit des Eingangs, an den sich ein zweiter schloß, dessen düstervioletter Vorhang nur unvollständig herabgelassen war, so daß ein schmaler Spalt verblieb, durch den der Pharao Arototec bei einer höchst merkwürdigen Beschäftigung sah. Er hatte zwei Tierleiber – oder waren es größere Vögel, was da in seinen Händen so zuckte und flatterte? – aufgeschnitten und bemühte sich anscheinend, die Eingeweide herauszunehmen und zu vertauschen. Mitten in seinem grauenvollen Tun erriet er die Gegenwart eines Fremden, der Vorhang fiel ganz unvermittelt, und nach ganz kurzer Zeit trat der erste Thronratgeber in seiner üblichen Tracht, nicht mehr im violetten Gewand, ein und begrüßte ihn mit jener Härte der Stimme und der Züge, die ihm eigen war und ihm das Gepräge vollster Unnahbarkeit verlieh. Es war Ramon Phtha immer, als müsse alles Menschliche in dieser wandelnden Steinfigur erstorben sein.

Auch das gemeinsame Kämpfen um so viele Leben hatte die beiden so grundverschiedenen Männer einander nicht näher gebracht. Ihre Seelen gingen völlig andere Entwicklungswege, und sie waren noch nicht fortgeschritten genug, um Richtungen zu billigen, die sie selbst nicht gewählt hatten. Dennoch versuchte Arototec immer wieder, den jungen Fürsten zu lehren und ihn so oft als tunlich in die hohe Kunst des Landes einzuweihen, und so erstiegen sie auch an diesem Tage vereint den zweiten Wall, von dem an einem mächtigen Pfeiler viele geländerlose Stufen, – nur in den Fels gehauen – zum berühmten Silberbogenweg führten, der sich rund um die Stadt zog und von dem man einen herrlichen Überblick hatte.

Wie schon so oft vorher staunte der Pharao über den maßlosen Prunk ringsumher. Jeder Bogen war von riesigem Umfang, denn sie alle endeten am ersten Wall, von dem ebenfalls Silberbogen mit den goldenen drei Zacken niedergriffen, und jede Silberzacke war schon so groß, daß Ramon Phtha gerade noch über sie hinwegzuschauen vermochte. Jeder einzelne Stützpfeiler stellte einen Fisch dar, der auf dem Schwanz stand und mit dem Kopf an die Zacken und Bogen des Rundwegs reichte, und jede einzelne Fischschuppe war größer als ein erwachsener Mensch. Während die beiden die Runde um die Stadt machten, erklärte Arototec.

»Im Norden und im Westen der Stadt, teils im dritten, teils im zweiten Wall liegen die öffentlichen Gebäude, alle Bauten, die irgendwie der Allgemeinheit dienen; an der Ostseite liegen die Häuser mit Gärten, die eigentlichen Wohnbauten. Merkst du, wie der Duft der Blumen heraufsteigt? Im zweiten Wall wohnen die Leute aus höchster Kaste, im dritten Wall das Volk, und vor dem dritten Wall die Ausländer, die sich hier angesiedelt haben. Am äußersten Ende der Ostseite sind unsere fließenden Wasser. Sie kommen weit aus den Bergen aus hochgelegenem See und werden gehoben, bis sie im ersten Wall das ungeheure Becken füllen, das alle Häuser und Gärten der Stadt mit frischem Wasser versieht. Unten vereinen sich die Wasser wieder zum breiten Strom, der alle Kanäle speist und endlich dem Meere zurollt.«

Sie blickten vom Silberbogenweg hinab auf den herrlichen Wasserfall, der über künstliche Felsen in tausend Wirbeln niederrauschte. Mitten aus den funkelnden Wassern ragten Riesengestalten aus Silber, Seejungfrauen darstellend, die eine stehend, die andere halb kniend, die dritte kauernd, bis hinab zur Ebene, eine der anderen immer ein Blumengewinde weitergebend, die Verbundenheit alles Irdischen, den Kreislauf des Seins betonend.

