Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vertauschte Seelen

Als Ataxikitli nach längerer Zeit aus seiner Ohnmacht erwachte, um im Tiefschatten des Felsblocks neuerdings eine halbsitzende Stellung einzunehmen, sah er, wie ein junger Mann mit verbundenen Augen von zwei Beschwörern hereingeführt wurde, und erkannte in ihm Etelku, den mutmaßlichen Thronerben, der aus Aere vor kurzem zurückgekehrt war, um in die alten Gesetze dieses Landes und in alle Überlieferungen eingeweiht zu werden.

Was wollten die unheimlichen Geisterbeherrscher von ihm?

Inmitten des Halbkreises ward er freigegeben. Arototec erhob sich, bewegte einige Male die Arme, schaute dem steif Dastehenden auf die Nasenwurzel und nickte leicht, als dieser zusammenknickte und wie tot vor ihm liegen blieb.

»Er hat ihm Willen und Bewußtsein genommen …« dachte Ataxikitli erschauernd.

Nun schloß einer der älteren Magier die Augen, und sein Gesicht erstarrte. Lautlose Stille herrschte in der Höhle, nur das Räucherwerk qualmte an dem dunklen Gestein empor. Der Zauberhalbkreis blieb geschlossen.

»Was beabsichtigen sie? O Poseidon, du Gründer unseres Reiches, was wollen sie alle von Etelku? Denkt man am Ende daran, ihn zu töten?« überlegte der Lauscher, von wachsender Besorgnis gequält.

Da bewegte sich plötzlich der Leib des Gedankenbeherrschten. Langsam richtete Etelku sich auf, griff nach einer Wachstafel, die ihm schweigend gereicht wurde, und schrieb eifrig.

»Welche Pläne hegt Naxitli, der Getreue, mit Hinsicht auf die Erbfolge? Wie steht er zum König der dunklen Erde?« fragte Arototec, und eine fremde Stimme – die des älteren Beschwörers – gab Auskunft darüber. Ataxikitli verschlug es den Atem in seinem Versteck. Nun wußte er, was geschehen war. Durch sein Wollen war die Seele des Beschwörers in den Leib des Beherrschten gefahren und las nun im bezwungenen Gehirn des Opfers alles, was zu wissen gewünscht wurde. Die geheimsten Pläne des Königs entrollten sich, und überdies gar manches, was im Nordland geplant oder im Mondreich, im Reich des Westens, festgesetzt worden war.

Ataxikitli hatte Mühe, an das Wunder zu glauben, doch als Etelku sich zufällig umwandte, sah der Beobachter in den fremdgewordenen Augen des Jünglings einen unheimlichen Schein, nahm fremdes Mienenspiel und fremde Gebärden wahr, hörte klanglich unvertrauten Stimmfall und verstand: er, der hier auf und ab ging und die tiefsten Geheimnisse des Thrones verriet, war nicht Prinz Etelku; in seinem Körper steckte die Seele eines anderen, lebte fremder Wille …

Ach, welchem Abgrund wankte seine Rasse unentrinnbar zu! Jede Faser seines Herzens zuckte leidgefoltert, denn Ataxikitli liebte seine Heimat, sein Volk, seine Kunst und Wissenschaft, die alten Überlieferungen und vor allem die erhabene Weisheit, die das höchste Gut der Poseidonier war. Das alles schien dem Untergang geweiht, hastete unweigerlich der Vernichtung entgegen, er fühlte es.

Nun zwang Arototec die Seele des älteren Beschwörers zur Ruhe, hob den regungslosen Leib vom Sitz und bettete ihn dicht neben den des Jünglings. Wie zwei Leichen lagen die beiden Körper nebeneinander, von Arototecs Willen ganz beherrscht. Er beugte sich darüber, die Arme kreuzweise dicht über sie haltend, und ließ die entgegengesetzten Ausstrahlungen auf sie wirken, bis der ursprüngliche Zustand neuerdings hergestellt war.

Erschöpft, betäubt, taumelnd stand Etelku vor den Beschwörern, unsehend, obschon die Augen offen waren, unhörend, obschon das furchtbare Kratzen und Scharren an den Wänden wieder begonnen hatte.

»Geh heim ohne zu zögern, und lege dich sofort nieder«, befahl Arototec streng. »Wenn du erwachst, weißt du nichts, ahnst nichts, vermagst niemandem davon zu berichten. Du bist entlassen!«

Noch immer wie trunken taumelnd verschwand der junge Prinz durch den engen Zugang.

Ataxikitli bleibt wie gelähmt.

An den Wänden sind die Räucherschalen im Verglühen, wie Ungeheuer weben sich die Nebel zusammen, das matte Dämmern wird noch matter. Aus der Tiefe der Höhle funkeln zwei düstere Lichter wie Raubtieraugen …

Arototec zerstört den Blutkreis auf dem Boden, und sofort weht ein kalter Wind durch den Riesenraum. Wasser gluckert in den Ecken wie fallende Tränen. Ein Ächzen fährt durch das tote Gestein. Langsam lösen sich die Gestalten der Beschwörer, bleich und steinern schreiten sie dem Ausgange zu, immer einer genau hinter dem andern. Mit schlotternden Knien folgt ihnen Ataxikitli, die verlassene Höhle mehr noch als eine mögliche Entdeckung seiner Person fürchtend, denn wieder greifen eisige Hände nach ihm.

Ein junger Mond tropft sein Silber auf Blattwerk und Palmenkronen und gießt es auf den Weg, der zur Ebene hinabführt.

Schweigend, langsam, unheimlich in ihrer düsteren Tracht schweben gleichsam die Beschwörer talab. Es ist Ataxikitli, als berührten ihre Fußsohlen kaum den Erdboden.

Von Zeit zu Zeit raschelt der Nachtwind an den dunkelvioletten Gewändern, als wollte er sie zerfetzen, aber die lange Reihe ändert weder Haltung noch Gangart. Ein schwarzes Schweigen liegt über ihr.

Wie um sich vom feindlichen Bann zu befreien, wirft Ataxikitli seinen dunklen Umhang in den nächsten Tümpel und tritt, erschöpft und seelisch aus dem Gleichgewicht gebracht, den weiten Rückweg an.

Fern, im weichen Glanz des jungen Mondes, leuchtet silbern und golden die Stadt der fließenden Wasser, strahlend schön wie eine Erscheinung des Lichts und der Reinheit und dennoch dem Untergang geweiht.


 << zurück weiter >>