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Das Erwachen …

Ein Sonnenstrahl, neuen Tag und neue Pflichten ankündend, streifte den unruhigen Schläfer und scheuchte ihn vom Lager auf. Seine verstörten Züge glätteten sich beim Anblick Kaburos, der wie ein Hund zusammengerollt zu Füßen des Lagers schlief, und der nun ebenso treu und ergeben wie ein solcher zu ihm aufschaute.

»Ist es schon Morgen?«

Ataxikitli fragte es, vom plötzlichen Hoffen erfüllt, all das Schreckliche nur geträumt zu haben.

Kaburo sah nicht auf, sondern rollte die Schlafmatte um die dünne Wolldecke, in die er sich nachts zu wickeln pflegte, und erwiderte, scheinbar in sein Tun vertieft:

»Ja, Gebieter. Der weiße König stieg schon hinter dem Schweigsamen herauf. Du hast lange geschlafen …«

Die drückende Bürde, die er schon schwinden gefühlt hatte, senkte sich mit verdoppeltem Gewicht. Leise, den Kopf abgewandt, forschte Ataxikitli weiter:

»In der Nacht des Festes … der Nacht deiner Abwesenheit … fiel mir das kostbare Zeitbuch aus den Händen …«

»Ich weiß, o Gebieter. Ich fand den schweren Band mit zerbeulten Beschlägen auf dem Boden des Eßraums. Du warst müde, o Herr, denn du versuchtest, das Buch zu heben und verletztest dir die Finger dabei.«

Ataxikitli sah erschrocken auf seine Hände nieder und bemerkte, daß sie arg zerkratzt, die Finger geschwollen, die Nägel vielfach gebrochen waren. Kein Wunder! Mit diesen seinen Fingern hatte er eine Grabstätte geschaffen, hatte sich bemüht, eine Tat ungeschehen werden zu lassen, die … Er setzte sich kummerzermürbt auf den Rand des Lagers und seufzte tief; sprach endlich, mehr zu sich selbst als zum Sklaven:

»Ja … ich habe mich sehr bemüht … sehr …«

»Das Buch hat keinen Schaden gelitten«, tröstete ihn Kaburo, »aber der wertvolle Teppich aus Akozetatl ist verschwunden …«

»Laß sein … ich … ich … habe ihn weggelegt …«, erwiderte Ataxikitli trostlos, denn nun hatte er zwangsläufig den Weg beschritten, dem entlang Lüge sich an Lüge reihte, wie oben die Eiben auf dem Herrscherweg; finstere Lügen, die genau so lange finstere Schatten werfen würden.

Ob Kaburo etwas ahnte? Nicht die Wahrheit, doch immerhin ein unaufgeklärtes Ereignis, einen Gast, etwas aus dem Brauch der Tage Fallendes? Er wollte ihn fragen, aber die Worte erstarben im Munde. So sagte er nur, während er das verstaubte Gewand mit einer Gebärde des Abscheus von sich warf:

»Schenk es einem deiner Freunde … jemandem, der zu verreisen gedenkt. Kleider sind wie Gespenster des Trägers, man sieht sie nicht gern auf den Leibern anderer Menschen auferstehen.«

Zum Zeichen des Dankes berührte der Sklave seines Herrn Fuß mit seiner Hand. Das Weiche der Bewegung, die Nähe des fremden Körpers, löste eine gefährliche Spannung in Ataxikitli. In der Härte seines Stolzes hatte er wärmender Zuneigung nicht bedurft, jetzt, mit der schritthemmenden, ihm für dieses Leben auferlegten Bürde – und wer wußte, wie weit darüber hinaus? –, sehnte er sich nach der wegerhellenden Flamme echter Anhänglichkeit, und aus diesem jähen Verlangen heraus fragte er mit ungewohnter Milde:

»Kaburo … bist du mir ergeben …, nicht wie ein Sklave seinem Besitzer …«

»… sondern wie ein Hund seinem Herrn? O Gebieter, mein Herz liegt in deiner Hand …«, und die Augen des Negers strahlten.

Ataxikitli begriff mit einer Aufwallung von Dank, daß er nicht nur weiterleben mußte, sondern es auch konnte, so stark durchbricht der wärmende Schein einer Menschenliebe selbst die unheimlichen Schlagschatten einer großen Schuld.

»Dann vergiß die Nacht … jene Nacht gegen alle … nach außenhin …« sprach er, über das Haupt des Knienden hinstreichend.

»Sie ist vergessen, von meiner Seele gewaschen; sie war nie.«

Der Sklave erhob sich und begann die frischen Gewänder, Tücher, Öle und Schaumpulver zum Becken im Garten zu tragen, über das die Sonne schon seit geraumer Zeit ihr Goldnetz geworfen hatte.

Als Ataxikitli untertauchte und sich den Staub der Unglücksnacht aus den Haaren schwemmte, wünschte er nichts als das:

Alles Erinnern an die Tat hinwegwaschen zu können, wie Kaburo es zu tun versprochen hatte.


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