Es war ein unvergeßliches, ewig wechselndes Bild, ob man über die blumenreichen Gärten hinüber zum Schläfer und zum Schweigsamen schaute, oder über die fließenden Wasser hinab auf die fruchtbare Ebene und den breiten Strom, der den Pharao an den heiligen Fluß des eigenen Landes erinnerte, oder auf die mächtigen Stützpfeiler und über Zacken und Schuppen hinweg auf die unzähligen Kuppeln und Türme, auf all diese Bauten, von denen jeder einzelne eine Pyramide darstellte, die im Innern Hallen von schwindelnden Höhen, Treppen, Gänge und Gemächer hatte, oder ob das Auge über das flimmernde Meer strich und auf den Hafen, in dem immer eine Unmenge von Schiffen, Barken und selbst ganz einfachen ausgehöhlten Baumstämmen schaukelten. Auf den Felswächtern des Hafeneingangs glitzerten die drei goldenen Zacken, und die Zeichen an den Felswänden waren so groß, daß man sie selbst von dieser Höhe aus noch erkennen konnte.

»Das ist unsere Stadt«, sagte Arototec, und seine harte Stimme wurde klangschöner bei diesen Worten. »Ein steingewordenes Märchen, eine Wunderblume, vom Tau geheimsten Wissens erquickt. Nie wieder in den Wechselgeschicken der Menschheit wird es ähnliches geben. Diese Wälle sind eine Übertragung in Stein von außerirdischen Verhältnissen auf irdische, denn sie gleichen genau den Kreisen, die von den Gestirnen gezogen werden. Noch ist das alles. Unsere fließenden Wasser sollen an das Lebenswasser erinnern. Unsere Wohnhäuser liegen im Osten, also in der Richtung des Sonnenaufgangs, des Frühlings. Das Haus der Fremden dagegen liegt im Westen, denn Fremde kommen und gehen, da ist alles dem Wechsel unterworfen wie alles irdische Sein. Da liegt auch«, er lächelte eigentümlich, »das Haus des Vergessens. Diese vielen Silberbogen, die dich wohl nur Zierde dünken, stellen die Mondsichel dar, die gleichzeitig das Zeichen der Seele, des persönlichen Selbst ist. Was der Dreizack bedeutet, weißt du?«

»Er ist das Zeichen Poseidons, er deutet auch den Dreiklang an …«

»Ja, alles Geistige läßt sich irgendwie so gliedern: Geist, Seele und Stoff; Himmel, Erde und Mensch …«

»Man lebt hier in Sinnbildern …«, bemerkte versonnen der König der dunklen Erde.

»Du hast recht: Das Unsichtbare streift uns hier noch mit seinem Flügelschlag, und dem forschend-zwingenden Geist sind kaum noch Grenzen gezogen. Ich möchte …« Er betrachtete den Pharao und hielt inne. Dieses Kind, das die zitternden Hände nach dem lockenden Spielball der Wünsche ausstreckte, das von einem einzigen Begehren getragen wurde, war nicht geeignet, die Weltweite seiner Pläne zu erfassen. Vor diesen ungetrübten Augen tanzte nichts als ein bleiches Mädchengesicht –

»Isolanthis.«

Der Name, der ihm entfahren war, ließ Ramon Phtha zusammenzucken. Er kam als Echo auf all sein Denken. Einen Atemzug hindurch erwartete er eine Frage, denn die Blicke des Thronratgebers bohrten sich streng und forschend in die seinen, und die harten Lippen bewegten sich, doch dann trat Arototec nur schweigend den Rückweg an, obschon auch seine Gedanken bei der Erbprinzessin weilten. Sie verstand ihn! Sein Wissen begeisterte sie, seine Erfindungen wurden ihr zur Freude. Sie sah über die Grenzen noch hinaus, die den Grobstofflicheren ihrer Volksgenossen schon gezogen waren. Sie erkannte zuzeiten Erd- und Luftgeister, sie wußte um das Weben in der Natur. Ihr waren die Ströme bekannt, und sie las die toten Sprachen dieses Landes. Nie, nie durfte dieser junge Mensch fremder Rasse, aus fremdem Lande, die Perle aus der Stadt der goldenen Tore entführen.

Ramon Phtha träumte, in den Anblick von all dem Leuchten und Gleißen versunken, von all dem, was er Isolanthis bieten wollte, von seiner Liebe und Zärtlichkeit, von seinem Wollen, ihr zu dienen. Er schaute, als sie schon abgestiegen waren, in die Kelche der Mondblumen dicht am Wege und glaubte, in jedem einen schlanken Mädchenleib zu sehen. Wie der Duft aus Räucherschalen stiegen seine liebenden Gedanken immer wieder zu ihr empor.

Arototec dachte, ebenfalls in sein Sinnen eingesponnen:

»Sie warnt mich vor den schattenhaften Wesen, die sie zuzeiten um mich sieht, aber ihr Geist schwingt sich kühn auf zu meinem Geiste, furchtlos wie ein Adler zum andern in luftdünne Erdferne. Ihre Seele schmiegt sich allerdings nicht an die meine, sie sucht das reine Licht des Unwandelbaren, und wenn menschliches Zagen sie befällt, so steigt sie zum Weisen in den Turm, sucht nicht Rat bei mir. Auch das ist gut. An ihrem sicheren Wollen bricht mein Zauber. Ihre Zustimmung entspringt immer kühlem Erwägen und reifem Prüfen, nie meinem Willen als zwingender Macht. Gerade deshalb ist sie mir lieb. Alle andern Menschen sind nichts als meine Werkzeuge …«

»Ich kenne sie aus einem andern Erdenleben«, überlegte Ramon Phtha, »und liebte sie schon da. Wir sind verbunden. Sie soll mir in mein lichtes Land folgen, und ich werde ihr Dasein zu einem Traum von Glück gestalten.«

Der erste Thronratgeber betrachtete den Pharao, erriet seine Gedanken und fühlte sich ein wenig beunruhigt. Liebte Isolanthis diesen in der Tat sehr anziehenden Jüngling mit dem flammenden Herzen und den strahlenden Augen? Dieses warmfühlende, manchmal ungebärdige Kind, das jetzt wie ein Löwe sprang, das aber unter ihrer streichelnden Hand am Ende zum schnurrenden Kater wurde?

»Sie bewundert uns beide«, dachte er belustigt, in klarer Erkenntnis der Tatsachen, »bei mir den Geist, an ihm das Reizvolle seines Äußern und seine heitere Kindlichkeit. Sie ahnt wohl kaum, daß er sie liebt, und würde vor allem mir kein wärmeres Gefühl zutrauen. Ihr Bewundern bleibt ungetrübt von Begehren. Sie geht an uns beiden vorüber, wie sie an Macht und Krone vorübergeht. Sie hat die Seele einer Priesterin. In keinem Fall darf sie gewahr werden, daß sie einen Leib hat, aber Ramanatu steht in der Vollkraft und Frische der Jugend und soll daran erinnert werden,«

Sie waren vom Silberbogenweg herabgestiegen, und Arototec sah seinen Diener warten. Selbst in einen dunklen Umwurf gehüllt, trug er einen zweiten auf dem Arm. Die Sonne war eben im Sinken.

Arototec nahm das Tuch und hüllte den königlichen Gast hinein.

»Mein Diener wird dich in das Haus des Vergessens führen, denn du darfst unsere Stadt nicht verlassen, bevor du diese Wunderhallen gesehen hast.«

»Ich hege kein Verlangen …«, begann Ramon Phtha, doch schon während er die Worte mühsam hervorbrachte, befiel ihn eine seltsame Müdigkeit, die ihn, wie schon öfter in letzter Zeit, schlafwandelnd fremde Wege gehen ließ.

Auch jetzt erstarb sein Widerstand. Stumm schritt er neben dem finsterblickenden Gehilfen des rätselhaften obersten Thronratgebers dem Westteil des dritten Walls zu.

Sein Wille war nicht völlig unterworfen, denn er wußte, was er tat. Er war nur irgendwie geknebelt, und dies machte ein Aufbäumen dagegen schwer.

Sie hielten nach kurzer Zeit vor einem Riesengebäude von merkwürdigem Rot.

Der Diener winkte.

Widerstrebend kreuzte der Pharao die Schwelle des berüchtigten Hauses des Genusses.


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